Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 09.11.2012 · IWW-Abrufnummer 123310

    Amtsgericht Backnang: Beschluss vom 19.09.2012 – 2 Ls 90 Js 58693/12

    Die bloße Angabe zweier Paragraphen ohne jede Erläuterung genügt insoweit ebenso wenig wie die Mitteilung schlagwortartiger Angaben, um dem Beschuldigten den ihm gemachten Vorwurf und dessen Reichweite in einer den Anforderungen der §§ 163a Abs.4, 136Abs.1 S.1 StPO genügenden Weise zu eröffnen.


    Geschäftsnummer:
    2 Ls 90 Js 58693/12
    Amtsgericht Backnang
    Beschluss
    In dem Strafverfahren gegen
    hat das Amtsgericht Backnang durch Richter am Amtsgericht Hillenbrand am 19.09.2012
    beschlossen:
    1. Das Hauptverfahren wird eröffnet. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 01.08.2012 - 90 Js 58693/12 - wird zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Waiblingen - Strafrichter - zugelassen, jedoch mit der abweichenden rechtlichen Würdigung, dass die Angeklagten des Diebstahls gemäß §§ 242 Abs.1, 243 Abs.1 Nr.3 StGB und nicht des Bandendiebstahls hinreichend verdächtig sind.
    2. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Waiblingen vom 05.07.2012 (18 Gs 53/12) und der Haftbefehl des Amtsgerichts Stuttgart vom 06.07.2012 (28 Gs 808/12) werden aufgehoben.
    Die Angeklagten sind in dieser Sache aus der Untersuchungshaft zu entlassen.
    Gründe
    I.
    Den Angeklagten wird von der Staatsanwaltschaft Stuttgart zur Last gelegt, sie hätten am 04.07.2012 gegen 15.00 Uhr einem zuvor gefassten Tatplan entsprechend in bewusstem und gewolltem arbeitsteiligem Zusammenwirken mit einem bislang noch unbekannten Mittäter in den Geschäftsräumen der Firma K. in B., neun Prepaid-Mobilfunkkarten des Providers „blau.de“, fünf Schachteln Zigaretten der Marke L&M und 43 Schachteln Zigaretten der Marke Marlboro im Gesamtwert von 372,10 EUR entwendet, um die Ware ohne Bezahlung für sich zu behalten und sich durch deren Verwertung eine Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen.
    Darüber hinaus habe sich der Angeklagte O., nachdem die vorgenannte Tat entdeckt worden war, gegenüber dem Zeugen G. und den herbeigerufenen Polizeibeamten PHM D. und PHM K. mit der angeblich in Rumänien ausgestellten Carte de Identitate Nr. 664730, lautend auf die Personalien N.P. ausgewiesen, um so über seine Identität zu täuschen.
    Die Diebstahlstat wurde größtenteils vom zuständigen Ladendetektiv mittels einer Überwachungskamera beobachtet. Dem Detektiv gelang es, die beiden Angeklagten zu stellen, die dritte mutmaßlich tatbeteiligte Person konnte dagegen nicht gestellt werden. Das Diebesgut wurde beim Angeklagten N. aufgefunden. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen wurde festgestellt, dass die Angeklagten in Zimmer in einem Gasthof in S. angemietet hatte, welches am 06.07.2012 aufgrund eines richterlichen Beschlusses durchsucht wurde. Hierbei wurden zehn weitere Prepaidkarten der Marke „blau.de“ aufgefunden, deren Herkunft ungeklärt ist. Diese Karten sind nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
    Die Angeklagten befinden sich seit dem 05.07. bzw. seit dem 06.07.2012 in Untersuchungshaft. Am 02.08.2012 erhob die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit dem Vorwurf des gemeinschaftlichen banden- und gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß §§ 242 Abs.1, 243 Abs.1 Nr.3, 244 Abs.1 Nr.2, 25 Abs.2 StGB Anklage zum Strafrichter bei dem Amtsgericht Waiblingen. Dem Angeklagten O. wird zudem ein tatmehrheitliches Vergehen der Urkundenfälschung vorgeworfen.
