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  • · Fachbeitrag · Abschleppkosten

    Abschleppkosten und Abschleppkostenregress

    | Dass auch die Abschleppkosten im Fokus der Versicherer stehen, verwundert nicht. Zum einen wird bei jeder Schadenposition zu sparen versucht. Zum anderen gibt es tatsächlich einige unseriöse Abschleppunternehmer, die die Notlage der Unfallopfer ausnutzen. Jedenfalls bei seriöser Abrechnung ist nur selten Raum für einen Regress des Versicherers gegen den Abschleppunternehmer aus abgetretenem Recht. |

    Der Geschädigte kann die Kosten nicht beeinflussen

    Die Gerichte sind bei Haftpflichtschäden in aller Regel auf dem richtigen Kurs: Die Abschleppsituation ist fast immer eine Not- und Eilsituation, die dem Geschädigten keine Chance lässt, im Vorfeld der Beauftragung des Abschleppunternehmers die Preise zu vergleichen.

     

    So heißt es beim OLG Celle: „Weil es sich um notwendige Begleitkosten zu dem handelt, was zur Wiederherstellung des Güterbestandes des Geschädigten geboten ist, trifft den Geschädigten vor der Beauftragung eines Abschleppunternehmens keine Erkundigungspflicht in dem Sinne, dass er sich zunächst nach dem preiswertesten Unternehmer auf dem Markt umzusehen hätte. Hierzu besteht zudem in der konkreten Unfallsituation mit dem Erfordernis einer zügigen Beseitigung der von dem verunfallten Fahrzeug ausgehenden Verkehrsbehinderungen regelmäßig gar nicht die Zeit.“ (OLG Celle, Urteil vom 09.10.2013, Az. 14 U 55/13, Abruf-Nr. 133275).

     

    Was nicht geht, ist auch keine Pflicht. Also muss der Geschädigte vor der Beauftragung keinen Preisvergleich anstellen (ebenso AG Stade, Urteil vom 10.01.2012, Az. 61 C 946/11, Abruf-Nr. 120729 sowie LG Hof, Urteil vom 09.02.2016, Az. 22 O 81/15, Abruf-Nr. 146405).

     

    Das AG Neu-Ulm sagt: „Da die Geschädigte die üblichen Abschleppkosten gem. § 632 Abs. 2 BGB zu erstatten hat, können Einwendungen gegen die Höhe der Abschlepprechnung nur dann entgegen gehalten werden, wenn den Geschädigten ein Auswahlverschulden bei der Beauftragung des Abschleppunternehmens trifft.“ (AG Neu-Ulm, Urteil vom 12.08.2014, Az. 7 C 676/14, Abruf-Nr. 142776).

     

    Und das AG Schwandorf ergänzt sinngemäß: Benachrichtigt die Polizei ein örtliches Abschleppunternehmen, muss der Geschädigte nicht von einer Überhöhung der Kosten ausgehen. Zur Marktforschung vor der Beauftragung ist der Geschädigte nicht verpflichtet (AG Schwandorf, Urteil vom 02.06.2016, Az. 1 C 7/16, Abruf-Nr. 186385).

     

    Zusammengefasst heißt das: Abschleppkosten sind grundsätzlich in vollem Umfang zu erstatten, es sei denn, dass eine Überhöhung für den Laien erkennbar war und ihn ein Auswahlverschulden trifft (AG Nürnberg, Urteil vom 09.11.2017, Az. 37 C 3441/17, Abruf-Nr. 198373).

    Erstattung gegen Abtretung von Rückforderungsansprüchen

    Wie man das von den Reparaturkosten inzwischen auch kennt, gehen einzelne Versicherer dazu über, die Abschleppkosten nur dann an den Geschädigten zu erstatten, wenn der im Gegenzug eine Abtretung seiner Rückforderungsansprüche wegen Rechnungsüberhöhung an den Versicherer erklärt.

     

    Eine solche Abtretung kann der Versicherer wohl verlangen, weil die Rechtslage der bei den Reparaturkosten entspricht. Der Anspruch auf die Abtretung ergibt sich dann aus dem alten und noch immer gültigen Urteil des BGH (Urteil vom 29.10.1974, Az. VI ZR 42/73). Für den Anspruch auf die Abtretung kommt es nach überwiegender Auffassung in der Rechtsprechung nicht darauf an, ob die Abschleppkosten tatsächlich überhöht sind. Das ist dann ggf. im Prozess um die Rückforderung zu klären.

