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  • 01.10.2007 | Unfallschadensregulierung

    Verkehrsunfälle mit Beteiligung von Radfahrern in der aktuellen Rechtsprechung

    von VRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf

    80.000 Unfälle mit Radfahrern jährlich zählt die amtliche Statistik, Tendenz steigend. Dementsprechend wächst die Zahl von Regulierungsfällen und Gerichtsverfahren. Über den aktuellen Stand der Rechtsprechung und das Topthema der Saison (Helmpflicht) informieren die folgenden Checklisten.  

     

    I. Haftung und Mithaftung kompakt

    1. Kfz-Rad-Unfälle  

    a)Ansprüche des Radfahrers: Wird ein Radfahrer beim Betrieb eines Kfz verletzt, können ihm Ersatzansprüche aus §§ 7, 18 StVG i.V.m. § 3 Nr. 1 PflVG zustehen. Zu einem direkten Kontakt Kfz/Rad muss es nicht kommen (BGH NJW 88, 2802). Dass ein verletzter Radfahrer seit dem 1.8.02 Schmerzensgeld auch im Rahmen der Gefährdungshaftung verlangen kann (§ 11 StVG), ist noch immer nicht Allgemeingut. Von Bedeutung bleibt das Verschulden bei Kfz-Rad-Unfällen mit Blick auf a) die Quote (s. Tabelle in VA 04, 189), b) die Haftungshöchstgrenzen und c) die Schmerzensgeldhöhe (grobe Fahrlässigkeit des Autofahrers als Erhöhungsfaktor).

     

    b) Haftungsausschluss: Ausgeschlossen ist die Gefährdungshaftung des Kfz-Halters nur noch im Fall höherer Gewalt (§ 7 Abs. 2 StVG), praktisch also überhaupt nicht. Die Haftung des (Nur-)Fahrers aus § 18 Abs. 1 StVG entfällt bereits bei nachgewiesener Schuldlosigkeit. Es gilt der Maßstab des § 276 BGB, ggf. modifiziert, z.B. durch § 3 Abs. 2a StVO. Eine völlige Haftungsfreistellung von Halter/Fahrer kann bei grobem Verschulden eines – erwachsenen – Radfahrers das Resultat einer Haftungsabwägung sein (OLG Nürnberg VersR 05, 1096; LG Regensburg DAR 05, 346; LG Dessau NZV 06, 149; weitere Nachweise bei Pardey, zfs 06, 488, 493). Die Gefahr einer solchen (für das Gericht attraktiven) Null-Lösung ist groß und sollte auf Radfahrerseite entsprechend ernst genommen werden. Zur Sondersituation bei Kindern und Jugendlichen s. Punkt 3.

     

    c) Haftung des Radfahrers: Er persönlich haftet, Deliktsfähigkeit vorausgesetzt, nur bei nachgewiesenem Verschulden. Zum Ausschluss der Deliktsfähigkeit bei 7 bis 10-Jährigen s. Punkt 3. Einzelne §§ der StVO und StVZO können Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB sein (z.B. § 65 Abs. 1 StVZO). Bei Radfahrern, die beruflich unterwegs waren, z.B. Kurierfahrer, muss auch an § 831 BGB gedacht werden.

     

    2. Unfälle ohne Kfz- oder Bahnbeteiligung  

    Wird ein Radfahrer durch einen gleichfalls unmotorisierten Verkehrsteilnehmer (Fußgänger, Radfahrer, Inlineskater) geschädigt, richten sich seine eigenen Ersatzansprüche – ebenso wie die des Unfallgegners – ausschließlich nach Deliktsrecht. Zur Haftungsabwägung mit Quotenbeispielen s. VA 04, 190. Das Haftungsprivileg für 7- bis 10-jährige Kinder nach § 828 Abs. 2 BGB spielt bei dieser Fallgruppe keine Rolle. Es ist beschränkt auf Unfälle im motorisierten Straßen- und Bahnverkehr. Selbst ein Rennrad ist kein Kfz i.S.d. § 828 Abs. 2 BGB.  

