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  • · Fachbeitrag · Schadenabwicklung/Haftpflicht

    Wann, wie und wie weit kann der Versicherer bei Haftpflichtschäden Regie führen?

    | „Wir haben Ihnen doch gesagt/geschrieben, dass Sie ...“, argumentieren Versicherer häufig, und meinen, der Geschädigte habe sich an diese Regieanweisungen halten müssen. Weil er es nicht getan habe, seien die Aufwendungen in der unter Verstoß gegen die Anweisungen entstandenen Höhe nicht erforderlich im Sinne des Schadenrechts. Oder aber der Geschädigte habe gegen seine Schadenminderungspflicht verstoßen. Wann kann der Versicherer damit Recht behalten, wann ist er auf verlorenem Posten? Lesen Sie, was wann gilt. |

     

    Wichtig | Dieser Beitrag trägt die geltenden Regeln für die Situation beim Haftpflichtschaden zusammen. Das darf man keinesfalls mit der Situation beim Kaskoschaden verwechseln. Denn dort gibt es das im Kaskovertrag festgeschriebene Weisungsrecht des Versicherers, dessen Grenzen allerdings nicht klar umrissen sind.

    „Erforderlichkeit“ versus „Schadenminderungspflicht“

    Wichtig für das Verständnis der Feinheiten ist die klare Differenzierung zwischen der Erforderlichkeit im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB und der Schadenminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 S. 1 BGB.

     

    Die „Erforderlichkeit“ zielt darauf ab, was der Geschädigte von sich aus tun darf. Die Schadenminderungspflicht hingegen bezieht sich zum Teil ebenfalls auf direkte Pflichten des Geschädigten. Im Zusammenhang dieses Beitrags geht es allerdings vordringlich darum, ob der Geschädigte Interventionen des Versicherers beachten und sich entsprechend verhalten muss.

    Das Grundprinzip des Schadenersatzrechts

    Die Feinheiten in der Rechtsprechung des BGH zu den Rechten des Geschädigten und der begrenzten, aber nicht völlig ausgeschlossenen Einflussmöglichkeit der Schädigerseite kann man nur verstehen, wenn man das Grundprinzip der Schadenregulierung, das sich in den beiden Begriffen „Dispositionsfreiheit“ und „Ersetzungsbefugnis“ ausdrückt“, verinnerlicht hat.

     

    Nach dem grundlegenden Prinzip des Schadenersatzrechts muss der Schädiger den Schaden beseitigen, § 249 Abs. 1 BGB. Er muss also reparieren oder reparieren lassen, was er beschädigt hat. Er muss ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung stellen. Er muss alles tun, damit der Schaden beseitigt wird. Von Geldzahlungen ist in § 249 Abs. 1 BGB nicht die Rede, nur von einem Schädiger, der selbst in die Speichen greift.

     

    Das klingt für uns alle fremd, denn faktisch läuft die Schadenregulierung anders, nämlich über Geldzahlungen für die vom Geschädigten veranlassten Schadenbeseitigungsschritte.

     

    Das basiert auf § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Danach darf der Geschädigte entscheiden, dass sich der Schädiger aus der Schadenbeseitigung herauszuhalten hat. Er, der Geschädigte selbst, entscheidet, was wie gemacht wird, und der Schädiger muss „den dazu erforderlichen Geldbetrag“ zur Verfügung stellen.

     

    Denn der Geschädigte darf ohne weiteres Misstrauen hegen gegen die Schadenbeseitigung durch den Schädiger selbst. Der wäre naturgemäß an der denkbar billigsten Schadenbeseitigung interessiert, die in vielen Fällen nicht die perfekte und nachhaltige Schadenbeseitigung wäre. Motto: „Das muss reichen ...“.

     

    Der Geschädigte hat also die Freiheit zu disponieren, ob er die Schadenbeseitigung (heute untypisch) dem Schädiger überlässt oder ob er die Dinge (heute typisch) lieber selbst in die Hand nimmt. Das ist einer der beiden Aspekte der Dispositionsfreiheit.