     

    Zunehmend verklagen einzelne Versicherer die Abschleppunternehmer tatsächlich auf Rückzahlung von Teilen der Abschleppkosten. Dabei wird häufig dieselbe Kanzlei eingeschaltet, deren Standardargumente im Folgenden durchleuchtet werden.

     

    Es geht um Werkvertragsrecht

    Der Streit um die Rückforderung ist Werkvertragsrecht pur. Die These des Versicherers: Der Abschleppunternehmer hat zu viel Werklohn berechnet. Der Geschädigte hat ‒ letztlich mit dem Geld des Versicherers ‒ zu viel Werklohn bezahlt. Dieses Zuviel fordert der Versicherer zurück. Also kommt es nur auf eine einzige Frage an: War der Werklohn wirklich überhöht?

     

    PRAXISTIPP | Die nachfolgenden Erwägungen können Sie daher für Ihre Preisgestaltung im Vorfeld wie auch für die Regressabwehr im Nachhinein verwenden.

     

    Standardargument: Zu großes und zu teures Abschleppfahrzeug

    Ein Standardargument der Regressklage lautet: Der Abschleppunternehmer ist mit einem viel zu großen Transportfahrzeug gekommen. Ein kleineres und billigeres hätte genügt.

     

    Die These, der Abschleppunternehmer habe ein zu großes und teures Abschlepptransportfahrzeug genommen, mag im Einzelfall richtig sein, wenn man nur die vorhandene Nutzlast des Abschlepptransportfahrzeugs mit der benötigten Nutzlast vergleicht.

     

    Jedoch kann von einem Abschleppunternehmer nicht erwartet werden, dass er eine Kollektion von verschiedenen Abschleppfahrzeugen vorhält, damit bei den in der Regel eilbedürftigen Abschleppvorgängen immer ein maßgeschneidertes Abschleppfahrzeug greifbar ist.

     

    Eine Familie mit Kindern hat einen fünfsitzigen Wagen, obwohl oft nur eine Person darin sitzt, aber manchmal eben alle Sitze gebraucht und deshalb vorgehalten werden. Gleiches gilt für den Kofferraum (und damit für die Gesamtgröße des Wagens), der für die große Urlaubsreise bemessen wird, obwohl er die meiste Zeit des Jahres fast leer ist. Und so hat jedenfalls ein kleinerer Abschleppunternehmer sein Fahrzeug danach ausgesucht dass er von Groß bis Klein alles abschleppen kann. Dass er dann oft „zu kleine“ Ladung transportiert oder andersherum betrachtet mit einem zu großen Fahrzeug kommt, liegt in der Natur der Sache.

     

    Im Übrigen sind die Anrufe, mit denen er an die Unfallstelle beordert wird, selten so geartet, dass der Anrufer das aktuelle Gesamtgewicht des aufzuladenden Fahrzeugs durchgibt.

     

    • Käme der Abschleppunternehmer dann mit 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht daher, muss schon der SUV stehengelassen werden.
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    • Und der vollgepackte Groß-SUV oder der vollgepackte Vito oder VW-Bus überfordern ggf. auch schon den 7,5-Tonner. Denn die Nutzlast ist oftmals wegen des Gewichts der Ausstattung des Transportfahrzeugs (Seilwinde, Hubbrille, Hydraulikanlage für das Schiebeplateau, Doppelkabine etc.) niedriger, als der Laie meint.

     

    Die Anfahrtspauschale des Handwerkers kann auch nicht heruntergerechnet werden, weil er mit dem Transporter kam, obwohl der undichte Wasserhahn mit Rohrzange und Hanf ausgewechselt werden konnte oder die zehn Rollen Tapete und die Leiter in einen kleineren Transporter gepasst hätten.

     

    Weiteres Standardargument: Preise oberhalb der VBA-Erhebung

    Das weitere immer wiederkehrende Argument bezieht sich auf die jeweiligen Verrechnungssätze. Wenn ein Preis nicht zuvor vereinbart wurde, darf der Werkunternehmer nach der Regelung in § 632 Abs. 2 BGB „das Übliche“ berechnen. Also muss man wissen, was denn „das Übliche“ ist.

     

    Im Bereich der Abschleppleistungen hat sich als Orientierungshilfe die Preis- und Strukturumfrage des Verbandes Bergen und Abschleppen VBA e. V. in Wuppertal durchgesetzt. Auf die bezieht sich auch jeweils die Anwaltskanzlei in den Regressklagen.

     

    Diese gut gemachte Leistung des Verbands beinhaltet per Umfrage ermittelte Beträge für so ziemlich jede Leistung, die es rund um das Bergen und Abschleppen gibt.

