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  • 13.05.2013 · IWW-Abrufnummer 131457

    Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 28.03.2013 – 311 SsRs 9/13

    Bei einer auf die Versagung der Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung eines Geschwindigkeitsmessgerätes gestützten Verfahrensrüge bedarf es grundsätzlich der Darlegung, was bei rechtzeitiger Gewährung der Einsichtnahme vorgetragen worden wäre. Ist dies nicht möglich, muss mit der Rechtsbeschwerde dargelegt werden, welche Bemühungen um Einsichtnahme bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge vorgenommen worden sind. Allein die wiederholte Aufforderung an die Bußgeldstelle, die Bedienungsanleitung zur Verfügung zu stellen, genügt hierfür angesichts des Umstandes, dass die Bedienungsanleitung kein Unikat darstellt, nicht.


    In der Bußgeldsache
    gegen G. R.,geboren am ... 1948 in B.,wohnhaft XXXXX,
    - Verteidiger: Rechtsanwalt B. B. -
    wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
    hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Stadthagen vom 1. Oktober 2012 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft Celle durch den Richter am Oberlandesgericht XXXXX, den Richter am Oberlandesgericht XXXXX - zu 1. und 2. zugleich als Einzelrichter - und den Richter am Oberlandesgericht XXXXX am 28. März 2013
    beschlossen:
    Tenor:

    1.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
    2.

    Die Sache wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
    3.

    Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
    4.

    Die Kosten der Rechtsbeschwerde trägt der Betroffene.

    Gründe

    I.

    Das Amtsgericht Stadthagen verurteilte den Betroffenen am 1. Oktober 2012 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften und setzte eine Geldbuße von 150 € fest.

    Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 7. November 2011 um 16:36 Uhr mit einem Pkw im Bereich der Gemarkung A. die BAB 2 in Fahrtrichtung B.. Der Verkehr wurde vor Ort durch eine über der Fahrbahn angebrachte digitale Verkehrsbeeinflussungsanlage geregelt, die in Höhe der Kilometer 263,68 und 261,453 eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h anordnete. Im Bereich des Kilometers 260,6 fand eine Geschwindigkeitsmessung mittels des Messgeräts ESO 3.0 durch den Zeugen PK O. statt. Der Betroffene passierte mit seinem Pkw die Messanlage auf der mittleren von drei Fahrspuren und wurde dabei mit einer Geschwindigkeit von 157 km/h brutto gemessen. Nach Abzug eines Toleranzwertes von 3 % betrug die vorwerfbare Geschwindigkeit 152 km/h, die somit 32 km/h über der vorgeschriebenen Geschwindigkeit für diesen Streckenabschnitt lag. Der Betroffene hätte bei Beachtung seiner Sorgfaltspflicht als Kraftfahrzeugführer seine Geschwindigkeit der örtlich geltenden Regelung anpassen können und müssen.

    Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Dabei macht er eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die unzulässige Beschränkung von Verteidigerrechten sowie einen Verstoß gegen das Prinzip des fairen Verfahrens geltend, weil ihm trotz mehrfacher Anforderungen weder die Betriebsanleitung des Messgeräts noch die Lebensakte zur Verfügung gestellt worden sei.

    II.

    Die Rechtsbeschwerde blieb ohne Erfolg.

    1. Die Rechtsbeschwerde war zunächst gemäß § 80 Abs. 1 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen. Es gilt, die Anforderungen für die Erhebung der Rüge bei Versagung der Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung von Messgeräten zu präzisieren. Der Einzelrichter hat sodann gemäß § 80 a Abs. 3 OWiG die Sache auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

    2. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, in der Sache aber unbegründet.

    a) Die auf die Beiziehung der Lebensakte gestützte Verfahrensrüge und die Sachrüge sind zulässig erhoben, decken aber keinen durchgreifenden Rechtsmangel im angefochtenen Urteil auf. Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Der Rechtsfolgenausspruch ist im Hinblick auf die vom Amtsgericht berücksichtigte Voreintragung des Betroffenen im Verkehrszentralregister nicht zu beanstanden. Soweit der Betroffene eine Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt, weil ihm die Lebensakte des Messgeräts nicht zur Verfügung gestellt worden ist, konnte die Verfahrensrüge bereits deshalb keinen Erfolg haben, weil eine solche Lebensakte nicht existiert, nachdem seitens des Polizeiamts für Technik und Beschaffung

    Niedersachsen seit dem Jahr 2002 derartige Akten nicht mehr geführt werden.

    b) Näheren Ausführungen bedurfte es daher alleine zur Rüge des Betroffenen, ihm sei die Bedienungsanleitung des Messgerätes nicht zur Verfügung gestellt worden. Diese ist unter jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in nicht ausreichender Weise ausgeführt worden.

