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  • 24.11.2010 | Unfallschadensregulierung

    Trotz Vorfahrt nur 20 Prozent

    Der Wartepflichtige muss an einer Einmündung den Einbiegevorgang nicht durch zentimeterweises Vorfahren mit der Möglichkeit zum sofortigen Anhalten vollziehen, wenn er darauf vertrauen darf, ohne Gefährdung des noch nicht in sein Sichtfeld geratenen bevorrechtigten Verkehrs in die Vorfahrtsstraße einzubiegen. Der gegen ihn streitende Anscheinsbeweis ist entkräftet, wenn der bevorrechtigte Unfallgegner unmittelbar vor dem Unfall ein anderes Fahrzeug überholte, dessen Fahrer keine Mühe hatte, rechtzeitig vor Erreichen der im Kreuzungsbereich liegenden Unfallstelle anzuhalten (Saarland. OLG 12.10.10, 4 U 110/10, Abruf-Nr. 103685).

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Unfallort innerorts: Mind. 45 m konnte der wartepflichtige Pkw-Fahrer (Bekl.) an der Sichtlinie der Einmündung die Vorfahrtstraße nach links übersehen. Dort näherten sich ein Pkw und dahinter ein Motorrad (Kl. zu 2.). Als der Bekl. abbog, war das Krad noch nicht sichtbar. Das wurde es erst während des „zügigen“ Abbiegens, als der Kl. zu 2) den Pkw mit einer Geschwindigkeit zw. 44 und 66 km/h überholen wollte. Der Bekl. bremste bis zum Stillstand ab. Im Einmündungsbereich kollidierte das Krad mit dem stehenden Pkw. Die beiden Kl. (Halter und Fahrer) verlangen vollen Schadenersatz.  

     

    Das OLG hat 20 : 80 zum Nachteil der Kl. gequotelt und eine Vorfahrtverletzung verneint. Zwar habe sich der Bekl. nicht vorsichtig in die Kreuzung hineingetastet, sondern sei „normal zügig“ aufgefahren. Das sei jedoch nicht zu beanstanden, weil keine unübersichtliche Straßenstelle i.S.d. § 8 Abs. 2 S. 3 StVO vorlag. Der gegen den Bekl. sprechende Beweis des ersten Anscheins einer Vorfahrtverletzung sei durch die Fahrweise des Kradfahrers erschüttert. Dieser habe trotz unklarer Verkehrslage überholt. Daher sei dem Bekl. nur die reine Betriebsgefahr zuzurechnen.  

     

    Praxishinweis

    Ein Fall wie aus dem Lehrbuch (jetzt neu: Schimmelpfennig/Becke, Unfallrekonstruktion und -gutachten in der verkehrsrechtlichen Praxis). „Der war noch nicht zu sehen, als ich losfuhr, plötzlich tauchte er mit total überhöhter Geschwindigkeit auf“ - so die klassische Einlassung von Wartepflichtigen. Erfahrungsgemäß kommen sie damit nur selten durch. Der Anscheinsbeweis einer Vorfahrtverletzung bleibt meist bestehen. Im Entscheidungsfall ist es anders gewesen, freilich erst für das OLG. Deshalb ist sein Urteil wichtig und lesenswert. Besondere Beachtung verdienen die Urteilsabschnitte „unübersichtliche Straßenstelle“ (§ 8 Abs. 2 S. 3 StVO), Überholen bei unklarer Verkehrslage (umfassend VA 05, 190) und zur Feststellbarkeit einer unfallursächlichen Geschwindigkeitsüberschreitung bei einem Motorrad.