     

    3. Sonderfall Kind mit Rad  

    Kinder zwischen 7 und 10 Jahren sind – als Schädiger wie als Geschädigte – nur bei Unfällen im motorisierten Straßen- und Bahnverkehr privilegiert (§ 828 Abs. 2 BGB). Das gilt auch für Radfahrer dieser Altersgruppe. Beispiel nach BGH VA 07, 116, Abruf-Nr. 071809: Ein 8-Jähriger kollidiert beim Abbiegen in eine Seitenstraße mit einem verkehrsbedingt dort haltenden Pkw. Aktuell zum Kinderunfall Diehl, DAR 07, 451 m.w.N.  

     

    Ist das Kind verantwortlich (deliktsfähig) und fällt ihm ein Verschulden zur Last (zum Maßstab BGH NJW 05, 354; 30.5.06, VI ZR 184/05), so ist bei einer etwaigen Haftungsabwägung zu beachten: Verkehrsverstöße von Kindern sind generell milder zu beurteilen als ähnliche Regelverletzungen von Erwachsenen. Ein völliges Zurücktreten der allgemeinen (einfachen) Betriebsgefahr ist zwar auch hier grds. möglich (BGH NJW 04, 772; 30.5.06, VI ZR 184/05; OLG Nürnberg NZV 07, 205; OLG Celle r+s 05, 38). Doch schon nach altem Recht musste der Sorgfaltsverstoß altersspezifisch auch subjektiv besonders vorwerfbar sein (BGH NJW 04, 772 – 14 j. Radfahrer).  

     

    4. Elternhaftung nach § 832 BGB 

    Zumal bei (schädigenden) Kindern unter 7 Jahren, aber nicht nur bei ihnen, kommt eine Haftung der Eltern oder sonst Aufsichtspflichtigen nach § 832 BGB in Betracht. Die Privilegierung von Kindern zwischen 7 und 10 Jahren (§ 828 Abs. 2 BGB) rechtfertigt nicht, die Elternhaftung zu verschärfen (OLG Oldenburg VersR 05, 287). Speziell zu radfahrenden Kindern (als Schädiger) s. Bernau, DAR 05, 604.  

     

    Aufsichtsverschulden bejaht bzw. Entlastungsbeweis misslungen: OLG Düsseldorf 18.2.02, 1 U 90/01, Abruf-Nr. 020313 (6-Jähriger auf Kinderrad fährt zu weit vor seinen Eltern); AG München DAR 07, 471 (4-Jähriger mit Rad auf Gehweg, Mutter mit 4 m zu weit weg); AG Traunstein NJW 04, 3786 (6-jähriges Kind, Mutter auf Rad zu weit vom Kind weg); AG Leverkusen 23.9.04, 24 C 155/03 (12-jähriger Junge mit Rad auf Gehweg).  

     

    Aufsichtsverschulden verneint: OLG Oldenburg VersR 05, 287 (9-Jähriger allein auf der Straße); LG Mönchengladbach DAR 03, 562 (Mutter auf Rad ca. 7 m hinter ihrem 5-jährigen Kind mit Rad); AG Frankfurt NJW-RR 97, 1314 (6-jähriges Kind mit Rad); AG Bremen NJW-RR 04, 1256 (6-jähriges Kind läuft auf Radweg).  

     

    5. Anspruch aus GoA  

    Zum Ersatz des sog. Rettungsschadens grdl. BGH NJW 63, 390. Die Instanzgerichte sind – mit unterschiedlicher Begründung – engherzig (OLG Oldenburg VersR 05, 287; LG Köln NJW 07, 2563).  

     

     

     

    II. Pflichtenkatalog für Radfahrer

    1. § 1 StVO 

    Die Grundregel gilt auch für Radfahrer. Daneben bestehen zahlreiche besondere Verhaltensregeln nach der StVO; außerdem wichtig: §§ 65, 67 StVZO (Bremsen und Beleuchtung) und § 2 Abs. 1 FeV (körperliche Fitness).  

     

    2. Rechtsfahrgebot  

    Mit dem Fahrrad (Fahrzeug i.S.d. § 2 Abs. 1 StVO) muss möglichst weit rechts gefahren werden (§ 2 Abs. 2 StVO); auch und gerade bei Dunkelheit: OLG Düsseldorf 15.12.03, 1 U 51/02, Abruf-Nr. 042612. Wer verbotswidrig einen linken Radweg befährt, verletzt das Rechtsfahrgebot (OLG Frankfurt DAR 04, 393). Zum linken Radweg s. auch Punkt 7.  