    Mit Beschluss vom 04.09.2012 legte das Amtsgericht Waiblingen gemäß § 209 Abs.2 StPO die Akten dem Schöffengericht bei dem Amtsgericht Backnang zur Übernahme vor, wo die Akten am 06.09.2012 eingingen. Zur Begründung führte das Amtsgericht Waiblingen aus, es liege nach dem Anklagesatz ein Verbrechen gemäß § 244a StGB vor. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, das Verfahren vor dem hiesigen Schöffengericht zu eröffnen.
    II.
    Das Hauptverfahren war vor dem Strafrichter bei dem Amtsgericht Waiblingen zu eröffnen, eine Zuständigkeit des Schöffengerichts besteht nicht. Insbesondere besteht kein hinreichender Tatverdacht eines Verbrechens gemäß § 244a StGB.
    1. Werden einem Gericht höherer Ordnung gemäß § 209 Abs.2 StPO die Akten vorgelegt, so hat es zu entscheiden, ob es das Hauptverfahren vor sich oder einem Gericht niedrigerer Ordnung, das auch das vorlegende sein kann, eröffnet oder ob es seinerseits die Akten einem ihm gegenüber höherrangigen Gericht vorlegt (KK-Schneider, § 209 StPO, Rn. 15). Das Gericht, dem die Sache vorgelegt wird, entscheidet so, als ob die Staatsanwaltschaft unmittelbar zu ihm Anklage erhoben hätte (LR-Stuckenberg, § 209 StPO, Rn. 45).
    Eine Vorlage an das Landgericht Stuttgart kommt ersichtlich nicht in Betracht, und auch eine Zuständigkeit des Schöffengerichts besteht nicht. Im Falle einer Verurteilung hätten die Angeklagten, die bislang lediglich ein bzw. zwei Mal zu Geldstrafen im unteren Bereich verurteilt wurden, aufgrund des eher geringen Werts des Diebesguts von weniger als 400,00 EUR nicht mit einer Strafe von mehr als zwei Jahren zu rechnen, und es besteht auch kein hinreichender Verbrechenstatverdacht, eine Verurteilung wegen schweren Bandendiebstahls gemäß § 244a StGB ist unwahrscheinlich.
    Eine Bande im Sinne der §§ 244, 244a StGB ist eine aus mindestens drei Personen bestehende Gruppe, die sich ausdrücklich oder stillschweigend zur Verübung fortgesetzter, im Einzelnen noch ungewisser Raub- oder Diebstahlstaten verbunden hat. Voraussetzung für die Strafbarkeit wegen eines Bandendelikts ist das Vorliegen einer Bandenabrede, das bloße Zusammenwirken dreier oder mehrerer Personen bei der Tatausführung genügt nicht. Für die Feststellung einer Bandenabrede ist es zwar nicht erforderlich, dass ein bestimmtes Mindestmaß an konkreter Organisation oder festgelegter Strukturen erreicht wird; eine Strafbarkeit wegen Bandendiebstahls setzt aber einen sich in einer ausdrücklichen oder konkludenten Vereinbarung manifestierenden Willen voraus, sich mit mindestens zwei anderen Personen zusammenzutun, um künftig für eine gewisse Dauer eine Mehrzahl von Straftaten zu begehen.
    2. Vorliegend sind Anhaltspunkte für eine solche Bandenabrede nicht ersichtlich. Die Polizei hat ihren Verdacht eines Bandendelikts ausweislich des Ermittlungsberichts darauf gestützt, dass dem zuständigen Detektiv bei der Auswertung der Aufnahmen der Überwachungskamera eine dritte tatbeteiligte Person aufgefallen sei. Dies genügt freilich für die Annahme einer Bande nicht. Insbesondere kann ohne das Hinzutreten weiterer Umstände aus dem Zusammenwirken mehrerer Personen nicht auf das Bestehen einer Bande geschlossen werden, Mittäterschaft alleine begründet nicht den Verdacht eines Bandendelikts. Gleiches gilt für eine „professionelle Tatbegehungsweise“ mehrerer Täter, die ebenfalls die Annahme, es hätten sich mindestens drei Personen zur Verübung mehrerer Straftaten zusammengetan, nicht rechtfertigt (vgl. BGH StV 1997, 247).
