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  • 14.07.2011 · IWW-Abrufnummer 112406

    Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 07.06.2011 – III – 1 RBs 75/11

    Bei mit Sommerreifen geeichtem Messsystem Provida 2000 darf das System ohne Neueichung nach Wechsel von Sommer- auf Winter- und wieder auf Sommerreifen ohne Neueichung uneingeschränkt zur Geschwindigkeitsmessung genutzt werden.


    Bußgeldsache

    gegen pp.
    wegen Verkehrsordnungswidrigkeit, (hier: Geschwindigkeitsverstoß).

    Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Unna vom 07. Februar 2011 hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 7. Juni 2011 durch den Richter am Amtsgericht als Einzelrichter gemäß § 80a OWiG auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

    Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

    Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Betroffene.

    Gründe:

    I.
    Das Amtsgericht Unna hat gegen den von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen durch das angefochtene Urteil vom 07. Februar 2011 wegen eines fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoßes gemäß den §§ 41 Abs. 1, 49 StVO, 24 StVG eine Geldbuße in Höhe von 200,- € verhängt. Zudem hat es ein ein-monatiges Fahrverbot unter Anwendung des § 25 Abs. 2a StGB angeordnet. Dabei hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:

    “Der Betroffene befuhr am 12.10.2010 gegen 15.50 Uhr die BAB A1 im Bereich der Gemeinde Kamen in Fahrtrichtung Bremen. Bei Autobahnkilometer 86 über¬schritt er die dort im Zeitpunkt des Vorfalls zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 53 km/h.

    Die Geschwindigkeitsmessung wurde durch die Zeugen H und B durch Nachfahren mit einem zivilen Streifenwagen vorgenommen, der mit einer Verkehrsüberwachungsanlage Typ ProViDa 2000 Modular aus¬gerüstet war.

    Das Messsystem war letztmalig vor dem Vorfall durch den Landesbetrieb Mess- und Eichwesen Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf am 04.05.2009 geeicht wor-den. Die Eichgültigkeit dauerte somit bis zum Ablauf des 31.12.2010.

    Der Zeuge H, der im Zeitpunkt des Vorfalls Beifahrer im Streifenwagen war und demzufolge das Messverfahren bediente, führte zur Ermittlung der
    Geschwindigkeit des Pkw des Betroffenen eine Synchronmessung („Auto 2”) durch. Bei diesem Messverfahren wird durch gleichzeitige Auslösung der Zeit- und der Wegstreckenmessung simultan die Zeit und die Wegstrecke gemessen und auf dem Messfilm aufgezeichnet.

    Bei der Messung legte das Polizeifahrzeug eine Messstrecke von 508 m in einer Messzeit von 12,97 Sekunden zurück. Hieraus errechnet sich für das Polizeifahrzeug eine Durchschnittsgeschwindigkeit auf der Messstrecke von 141 km/h. Zum Aus¬gleich etwaiger Messungenauigkeiten sind von diesem Wert 5 % = (aufgerundet)
    8 km/h in Abzug zu bringen. Für das Polizeifahrzeug ist somit eine Durch-schnittsgeschwindigkeit von 133 km/h ermittelt worden.

    Da der Abstand des messenden Polizeifahrzeug zum unmittelbar vorausfahrenden Pkw des Betroffenen —wie eine Betrachtung des Messfilms ergeben hat- zu Beginn der Messung deutlich geringer war als am Ende der Messung (der Pkw des Betroffe¬nen entfernte sich während der Messung kontinuierlich vom hinterherfahrenden Poli¬zeifahrzeug) gilt die Geschwindigkeit von 133 km/h auch fur das Fahrzeug des Be¬troffenen.

    Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf dem vorgenannten Teilstück der BAB A1 betrug im Zeitpunkt des Vorfalls 80 km/h. Vor der Messstrecke waren zwei Ver-kehrszeichen mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h einem
    Abstand von 500 m jeweils beidseitig der Fahrbahn aufgestellt. Vor der
    80 km/h-Zone wurde die Geschwindigkeit durch beidseitig der Fahrbahn aufge-
    stellte Verkehrsschilder zunächst auf 120 km/h und sodann auf 100 km/h reduziert (Geschwindigkeitstrichter).