     

    3. Rechtsüberholen  

    Auf dem rechten Fahrstreifen wartende Kfz dürfen gem. § 5 Abs. 8 StVO bei ausreichendem Raum (vorsichtig) rechts überholt werden (OLG Hamm NZV 00, 126). Für Kfz auf der Linksabbiegerspur gilt dies nicht (OLG Hamm DAR 01, 220).  

     

    4. Sichtfahrgebot  

    Es gilt auch für Radfahrer (OLG Celle NZV 03, 179).  

     

    5. Geschwindigkeit  

    Zum Gebot defensiver Fahrweise mit angepasster Geschwindigkeit s. BGH NJW 94, 851; OLG Düsseldorf 18.6.07, I-1 U 278/06, Abruf-Nr. 072167 (15 km/h auf innerörtlichem Radweg auch in Annäherung an einen am Rand des Radweges stehenden Fußgänger nach Klingeln nicht unangemessen).  

     

    6. Beleuchtung  

    Maßgebend ist § 17 Abs. 1 StVO i.V.m. § 67 StVZO. Ein Verstoß begründet den Anscheinsbeweis der Unfallkausalität (BGH NJW 05, 351 – Krad; OLG Düsseldorf DAR 76, 125; OLG Frankfurt NZV 06, 36).  

     

    7. Radwegbenutzung 

    Seit dem 1.10.98 gilt: Radwege, gleichviel, ob rechts oder links verlaufend, müssen benutzt werden, wenn die jeweilige Fahrtrichtung mit Zeichen 237, 240 oder 241 gekennzeichnet ist (§ 2 Abs. 4 S. 2 StVO). Das gilt auch für Rennradfahrer, selbst bei einer Trainingsfahrt. Nicht mit einem der o.a. Zeichen (in Fahrtrichtung des Radfahrers) beschilderte rechte Radwege (zur Abgrenzung gegen sonstige Wege s. OLG Frankfurt DAR 04, 393) dürfen benutzt werden. Der Radfahrer darf aber auch auf der Fahrbahn fahren. Ob er damit eine Obliegenheit i.S.d. § 254 BGB verletzt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (OLG Düsseldorf 15.12.03, 1 U 51/02, Abruf-Nr. 042612; s. auch OLG Köln NZV 94, 278). Die Benutzungspflicht ist aufgehoben, wenn der Radweg aus baulichen Gründen oder witterungsbedingt (z.B. Schnee oder Eis) nicht gefahrlos befahren werden kann (OLG Köln NZV 94, 278; Schubert, NZV 06, 288; Kettler, NZV 06, 347). Beim Verlassen eines Radwegs gilt § 10 StVO (KG NZV 03, 30; LG Münster zfs 06, 79).  

     

    Linker Radweg: Ein in Fahrtrichtung des Radfahrers links verlaufender Radweg ist – selbst bei ausreichender Breite – für die beabsichtigte Fahrtrichtung gesperrt, wenn keine Freigabe durch Zeichen 237, 240 oder 241 vorhanden ist (OLG Celle 29.11.05, 14 U 83/05, Abruf-Nr. 060111). Ein linker Radweg mit Zeichen 237, 240 oder 241 und Freigabe für die an sich falsche Richtung muss benutzt werden; das Befahren der Straße ist pflichtwidrig (OLG Düsseldorf 13.10.03, 1 U 234/02, Abruf-Nr. 042614). Zur Fortwirkung der Freigabe eines linken Radwegs trotz Beginns eines rechten Radwegs s. BGH NJW 97, 395. Zur Frage „Vorfahrtverlust“ bei Benutzung eines Radwegs in falscher Richtung s. LG Oldenburg zfs 06, 146.  