    3. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich in der Hauptverhandlung ein bandenmäßiger Zusammenschluss von drei Personen nachweisen lässt. Die dritte mutmaßlich an der Diebstahlstat beteiligte Person ist unbekannt, und es sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich jene Person mit den Angeklagten ausdrücklich oder konkludent zur Begehung weiterer Straftaten verbunden hätte. Aus der Mitwirkung an der vorliegend verfahrensgegenständlichen Diebstahlstat lässt sich eine Bandenzugehörigkeit nicht ableiten. So kann anhand der bislang vorliegenden Ermittlungsergebnisse nicht ausgeschlossen werden, dass der unbekannte Mittäter nicht für eine dauerhafte Beteiligung an möglicherweise geplanten weiteren Diebstählen vorgesehen war, sondern sich lediglich in vorliegender Sache und damit einmalig an der Tat der Angeklagten beteiligte. Es reicht für eine Strafbarkeit gemäß §§ 244, 244a StGB jedoch nicht aus, wenn lediglich zwei Personen durch eine Verabredung zur Begehung einer Mehrzahl von Straftaten verbunden sind und für die Begehung der Einzeltaten jeweils unterschiedliche, in die Bandenabrede nicht einbezogene Dritte gewinnen. Bandenmitgliedschaft setzt vielmehr stets voraus, dass der jeweilige Täter oder Teilnehmer in die Bandenabrede einbezogen ist (vgl. Fischer, § 244 StGB, Rn. 36). Eine solche Einbeziehung des dritten Tatbeteiligten, über den keinerlei Erkenntnisse vorliegen, ist nicht ersichtlich. Dass möglicherweise für den Fall einer aus Sicht der Angeklagten „erfolgreichen“ Tatausführung für einen nach der Tat liegenden Zeitpunkt eine Bandenabrede beabsichtigt war oder hätte erwogen werden sollen, belegt ebenfalls nicht das Bestehen einer Bande zum Tatzeitpunkt (vgl. Eser/Bosch in Schönke/Schröder, § 244 StGB, Rn. 25).
    4. Ein hinreichender Verdacht des Bandendiebstahls ergibt sich auch nicht aus dem von dem Angeklagten O. unter Verwendung falscher Personalien unterzeichneten Belehrungsformular der Polizei (Bl. 43 d.A.). Bei diesem Formular handelt es sich um einen in deutscher und rumänischer Sprache vorliegenden doppelseitig beschrifteten Vordruck, der auf der Rückseite verschiedene Straftatbestände enthält, die je nach Einzelfall angekreuzt werden können. Auch sind freie Textfelder vorhanden, in denen weitere Delikte eingetragen werden können. In eines dieser Felder wurden maschinenschriftlich die §§ 243, 244 StGB eingefügt, eine nähere Deliktsbezeichnung erfolgte nicht. Auf der Vorderseite des Formulars hat der Angeklagte O. das Feld „Ich gebe die Tat zu“ angekreuzt, was dazu führte, dass im polizeilichen Ermittlungsbericht vermerkt ist, der Angeklagte habe sich entschieden, „seine Tatbeteiligung zu gestehen“. Dies mag hinsichtlich des Diebstahls zutreffen, dagegen ist nicht ersichtlich, dass der Angeklagte eine Bandenmitgliedschaft eingeräumt hat.
    In der Akte befinden sich keine Unterlagen, aus denen hervorgeht, dass dem Angeklagten der Vorwurf bandenmäßiger Tatbegehung und dessen Reichweite in einer den Anforderungen der §§ 163a Abs.4, 136Abs.1 S.1 StPO genügenden Weise eröffnet wurde, die bloße Angabe zweier Paragraphen ohne jede Erläuterung genügt insoweit ebenso wenig wie die Mitteilung schlagwortartiger Angaben. Vielmehr ist der belastende Sachverhalt wenigstens in groben Zügen darzustellen, und die Zielrichtung des Vorwurfs ist so zu erläutern, dass sich der Beschuldigte sachgerecht verteidigen kann. Bei der Bekanntgabe der in Betracht kommenden Strafvorschriften können es die Art des Straftatbestandes oder der Bildungsgrad des Beschuldigten gebieten, die Vorschrift näher zu erläutern (KK-Diemer, § 136 StPO, Rn.9). Eine solche Erläuterung wäre vorliegend schon aufgrund der Sprachschwierigkeiten des Angeklagten zwingend geboten gewesen; und auch die bei Bandendelikten im Vergleich zum Grundtatbestand des Diebstahls wesentlich höhere Strafdrohung hätte Anlass geboten, die Vorschriften zu erläutern. Dem wurde jedoch nicht genüge getan. Dem Angeklagten wurde weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht in ausreichender Weise dargelegt, dass er nicht nur eines „einfachen“ Ladendiebstahls beschuldigt wird, sondern mit dem Vorwurf des mit deutlich höherer Straferwartung versehenen Bandendiebstahls.
