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  • 19.03.2012 · IWW-Abrufnummer 120883

    Landgericht Dessau-Roßlau: Urteil vom 07.10.2011 – 4 O 8/11

    Bei behördlich genutzten Fahrzeugen kann die entfallende Nutzungsmöglichkeit einen ersatzfähigen Schaden darstellen, wenn der Eigentümer auf die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges verzichtet, aber eine fühlbare wirtschaftliche Beeinträchtigung vorliegt. Die Höhe derzuzubilligenden Nutzungsentschädigung richtet sich nicht notwendig nach der Tabelle Sanden/Danner/Küppersbusch, wenn im Einzelfall für die Schadensberechnung erhebliche Gesichtspunkte hinzutreten, die die Tabelle nicht angemessen abbildet.


    4 O 8/11
    A. Problemstellung

    Das LG Dessau-Roßlau befasst sich mit dem Nutzungsausfall für ein Notarztfahrzeug (Audi A6Avant).

    B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
    Bei einem Verkehrsunfall am 07.03.210, für den der Versicherungsnehmer der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung B. zu 100% einstandspflichtig ist, wurde das dem Kläger K. gehörende Notarztfahrzeug beschädigt. Neben weiteren Schadenersatzpositionen regulierte B. den Nutzungsausfall für die Dauer der sechstägigen Reparatur mit 79 Euro/Tag.

    K. verlangt Nutzungsausfall in Höhe von 200 Euro/Tag mit der Begründung, die Tabellen Sanden/Danner/Küppersbusch seien für Notarztfahrzeuge nicht einschlägig, angemessen sei eine Entschädigung von 60% der fiktiven Mietwagenkosten (die von K. mit 375 Euro/Tag – ungekürzt – angegeben werden).

    Das Landgericht hat unter Klageabweisung im Übrigen weiteren Nutzungsausfall in Höhe von 315Euro (tgl. 131,50 Euro anstelle von 79 Euro) zugesprochen.

    C. Kontext der Entscheidung

    I. Auch bei Beschädigung eines behördlichen genutzten Fahrzeuges kann die entfallende Nutzungsmöglichkeit einen ersatzfähigen Schaden darstellen.

    1. Nutzungsersatz kommt nur für einen der vermögensmehrenden, erwerbswirtschaftlichen Verwendung des Wirtschaftsgutes vergleichbaren eigenwirtschaftlichen, vermögensmäßig erfassbaren Einsatz der betreffenden Sache in Betracht (BGH, Beschl. v. 13.12.2011 - VI ZA 40/11). Eine Entschädigung für zeitweise entzogene Gebrauchsvorteile (Nutzungsausfall) fällt auch bei gewerblich genutzten Fahrzeugen, Behördenfahrzeugen oder Fahrzeugen gemeinnütziger Einrichtungen dann an, wenn sich deren Gebrauchsentbehrung nicht unmittelbar in einer Minderung des Gewerbeertrages (entweder in entgangenen Einnahmen oder über die mit der Ersatzbeschaffung verbundenen Unkosten) niederschlägt (BGH, Urt. v. 04.12.2007 - VI ZR 241/06 - VersR 2008, 369).

    Bei einem Ausfall eines Rettungswagens kann die entfallene Nutzungsmöglichkeit einen ersatzfähigen Schaden darstellen, wenn der Eigentümer auf die kostenintensivere Anmietung eines Ersatzfahrzeuges verzichtet (OLG München, Urt. v. 25.01.1990 - 24 U 266/89 - NZV 1990, 348; OLG Naumburg, Urt. v. 26.02.2009 - 1 U 76/08 - NJW-RR 2009, 1187; OLG Naumburg, Urt. v. 13.03.2008 -1 U 44/07 - NZV 2008, 464; LG Dessau-Roßlau, Urt. v. 07.10.2011 - 4 O 8/11).

