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  • · Fachbeitrag · Abschleppkosten/Verbringungskosten

    Abschleppkosten: Neuer Blickwinkel auf das alte Thema ‒ und was ist mit Verbringungskosten?

    | Eine Entscheidung des BGH zur Erstattung der Gutachtenkosten führt dazu, dass die Gerichte einen veränderten Blick auf die Abschleppkosten entwickeln. Auch auf die Verbringungskosten wird das bald durchschlagen. Derzeit beschränkt sich das auf die Vorgänge, bei denen der Abschleppunternehmer die Erstattung der Abschleppkosten (oder der Schadengutachter die Erstattung der Gutachtenkosten oder die Werkstatt die Erstattung der Verbringungskosten) aus abgetretenem Recht einklagt. |

    Geschädigter kann die Abschleppkosten nicht beeinflussen

    Bisher war die Leitentscheidung zur Erstattung der Abschleppkosten die des OLG Celle (Urteil vom 09.10.2013, Az. 14 U 55/13, Abruf-Nr. 133275):

     

    „Weil es sich um notwendige Begleitkosten zu dem handelt, was zur Wiederherstellung des Güterbestandes des Geschädigten geboten ist, trifft den Geschädigten vor der Beauftragung eines Abschleppunternehmens keine Erkundigungspflicht in dem Sinne, dass er sich zunächst nach dem preiswertesten Unternehmer auf dem Markt umzusehen hätte. Hierzu besteht zudem in der konkreten Unfallsituation mit dem Erfordernis einer zügigen Beseitigung der von dem verunfallten Fahrzeug ausgehenden Verkehrsbehinderungen regelmäßig gar nicht die Zeit.“

     

    Das bedeutet: Es kommt gar nicht auf die Höhe der Abschlepprechnung an, sondern nur auf die Frage, ob der Geschädigte in der konkreten Situation, in der er durch den Unfall war, eine Möglichkeit hatte, die Kosten zu beeinflussen. Das kann er fast nie. Denn oft ist er „in der Fremde“ und in einer Situation, die Marktforschung oder auch nur Preisvergleiche unmöglich macht.

     

    Stellt man sich einen Geschädigten vor, der auf der Autobahn den vom Polizisten dorthin beorderten Abschleppwagenfahrer um einen Kostenvoranschlag bittet, um diesen dann mit anderen Abschleppunternehmern via Mobiltelefon zu vergleichen und zu verhandeln, wird die Absurdität überdeutlich.

     

    Deshalb hat das AG Schwandorf sinngemäß entschieden: Benachrichtigt die Polizei ein örtliches Abschleppunternehmen, muss der Geschädigte nicht von einer Überhöhung der Kosten ausgehen. Zur Marktforschung vor der Beauftragung ist der Geschädigte nicht verpflichtet (AG Schwandorf, Urteil vom 02.06.2016, Az. 1 C 7/16, Abruf-Nr. 186385).

     

    Und das AG Neu-Ulm hat entschieden: Einwendungen gegen die Höhe der Abschlepprechnung können dem Geschädigten nur dann entgegengehalten werden, wenn ihn ein Auswahlverschulden bei der Beauftragung des Abschleppunternehmens trifft oder wenn die Rechnung auch für einen Laien offensichtlich überhöht erscheint. Dabei ist, wenn sich der Geschädigte und der Sachverständige sich nicht auf eine Vergütung geeinigt haben, die übliche Vergütung gemäß § 632 Abs. 2 BGB geschuldet (AG Neu-Ulm, Urteil vom 12.08.2014, Az. 7 C 676/14, Abruf-Nr. 142776).

     

    So und nur so ist der schadenrechtliche Blickwinkel. Und wenn der Geschädigte selbst den Versicherer verklagt, wird das voraussichtlich auch so bleiben. Das gilt erst recht, wenn er die Kosten bereits bezahlt hat, wie es ja beim Abschleppen häufiger vorkommt als bei anderen Schadenpositionen.