    aa) Soweit der Betroffene hiermit die Verletzung des Prinzips des fairen Verfahrens und damit zugleich die Beschränkung der Verteidigerrechte in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt rügt, genügt der Vortrag in der Rechtsbeschwerde nicht den sich aus § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 StPO ergebenden Anforderungen. Eine solche unzulässige Beschränkung im Sinne des § 338 Nr. 8 StPO liegt nämlich nur dann vor, wenn sie auf einem in der Hauptverhandlung ergangenen Gerichtsbeschluss beruht und die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil konkret besteht (vgl. KG, Beschl. v. 7. Januar 2013, 3 Ws (B) 596/12, [...]). Zwar führt die Rechtsbeschwerde aus, dass der Verteidiger in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht einen Aussetzungsantrag wegen Versagung der Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung gestellt hat, der vom Amtsgericht abschlägig beschieden worden ist. Ihr ist jedoch nicht zu entnehmen, welche Tatsachen sich aus der Bedienungsanleitung hätten ableiten lassen und welche Konsequenzen für die Verteidigung daraus gefolgt hätten. Soweit eine konkrete Benennung mangels Zugriffs auf die Unterlagen nicht möglich ist, muss sich der Verteidiger bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um die Einsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen gegenüber dem Rechtsbeschwerdegericht auch dartun (vgl. BGHSt 49, 317, 328; BGH StraFo 2006, 459, 460 [BGH 23.08.2006 - 5 StR 151/06]; NStZ 2010, 530 (531) [BGH 23.02.2010 - 4 StR 599/09]). Hierzu wird mit der Rechtsbeschwerde lediglich dargelegt, dass der Verteidiger bereits vor der Hauptverhandlung und auch nach Abschluss des Verfahrens vor dem Amtsgericht sich erfolglos bei der Bußgeldstelle um Überlassung der Bedienungsanleitung bemüht hat. Angesichts des Umstandes aber, dass die Bedienungsanleitung für das betreffende Messgerät aber kein Unikat darstellt, welches allein von Seiten im vorliegenden Verfahren beteiligten Bußgeldstelle zur Verfügung gestellt werden kann, mithin die Möglichkeit besteht, von der Bedienungsanleitung auch auf andere Weise zur Kenntnis zu erhalten, hätte zur Einhaltung der strengen Voraussetzungen einer zulässigen Verfahrensrüge weiter dargelegt werden müssen, dass dies trotz zumutbarer Anstrengungen nicht möglich war. Dabei genügt der bloße Hinweis darauf, dass "weder der Betroffene noch der Verteidiger bislang auf andere Weise Kenntnis von der Bedienungsanleitung erhalten" habe, hierfür nicht. Denn damit bleibt offen, welche Anstrengungen der Verteidiger unternommen hat und ob diese ausreichend waren. So hätte es etwa nahe gelegen, sich z. B. an den Hersteller des Messgerätes zu wenden und von diesem technische Angaben zu interessierenden Fragen zu erhalten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 29. Januar 2013, III 1 RBs 2/13) oder von diesem ein Exemplar der Bedienungsanleitung zu erwerben. Warum eine solche Vorgehensweise nicht diskussionswürdig sein soll (vgl. Cierniak, ZfS 2012, 664 (674)), erschließt sich dem Senat nicht. Die hierfür entstehenden Auslagen wären im Erfolgsfall der Rechtsbeschwerde dem Betroffenen als notwendige Auslagen zu erstatten. Sie dürften zudem deutlich hinter den Auslagen zurückbleiben, die der Betroffene laut seiner Rechtsbeschwerde durch die Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens aufwenden müsste.

    Die Entscheidung des OLG Naumburg vom 5. November 2012 (Az. 2 Ss 100/12, [...]), die eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens bei Versagung der Einsicht in die Bedienungsanleitung von Messgeräten annimmt (so auch Cierniak, a.a.O.), steht dieser Auffassung nicht entgegen, da der Entscheidung nicht zu entnehmen ist, welchen Inhalt die dort erhobene Verfahrensrüge hatte.