    Die Geschwindigkeitsreduzierung war aufgrund einer Autobahngroßbaustelle auf der BAB A1 angeordnet worden.”

    Ausweislich der weiteren Ausführungen des Urteils hatten nach der Eichung zwei Reifenwechsel stattgefunden. Hierzu heißt es:

    „Nach den glaubhaften Bekundungen des Zeugen H war der bei der Messung eingesetzte Streifenwagen NRW 4-3102 am Tag der Eichung (04.05.2009) mit Sommerreifen der Größe 225/55R16 ausgerüstet. Der Zeuge H erklärte weiter, das Polizeifahrzeug sei während der Wintermonate im Winter 2009/2010 mit Winterreifen der gleichen Reifendimension ausgerüstet worden. Nach dem Winter 2009/2010 seien sodann wieder Sommerreifen der gleichen vorgenannten Dimension aufgezogen worden.

    Diese Vorgehensweise beim Reifenwechsel hat keinen Einfluss auf die Gültig¬keit der Eichung.

    Die Gültigkeit der Eichung wird zum Einen nicht dadurch berührt, dass auf ein mit Sommerreifen geeichtes Fahrzeug später Winterreifen aufgezogen werden, da der Abrollumfang von Winterreifen jeweils größer ist als derjenige von Sommerreifen der gleichen Dimension, was sich für den Betroffenen bei der Messung günstig auswirkt.

    Sommerreifen der gleichen Dimension dürfen durch andere Sommerreifen der gleichen Dimension jeweils ausgetauscht werden, da dieses keinen Einfluss auf die Höhe des Toleranzabzuges hat. Somit dürfen bei einem Fahrzeug, welches mit Sommerreifen geeicht worden ist, später Winterreifen und sodann erneut Sommerreifen aufgezogen werden, ohne dass dieses die gültige Eichung be¬einflusst (OLG Celle VRS 92, Seite 435).“
    Gegen das Urteil des AG Unna hat der Betroffene über seinen Verteidiger mit am
    14. Februar 2011, eingegangen Schreiben vom selben Tage Rechtsbeschwerde ein¬gelegt und diese nach Urteilszustellung vom 02. März 2011 mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 04. April 2011 (eingegangen am selben Tage) begründet. Dabei hat der Betroffene sowohl die Verfahrens- als auch die Sachrüge erhoben. Zum einen sei ein Beweisantrag auf Vernehmung beider Messbeamten zurückgewiesen worden. Im Rahmen der gebotenen Amtsaufklärung hätten nach Ansicht des Betroffenen beide Beamten vernommen werden müssen. Zum anderen sei die Annahme des Gerichtes in dem angefochtenen Urteil zur Eichung des Provida-Fahrzeugs falsch. Aufgrund des Wechsels Sommer- zu Winter- zu Sommerreifen wäre eine Neu¬eichung des Fahrzeugs erforderlich gewesen.

    II.
    Die rechtzeitig gestellte und form- und fristgerecht begründete Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Be-schwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat.

    Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu u.a. ausgeführt:

    “Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, in der Sache ist ihr jedoch der Erfolg zu versagen.