     

    Das beginnt bei den Stundenpreisen für Fahrzeug und Personal sowie Aufschlägen für Spät-, Nacht- und Wochenenddienst, geht über den Einsatz von Hilfen wie Radrollern oder ähnlichem und endet bei den Preisen für pure Transportleistungen, etwa dann, wenn das an der Unfallstelle aufgesammelte Fahrzeug anschließend zur Heimatwerkstatt des Geschädigten geschleppt wird (siehe dazu unser Hinweis am Endes des Beitrages).

     

    Wichtig | Allerdings verschweigt die Kanzlei in den Rückforderungsprozessen etwas ganz Wesentliches, worauf dann Ihr Anwalt aufmerksam machen muss: In den Erläuterungen zu dieser Preisbefragung steht glasklar geschrieben: „Alle Stundenverrechnungssätze sind statistische Mittelwerte“.

    Durchschnitt ist nicht dasselbe wie üblich

    Durchschnittsbeträge haben aber nur wenig mit der Frage der Üblichkeit zu tun. Denn ein Durchschnitt setzt sich immer aus einer Bandbreite zusammen, und ein Durchschnittsbetrag setzt zwingend voraus, dass es höhere und niedrigere Einzelbeträge gibt. Sonst wäre es kein Durchschnittsbetrag.

     

    Der Traum der Versicherer ist es natürlich, dass der Durchschnitt die Obergrenze sein soll. Wenn dann in Zukunft niemand mehr einen höheren Betrag berechnet, führt das in der nächsten Umfrage zu einem niedrigeren Durchschnitt. Der soll dann abermals die Obergrenze sein, und am Ende erinnert man sich an das schöne Märchen von „Hans im Glück“. So ist es aber nicht.

     

    Jedenfalls Beträge, die nicht allzu weit vom Durchschnitt entfernt sind, sind üblich. In einem aktuellen Verfahren z. B. ist der sich aus der Umfrage ergebende Durchschnittsbetrag 350 Euro, berechnet wurden 390 Euro. Das liegt gewiss noch im Rahmen. Irgendwo wird ein Unternehmer nur 310 Euro berechnen, und daraus ergibt sich der Durchschnittsbetrag.

     

    Mit leisem Spott sagt das AG Iserlohn in einem vergleichbaren Zusammenhang: „Maßgebend dafür ist, dass im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft jedes Unternehmen seine Preise selbst festlegen darf, ohne zuvor ein Einvernehmen mit einem gegnerischen Haftpflichtversicherer festzulegen.“ (AG Iserlohn vom 02.01.2019, Az. 41 C 254/18, Abruf-Nr. 206541).

     

    Ausreißerpreise hingegen wären außerhalb des Üblichen. So sagt der BGH in einem Urteil, in dem es um Sachverständigenhonorar ging:

     

    „Als übliche Vergütung kann vor diesem Hintergrund nicht nur ein fester Satz oder gar ein fester Betrag herangezogen werden. Sind die Leistungen einem als einheitlich empfundenen Wirtschaftsbereich zuzuordnen, wie es etwa bei Leistungen aus den Gewerken der Handwerker oder ‒ wie im vorliegenden Fall ‒ bei Sachverständigen der Fall sein wird, kann sich eine Üblichkeit im Sinne des § 632 Abs. 2 BGB auch über eine im Markt verbreitete Berechnungsregel ergeben. Darüber hinaus ist die übliche Vergütung regelmäßig nicht auf einen festen Betrag oder Satz festgelegt, sondern bewegt sich innerhalb einer bestimmten Bandbreite, neben die darüber hinaus aus der Betrachtung auszuscheidende und daher unerhebliche ‚Ausreißer‘ treten können.“ (BGH, Urteil vom 04.04.2006, Az. X ZR 122/05, Rz. 10, Abruf-Nr. 061058).

     

    FAZIT | Wer sich also an den Beträgen der Preis- und Strukturumfrage des Verbandes Bergen und Abschleppen VBA e. V. orientiert, hat weiterhin Spielräume. Das gilt umso mehr, wenn seit der Umfrage schon Zeit vergangen ist und Preiserhöhungen folgten. Aktuell legt die Kanzlei die Umfrage aus 2018 vor. Und wer in diesem Rahmen liegt, ist auch regresssicher.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Textbaustein 494 Abschleppkosten auch werkvertraglich angemessen (H), ue.iww.de → Abruf-Nr. 46419100
    Quelle: Ausgabe 04 / 2020 | Seite 12 | ID 46410426