    Übertreibungen lassen das Pendel zurückschlagen

    Auf der Grundlage solcher Urteile gibt es jedoch immer wieder Übertreibungen: Wenn das so ist, denkt sich ein unseriöser Abschleppunternehmer, kann ich ja eigentlich jeden beliebigen Preis verlangen, der Geschädigte kann in seiner Situation ja nicht anders, als sich von mir an den Haken nehmen zu lassen. Aus anderen Situationen als der Unfallsituation kennt man das vom unseriösen Schlüsseldienst, der die Notsituation des Ausgesperrten ausnutzt.

     

    Das kann dazu führen, dass der Versicherer dem Geschädigten den in diesem gedachten Beispielsfall objektiv überhöhten Betrag für die Abschleppkosten erstatten muss, weil der Geschädigte keine Möglichkeit hatte, diese Kostenposition zu beeinflussen. Leitet der Geschädigte (oder dessen Anwalt) das Geld anschließend an den Geschädigten weiter, hat der Abschleppunternehmer mehr Geld bekommen, als ihm werkvertraglich zusteht.

     

    Das Regressthema lebt dann auf

    In den vergangenen Ausgaben hat UE wiederholt berichtet, dass Versicherer seit einigen Monaten dazu neigen, die Zahlung an den Geschädigten von einer Abtretung dessen Rückforderungsansprüchen gegen den Zahlungsempfänger abhängig zu machen. Auf der Grundlage einer solchen Abtretung fordert nun der Versicherer den (im Beispielsfall) objektiv überhöhten Betrag zurück. Im Zweifel wird er das auch gerichtlich durchsetzen können. Dann hat sich der überhöhte Anteil einmal mit viel Aufwand im Kreis gedreht.

     

    Vorwegnahme dieser Überlegung bei Klagen aus abgetretenem Recht

    Jedenfalls dann, wenn der Abschleppunternehmer (für die Beispiele Verbringung oder Gutachtenhonorar gilt dasselbe) die Kostenerstattung aus abgetretenem Recht einklagt, nimmt das der neue Rechtsprechungsgedanke des BGH nun vorweg.

     

    Im Leitsatz b heißt es: „Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter im Rahmen der Schätzung der Höhe dieses Schadensersatzanspruchs bei subjekt-bezogener Schadensbetrachtung gem. § 287 ZPO bei Fehlen einer Preisvereinbarung zwischen dem Geschädigten und dem Sachverständigen und Abtretung des Schadensersatzanspruchs an den Sachverständigen bei Erteilung des Gutachtenauftrages an die übliche Vergütung gem. § 632 Abs. 2 BGB anknüpft, denn der verständige Geschädigte wird unter diesen Umständen im Regelfall davon ausgehen, dass dem Sachverständigen die übliche Vergütung zusteht.“ (BGH, Urteil vom 28.02.2017, Az. VI ZR 76/16, Abruf-Nr. 193340).

     

    Wie sieht es werkvertraglich aus?

    Um das zu verstehen, muss man einen Blick in das Werkvertragsrecht werfen, und dort in den Paragrafen, der regelt, wieviel Werklohn verlangt werden kann.

     

    § 632 Abs. 2 BGB regelt ‒ auf das hier Relevante konzentriert ‒, dass der Werkunternehmer so viel berechnen darf, wie mit dem Kunden vereinbart. Ist nichts vereinbart, darf „das Übliche“, genauer das lokal Übliche berechnet werden.

     

    Der Abschleppvorgang ist in aller Regel nicht auf der Basis einer zuvor erfolgten Preisvereinbarung erfolgt. Der Abschleppunternehmer darf also „das Übliche“ berechnen. Folglich ist zu klären, wieviel Geld denn „das Übliche“ ist. Da wiederum hilft ein Blick in eine insoweit relevante Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2006:

     

    „Als übliche Vergütung kann vor diesem Hintergrund nicht nur ein fester Satz oder gar ein fester Betrag herangezogen werden. Sind die Leistungen einem als einheitlich empfundenen Wirtschaftsbereich zuzuordnen, wie es etwa bei Leistungen aus den Gewerken der Handwerker oder ‒ wie im vorliegenden Fall ‒ bei Sachverständigen der Fall sein wird, kann sich eine Üblichkeit im Sinne des § 632 Abs. 2 BGB auch über eine im Markt verbreitete Berechnungsregel ergeben. Darüber hinaus ist die übliche Vergütung regelmäßig nicht auf einen festen Betrag oder Satz festgelegt, sondern bewegt sich innerhalb einer bestimmten Bandbreite, neben die darüber hinaus aus der Betrachtung auszuscheidende und daher unerhebliche „Ausreißer“ treten können.“ (BGH, Urteil vom 04.04.2006, Az. X ZR 122/05, Rdnr. 10, Abruf-Nr. 061058).

