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  • 05.10.2012 · IWW-Abrufnummer 122974

    Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 03.09.2012 – III-3 RBs 235/12

    Zu den Anforderungen an die Begründung der Verfahrensrüge, mit der geltend gemacht wird, dass dem Verteidiger nicht (ausreichend) Einsicht in die Bedienungsanleitung eines Messgerätes gewährt worden ist.


    III 3 RBs 235/12
    OBERLANDESGERICHT HAMM
    Bußgeldsache
    gegen pp.
    Verteidiger: Rechtsanwalt Leif Hermann Kroll, Bundesallee 192, 10717 Berlin,
    wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.
    Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 14. Mai 2012 gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 11. Mai 2012 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 3. September 2012 durch
    den Richter am Landgericht als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:
    Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO).
    Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Betroffene.
    Gründe
    I.
    Das Amtsgericht Bielefeld hat den Betroffenen am 11. Mai 2012 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 160,00 Euro verurteilt. Es hat ihm außerdem für die Dauer eines Monats verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, wobei es ihm Vollstreckungsaufschub gemäß § 25 Abs. 2a StVG gewährt hat. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hat der Betroffene am 22. August 2011 um 23:53 Uhr als Führer eines Personenkraftwagens Audi auf der Bundesautobahn 2 bei Bielefeld die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 45 km/h (50 km/h abzüglich Toleranz) überschritten.
    Der Betroffene rügt mit der Rechtsbeschwerde — Eingang beim Amtsgericht am 14. Mai 2012 — die Verletzung materiellen und formellen Rechts.
    Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Stellungnahme vom 6. August 2012 beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
    II.
    Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet. In der Sache sie jedoch keinen Erfolg.
    1. Ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis liegt nicht vor, namentlich ist keine Verfolgungsverjährung eingetreten. Die dreimonatige Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 StVG begann mit Beendigung der Tathandlung am 22. August 2011. Die Verjährung ist gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG ,am 27. Oktober 2011 durch die Anordnung der Verwaltungsbehörde, den Betroffenen anzuhören, unterbrochen worden und begann damit gemäß § 33 Abs. 3 S. 1 OWiG erneut zu laufen. Durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 29. Dezember 2011 — dem Betroffenen am 4. Januar 2012 und damit binnen zwei Wochen zugestellt — ist die Verjährung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG erneut unterbrochen worden.
    Entgegen der Auffassung des Betroffenen war der Bußgeldbescheid auch wirksam, so dass er die Verjährung unterbrechen konnte. Der Betroffene meint, der Bußgeldbescheid sei deshalb nicht wirksam, weil er an einer gerichtet gewesen sei, er, der Betroffene, heiße aber lall". In der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass Bußgeldbescheide nur bei besonders schwerwiegenden Mängeln unwirksam sind, nämlich insbesondere dann, wenn die Identität des Betroffenen nicht festgestellt werden kann. Bei einem geringfügigen Schreibfehler ist dies regelmäßig nicht der Fall (OLG Hamm, Beschluss vom 3. März 2005, Az. 2 Ss OWi 407/04, bei Juris = DAR 2005, 524 mit weiteren Nachweisen; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 8. August 1978, Az. 207/78, bei Juris). Ist — wie hier — lediglich ein Buchstabe des Zunamens falsch geschrieben, führt dies demnach nicht zur Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids. Denn anhand seines Geburtsdatums und seines seltenen Vornamens war der Betroffene eindeutig zu identifizieren. Entsprechendes gilt im Übrigen auch für die Anordnung der Anhörung, die an demselben Mangel leidet.
    2. Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg. Der Betroffene macht geltend, die Verteidigung sei in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluss des Gerichts unzulässig beschränkt worden (§ 338 Nr. 8 StPO).
    a) Der Verfahrensrüge liegt im Wesentlichen folgendes Geschehen zugrunde: Bei der Anhörung des Betroffenen hatte die Stadt Bielefeld als Verwaltungsbehörde ein so bezeichnetes „Merkblatt für Rechtsanwälte" übersandt, in dem es u. a. hieß: „Der Übersendung von Kopien der Betriebsanleitung der Messanlage steht der urheber-rechtliche Schutz dieser Aufzeichnungen entgegen."
    Mit anwaltlichem Schreiben vom 5. Dezember 2011 erklärte der Betroffene, er sehe das Merkblatt als „antizipierte Ablehnung einer Übersendung" der Bedienungsanleitung in Kopie an und beantragte gerichtliche Entscheidung. Das Amtsgericht Bielefeld wies den Antrag mit Beschluss vom 11. Januar 2012 zurück. In der Beschlussbegründung, die in der Begründung der Rechtsbeschwerde mitgeteilt ist, führte es aus, der Verteidiger habe keinen Anspruch auf eine Übersendung einer Kopie. Es bleibe ihm aber unbenommen, die Bedienungsanleitung in den Räumen der Verwaltungsbehörde einzusehen.
    In der Hauptverhandlung vom 10. Mai 2012 beantragte der Betroffene die Aussetzung der Hauptverhandlung gemäß §§ 145 Abs. 3, 265 Abs. 4 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG. Die Akteneinsicht sei unzureichend gewesen, weil die Bedienungsanleitung nicht übersandt worden sei. Das Amtsgericht verwarf den Antrag als unzulässig, da ihm die Rechtskraft des Beschlusses vom 11. Januar 2012 entgegenstehe.