    Soweit der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde geltend macht, das Amtsgericht habe die Ergebnisse der Geschwindigkeitsmessung trotz eines bestehenden Be-weisverwertungsverbotes verwertet, genügt die insoweit zu erhebende Ver-fahrensrüge nicht den Anforderungen des 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Danach ist eine Verfah¬rensrüge so zu begründen, dass das Rechts¬mittel-gericht allein aufgrund der Rechtsmittelbegründung prüfen kann, ob bei in tat-
    sächlicher Hinsicht zutreffendem Vorbringen ein Verfahrensfehler vorliegt (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Auflg., § 344 Rdnr. 20 ff m.w.N.). Wird — wie hier — ein Beweisverwertungsverbot wegen einer angeblich rechtswidri¬gen Beweiserhebung geltend gemacht, gehören zu dem notwendigen Rügevorbringen auch konkrete An¬gaben zu dem Zeitpunkt des Wider¬spruchs gegen die Verwertung des getroffenen Beweisergebnisses in der Hauptverhandlung, da der Widerspruch gegen die Be¬weisverwer¬tung nur bis zu dem durch § 257 StPO bestimmten Zeitpunkt möglich ist (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 22.12.2009 — 3 Ss 497/09 -). Diesen Anfor¬de¬rungen wird das Rechtsbeschwerdevorbringen nicht gerecht, da Ausführungen dazu fehlen, ob und zu welchem Zeitpunkt der Verwertung des Ergebnisses der Geschwindigkeitsmessung durch den Betroffenen in der Hauptverhandlung wider¬sprochen wurde. Das ange¬fochtene Urteil, auf welches hier wegen der ebenfalls erhobenen Sach¬rüge zurückgegriffen werden kann, enthält keine Angaben zu einem Widerspruch des Betroffenen gegen die Beweisverwertung. Es ist ledig¬lich aus¬geführt, der Verteidiger habe die Ansicht geäußert, dass Messsystem sei im Zeit¬punkt des Vorfalles nicht mehr gültig geeicht gewesen.

    Auch soweit der Betroffene geltend macht, ein Beweisantrag auf Ver¬nehmung des Zeugen B. sei rechtsfehlerhaft vom Amtsgericht zu¬rückgewiesen worden, ist die Rüge nicht gemäß den Anforderungen des § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO ausgeführt worden. Zum notwendigen Rügevorbringen gehört bei der Rüge der fehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrages die Mitteilung des Inhalts des An¬trags (Beweistatsache und Beweismittel), der Inhalt des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses und die die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses erge¬benden Tatsa¬chen. Der Inhalt des Beweisantrages ergibt sich indes weder aus der Rechtsbeschwerdebegründung, noch aus den Urteilsfest¬stellungen. Den Urteilsgründen ist vielmehr zu entnehmen, dass ein entsprechender Antrag lediglich im Vorfeld der Hauptverhandlung sei¬tens des Betroffenen gestellt worden war. Beweisanträge müssen je¬doch in der Hauptverhandlung und mündlich gestellt werden. Die Vorle¬gung schriftlicher Anträge kann den mündlichen Vortrag nicht ersetzen (zu vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 244 Rdn. 32 m.w.N.). Auch dem Hauptverhandlungsprotokoll lässt sich nicht entnehmen, dass ein ent¬sprechender Beweisantrag in der Hauptverhandlung gestellt worden ist. Danach kann das Rechtsbeschwerdegericht bereits nicht feststellen, ob überhaupt ein förmlicher Beweisantrag gestellt wurde.

    Soweit in den Ausführungen des Betroffenen eine Aufklärungsrüge er¬blickt werden könnte, ist auch diese nicht in zulässiger Form ausgeführt. In zulässiger Form ist die Aufklärungsrüge nur erhoben, wenn die Revi¬sion die Tatsache, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, und das Beweismittel bezeichnet, dessen sich der Tatrichter hätte bedienen sol¬len. Ferner muss angegeben werden, welche Umstände
    das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätten drängen müssen und welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre (zu vgl.
    Meyer-Goßner, a.a.O., § 244 Rdn. 81 m.w.N.). Ausführungen dazu, welches Ergebnis von der für erforderlich gehaltenen Vernehmung des Zeugen B. zu erwarten gewesen wäre, lässt die Rechtsbeschwerdebegründung aber vermissen.

    Auch die erhobene Sachrüge deckt Rechtsfehler zum Nachteil des Be-troffenen nicht auf. Die tatsächlichen Feststellungen und Ausführungen des Tatrichters tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen einer außerorts begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwin¬digkeit.