     

    Für manche Themenfelder gibt es brauchbare statistische Erhebungen

    Also bedarf es einer Grundlage für die Ermittlung der Bandbreite. Im Abschleppbereich ziehen die meisten Gerichte dafür die Preis- und Strukturbefragung des Verbandes Bergen und Abschleppen in Wuppertal (VBA e. V.) heran. So hat es auch das LG Stuttgart im unten näher bezeichneten Urteil getan.

     

    Im werkvertraglichen Rahmen ist dann auch im schadenrechtlichen

    Es wird also nun im Rahmen des Schadenersatzprozesses ‒ entgegen früherer Handhabung ‒ ermittelt, wie viel der Abschleppunternehmer an den Abschleppkunden, im Kontext des Unfalls also an den Geschädigten, berechnen darf. Wenn der Abschleppunternehmer in diesem Rahmen geblieben ist, also etwas im Rahmen des Üblichen abgerechnet hat, ist auch schadenrechtlich alles klar.

     

    Was zu viel verlangt wird, kann nicht durchgesetzt werden

    Wenn er hingegen mehr als üblich abgerechnet hat, steht ihm der Mehrbetrag werkvertraglich nicht zu. Jedenfalls bei Klagen aus abgetretenem Recht ist dann nach der Logik des BGH in der Entscheidung über die Erstattung der Gutachtenkosten der Schaden auch nicht höher.

     

    Zwar mag der Abschleppunternehmer den überhöhten Betrag vom Geschädigten fordern, doch er könnte sich damit eben nicht durchsetzen. Und deshalb ist der Geschädigte mit diesem Betrag zwar formal, aber nicht mit Substanz belastet.

     

    Die Tatsache, dass der Abschleppunternehmer aus abgetretenem Recht klagt, zeigt ja auch klar und deutlich, dass er jedenfalls derzeit das Geld gar nicht vom Kunden verlangt. Das veranlasst den BGH nun, die eigentlich erst später im Regressprozess zu klärende Frage, ob der Abschleppunternehmer zu viel verlangt, in den Aktivprozess um den Schadenersatz vorzuziehen.

     

    Wer sich bisher hinter dem Schadenrecht versteckte und auf dieser Basis auch überhöhte Beträge durchsetzen wollte, wird nun empört sein, dass der Pfad der „reinen Lehre“ verbreitert wurde. Wer akzeptiert, dass er im Wege der Abtretung schadenrechtlich nicht mehr verlangen kann, als ihm werkvertraglich zusteht, wird damit leben können.

    Der Streit wird sich auf die Üblichkeitsermittlung verlagern

    Es bedarf keiner großen Phantasie, um nun zu prognostizieren, dass sich der Streit auf die Ermittlung der Üblichkeit verlagern wird. Die bereits angedeutete Entscheidung des LG Stuttgart zeigt überdeutlich, dass ein Versicherer für unüblich hielt, was sich als völlig üblich erwiesen hat.

     

    Gemessen an der Erhebung des VBA e.V. lag die Abrechnung des Abschleppunternehmers völlig im Rahmen. Wie das Gericht im Einzelnen vorgegangen ist, lässt sich im Urteil nachlesen (LG Stuttgart, Urteil vom 07.12.2017, Az. 5 S 293/16, Abruf-Nr. 199740).

     

    Das Urteil zeigt aber auch ein Risiko: Die Durchschnitts-Falle

    Das Stuttgarter Urteil zeigt aber auch ein Problem auf: Das Gericht hat aus der VBA e.V.-Erhebung die Durchschnittswerte gebildet. Die vom konkreten Abschleppunternehmer berechneten Preise lagen unterhalb des Durchschnitts und wurden damit werkvertraglich und folglich schadenrechtlich durchgewunken.

