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  • OWi-Verfahren

    Vorbereitung der Hauptverhandlung in OWi-Sachen

    von RiOLG Detlef Burhoff, Ascheberg/Hamm

    Im OWi-Verfahren ist es in der Regel vornehmliches Ziel der Verteidigung, die Einstellung des Verfahrens bzw. die Festsetzung möglichst milder Rechtsfolgen im Bußgeldbescheid zu erreichen. Gelingt das nicht und erlässt die Bußgeldbehörde gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid, mit dessen Inhalt der Verteidiger/Betroffene nicht einverstanden sind, muss dagegen Einspruch eingelegt werden. Es kommt dann zur Hauptverhandlung beim AG. Der Beitrag zeigt die wichtigsten Punkte auf, die der Anwalt bei der Vorbereitung des Hauptverhandlungstermins beachten muss.

    Ausreichende Akteneinsicht ist erforderlich

    In OWi-Verfahren wird der Verteidiger vom Mandanten häufig erst kurz vor der Hauptverhandlung beauftragt. Der Verteidiger muss dann das nachholen, was der von Anfang des Verfahrens an tätige Verteidiger bis dahin schon für den Mandanten hat leisten können. Dazu gehört insbesondere die unverzügliche Einsichtnahme in Akten und Beiakten.

    Praxishinweis: In diesen Fällen muss sich der Verteidiger nicht nur selbst ausreichend Zeit zur Vorbereitung nehmen, sondern auch darauf bestehen, dass ihm diese Zeit gelassen wird. Er darf auf keinen Fall erklären, er sei genügend vorbereitet, wenn das nicht der Fall ist (Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 6. Aufl., Rn. 411; BGH NJW 65, 2164).

    Knappe Akteneinsichtsmöglichkeit ist unzumutbar

    Bei der Akteneinsicht darf sich der Verteidiger grundsätzlich nicht damit zufrieden geben, wenn ihm auf seinen ersten Akteneinsichtsantrag mitgeteilt wird, die Akten könnten am Terminstag vor dem Termin auf der Geschäftsstelle eingesehen werden. Diese immer noch anzutreffende Unsitte ist mit dem umfassenden Akteneinsichtsrecht des Verteidigers nicht zu vereinbaren (zum Akteneinsichtsrecht siehe auch Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren (EV), 3. Aufl., Rn. 58 ff.). Der Verteidiger muss auch in diesem Fall auf „normaler“ Akteneinsicht bestehen und diese beantragen. Wird ihm nicht früh genug vor der Verhandlung Akteneinsicht gewährt, muss er (spätestens) zu Verhandlungsbeginn deren Aussetzung wegen fehlender Akteneinsicht beantragen (Musterantrag siehe Seite 174).

    Praxishinweis: Wird der Akteneinsichtsantrag abgelehnt, kann dies mit der Rechtsbeschwerde als eine Beschränkung der Verteidigung nach § 338 Nr. 8 StPO gerügt werden (KG StV 82, 10). Der Verteidiger muss dann aber auf jeden Fall in der Hauptverhandlung gem. § 238 Abs. 2 StPO einen Gerichtsbeschluss herbeiführen, und zwar auch beim Strafrichter.

    Checkliste: Vorbereitung der Hauptverhandlung

    Zur Vorbereitung der Hauptverhandlung sollte der Verteidiger folgende (taktische) Überlegungen anstellen bzw. sich folgende Fragen stellen:

    1. Wird sich der Mandant in der Verhandlung zur Sache einlassen?

    Zu unterscheiden ist dabei, ob sich der Mandant im Vorverfahren bei der Polizei oder der Bußgeldbehörde bereits eingelassen oder ob der Mandant bisher geschwiegen hat.

    • Hat sich der Mandant im Ermittlungsverfahren bereits eingelassen und soll die Einlassung in der Hauptverhandlung wiederholt werden, ergeben sich keine Besonderheiten.

    • Hat sich der Mandant bisher eingelassen, will/soll er aber nun schweigen, ist zu fragen:

    Sind die früheren Aussagen/Angaben des Mandanten verwertbar? Insbesondere: Wie können sie möglicherweise in die Hauptverhandlung eingeführt werden?

    In diesem Fall muss sich der Verteidiger auf die ggf. anstehende Vernehmung eines Ermittlungsbeamten vorbereiten (etwa über ein im Ermittlungsverfahren abgelegtes Geständnis des jetzt schweigenden Mandanten).