     

    Nimmt er die Schadenbeseitigung selbst in die Hand, ersetzt er den Anspruch auf „repariere mein Auto“ durch den Anspruch „gib mir das Geld dafür, dass ich es selbst reparieren lassen kann“. Das ist die Ersetzungsbefugnis. Danach greift die Dispositionsfreiheit noch einmal ein: Der Geschädigte darf disponieren, das Geld für beliebiges anderes zu verwenden.

     

    Wichtig | Die Dispositionsfreiheit erster Stufe und die Ersetzungsbefugnis gibt es ja gerade deshalb, weil der Geschädigte der Schadenbeseitigung durch den Schädiger misstrauen darf. Dann gebietet die Logik, dass er den Schädiger auch weitgehend aus dem Geschehen heraushalten darf.

     

    BGH betont Bedeutung der Ersetzungsbefugnis immer wieder

    Der BGH macht immer wieder deutlich, wie groß die Bedeutung der Ersetzungsbefugnis ist. Er spricht völlig richtig von einer „gesetzgeberischen Grundentscheidung“, die für die Gerichte jedenfalls dann unantastbar ist, wenn es um das Eigentum des Geschädigten geht.

     

    Ganz markant hat er es noch im Jahr 2019 auf den Punkt gebracht. Auch da hat er die abermals aus den Reihen der Versicherer aufgestellte Forderung mit deutlichen Worten zurückgewiesen, der Geschädigte solle verpflichtet werden, das Schadengutachten dem Versicherer zur Prüfung des Restwerts vorzulegen, bevor der Geschädigte das verunfallte Fahrzeug verkaufen darf:

     

    „Der Gesetzgeber hat dem Geschädigten in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Möglichkeit eingeräumt, die Behebung des Schadens gerade unabhängig vom Schädiger in die eigenen Hände zu nehmen und in eigener Regie durchzuführen. Diese gesetzgeberische Grundentscheidung würde unterlaufen, sähe man den Geschädigten schadensrechtlich grundsätzlich für verpflichtet an, vor der von ihm beabsichtigten Schadensbehebung Alternativvorschläge des Schädigers einzuholen und diesen dann gegebenenfalls zu folgen.“

     

    Damit ist also das Recht des Geschädigten festgeschrieben, „die Behebung des Schadens gerade unabhängig vom Schädiger in die eigenen Hände zu nehmen und in eigener Regie durchzuführen.“ (BGH, Urteil vom 25.06.2019, Az. VI ZR 358/18, Rz. 14, Abruf-Nr. 210470).

     

    Wichtig | Auf den ersten Blick ist also jede Regiemöglichkeit des Schädigers zu verneinen. Allerdings: Das ist erst der Blickwinkel der Erforderlichkeit. Durch die Hintertür der Schadenminderungspflicht ergeben sich doch unter bestimmten Umständen Einflussmöglichkeiten der Schädigerseite.

     

    Auch auf der Reparaturschiene hält der BGH eisern an der hohen Bedeutung der Ersetzungsbefugnis fest:

     

    „Das bedeutet insbesondere, dass sich der Geschädigte im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht nicht auf Sonderkonditionen von Vertragswerkstätten des Haftpflichtversicherers des Schädigers verweisen lassen muss. Andernfalls würde die ihm nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen, die ihm die Möglichkeit der Schadensbehebung in eigener Regie eröffnet.“ (BGH, Urteil vom 20.10.2009, Az. VI ZR 53/09, Rz. 13, Abruf-Nr. 133712).

     

    Denn wenn der Geschädigte solche Sonderkonditionen eines gegnerischen Versicherers in Anspruch nehmen müsste, ginge das ja nur, wenn ihm der Versicherer bei seiner Partnerwerkstatt „die Tür öffnet“. Dann aber ist das Recht des Geschädigten, „die Behebung des Schadens gerade unabhängig vom Schädiger in die eigenen Hände zu nehmen und in eigener Regie durchzuführen“ mit Füßen getreten.

