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  • 10.08.2012 · IWW-Abrufnummer 122449

    Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 01.06.2012 – 322 SsBs 131/12

    1. Für die Zulässigkeit der Rüge einer Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes bedarf es nicht der Darlegung, dass sich tatsächlich jemand vom Besuch der Sitzung hat abhalten lassen.


    2. Der Revisionsgrund nach § 338 Nr. 6 StPO greift nur ein, wenn das Gericht für die Zugangsbeschränkung verantwortlich ist.


    Oberlandesgericht Celle

    322 SsBs 131/12
    32 Js 20430/10 StA Hildesheim

    B e s c h l u s s

    In der Bußgeldsache
    gegen M. K.,
    geboren am xxxxxx 1953 in W.,
    wohnhaft L.straße, H.,
    Verteidiger: Rechtsanwalt A. S., D.
    wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit

    hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Gifhorn vom 09.01.2012 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx am 01.06.2012 beschlossen:

    Das Urteil des Amtsgerichts Gifhorn vom 09.01.2012 wird aufgehoben.

    Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Gifhorn zurückverwiesen.

    G r ü n d e :

    I.

    Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen wegen einer Unterschreitung des erforderlichen Mindestabstandes zu einer Geldbuße von 160 € und setzte ein Fahrverbot von einem Monat fest. Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 25.02.2010 die Bundesautobahn 2 mit einem Pkw. Im Bereich Kilometer 172,95 betrug sein Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von 121 km/h 14 m. Gemessen wurde dies mit einem Verkehrskontrollgerät des Herstellers VIDIT, VKS 3.0, Softwareversion 3.1. Daraus ergab sich, dass der Betroffene mit gleichbleibender Geschwindigkeit und gleichem Abstand über eine Strecke von nahezu 500 m hinter einem anderen Fahrzeug hergefahren war, wobei dieses vorausfahrende Fahrzeug seine Geschwindigkeit nicht vermindert hatte.

    II.

    Gegen diese Verurteilung richtet sich die u. a. mit der Rüge einer Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes begründete Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Mit dieser Rüge hat sie zumindest vorläufig Erfolg.

    Der Betroffene trägt zur Begründung seiner Rüge vor, während der Hauptverhandlung beim Amtsgericht habe vor dem Sitzungssaal ein Schild „Nicht öffentlich“ aufgeleuchtet. Sein Verteidiger habe die Richterin vor Beginn der Hauptverhandlung darauf hingewiesen, gleichwohl sei verhandelt worden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich jemand von der Teilnahme an der Sitzung durch dieses Schild habe abhalten lassen. Der Betroffene rügt deshalb die Verletzung von § 169 GVG i. V. m. § 338 Nr. 6 StPO. Dazu hat die zuständige Bußgeldrichterin am 09.01.2012 zu den Akten vermerkt, das Schild „Nicht öffentlich“, das vor dem Sitzungssaal neben dem Terminplan angebracht sei, habe während der Hauptverhandlung in dieser Sache neben der Saaltür aufgeleuchtet. Aus dem Terminplan habe sich ergeben, dass es sich um eine öffentliche Verhandlung gehandelt habe. Zu Verhandlungsbeginn habe sich kein Publikum auf dem Flur befunden. In einer vom Senat eingeholten dienstlichen Erklärung teilt die Richterin mit, es treffe zu, dass der Verteidiger beim Betreten des Sitzungssaales angemerkt habe, neben der Saaltür stehe „Nicht öffentlich“ und deshalb habe er sich kaum getraut, den Saal zu betreten. Die Richterin sei davon ausgegangen, dass das Schild noch wegen einer vor dem Termin im selben Sitzungssaal verhandelten Jugendstrafsache geleuchtet habe und dem Verteidiger erklärt, in der vorliegenden Sache handele es sich um eine öffentliche Sitzung und diese Bußgeldsache werde lediglich im Anschluss an die nicht öffentliche Jugendsache verhandelt. Nach Ende der Sitzung habe sie festgestellt, dass die Anzeige „Nicht öffentlich“ noch immer aufleuchtete.

    Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen. Sie ist der Auffassung, die Verfahrensrüge sei nicht zulässig erhoben, weil ihr nicht zu entnehmen sei, dass sich tatsächlich jemand von der Teilnahme an der Hauptverhandlung habe abhalten lassen. Die Rüge sei aber auch unbegründet, weil die Öffentlichkeit der Sitzung nicht beeinträchtigt gewesen sei. Der vor dem Sitzungssaal aushängende Terminplan habe die Hauptverhandlung als öffentlich ausgewiesen und der irreführende Eindruck durch das Leuchtschild „Nicht öffentlich“ habe durch eine einfache Erkundigung ausgeräumt werden können. Eine solche Erkundigung sei jedem zumutbar, der eine Gerichtsverhandlung besuchen wolle.