    Praxishinweis: Der Verteidiger muss sich darauf vorbereiten, in der Hauptverhandlung der Verwertung einer früheren Aussage des Mandanten zu widersprechen, wenn diese unverwertbar ist. Eine Unverwertbarkeit kann beispielsweise eintreten, weil der Mandant nicht oder nicht ausreichend belehrt worden ist (siehe u.a. BGHSt 38, 214 ff.; Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung (HV), 4. Aufl., Rn. 1166a ff.). Wird das Beweismittel dann nicht verwertet, kann dieser „Widerspruch“ für den Mandanten von entscheidender Bedeutung sein (siehe das Beispiel LG Dortmund NStZ 97, 356). Der Verteidiger darf den Widerspruch in der Hauptverhandlung auf keinen Fall versäumen. Ein nicht oder verspätet erhobener Widerspruch kann nach allgemeiner Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung später nicht mehr nachgeholt werden (BayObLG NJW 97, 404; OLG Celle StV 97, 68; OLG Oldenburg StV 96, 416; OLG Stuttgart NStZ 97, 405). Den Widerspruch muss der Verteidiger ausreichend begründen. Er muss alle die Zulässigkeit der Verwertung berührenden Umstände/Tatsachen vortragen und ggf. dazu Beweisanträge vorbereiten. Es gilt allerdings das Freibeweis-verfahren.

    • Soll sich der Mandant in der Hauptverhandlung erstmals zur Sache einlassen, muss über das „wann“ und „wie“ der Einlassung entschieden werden. Möglicherweise hat der Verteidiger ein Interesse daran, dass nur ihm bekannte Tatsachen nicht bereits schon durch die Einlassung des Angeklagten in die Hauptverhandlung eingeführt werden, sondern erst durch einen vom ihm geplanten überraschenden Vorhalt gegenüber einem Zeugen, dessen Glaubwürdigkeit damit erschüttert werden soll.

    Praxishinweis: Erfolgt die Einlassung des Mandanten erst nach dem Ende der Beweisaufnahme zur Sache, muss er allerdings damit rechnen, dass ein zu diesem Zeitpunkt abgelegtes Geständnis möglicherweise weniger mildernd bewertet wird als vor der Beweisaufnahme.

    2. Liegen alle notwendigen Verfahrensvoraussetzungen vor?

    Spätestens jetzt muss der Verteidiger prüfen, ob der Bußgeldbescheid ordnungsgemäß erlassen ist und somit eine ausreichende Verfahrensgrundlage bildet.

    3. Ist ordnungsgemäß geladen worden?

    Die Ladungsfrist beträgt nach § 217 StPO eine Woche. Mängel der Ladung kann und wird der Verteidiger rügen, wenn dadurch die ordnungsgemäße Vorbereitung der Verhandlung nicht gewährleistet ist (Dahs, a.a.O., Rn. 418; zur Ladung des Verteidigers Burhoff, HV, Rn. 595).

    4. Muss die Beweisaufnahme eventuell (weiter) vorbereitet werden?

    Zu dieser Frage gehören die folgenden Überlegungen:

    • Sind alle (vorhandenen) Beweismittel verwertbar oder bestehen Beweisverwertungsverbote, gegen die sich der Verteidiger in der Hauptverhandlung mit einem Widerspruch wehren muss?

    Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Ordnungsbehörde ein Lichtbild des Betroffenen unzulässiger Weise an die Bußgeldbehörde übermittelt hat und dieses dann verwendet worden ist, um den Betroffenen, der den Verkehrsverstoß bestreitet, als Täter zu identifizieren (vgl. dazu AG Stuttgart VA 02, 110; Nobis DAR 02, 299; Steffens StraFo 02, 222; zu Beweisverwertungsverboten allgemein Burhoff, EV, Rn. 424 ff.).

    • Wird dem Mandanten der Vorwurf einer Trunkenheitsfahrt gemacht, ist zu fragen, ob bei Blutprobe und Blutalkoholgutachten Fehler gemacht worden sind. Soll der Nachweis über die Atemalkoholkonzentration geführt werden, muss der Verteidiger beim Mandanten erfragen, ob das für die Verwertbarkeit vorausgesetzte Verfahren eingehalten worden ist (vgl. dazu VA 02, 152.

    • Wie kann/muss die Beweisaufnahme sonst weiter vorbereitet werden? Sind vorbereitend Anträge zu stellen, etwa auf Vernehmung weiterer Zeugen in der Hauptverhandlung?

    • Bestehen bei den geladenen Zeugen Zeugnisverweigerungsrechte?

    • Wie ist die Vernehmung eines Sachverständigen vorzubereiten? Muss der Mandant/Verteidiger ggf. jetzt noch einen (anderen) Sachverständigen beauftragen, weil die anstehenden Fragen durch ein bereits eingeholtes Gutachten nicht bzw. nicht ausreichend geklärt sind (siehe dazu Burhoff, EV, Rn. 1459)?

