Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Reparaturkosten/Gutachten/Kasko

    Kaskogutachten kommt zu Reparaturschaden, der sich bei Reparatur als Totalschaden entpuppt

    | Bei Kaskoschäden entsendet der Versicherer den Gutachter. Eine freie Gutachterwahl für den Versicherungsnehmer gibt es da nicht. Wie jeder andere Schadengutachter auch hat der vom Versicherer entsandte Sachverständige keine hellseherischen Fähigkeiten. Da kommt es schon mal vor, dass der Schaden hinterher höher ist, als die Beteiligten vorher dachten. Wie geht es denn weiter, wenn sich ein im Kaskogutachten als Reparaturschaden ausgewiesener Schaden während der Reparatur als Totalschaden entpuppt, möchte ein Leser wissen. Lesen Sie nachfolgend die Antwort. |

     

    Frage: Der Gutachter des Versicherers ermittelt einen Wiederbeschaffungswert (WBW) von 13.200 Euro und Reparaturkosten in der Größenordnung von 12.000 Euro. Der Versicherungsnehmer, unser Kunde, bekommt eine Kopie des Gutachtens. Er möchte das Fahrzeug behalten und erteilt den bei diesen Zahlen ohne weiteres möglichen Reparaturauftrag. Im Verlaufe der Instandsetzung zeigt sich ein weiterer bis dahin nicht erkannter und auch nicht erkennbarer Schaden. Der benachrichtigte Versicherungsgutachter akzeptiert, dass die entdeckte Weiterung dem Schadenereignis zuzuordnen ist. Darüber gibt es also keinen Streit. Wir reparieren zu Ende. Mit dem für die Erweiterung kalkulierten Aufwand liegen die Reparaturkosten nun bei etwa 13.800 Euro, also oberhalb vom WBW.

     

    Nun stellt sich der Versicherer auf den Standpunkt, bei Kaskoschäden gebe es kein ihm zur Last fallendes Prognoserisiko. Über den ursprünglichen Betrag von 12.500 Euro hinaus müsse er nun nichts erstatten. Die 130-Prozent-Rechtsprechung gelte ja auch nicht bei Kaskoschäden. Kann der Versicherer sich tatsächlich so aus der Affäre ziehen?

     

    Antwort: Nein, das kann er sicher nicht.

     

    Richtig ist: Es gibt im Regelfall bei Kaskoschäden keine Ausdehnung des Reparaturkostenanspruchs über den WBW hinaus. Aber um einen solchen Anspruch, also einen der haftpflichtschadenrechtlichen 130-Prozent-Rechtsprechung ähnlichen Anspruch, geht es hier gar nicht.

    Es kommt auf die konkreten Vertragsklauseln an

    Bei den folgenden Ausführungen kommt es auf die Kaskoversicherungsbedingungen an. Wir orientieren uns in diesem Beitrag an den Musterbedingungen des GDV. Sie müssen prüfen, ob der konkrete Kaskovertrag Ihres Kunden diese Klauseln auch enthält, ggf. unter abweichender Nummerierung. Davon gehen wir aus, denn aller Erfahrung nach sind die maßgeblichen Klauseln von nahezu allen Versicherern übernommen worden.

     

    Im Ergebnis liegen die Reparaturkosten oberhalb des WBW. Somit liegt nach kaskorechtlicher Definition (unter Klausel A.2.5.1.5) ein Totalschaden vor.

     

    Wenn ein solcher Totalschaden vollständig und fachgerecht repariert wird und durch eine Rechnung nachgewiesen wird, muss der Versicherer gemäß Klausel A.2.5.1 in Verbindung mit Klausel A.2.5.2.1.a die Reparaturkosten bis zur Höhe des WBW erstatten. Die 13.200 Euro sind also das Mindeste, was der Versicherer erstatten muss (ggf. abzüglich der Selbstbeteiligung ).

    Der den WBW übersteigende Betrag

    Wenn, was nach den zitierten Klauseln möglich ist, ein Totalschaden über den WBW hinaus repariert wird, muss der überschießende Betrag im Normalfall vom Kunden bezahlt werden. Das macht es möglich, dass ein Kunde, dem das die Zuzahlung wert ist, frei entscheiden kann, dass er die Reparatur möchte.

     

    In Ihrem Fall liegen die Dinge aber etwas anders: Der Kunde hat in seiner Rolle als Versicherungsnehmer zunächst keine Reparatur über den WBW hinaus gewollt. Er hat nicht entschieden, das sei ihm die Zuzahlung wert. Er ist durch das unvollständige Gutachten in die Zuzahlungssituation hineingerutscht.

     

    Es gibt Rechtsprechung, die besagt, Kaskogutachten seien ausschließlich für die innere Willensbildung des Versicherers da. Deshalb könne der Versicherungsnehmer keine Rechte daraus herleiten.

     

    Wenn aber wie hier das Gutachten dem Versicherungsnehmer (oder als dessen Boten der Werkstatt) ausgehändigt wurde, überlässt es ihm der Versicherer für seine Entscheidungsfindung. Dann wird man zu dem Schluss kommen müssen: Der Versicherungsnehmer wird doch wohl auf den Gutachter des Versicherers vertrauen und seine Entscheidung auf das Gutachten des Versicherers stützen dürfen. Auf wen oder was soll er in der Situation denn sonst vertrauen?

     

    Vor diesem Hintergrund muss auch im Kaskorecht das Prognoserisiko in solchen Sonderfällen dem Versicherer zugeordnet werden.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Textbaustein 421: Reparatur- entpuppt sich als Totalschaden (K) → Abruf-Nr. 44291073
    Quelle: Ausgabe 10 / 2016 | Seite 10 | ID 44282835