    b) Die Verfahrensrüge ist bereits unzulässig, da sie nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 OWiG genügt. Danach ist eine Verfahrensrüge nur dann in zulässiger Form erhoben, wenn "die den Mangel enthaltenen Tatsachen" angegeben sind. Welche Tatsachen im Einzelnen anzugeben sind, richtet sich nach den Besonderheiten des jeweils gerügten Verfahrensverstoßes.
    Für die Rüge der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung im Sinne des § 338 Nr. 8 StPO gilt dabei: Eine unzulässige Beschränkung liegt nicht schon dann vor, wenn die Beschränkung (nur) generell geeignet ist, die gerichtliche Entscheidung zu beeinflussen. Vielmehr ist § 338 Nr. 8 StPO nur dann erfüllt, wenn die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil gerade im konkreten Fall besteht (BGH, Beschluss vom 23.02.2012, Az. 4 StR 599/09, bei Juris = NStZ 2010, 530). Rügt der Betroffene also, die Verteidigung sei durch unzureichende Akteneinsicht beschränkt worden, ist gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 OWiG ein substantiierter Vortrag erforderlich, welche Tatsachen sich aus welchen genau bezeichneten Stellen der Akten ergeben hätten und welche Konsequenzen für die Verteidigung daraus folgten. Ist dies jedoch ausnahmsweise nicht möglich, weil die Akten ihm (weiterhin) verschlossen geblieben sind, muss sich der Verteidiger jedenfalls bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um die Akteneinsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen gegenüber dem Revisionsgericht auch darlegen (BGH a. a. 0. mit weiteren Nachweisen).
    Daran fehlt es hier jedoch. Der Begründung der Rechtsbeschwerde zufolge hat der Verteidiger bis auf die Anträge im Verwaltungsverfahren und in der Hauptverhandlung nichts weiter unternommen, um Einsicht in die Bedienungsanleitung zu erhalten. Insbesondere hat er nicht die Möglichkeit genutzt, die Bedienungsanleitung in den Räumen der Verwaltungsbehörde einzusehen. Dabei kann offen bleiben, ob dies unzumutbar ist, wenn — wie hier — zwischen dem Sitz der Verwaltungsbehörde und der Niederlassung des Verteidigers eine große Entfernung liegt. Denn jedenfalls zur Hauptverhandlung am 10. Mai 2012 hatte sich der Verteidiger nach Bielefeld begeben. Dass ihm an diesem Tag ein Aufsuchen der Verwaltungsbehörde und die Einsicht in die Bedienungsanleitung nicht möglich waren, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
    3. Die Begründung der Rechtsbeschwerde verhält sich auf S. 11/12 unter dem Punkt „III. Sachrüge" zur Ablehnung eines Beweisantrags. Entgegen der Wertung der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme handelt es sich insoweit nicht um eine (weitere) Verfahrensrüge; vielmehr will der Betroffene mit den dortigen Ausführungen die Sachrüge stützen.
    4. Das Urteil enthält auch auf die Sachrüge hin geprüft keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen:
    a) Die Feststellungen zur Sache tragen den Schuldspruch der Verurteilung des Betroffenen wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften.
    b) Die Beweiswürdigung ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie ist widerspruchsfrei, weder lückenhaft noch unklar und lässt keine Verstöße gegen die Denkgesetze oder gegen sichere Erfahrungssätze erkennen.
    Dies gilt auch für die beanstandete Beweiswürdigung im Hinblick auf die Identifizierung des Betroffenen als Fahrer. Welche Anforderungen an die Urteilsausführungen zur Identifizierung eines Betroffenen anhand eines bei der Verkehrsordnungswidrigkeit gefertigten Fotos zu stellen sind, ist höchstrichterlich geklärt. Danach sind bei einer prozessordnungsgemäßen Verweisung auf die Mess- und Vergleichsfotos nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG — wie vorliegend — in der Regel keine näheren Ausführungen erforderlich, weil diese infolge der wirksamen Verweisung selbst Urteilsbestandteil geworden sind und vom Rechtsbeschwerdegericht aus eigener Anschauung gewürdigt werden können. Erst wenn nach der Qualität der Fotos Zweifel an ihrer Eignung als Grundlage für eine Identifizierung des Fahrers bestehen, muss der Tatrichter angeben, auf Grund welcher — auf dem Foto erkennbaren — Identifizierungsmerkmale er die Überzeugung von der Identität des Betroffenen mit dem abgebildeten Fahrzeugführer gewonnen hat (BGH, Beschluss vom 19.12.1995 — 4 StR 170/95, NJW 1996, 1420). Letzteres trifft hier entgegen der Auf-fassung der Verteidigung nicht zu.
    Die Ausführungen zur Eichung des Messgeräts (Steuerungseinheit) bzw. der Kamera und zur Unversehrtheit der Eichmarken sind nicht zu beanstanden. Aus der Aussage des Zeugen Pieper, wonach die Kamera auf dem Mittelstreifen alarmgesichert sei, im fraglichen Zeitraum jedoch kein Alarm verzeichnet worden sei, hat das Amtsgericht den zulässigen Schluss gezogen, die Eichmarke müsse zur Zeit der Messung intakt gewesen sein.
    c) Der Rechtsfolgenausspruch hält einer sachlich-rechtlichen Nachprüfung ebenfalls stand. Für eine fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitung von 45 km/h mit einem Pkw außerhalb geschlossener Ortschaften sieht der Bußgeldkatalog, Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV, lfd. Nr. 11.3.7, eine Regelgeldbuße von 160,00 Euro vor. Das einmonatige Fahrverbot entspricht der Regelanordnung des Bußgeldkatalogs, Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV, lfd. Nr. 11.3.7.
    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.

    RechtsgebieteAkteneinsicht, Bedienungsanleitung, Rechtsbeschwerde, Anforderungen