     

    Der Sündenfall des BGH in der Mietwagenfrage

    Rechtlich bedenklich, aber in der täglichen Rechtsanwendung hinzunehmen, ist die Entscheidung des BGH zu den Anmietungsofferten für Mietwagen, die manche Versicherer dem Geschädigten präsentieren. Wenn ein solcher Hinweis den Geschädigten noch vor der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs durch ihn selbst erreicht und wenn der Hinweis ausreichend präzise ist, darf der Geschädigte nicht mehr teurer mieten. Das ist ein Ausfluss der Schadenminderungspflicht.

     

    Nach der ersten Entscheidung des BGH (Urteil vom 26.04.2016, Az. VI ZR 563/15, Abruf-Nr. 186849) dazu hat die Mehrzahl der Amts- und Landgerichte jedoch Hinweise auf Anmietungen zu Versicherer-Sonderpreisen aussortiert. Dabei stützten sie sich auf die Ersetzungsbefugnis des Geschädigten im oben bereits dargestellten Sinne, dass er berechtigt ist, „die Behebung des Schadens gerade unabhängig vom Schädiger in die eigenen Hände zu nehmen und in eigener Regie durchzuführen“.

     

    Zur Überraschung der meisten Kenner des Schadenersatzrechts hat der BGH in der zweiten Entscheidung zu den Mietwagenhinweisen des Versicherers jedoch Hinweise auf Sondertarife zugelassen. Dabei sieht der BGH, dass das im vordergründigen Widerspruch zu seiner bisherigen Linie steht. Er begründet diese Wendung wie folgt (BGH, Urteil vom 12.02.2019, Az. VI ZR 141/18, Abruf-Nr. 207382):

     

    „Zwar mag die Obliegenheit des Geschädigten, ein ihm vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer vermitteltes Mietwagenangebot in Anspruch zu nehmen, die ihm grundsätzlich auch insoweit eröffnete Möglichkeit, die Schadensbeseitigung in die eigenen Hände zu nehmen, tangieren. Im Rahmen der an Treu und Glauben auszurichtenden Gesamtbetrachtung kommt dem aber keine entscheidende Bedeutung zu. Denn die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs ist ‒ anders als die Reparatur oder die Verwertung der beschädigten Sache ‒ nicht mit einer unmittelbaren Einwirkung auf das verletzte Rechtsgut, also auf das Eigentum am beschädigten Fahrzeug, verbunden. Der vorrangige Zweck der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, den Geschädigten davon zu befreien, das verletzte Rechtsgut dem Schädiger oder einer von diesem ausgewählten Person zur Wiederherstellung anvertrauen zu müssen, ist bei der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs also nicht betroffen.“

     

    Daraus folgt: In Reinkultur wendet der BGH die Ersetzungsbefugnis und damit das Recht des Geschädigten, den Schädiger herauszuhalten, an, wenn es unmittelbar um das beschädigte Fahrzeug geht. Geht es um die „Fransen“ drumherum, sieht er das nicht so eng.

     

    Wichtig | So überraschend dieses Urteil war, so erfreulich ist es, dass der BGH dort hineingeschrieben hat, dass es beim Restwert und bei den Reparaturkosten bei der bisherigen ganz geraden Linie bleibt. Versuche der Versicherer, aus diesem Urteil eine generelle Abkehr des BGH von der großen Bedeutung der Ersetzungsbefugnis herzuleiten, ist damit von vornherein der Nährboden entzogen.

     

    Insoweit noch nicht vom BGH entschieden: Die Auswahl des Gutachters

    Versicherer haben ja bereits versucht, dem Geschädigten analog zu den Mietwagenhinweisen Hinweise zu Schadengutachtern mit besonders günstigen Preisen zu geben und daraus herzuleiten, die Beauftragung eines Schadengutachters mit höheren Preisen sei nicht erforderlich, mindestens aber ein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht gewesen. Das ist bei den Amtsgerichten nahezu einhellig auf Ablehnung gestoßen (exemplarisch und sehr lesenswert AG München, Urteil vom 20.09.2017, Az. 322 C 12124/17, Abruf-Nr. 196819).