    Die Ausführungen des Tatrichters zu seiner Überzeugungsbildung hin-sichtlich der Fahrereigenschaft des Betroffenen - denen dieser nicht entgegen tritt - sind nicht zu beanstanden. Dies gilt auch für die Ausfüh-rungen des Tatrichters zu seiner Überzeugungsbildung hinsichtlich der begangenen Geschwindigkeitsübertretung. Die Geschwindigkeitsmes¬sung mit der Verkehrsüberwachungsanlage Typ ProViDa 2000 Modular ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung als sogenanntes standardi¬siertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesge¬richtshofs anerkannt (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18.09.2008 - 2 Ss Owi 707/08). Demgemäß sind die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ausreichend. Denn bei Anwendung eines sogenannten standardisierten Messverfahrens genügt es in der Regel, wenn sich die Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf die Mitteilung des Messverfahrens und der nach Abzug der Messtoleranz ermittelten Geschwindigkeit stützt (zu vgl. OLG Hamm a. a. O.). Diese Angaben sind im tatrichterlichen Urteil enthalten.
    Auch die Ausführungen des Amtsgerichts zur Gültigkeit der Eichung sind rechtsfehlerfrei. Das Amtsgericht hat überzeugend dargelegt, dass die hier vorliegende Vorgehensweise beim Reifenwechsel keinen Ein¬fluss auf die Gül¬tigkeit der Eichung hat. Soweit die Rechtsbeschwerde zutreffend darauf hin¬weist, dass dem Beschluss des OLG Celle vom 27.09.1996 (NZV 1997,
    188 ff.) zu entnehmen ist, dass nach dem dort eingeholten Gutachten der PTB der Übergang von Winter- auf Sommer¬reifen oder ein Umrüsten mit Reifen unter¬schiedlicher Größe nicht zu¬lässig sei, ist ein solcher Fall hier nicht gegeben. Vielmehr ist das Messfahrzeug mit Sommerreifen geeicht worden und zum Zeitpunkt der hier in Rede stehenden Messung waren Sommerreifen der glei¬chen Dimension aufgezogen.“

    Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und merkt ergänzend an:

    Das Erfordernis der Neueichung bei Wechsel von Winter- auf Sommerreifen hängt nicht mit der eigentlichen Funktion des Messgerätes „ProVida 2000“ zusammen, sondern damit, dass aufgrund einer Eichung mit Winterreifen durch einen solchen Wechsel die jeweiligen Messergebnisse im Vergleich zu dem geeichten Zustand zu Ungunsten des Betroffenen verändert werden, was bei anderen Reifenwechseln (Austausch gegen Reifen gleichen Typs, Wechsel von Sommer- auf Winterreifen) auszuschließen ist. Maßgeblich ist nach Ansicht des Senates allein die Frage, ob der Reifenzustand bei der Messung von dem zur Zeit der Eichung gegebenen Zustand zu Lasten des Betroffenen abweicht. Dies war hier nicht der Fall. Die zwischenzeit¬liche nicht erneut eichpflichtige Nutzung von Winterreifen und die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes der Bereifung wie zur Zeit der Eichung zugrunde ge¬legt erfordert damit keine Neueichung – sie ist damit nicht anders zu werten als ein Reifenwechsel von Sommer- auf Sommerreifen.

    Die Rechtsbeschwerde war damit auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gem.
    §§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

    Die Anordnung des einmonatigen nach BKat.-Nr. 11.3.8 vorgesehenen (Regel-) Fahrverbotes nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers unter Zubilligung der „Schonfrist“ des § 25 Abs. 2a StVG ist rechtsfehlerfrei vorgenommen worden. Das Gericht hat keinerlei Umstände fest-stellen können, die zu einem Wegfall der Indizwirkung der BKatV hätten führen können. Insbesondere hat sich das Gericht auch mit dem Vorliegen etwaiger Härten befasst und diese – angesichts mangelnder Darlegungen des Betroffenen bzw. des für ihn erschienenen Verteidigers – rechtsfehlerfrei verneint. Das Gericht war sich ausweislich der Urteilsbegründung auch der Möglichkeit bewusst, dass es gegen eine angemessene Erhöhung der Geldbuße unter Anwendung des § 4 Abs. 4 BKatV von einer Anordnung des Fahrverbots hätte absehen können.

    III.
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.