    bb) Soweit der Betroffene durch das versagte Zurverfügungstellen der Bedienungsanleitung eines Messgerätes eine Verletzung des rechtlichen Gehörs i. S. von Art. 103 Abs. 2 GG geltend macht, ist bereits der Ausgangspunkt dieser Rüge fraglich. Denn die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nur dann gegeben, wenn das Gericht Tatsachen oder Beweismittel verwertet hat, zu denen der Betroffene vorher nicht gehört worden ist (vgl. Cierniak, a.a.O., S. 673). Dies ist hier nicht der Fall. Die in Rede stehende Bedienungsanleitung war vom Akteneinsichtsrecht der Verteidigung nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i. V. m. § 147 Abs. 1 StPO nicht erfasst (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. September 2012, 311 SsRs 124/12 und vom 4. Mai 2011, 311 SsRs 52/11). Der Aktenbegriff dieser Vorschrift erfasst die von der Staatsanwaltschaft dem Amtsgericht gemäß § 69 Abs. 4 Satz 2 OWiG vorgelegten Akten, die danach entstandenen Aktenteile und die vom Gericht herangezogenen oder von der Staatsanwaltschaft nachgereichten Beiakten (vgl. BGHSt 30, 131, 138). Die Bestimmung gibt keinen Anspruch auf Erweiterung des Aktenbestandes. Die Bedienungsanleitung war weder mit den Akten vorgelegt noch vom Gericht beigezogen worden. Insoweit steht dieser Auffassung auch nicht die Entscheidung des Kammergerichts vom 7. Januar 2013 (3 Ws 596/12, [...]) entgegen. Dort war die in Rede stehende Bedienungsanleitung bereits Aktenbestandteil geworden. Ob die Ansicht mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg vom 5. November 2012, 2 Ss 100/12, in Einklang zu bringen ist, konnte der Senat abschließend nicht beurteilen. Dort heißt es, dass der Verteidiger ein Recht auf Akteneinsicht in alle Unterlagen habe, die auch dem Sachverständigen zur Verfügung gestellt werden. Dies lässt offen, ob im Fall des Oberlandesgerichts Naumburg einem Sachverständigen bereits Unterlagen zur Verfügung gestellt worden sind und ob sich die Entscheidung allein auf diese Konstellation bezieht oder ob damit auch gemeint ist, dass alle Unterlagen, die einem möglichen Sachverständigen zur Verfügung gestellt werden würden, vom Begriff der Akte i. S. des § 147 StPO umfasst werden.

    Letztlich kann dies dahingestellt bleiben, weil die insoweit vom Betroffenen erhobene Verfahrensrüge den Anforderungen aus § 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 344 StPO ebenfalls nicht genügt. Im Fall der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs muss in der Rechtsbeschwerde nämlich substantiiert dargelegt werden, was der Betroffene im Falle seiner Anhörung geltend gemacht hätte (vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 1999, 23 [OLG Hamm 11.09.1998 - 2 Ss OWi 1021/98]). Denn nur dann ist das Rechtsbeschwerdegericht in der Lage zu prüfen, ob die angefochtene gerichtliche Entscheidung auf einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG beruht und dem Betroffenen tatsächlich rechtliches Gehör verwehrt worden ist. Dies hat auch für diese Rüge zur Folge, dass der Betroffene sich noch nach Abschluss eines Verfahrens bis zum Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist um entsprechende Einsicht in die von ihm begehrten Unterlagen bemühen muss, um aufgrund dann zu gewinnender Erkenntnisse konkret darzulegen, was in der Hauptverhandlung vorgetragen worden wäre. Beruft sich der Antragsteller darauf, dass ihm aufgrund verwehrter Einsichtnahme in bestimmte Unterlagen dieses gerade nicht möglich ist, muss er sich, damit die Ausnahme von der an sich nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bestehenden Vortragspflicht gerechtfertigt und belegt wird, jedenfalls bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um die Akteneinsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen gegenüber dem Rechtsbeschwerdegericht auch dartun (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 14. November 2012, 1 RBs 105/12, [...]). Insoweit gilt das zur Rüge der Verletzung des fairen Verfahrens bereits Ausgeführte. Hinzu kommt, dass allgemein bekannt ist, nach welchem Prinzip das Geschwindigkeitsmessgerät ESO 3.0 funktioniert und welche Ursachen für Fehlmessungen in Frage kommen (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22. Oktober 2012, 1 SsBs 12/12, burhoff; Burhoff-Böttger, Handbuch für straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, S. 727 ff). Dies eröffnet dem Verteidiger die Möglichkeit, auch solche Tatsachen unter Beweis zu stellen, die er nur vermutet oder für möglich hält, soweit es sich nicht um eine Beweisbehauptung völlig "ins Blaue hinein" handelt (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 29. Januar 2013, III-1 RBs 2/13 a.a.O.). Konkrete Anhaltspunkte, die Anlass für Zweifel an der Ordnungsgemäßheit des Messergebnisses geben könnten, sind der Rechtsbeschwerde indessen nicht zu entnehmen.

    III.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 473 Abs. 1 StPO.

    Vorschriften§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG § 147 Abs. 1 StPO § 344 Abs. 2 StPO