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  • 05.10.2012 · IWW-Abrufnummer 122975

    Oberlandesgericht Nürnberg: Beschluss vom 25.07.2012 – 2 St OLG Ss 159/12

    1. Wenn der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid auf die Rechtsfolgen beschränkt war, liegt kein rechtskräftiges Urteil über die Tat als Ordnungswidrigkeit gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 OWiG vor, das eine weitere Verfolgung der Tat als Straftat ausschließt.
    2. Bei der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer ohne die erforderliche Arbeitserlaubnis (§ 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III) und dem zeitgleichen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) handelt es sich nicht um dieselbe Handlung gemäß § 86 Abs. 1 OWiG und auch nicht um dieselbe prozessuale Tat.


    Oberlandesgericht Nürnberg

    Beschluss

    2 St OLG Ss 159/12
    6 Ns 509 Js 993/11 LG Nürnberg-Fürth

    Beschluss

    in der Strafsache
    gegen
    W… S…
    wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt

    Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat am 25. Juli 2012 beschlossen:

    Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30.3.2012 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsbegründung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

    Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

    Ergänzend bemerkt der Senat Folgendes:

    1. Entgegen der Auffassung der Revision steht das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 24.5.2011, Az. 46 OWi 905 Js 140584/11, mit dem der Angeklagte wegen Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer (§ 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III) zu einer Geldbuße verurteilt worden war, aufgrund der Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid auf die Rechtsfolgen einer Verfolgung wegen einer zeitgleich begangenen Straftat (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, § 266a StGB) nicht gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 OWiG entgegen.

    Der Angeklagte hat seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Hauptzollamtes N… vom 17.9.2010, wirksam auf die Rechtsfolgen beschränkt (BayOblG NZV 1999, 51; OLG Celle VRS 97, 258). Der Teil des Bußgeldbescheids, in dem die Sachverhaltsfeststellungen und die rechtliche Würdigung getroffen wurden, ist somit in eine rechtskraftsähnliche Bindungswirkung erwachsen und hätte vom Amtsgericht Nürnberg bei seiner Entscheidung über den beschränkten Einspruch nicht abgeändert werden können (Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Auflage, § 67 Rn. 58ff; BayObLG NZV 1999, 51). Auch der Übergang in das Strafverfahren gemäß § 81 Abs. 1 OWiG und eine Verurteilung wegen einer Straftat wäre dem Amtsgericht nicht möglich gewesen.

    Mit der fehlenden Möglichkeit zur Verfolgung der Tat als Straftat im Einspruchsverfahren korrespondiert die Wirkung der Rechtskraft des Urteils gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 OWiG. Nur wenn eine Überprüfung des im Bußgeldbescheid getroffenen Schuldspruchs und der Übergang in das Strafverfahren möglich sind, kann ein Strafklageverbrauch nach dieser Vorschrift eintreten. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, da für einen Strafklageverbrauch „ein rechtskräftiges Urteil über die Tat als Ordnungswidrigkeit“ und nicht nur über die Rechtsfolgen der Tat erforderlich ist.

    2. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei mit seinem Urteil den Bußgeldbescheid des Hauptzollamtes N… vom 17.9.2010 in Form des Urteils des Amtsgerichts Nürnberg vom 24.5.2011 nicht aufgehoben.

    Gemäß § 86 Abs. 1 OWiG ist ein Bußgeldbescheid aufzuheben, wenn der Betroffene später wegen derselben Handlung in einem Strafverfahren verurteilt wird. Dabei reicht eine Verurteilung wegen derselben prozessualen Tat nicht aus, vielmehr muss die Verurteilung wegen derselben Handlung erfolgen (Göhler, OWiG, 13. Auflage, § 86 Rn. 2; Karlsruher Kommentar, OWiG, 3. Auflage, § 86 Rn. 4). Damit wird auf § 21 Abs. 1 Satz 1 OWiG Bezug genommen, nach dem eine „Handlung“ gleichzeitig Straftat und Ordnungswidrigkeit sein kann. Dieser Handlungsbegriff ist im Gegensatz zum Tatbegriff, der rein verfahrensrechtlicher Natur ist, dem materiellen Recht zuzuordnen (Karlsruher Kommentar, OWiG, 3. Auflage, § 19 Rn. 17 ff., § 86 Rn. 4; Göhler, OWiG, 13. Auflage, § 19 Rn. 2). Fehlt es allerdings schon an einer einheitlichen Tat im prozessualen Sinn, liegt auch keine einheitliche materiellrechtliche Handlung vor (Karlsruher Kommentar, OWiG, 3. Auflage, § 19 Rn. 12).

    Im vorliegenden Fall beruht die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer und das zeitgleiche Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gemäß § 266a StGB nicht auf derselben Handlung in diesem Sinn. Werden beide Delikte begangen, stehen diese zueinander in Tatmehrheit und stellen auch nicht dieselbe Tat im prozessualen Sinne dar (OLG Hamm 14.07.2009, 3 Ss OWi 355/09 – juris; BGH NStZ 1988, 77 zum Verhältnis Lohnsteuerhinterziehung/Vorenthalten von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit, a.A. OLG Oldenburg 22.6.2010, 2 Ss 27/10 – juris). Der Bundesgerichtshof führt in der genannten Entscheidung aus, dass für die Annahme einer Tat das Bestehen eines Gesamtplans, zeitliches Zusammentreffen sowie Gleichzeitigkeit oder Identität von Vorbereitungshandlungen (wie zum Beispiel die Verschleierung der Lohnzahlungen) nicht ausreichend ist. Auch der Gewerbebetrieb ist kein geeignetes, gerechter Rechtsfindung dienendes Kriterium, von dessen Vorliegen die Annahme prozessualer Tateinheit zwischen den sachlichrechtlich selbständigen Taten abhängig gemacht werden kann.

    Dies entspricht der Sachlage im vorliegenden Verfahren. Andere, für eine prozessuale Tat sprechende Umstände sind nicht ersichtlich. Dass bei einem Abführen der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung und an das Arbeitsamt die Gefahr besteht, dass aufgrund eines Datenabgleichs auch die unerlaubte Beschäftigung aufgedeckt wird, ändert an dieser Beurteilung nichts.

    RechtsgebieteOWiG, StPO, StGB, SGB IIIVorschriftenOWiG § 84, § 86, StPO § 264, StGB § 266a, SGB III § 404