    Ferner war bei seiner Vernehmung kein Dolmetscher, der eine etwaige Belehrung hätte übersetzen können, zugegen. Stattdessen findet sich lediglich der Vermerk, es habe der Polizeibeamte PK M. zur Verfügung gestanden, der die rumänische Sprache beherrsche. Woher diese Sprachkenntnisse stammen, ist nicht vermerkt. Auch ist in Ermangelung eines Vernehmungsprotokolls nicht niedergelegt, aufgrund welcher Fragen und aufgrund welcher Vorhalte es dazu kam, dass der Angeklagte „die Tatbeteiligung“ gestand. Dies wäre nicht nur schon mit Blick auf Ziff. 45 Nr.2 RiStBV geboten gewesen; vielmehr wäre dies auch erforderlich gewesen, um im gerichtlichen Verfahren prüfen zu können, was genau der Angeklagte durch das Ankreuzen des Textfelds „ich gebe die Tat zu“ gestanden haben soll.
    Nachdem eine hinreichend konkrete Belehrung hinsichtlich des Vorwurfs des Bandendelikts nicht vorliegt und sich darüber hinaus dem Akteninhalt nicht entnehmen lässt, dass der Angeklagte irgendwelche konkreten Äußerungen getätigt hätte, aufgrund derer auch nur der Verdacht eines Bandendiebstahls begründet werden könnte, kann die Unterschrift unter das polizeiliche Formular nicht als Grundlage für den Verbrechensvorwurf herangezogen werden.
    5. Nach alledem besteht keine Zuständigkeit des Schöffengerichts, vielmehr fällt der Fall in den Zuständigkeitsbereich des Strafrichters. Nachdem sich die Angeklagten im Zeitpunkt der Anklageerhebung in Untersuchungshaft befanden, ist das Amtsgericht Waiblingen zuständig, § 22 Abs.2 Nr. 6c, Abs.3 Nr.1 ZuVOJu.
    6. Die gegen die Angeklagten erlassenen Haftbefehle waren aufzuheben. Nach
    § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO ist der Haftbefehl aufzuheben, sobald sich ergibt, dass die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis stehen würde. So liegt der Fall hier.
    Nachdem wie ausgeführt ein hinreichender Verdacht eines Verbrechens des gewerbsmäßigen Bandendiebstahls nicht vorliegt, wird im Falle einer Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Diebstahls der Strafrahmen der §§ 242 Abs.1, 243 Abs.1 Nr.3 StGB zugrunde zu legen sein. Sollte sich gewerbsmäßiges Handeln nicht zweifelsfrei nachweisen lassen, bliebe es beim Regelstrafrahmen des § 242 StGB. Ginge man von einem für die Angeklagten ungünstigen Verlauf der Hauptverhandlung aus, so wäre die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren, §§ 242 Abs.1, 243 Abs.1 StGB. Der Angeklagte O. hat ferner mit einer Gesamtstrafe zu rechnen, da er auch eines Vergehens der Urkundenfälschung, welches gemäß § 267 Abs.1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bedroht ist, dringend verdächtig ist.
    Im Rahmen der Strafzumessung wird zu Lasten des Angeklagten O. zu berücksichtigen sein, dass er wegen eines einschlägigen Urkundendelikts bereits vorbestraft ist. Beim Angeklagten N. dürfte es sich straferschwerend auswirken, dass er einmal wegen versuchten gemeinschaftlichen Diebstahls sowie ein weiteres Mal wegen Diebstahls in Erscheinung getreten ist. Nachdem diese Taten erst vor relativ kurzer Zeit begangen und abgeurteilt wurden, kommt in vorliegender Sache die Verhängung von Freiheitsstrafe auch dann in Betracht, wenn gewerbsmäßiges Handeln verneint werden sollte, zumal sich auch die von nicht unerheblicher krimineller Energie zeugende Tatbegehungsweise zum Nachteil der Angeklagten auswirken wird.