    2. Anspruch wegen Entziehung der Nutzungsmöglichkeit (Mietwagenersatz, Nutzungsausfall, Verdienstausfall) setzt Nutzungsmöglichkeit und Nutzungswillen voraus (OLG Köln, Urt. v. 24.02.2005- 7 U 118/04 - DAR 2005, 286; OLG Stuttgart, Urt. v. 16.11.2004 - 10 U 186/04 - NZV 2005, 309).Wäre das Fahrzeug während der Reparaturzeit nicht eingesetzt worden, bestünde kein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung (BGH, Urt. v. 26.03.1985 - VI ZR 267/83 - VersR 1985, 736). Die Darlegungs- und Beweislast für die Beeinträchtigung durch die entfallene Nutzungsmöglichkeit und den erforderlichen Nutzungswillen trägt der Geschädigte (OLG Hamm, Urt. v. 23.02.2006 - 28 U164/05); K. hatte Notarzteinsätze während der Reparaturzeit dargetan.

    II Der Schadensersatz orientiert sich nicht an unkontrollierbaren subjektiven Wertschätzungen, sondern an Werten, die der Verkehr dem Interesse an der konkreten Nutzung beimisst (LG Köln, Urt. v.01.02.2011 - 9 S 378/10 - Schaden-Praxis 2011, 294).

    Das Gericht darf in geeigneten Fällen zur Schadenschätzung Listen und Tabellen heranziehen, solange keine berechtigten Zweifel (dazu BGH, Urt. v. 17.05.2011 - VI ZR 142/10 - VersR 2011,1026; BGH, Urt. v. 14.10.2008 - VI ZR 308/07 - VersR 2008, 1706) an deren Eignung und Brauchbarkeit bestehen (dazu Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl., 2012, §249 BGB Rn. 358 ff., m.w.N.). Grundsätzlich sind die Tabellen Sanden/Danner/Küppersbusch solche geeigneten Tabellen (BGH, Urt. v. 25.01.2005 - VI ZR 112/04 - VersR 2005, 570 ; BGH, Urt. v.23.11.2004 - VI ZR 357/03 - VersR 2005, 284; BGH, Urt. v. 20.10.1987 - X ZR 49/86 - NJW 1988,484; BGH, Urt. v. 18.05.1971 - VI ZR 52/70 - NJW 1971, 1692).

    III. Bei besonderer Sachlage (z.B. Ausfall eines Spezialfahrzeuges) kann vom typischen Entschädigungssatz der Tabellen Sanden/Danner/Küppersbusch abgewichen werden und stattdessen ein pauschalierter Betrag in Höhe von 60% der fiktiven Kosten einer Ersatzfahrzeuganmietung angenommen werden (LG Dessau-Roßlau, Urt. v. 07.10.2011 - 4 O 8/11 – unter Hinweis auf Reitenspiess, DAR 1993, 142; vgl. ergänzend OLG Hamm, Urt. v. 03.03.2004 - 13 U 162/03 - VersR2004, 1572).

    Der Kläger hatte danach einen rechtlich gebilligten Ausgangspunkt gewählt. Allerdings zeigte sich im Verlaufe des Prozesses nach Vorlage der Rahmenverträge, dass vom Kläger falsche (zu hohe)fiktive Mietpreise angegeben wurden. Nicht zuletzt wurde die degressive Preisstaffel bei Anmietung über mehrere Tage außer Acht gelassen, was letztlich zur teilweisen Klageabweisung führte.

    D. Auswirkungen für die Praxis

    Auch bei Spezialfahrzeugen kann grundsätzlich Nutzungsausfall anfallen.

    Der Höhe müssen dann nicht die Tabellen Sanden/Danner/Küppersbusch zugrundeliegen. Wird aber mit einem Prozentsatz von fiktiven Mietkosten gerechnet, bedürfen die diesbezüglichen Angaben des Anspruchstellers genauer Überprüfung.

    Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass ein Notarzteinsatzfahrzeug mit Blaulichtanlage und Signalhorn nicht auf einen gewerblichen Autovermieter zugelassen werden darf (vgl. § 52Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 55 Abs. 3 Satz 1 StVZO) (OVG Hamburg, Urt. v. 02.11.2010 - 3 Bf 82/09 -VRS 120, 226; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, § 249 BGB Rn. 205). Ob die Rahmenverträge im konkreten Fall dem Rechnung getragen haben, wurde nicht geprüft.

    RechtsgebietStVZOVorschriften§ 52 StVZO, § 55 StVZO