    III.

    Dem schließt sich der Senat nicht an. Das angefochtene Urteil war deshalb wegen einer Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens (§ 338 Nr. 6 StPO) aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.

    Die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes hat der Betroffene in zulässiger Weise gerügt. Er hat dargelegt, dass das Schild „Nicht öffentlich“ während der gesamten Sitzung aufleuchtete und er hat auch dargelegt, dass sein Verteidiger die Richterin auf diesen Umstand hingewiesen hat, die daraufhin aber keine Sorge dafür getragen habe, die Leuchtschrift abzuschalten. Damit hat er auch die Verantwortlichkeit des Gerichts für die Beschränkung der Öffentlichkeit dargetan, denn der Revisionsgrund nach § 338 Nr. 6 StPO greift nur ein, wenn dem Gericht die Beschränkung der Öffentlichkeit bekannt war und es die Beschränkung nicht beseitigt hat (vgl. BGHSt 22, 297; Meyer Goßner, StPO, 54. Aufl., § 338 Rdnr. 49).

    Einer Darlegung, dass sich ein Besucher durch die Beschränkung habe von einem Eintritt in den Sitzungssaal abhalten ließ, bedurfte es dagegen nicht (ebenso im Ergebnis OLG Zweibrücken NJW 1995 S. 3333). Der gegenteiligen Auffassung (vgl. Meyer Goßner a. a. O. Rdnr. 50 a; Kuckein in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 6. Aufl., § 338 Rdnr. 85), die eine Darlegung verlangt, dass sich tatsächlich jemand von der Teilnahme an der Sitzung hat abhalten lassen, steht der Regelungsgehalt der absoluten Revisionsgründe gem. § 338 StPO und der darin zum Ausdruck gebrachten unwiderleglichen Vermutung entgegen, dass das Urteil in allen dort genannten Fällen auf einer Verletzung der jeweiligen Verfahrensbestimmung beruht. Dies erklärt sich aus der Annahme, dass der Nachweis des Beruhens in diesen Fällen nur schwer geführt werden kann (dazu Meyer Goßner a. a. O. § 338 Rdnr. 1). Verlangt man trotzdem eine Darlegung, dass sich die Beschränkung des Zugangs zum Sitzungssaal auch realisiert hat, so läuft dies letztlich darauf hinaus, eine Darlegung der Beruhensfrage zu verlangen. Dies ist mit dem Institut des absoluten Revisionsgrundes nicht vereinbar.

    Die Rüge ist auch begründet. Der Öffentlichkeitsgrundsatz soll gewährleisten, dass jedem Interessierten der Zutritt zu einer Hauptverhandlung offen steht (vgl. OLG Zweibrücken a. a. O.). Dies bedingt auch, dass keine Schranken aufgestellt sind, die einem Besucher den Eindruck vermitteln können, ein Zutritt zu der Hauptverhandlung sei ihm nicht möglich. Das Aufleuchten einer Schrift über die Nichtöffentlichkeit einer Hauptverhandlung vermittelt aber genau diesen Eindruck, selbst wenn der aushängende Terminplan diesen Eindruck einschränkt, ihn aber nicht beseitigt. Das Gericht hat es auch trotz eines entsprechenden Hinweises des Verteidigers unterlassen, die uneingeschränkte Zutrittsmöglichkeit zum Sitzungssaal herzustellen.

    Das Urteil war deshalb aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Gifhorn zurückzuverweisen.

    IV.

    Da das Urteil bereits wegen einer Verletzung der Öffentlichkeit aufzuheben war, kann dahinstehen, ob die Rüge eines Beweisverwertungsverbotes im Hinblick auf die verwendeten Bildaufnahmen überhaupt ordnungsgemäß ausgeführt ist. Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung aber auf die auch vom Bundesverfassungsgericht geteilte (Beschluss vom 24.02.2011 - 2 BvR 1596/10 und 2 BvR 2346/10 -) Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und auch des Oberlandesgerichts Celle hin, wonach § 100 h StPO eine ausreichende Rechtsgrundlage für Bildaufnahmen im Straßenverkehr darstellt (vgl. nur OLG Celle NZV 2010,363; OLG Rostock VRS 120, 25; OLG Düsseldorf VRR 11,123).

    V.

    Ergänzend weist der Senat auch darauf hin, dass das im Urteil festgestellte Verhalten des Betroffenen, er sei „während der gesamten im Videofilm einsehbaren Strecke, nahezu 500 m, mit gleichbleibendem Abstand hinter dem vorausfahrenden Fahrzeug“ gefahren, den Schluss auf ein vorsätzliches und nicht nur ein fahrlässiges Verhalten nahe legt, weil auszuschließen sein könnte, dass über eine solche Strecke der geringe Abstand nicht bemerkt wurde.