    • Ist ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger wegen Befangenheit abzulehnen?

    Praxishinweis: Wenn ein vor der Hauptverhandlung gegen einen Sachverständigen gestellter Ablehnungsantrag zurückgewiesen oder nicht beschieden worden ist, muss der Antrag in der Hauptverhandlung wiederholt werden, wenn später auf den nicht erfolgten Ausschluss des Sachverständigen die Rechtsbeschwerde gestützt werden soll (BGH NStZ-RR 02, 110).

    5. Müssen eigene Zeugen oder Sachverständige geladen werden?

    Wenn das Gericht Anträge des Verteidigers zur Beweisaufnahme durch Zeugen oder Sachverständige hat, muss der Verteidiger sich mit der Frage beschäftigen, ob er Zeugen und/oder Sachverständige als so genannte präsente Beweismittel selbst lädt

    6. Welche Urkunden werden in der Verhandlung beim Urkundenbeweis verlesen?

    Dazu ist vorab schon zu prüfen, ob alle Urkunden, die eingeführt werden sollen, überhaupt verwertbar sind. Das richtet sich unter anderem auch nach den Regeln des Urkundenbeweises.

    7. Ist die Anwesenheit des Mandanten in der HV erforderlich?

    Kann eventuell ein Antrag auf Entbindung vom Erscheinen in der Hauptverhandlung gestellt werden (vgl. dazu §§ 73, 74 OWiG)? Dies ist insbesondere in den Fällen vorteilhaft, in denen der Verteidiger vorhersehen kann, dass der Mandant sich durch seine Art des Auftretens nur schaden wird.



    Abschließendes Vorbereitungsgespräch mit dem Mandanten

    In der Regel wird der Verteidiger den Mandanten kurz vor der Hauptverhandlung noch einmal zu einem abschließenden Gespräch bestellen, um ihn auf die Verhandlung vorzubereiten. Dabei sollte berücksichtigt werden:

    • Mit dem Mandanten sollte noch einmal der ihm gegenüber erhobene Vorwurf durchgesprochen und (endgültig) abgeklärt werden, ob er sich in der Hauptverhandlung zur Sache einlassen will oder nicht. Der Verteidiger muss den Mandanten über die Vor- und Nachteile einer Einlassung und die aus dem Einlassungsverhalten des Mandanten dem Gericht möglichen (Schluss-)Folgerungen belehren.
    • Der Verteidiger muss mit dem Mandanten den Plan für die Hauptverhandlung erörtern und ihm erläutern, worauf es ankommt. Dabei kann der Verteidiger dem Mandanten die letzten Informationen, insbesondere über den äußeren Ablauf der Hauptverhandlung, erteilen.
    • Der Verteidiger muss sich spätestens jetzt über die persönlichen Verhältnisse des Mandanten, die Auswirkungen auf die Rechtsfolgenfestsetzung haben können, informieren lassen. Dabei sind beispielsweise alle Umstände von Bedeutung, die Auswirkungen auf die Festsetzung eines drohenden Fahrverbotes haben können. In dem Zusammenhang muss der Verteidiger den Mandanten anhalten, Bescheinigungen und schriftliche Unterlagen über Einkommen, Arbeitsplatz und im Fall eines Fahrverbotes über eine drohende Kündigung zum Termin mitzubringen oder vorher beim Verteidiger abzugeben. Schließlich muss der Verteidiger die Namen der Personen erfragen, die zu den Fragen in der Hauptverhandlung mit einem Beweisantrag als Zeugen benannt werden können/müssen.

    Musterformulierung: Aussetzungsantrag wegen fehlender Akteneinsicht

        An das
    Amtsgericht Musterstadt
    In der Bußgeldsache
    gegen H. Muster

    Az.: . . .

    beantrage ich namens und in Vollmacht des Betroffenen,

    die Hauptverhandlung wegen fehlender Akteneinsicht auszusetzen.

    Ich bin vom Angeklagten erst am . . . beauftragt worden und konnte daher erst kurz vor der Hauptverhandlung um Akteneinsicht bitten, was ich mit meinem Schriftsatz vom . . . getan habe. Die Akteneinsicht ist bisher nicht gewährt worden. Damit war eine ordnungsgemäße Vorbereitung des Termins, zu dem auch eine Erörterung des Akteninhalts mit meinem Mandanten gehört, nicht möglich. Deshalb muss die heutige Hauptverhandlung ausgesetzt werden. Sollte sie dennoch stattfinden, läge darin eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung nach § 338 Nr. 8 StPO.

    Rechtsanwalt


    Quelle: Verkehrsrecht aktuell - Ausgabe 11/2002, Seite 171

    Quelle: Ausgabe 11 / 2002 | Seite 171 | ID 107067