     

    Was wäre aber gewesen, wenn die Preise innerhalb der Bandbreite, aber über dem Durchschnitt gelegen hätten? Nach unserer festen Überzeugung kann der Durchschnitt nicht die Obergrenze sein. Das legt schon das oben wiedergegebene Zitat aus der werkvertraglichen Entscheidung des BGH nahe, das auf die Bandbreite abstellt.

     

    Aber auch eine logische Überlegung führt dahin: Wäre der Durchschnitt die Obergrenze, gäbe es sofort einen neuen Durchschnitt, der dann die neue Obergrenze wäre. Das Gesetz hingegen stellt auf das Übliche und nicht auf den Durchschnitt des Üblichen ab.

     

    Das Urteil sagt auch an keiner Stelle, dass der Durchschnitt die Obergrenze darstelle. Doch Versicherer werden behaupten, dass das so sei, denn das Gericht habe ja gefragt, ob die berechneten Kosten den Durchschnitt unterschreiten. U. E. kann die Bandbreite ausgeschöpft werden.

     

    Die Üblichkeitsermittlung bei den anderen Themen

    Bei den Sachverständigenkosten hat sich trotz heftigen Schimpfens mancher Nichtmitglieder die Erhebung des Verbandes BVSK bei den Gerichten durchgesetzt.

     

    Für die Verbringungskosten, die Stand heute auch weit überwiegend ohne vorherige Vereinbarung berechnet werden, gibt es noch keine allgemein akzeptierte Erhebung.

     

    Das alles gilt nur, wenn keine Vereinbarung getroffen wurde

    Die oben beschriebene Rechtsprechung gilt, so hat es der BGH gesagt, bei den Klagen aus abgetretenem Recht nur, wenn es keine Preisvereinbarung gibt und deshalb der Weg über § 632 Abs. 2 Alt. 3 BGB, also der über die Üblichkeit gegangen wird.

     

    Folglich stellt sich die Frage, ob Preisvereinbarungen angestrebt werden sollen, soweit das praktikabel ist. Ob das in der Abschleppsituation überhaupt funktionieren kann, ist zweifelhaft. Das gilt umso mehr, als dass bei der heutigen Art der Fahrzeugnutzung häufig nicht der Geschädigte selbst am Steuer sitzt. Bei allen Firmenfahrzeugen ist das eher ein nicht vertragsabschlussberechtigter Mitarbeiter.

     

    Verbringungskosten hingegen können gut in eine Preisliste aufgenommen werden. Dann wird mit dem Auftrag die Geltung der ausgehängten Preise vereinbart.

     

    Folglich kommt es auf die Üblichkeitsfrage nicht mehr an. Aber auch das soll nicht heißen, dass auf diesem Weg über die Maße viel berechnet wird. Jedoch wird der Rechtsstreit um die Verbringungskosten nicht durch die Frage nach der Üblichkeit und dem Risiko von Durchschnittsbetrachtungen aufgebläht.

    Was heißt das alles für die sonstigen Schadenpositionen?

    Um die sonstigen Schadenpositionen muss man sich nach heutigem Stand der Dinge keine Sorgen machen. Denn der Reparaturumfang (Beilackierung & Co …) basiert ja auf klarer Vereinbarung, wenn die Positionen im Schadengutachten notiert waren und der Auftrag auf „Reparatur gemäß gutachterlicher Vorgabe“ lautet. Üblichkeitsfragen stellen sich da nicht.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Beitrag „So wehren Sie willkürliche Kürzungen der Versicherer bei Verbringungskosten erfolgreich ab“→ Abruf-Nr. 44800629
    • Übersicht „Verbringungskosten in Reparaturrechnung und Gutachten: Versicherer muss in voller Höhe erstatten“ → Abruf-Nr. 44799232
    • Sonderausgabe „Reparatur laut Gutachten und der Regress gegen SV - zwei Seiten einer Medaille“ → Abruf-Nr. 44788680
    Quelle: Ausgabe 03 / 2018 | Seite 10 | ID 45152502