    Trotz dieser sie belastender Umstände, deren Gewicht das Gericht nicht verkannt hat, haben die Angeklagten im Falle der Verurteilung jedoch nicht mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. So sind die Voreintragungen zwar einschlägiger Natur, die zugrunde liegenden Taten lagen jedoch allesamt im unteren Kriminalitätsbereich und konnten deshalb im Strafbefehlswege abgeurteilt werden; keine der verhängten Strafen lag über 40 Tagessätzen. Ferner wird bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sein, dass der Wert dies Diebesguts eher gering war. Zudem ist, nachdem die Ware bei der Ergreifung der Angeklagten aufgefunden werden konnte, letztlich kein bleibender Schaden entstanden. Für die in den Haftbefehlen aufgeführten Taten hat daher nach derzeitigem Verfahrensstand keiner der Angeklagten eine Freiheitsstrafe zu erwarten, die sechs Monate übersteigt. Dies ist im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft ebenso zu berücksichtigen wie die Frage einer möglichen Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 StGB und die Möglichkeit einer späteren Aussetzung des Strafrestes gemäß § 57 StGB (Meyer-Goßner, § 120 StPO, Rn. 4). Nachdem es sich bei beiden Angeklagten um die erstmalige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe handeln würde, käme im Falle der Verurteilung durchaus eine Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht, zumal im Rahmen der zu treffenden Prognoseentscheidung auch die mögliche Wirkung der bereits erlittenen Untersuchungshaft zu berücksichtigen wäre.
    Sollte die Vollstreckung einer etwaigen Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden, so besteht bei beiden Angeklagten, die dann Erstverbüßer wären, die Möglichkeit der vorzeitigen Haftentlassung gemäß § 57 StGB. Es ist derzeit nicht ersichtlich, dass eine vorzeitige Entlassung nicht verantwortet werden könnte.
    7. Die vorgenannten Umstände führen zur Aufhebung der Haftbefehle, da die Fortdauer der Untersuchungshaft unverhältnismäßig wäre. Beide Angeklagte befinden sich seit zweieinhalb Monaten in Untersuchungshaft, und es ist noch kein Termin zur Hauptverhandlung bestimmt. Bis zur Hauptverhandlung werden aufgrund des bei sämtlichen Gerichten auch bei strikter Befolgung des Beschleunigungsgebots unvermeidlichen Terminsvorlaufs noch mehrere Wochen vergehen, so dass die Dauer der Untersuchungshaft bis zur Hauptverhandlung ein Ausmaß erreichen würden, das der im Falle einer verweigerten Strafaussetzung zur Bewährung drohenden Haftdauer zumindest sehr nahe kommt.
    Wenngleich kein zwingender Automatismus besteht, so führt der Umstand, dass die erlittene Untersuchungshaft die Dauer einer zu erwartenden Freiheitsstrafe (annähernd) erreicht, häufig zur Unverhältnismäßigkeit (KK-Schultheis, § 102 StPO; Rn. 6). Dies hat nach Auffassung des Gerichts vor allem in Fällen zu gelten, in denen es sich - wie hier - bei den vorgeworfenen Taten nicht um schwere Straftaten handelt und die Straferwartung daher insgesamt überschaubar ist. Einer Fortdauer der Untersuchungshaft steht weiter auch der Resozialisierungszweck der Strafhaft entgegen; denn wird die verhängte Freiheitsstrafe durch Anrechnung der Untersuchungshaft zum überwiegenden Teil oder gar vollständig verbüßt, so können die im Rahmen des Vollzugs der Strafhaft möglichen Maßnahmen zur Resozialisierung nur in geringem Ausmaß oder überhaupt keine Wirkung entfalten (BVerfG StV 2008, 421 f.).
    Nach alledem waren die Haftbefehle aufzuheben und die Angeklagten aus der Untersuchungshaft zu entlassen.