     

    Doch was würde der BGH dazu sagen? Immerhin ist das Gutachten ja auch eine Schadenposition „neben“ dem und nicht direkt „am“ beschädigten Fahrzeug. Das spräche auf den ersten Blick für eine Anwendung der Mietwagenrechtsprechung.

     

    Bedenkt man aber, dass in aller Regel in den Reparaturfällen auf der Grundlage des Schadengutachtens repariert wird, führt die Feststellung des Schadengutachters zu einer direkten Einwirkung auf das Fahrzeug. Und bei den Wiederbeschaffungsfällen geht es um den Wert des Fahrzeugs.

     

    Das Schadengutachten ist also so nah am Fahrzeug, dass es direkte Einwirkungen auf das Fahrzeug erzeugt. Ein Mietwagen hingegen tut das nie. Wir sind uns daher sicher, dass der BGH die Ersetzungsbefugnis in ihrer Reinform auf solche Gutachtenhinweise zu Versicherer-Sonderpreisen anwenden würde.

     

    „Der Geschädigte ist der Herr des Restitutionsgeschehens“

    Das Ergebnis aller dieser Überlegungen ist, dass der Geschädigte bei allen seinen Entscheidung zur Schadenbeseitigung nie ins Kalkül nehmen muss, dass der gegnerische Versicherer mit all seinen Verflechtungen und Sonderbeziehungen das ein oder andere mit niedrigeren Kosten lösen könnte.

     

    Zusammengefasst wird das in dem Satz, den Generationen von Juristen auf den Lippen tragen: „Der Geschädigte ist der Herr des Restitutionsgeschehens.“

     

    Der Geschädigte entscheidet also, wie die Wiederherstellung (Restitution) erfolgt: „Ziel des Schadensersatzes ist die Totalreparation und der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei.“ (BGH, Urteil vom 25.09.2018, Az. VI ZR 65/18, Rz. 6, Abruf-Nr. 205554).

    Der Einfluss der Schadenminderungspflicht

    In zwei immer wiederkehrenden Themen kann der gegnerische Versicherer trotz allem durch die Hintertür der Schadenminderungspflicht zu Einfluss kommen:

     

    Restwertüberangebot muss ggf. beachtet werden

    Beim Restwert ist ein konkretes und ausreichend komfortabel zu verwirklichendes Restwertüberangebot vom Geschädigten der Höhe nach zu beachten, wenn es ihn erreicht, bevor der das verunfallte Fahrzeug verkauft hat. (BGH, Urteil vom 30.11.1999, Az. VI ZR 219/98, Abruf-Nr. 090363). Es muss aber nicht an den vom Versicherer benannten Bieter verkauft werden, lediglich darf der genannte Betrag nicht unterschritten werden.

     

    Verweis auf andere Werkstattpreise bei fiktiver Abrechnung

    Und bei der fiktiven Abrechnung kann der Versicherer stets auf die (allgemeinen!) Preise einer Werkstatt der gleichen Marke verweisen, wenn die in zumutbarer Entfernung liegt.

     

    Auf die (allgemeinen!) Preise einer markenfreien oder markenfremden Werkstatt kann er dann verweisen, wenn die technisch gleichwertig reparieren kann und in zumutbarer Entfernung liegt. Da gilt allerdings die Einschränkung, dass das nur möglich ist, wenn das verunfallte Fahrzeug nicht mehr unter dem Schutz der Herstellergarantie steht und es, wenn es schon über die Herstellergarantie hinaus ist, nicht mehr scheckheftgepflegt ist. (BGH, Urteil vom 20.10.2009, Az. VI ZR 53/09, Abruf-Nr. 133712).

     

    Weiterführender Hinweis

    Quelle: Ausgabe 08 / 2020 | Seite 7 | ID 46722414