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  • · Fachbeitrag · Sachverständigenhonorar

    Wie weit darf die Werkstatt dem Geschädigten bei der Gutachterbeauftragung behilflich sein?

    | Der Geschädigte ist unfallunerfahren. Die Werkstatt empfiehlt ihm, unbedingt ein Schadengutachten einzuholen und dafür einen Sachverständigen auszuwählen, mit dem die Werkstatt gute Erfahrungen hat. Dessen Auftrags- und Abtretungsformulare liegen in der Werkstatt bereit. Der Kunde bittet die Werkstatt, sich um den restlichen Ablauf der Begutachtung zu kümmern. Er selbst ist gar nicht anwesend, wenn der Sachverständige kommt. Die Kommunikation übernimmt wunschgemäß die Werkstatt. Das ist ein alltäglicher Vorgang, aus dem sich die Frage eines Lesers ergibt. |

     

    Frage: Der Versicherer schreibt, die Nähe zwischen uns als Gutachterbüro und der Werkstatt, die unser nun gemeinsamer Kunde mit der Unfallschadenreparatur beauftragt hat, sei unübersehbar. Sie gehe davon aus, dass der Geschädigte gar kein Mitspracherecht gehabt habe. Er habe den Sachverständigen gar nicht ausgesucht. Vielleicht habe er auch gar keinen gewollt. Auffällig sei auch, dass der Sachverständige das Gutachten zwar auf den Geschädigten ausgestellt habe, der Versand sei aber dann direkt an den Versicherer gegangen, und zwar nebst Rechnung und Abtretung. Deshalb sei das keine wirksame Beauftragung. Folglich werde das Sachverständigenhonorar nicht erstattet. Ist der Versicherer im Recht?

     

    Antwort: Das kommt auf die Nuancen an. Netzwerke sind nicht unzulässig, solange sie den Geschädigten nicht völlig aus der Regulierung raushalten.

    Netzwerke sind Versicherern ein Dorn im Auge

    Im Grundsatz ärgert es die Versicherer, dass viele Werkstätten als konsequente Reaktion auf das Regulierungsverhalten vieler Versicherer den Unfallkunden bei Haftpflichtschäden lückenlos die Einschaltung eines Schadengutachters und eines Rechtsanwalts empfehlen. Die Netzwerke, die es da gibt, sind leicht zu entschlüsseln, das ist für Versicherer ein offenes Buch. Der Schadengutachter und auch der Anwalt haben zwar immer unterschiedliche Kunden bzw. Mandanten, aber die lassen alle in derselben Werkstatt reparieren. Der Gutachter hat unterschiedliche Kunden, aber die haben alle dieselbe Anwaltskanzlei gewählt.

    Netzwerke an sich sind nicht unzulässig

    Die Geschädigten sind oftmals unfallunerfahren und verlassen sich gern auf Empfehlungen. Und genauso gern lassen sie sich bei der Abwicklung helfen. Ob nun „keine Lust“ oder „keine Zeit“: Sie wollen oder können oftmals auch gar nicht bei der Besichtigung dabei sein. Im Ablauf der nächsten Tage war der Unfall nicht eingeplant. Dass nun jemand seine privaten oder gar beruflichen Termine über den Haufen werfen soll, nur um dem Gutachter neben dem Auto die Hand zu schütteln, ist nicht ernsthaft zu verlangen.

     

    Werkstatt als Bote/Vertreter für den Geschädigten zulässig

    Wenn der Werkstattmitarbeiter mit dem Kunden abstimmt, dass der vorgeschlagene Gutachter für ihn, den Kunden, tätig werden soll, spricht überhaupt nichts dagegen, dass die Werkstatt anschließend für den Kunden als Bote oder gar als Vertreter die Dinge mit dem Sachverständigen regelt. Daran gibt es nichts, was u. E. anstößig wäre.

     

    Allerdings muss der Geschädigte alle relevanten Informationen, insbesondere zu Altschäden und/oder Vorschäden, durch seinen Boten/Vertreter übermitteln lassen. Bleiben da Informationen auf der Strecke, ist das sein Risiko.

     

    Versand des Gutachtens direkt an Versicherer zulässig

    Dass der Geschädigte den Gutachter, vielleicht auf dessen Anregung hin, bittet, Gutachten, Rechnung und Abtretung direkt an den Versicherer zu senden, ist auch alles andere als ungewöhnlich. Warum soll sich der Geschädigte die Mühe machen, das Gutachten aus dem Briefkasten zu fischen, in ein anderes Kuvert zu stecken und selbst an den Versicherer zu senden? Das gleiche gilt für den Mailversand. Der direkte Weg schadet nicht.

     

    Wichtig | Ob das schlau ist, ist eine ganz andere Frage. Der Weg über die anwaltliche Vertretung wäre der bessere.

     

    Beauftragung des Sachverständigen ohne persönlichen Kontakt rechtens

    Es hat in Wellen schon immer Versuche gegeben, die Netzwerke der Werkstätten, Anwaltsbüros und Gutachter zu sprengen. So musste das AG Biberach schon entscheiden: Für eine wirksame Beauftragung eines Sachverständigen auf Erstellung eines Schadengutachtens ist es nicht erforderlich, dass der Geschädigte mit dem Gutachter persönlich in Kontakt tritt (AG Biberach, Urteil vom 04.04.2012, Az. 2 C 1158/11, Abruf-Nr. 121243). Da hatte der Versicherer vorgetragen, die Gutachterbeauftragung sei so sehr Vertrauenssache, dass es ohne persönlichen Kontakt nicht gehe.

     

    Anwaltsmandatierung auf Empfehlung der Werkstatt rechtens

    Dass der Geschädigte einen Anwalt auf dringende Empfehlung der Werkstatt zur Unfallschadenregulierung mandatiert, ist kein Grund, an einem ordnungsgemäßen Anwaltsvertrag zu zweifeln. Hält der Anwalt den Geschädigten durch Übersendung von Kopien aller Dokumente auf dem Laufenden, gibt es erst recht keine Zweifel, dass er für den Geschädigten tätig wurde (AG Frankfurt a. M., Urteil vom 17.06.2013, Az. 30 C 2487/12 (25), Abruf-Nr. 132170).

    Der Geschädigte darf aber nicht völlig rausgehalten werden

    Aus dem Frankfurter Urteil zur Anwaltsthematik kann man aber einen Schluss ziehen: Wenn alles so eingefädelt wäre, dass der Geschädigte uninformiert bleibt und die Beteiligten hinter den Kulissen das für sie beste aus der Situation machen, wären die Grenzen überschritten. Mindestens muss der Geschädigte auch eine Kopie des Schadengutachtens bekommen.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Textbaustein 531: Empfehlung des Schadengutachters durch die Werkstatt ist nicht anrüchig → Abruf-Nr. 47848849
    Quelle: Ausgabe 01 / 2022 | Seite 7 | ID 47848845