     

    8. Radfahren auf dem Gehweg  

    Personen über 10 Jahren ist das Befahren von Gehwegen nur bei ausdrücklicher Freigabe („Radfahrer frei“) gestattet. Für Kinder unter 10 Jahren besteht eine Sonderregelung: Kinder bis 8 Jahre müssen, ältere Kinder bis 10 Jahre dürfen Gehwege benutzen (§ 2 Abs. 5 StVO). Wer als Erwachsener einen nicht freigegebenen Gehweg mit dem Rad befährt, handelt i.d.R. grob verkehrswidrig (LG Dessau NZV 06, 149; KG NZV 97, 122; LG Karlsruhe SP 04, 256; s. auch BGH NJW-RR 87, 1430). Zum Befahren eines Gehwegs neben einem Radweg und Kollision mit einem Grundstücksausfahrer (Pkw) s. OLG Düsseldorf 12.3.07, I-1 U 192/06, Abruf-Nr. 072897; LG Dessau NZV 06, 149; s. auch OLG Hamburg NZV 92, 281; OLG Hamm NZV 95, 152.  

     

    9. Fußgängerüberwege bzw. -furten  

    Sie dürfen von Radfahrern nicht befahren werden. Absteigen ist eine – häufig missachtete – Pflicht. Fahrende Radfahrer nehmen nicht am Vorrang von Fußgängern teil (OLG Frankfurt NZV 99, 138; a.A. OLG Düsseldorf NJW-RR 88, 35 - Zebrastreifen).  

     

    10. Abbiegen 

    Für Radfahrer gelten neben den allgemeinen Regeln (u.a. Zeichengeben, Wartepflicht) die Sondervorschriften des § 9 Abs. 2 StVO. Wichtig ist Satz 5.  

     

    11. Rücksichtnahme auf Fußgänger 

    Abgesehen von der Grundregel des § 1 StVO und dem auch für Radfahrer geltenden § 3 Abs. 2a StVO (Kinder und Ältere) bestimmt § 41 Abs. 2 Nr. 5c StVO für Radfahrer, die einen gemeinsamen Fuß- und Radweg befahren (Zeichen 240), eine besondere Pflicht zur Rücksichtnahme (dazu LG Hannover NZV 06, 418; OLG Oldenburg NZV 04, 360; OLG Nürnberg NZV 04, 358). Zur Situation bei Trennung von Rad- und Fußweg s. OLG Düsseldorf 18.6.07, I-1 U 278/06, Abruf-Nr. 072167.  

     

    12. Alkohol  

    Nach BGH NJW 86, 2650, ist ein Radfahrer bei 1,7 o/oo absolut fahrunsicher. Die neuere Rspr. nimmt einen „Beweisgrenzwert“ von 1,6 o/oo an (Hentschel, § 316 Rn. 18). Alkoholisierung ist haftungsrechtlich nur relevant, wenn sie sich im Unfallgeschehen niedergeschlagen hat. Dafür kann – auch bei nur relativer Fahruntüchtigkeit – der Beweis des ersten Anscheins sprechen (OLG Köln VersR 02, 1040).  

     

    13. Helmpflicht 

    Während der Gesetzgeber erst kürzlich für Führer und Beifahrer von Trikes und Quads die Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms eingeführt hat (§ 21a Abs. 2 StVO), fehlt für Radfahrer jeglicher Kategorie weiterhin eine vergleichbare Regelung (sie ist derzeit auch nicht zu erwarten). Die seit langem geführte mithaftungsrechtliche Diskussion ist vor allem durch drei aktuelle Urteile des OLG Düsseldorf in Bewegung gekommen. Hiernach gilt trotz Fehlens einer gesetzlichen Helmpflicht:  

     

    • Das Nichttragen eines Schutzhelms braucht sich ein erwachsener Radfahrer, der innerorts mit einem „normalen“ Fahrrad (Tourenrad) unterwegs ist, nicht als Mitverschulden anrechnen zu lassen (VA 07, 135, Abruf-Nr. 062167).

     

    • Abweichend von der noch h.M. besteht eine Helmpflicht für einen (erwachsenen) Rennradfahrer, der außerorts mit relativ hoher Geschwindigkeit unterwegs ist (VA 07, 63, Abruf-Nr. 070929 = DAR 07, 458 m. Anm. Hufnagel).

     

    • Einem 10-jährigen Jungen, der beim Fahren mit einem BMX-Rad auf einem Garagenhof mit einem Kleintransporter kollidiert ist, fällt – entgegen der Ansicht der Vorinstanz (LG Krefeld NZV 06, 205) – kein Mitverschulden zur Last (VA 06, 169, Abruf-Nr. 062688 = NZV 07, 38 m. Anm. Kettler; s. auch Hufnagel, DAR 07, 289; Ternig, VD 07, 204).