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  • · Fachbeitrag · Fiktive Abrechnung

    Welcher Ort ist maßgeblich, wenn Haltersitz und regelmäßiger Standort nicht identisch sind?

    | Da meint man, es seien alle Fragen zur fiktiven Abrechnung vom BGH geklärt, da wird ein neues Fass aufgemacht. Immer häufiger erreichen UE Anfragen zu folgender Konstellation: Der Geschädigte möchte fiktiv abrechnen. Die Anschrift, unter der das Fahrzeug zugelassen ist, ist nicht identisch mit dem Ort, an dem es regelmäßig genutzt wird und an dem es verunfallte. Auf welchen Ort ist nun für die Bestimmung der Reparaturkosten bei der fiktiven Abrechnung abzustellen, mit welchen Stundenverrechnungssätzen ist zu kalkulieren? UE beantwortet die Frage nachfolgend. |

    Die Fallgruppen sind vielfältig

    Die Fallgruppen gibt es in jeder Geschmacksrichtung. Mal möchte der Geschädigte die üppigen „Halteradressen-Preise“, mal möchte er die üppigen „Schadenort-Preise“. Mal möchte der Versicherer die niedrigen „Halteradressen-Preise“, mal die niedrigen „Schadenort-Preise“. Das alles offenbar frei nach dem Motto „Recht ist, was mir nützt.“

     

    • Das Auto ist auf den Vater in der Provinz zugelassen, der Junior hat es mitgenommen an den Studien- und Schadenort München.
    • Die Weltfirma hat ihren Sitz in München, das Fahrzeug wird aber regelmäßig in der Lausitz genutzt.

     

    Im ersten Fall wir der Versicherer darauf bestehen, dass auf den Zulassungsort abgestellt wird. Im zweiten Fall wird er es umgekehrt sehen. Originell ist, wenn man beide Fälle mit demselben Versicherer auf dem Tisch hat und den Sachbearbeitern wechselseitig die Schreiben des Kollegen präsentiert.

    Bei der fiktiven Abrechnung stellt man sich Reparatur vor

    Aber nun ernsthaft: Die fiktive Abrechnung denkt sich die durchgeführte Reparatur. Alles, was die abzüglich der Mehrwertsteuer kosten würde, steht dem Geschädigten auch fiktiv zu.

     

    Entscheidend sind die Dispositionsfreiheit und die Ersetzungsbefugnis

    Dass man sich die Reparatur dort denkt, wo das Fahrzeug seinen regelmäßigen Standort hat, ist insbesondere bei nicht mehr fahrfähigen Fahrzeugen eine schlichte Selbstverständlichkeit. Denn der Betrag, den der Geschädigte vom Versicherer bekommt, muss im Hinblick auf die Dispositionsfreiheit und die Ersetzungsbefugnis ausreichen, um eine gedachte Reparatur zu finanzieren.

     

    • Steht der Student aus obigem Beispiel nun mit dem „Provinzbetrag“ in der Münchner Werkstatt, wird er nicht weit kommen, wenn er dort gemäß dem Gutachten umfassend und fachgerecht reparieren lassen möchte. Also wäre seine Dispositionsfreiheit und Ersetzungsbefugnis nur gewahrt, wenn das beschädigte Fahrzeug auf Kosten des Versicherers zur Reparatur in die Provinz verbracht und nach der Reparatur wieder zurücktransportiert würde. Man muss sich diese Transporte jedenfalls denken. Von der Unzumutbarkeit solcher Bemühungen abgesehen wird sich das selten rechnen.

     

    • Umgekehrt allerdings kann die Weltfirma aus München das Fahrzeug am Standort Lausitz problemlos für den Geldbetrag, der auf dortiger Grundlage kalkuliert wurde, reparieren lassen. Transportkosten müssen nicht aufgewendet werden. Dispositionsfreiheit und Ersetzungsbefugnis sind gewahrt.

     

    Ähnlich sah es das OLG Hamm beim Restwert

    Ein Restwertfall des OLG Hamm weist in diese Richtung. Der Versicherer wollte die Richtigkeit des Restwerts damit in Frage stellen, dass er nicht am Heimatort oder Geschäftssitz des Geschädigten ermittelt wurde. Damit sei der Restwert für den Geschädigten erkennbar falsch, und deshalb könne der Versicherer mit seinem Überangebot durchdringen.

     

    Dazu das Gericht: „Die Entscheidung des Klägers, die Abwicklung des Schadensfalls in J vorzunehmen, entsprach vielmehr wirtschaftlicher Vernunft, weil er andernfalls gehalten sein könnte, das verunfallte und nicht mehr fahrtüchtige Fahrzeug auf Kosten der Beklagten an seinen Wohnort oder ‒ was hier aufgrund der zumindest teilweisen geschäftlichen Nutzung des Fahrzeuges ebenfalls in Betracht kommt ‒ zum Sitz seines Vermessungsbüros im Bundesland Brandenburg zu überführen. Für die Annahme, dass ein wohnort- oder geschäftssitznaher Händler bereit wäre, das Fahrzeug ohne entsprechende Berücksichtigung der dadurch entstehenden Kosten bei der Kalkulation des Ankaufspreises am Unfallort abzuholen, fehlt ebenfalls jede Grundlage, vielmehr liegt dies bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise fern.“ (OLG Hamm, Urteil vom 11.12.2020, Az. 11 U 5/20, Abruf-Nr. 220918).

     

    Das Argument, den überörtlichen Aufkäufern sei der Standort des Fahrzeugs gleichgültig, zählt nicht, weil ja auf den lokalen Händler abzustellen ist.

    Fall mit Originalitätswert: Die Verweisung am falschen Ort

    Bei der fiktiven Abrechnung kann unter bestimmten Umständen (Fahrzeug älter als drei Jahre und nicht scheckheftgepflegt) auf eine andere Werkstatt verwiesen werden, die aber in erreichbarer Nähe sein muss. Regelmäßig stellen die Prüfberichtsersteller auf die Angaben im Fahrzeugschein ab. Im obigen Studentenfall wird dann auf eine Werkstatt in Heimatnähe verwiesen, die durchaus nah genug an Vaters Wohnort ist. Aber sie ist hunderte von Kilometern vom relevanten Ort entfernt.

     

    In einem Fall mit ähnlichen Kosten an beiden Orten hat das AG Freiburg entschieden: Wenn die Adresse, unter der der Geschädigte sein Fahrzeug angemeldet hat, und sein Aufenthaltsort weiter auseinanderliegen, muss der Geschädigte den gegnerischen Versicherer nicht ungefragt darauf hinweisen, damit der für die fiktive Abrechnung auf eine nahe gelegene Werkstatt verweisen kann (AG Freiburg, Urteil vom 24.04.2019, Az. 3 C 2476/18, Abruf-Nr. 208984).

    Quelle: Ausgabe 03 / 2022 | Seite 7 | ID 48028935