08.01.2010
Finanzgericht München: Urteil vom 19.11.1999 – 13 K 2024/99
1. Die frühere Praxis der Kirchensteuerämter, im Falle der Einkommensbesteuerung tarifbegünstigter Veräußerungsgewinne 50 % der darauf entfallenden Kirchensteuer automatisch -ohne Einzelfallprüfung der Sach- und Rechtslage- zu erlassen, war zumindest rechtlich fragwürdig.
2. Dass diese Praxis aufgegeben wurde und nun bei entsprechenden Erlassanträgen eine Einzelfallprüfung nach den Kriterien des § 227 AO stattfindet, bedeutet keinen Verstoß gegen die Gleichmäßigkeit der Besteuerung; vielmehr wäre ein „Rückfall in die frühere Erlassautomatik” ein eindeutiger Ermessensfehlgebrauch und somit ein Verstoß gegen § 227 AO 1977.
IM NAMEN DES VOLKES hat das Finanzgericht München, 13. Senat, durch den Richter am Finanzgericht ... als Einzelrichter aufgrund mündlicher Verhandlung vom 19. November 1999
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der verheiratete Kläger war aufgrund der vom zuständigen Finanzamt mit den Konfessionsmerkmalen „rk/rk” übermittelten Besteuerungsgrundlagen für das Jahr 1996 zusammen zur Kircheneinkommensteuer zu veranlagen.
Der Beklagte (das Katholische Kirchensteueramt -KiStA-) setzte mit Bescheid vom 4. September 1998, auf der Basis der nach § 51 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf 145.224 DM geminderten Einkommensteuer (ESt), die Kirchensteuer (KiSt) auf 11.617,92 DM fest. Nach Anrechnung der für diesen Zeitraum geleisteten Ki-Lohnsteuer von 3.697,12 DM ergab sich danach eine gerundete Restschuld von 7.920,80 DM. Mit berichtigtem KiSt-Bescheid vom 3. Februar 1999 hat sich das KiSt-Soll auf 11.517,60 DM und entsprechend auch die Restschuld auf 7.820,40 DM reduziert.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 1998 beantragte der Kläger einen Teilerlaß der KiSt von 50 %, soweit die Steuer auf nach § 34 EStG tarifbegünstigten Einkünften beruhte. Gleichzeitig legte er, zur Kenntnisnahme des aus außerordentlichen Einkünften resultierenden Steueranfalls bzw. Bemessung des Teilerlasses, eine Kopie des zwischenzeitlich geänderten ESt-Bescheids 1996 vom 29. Oktober 1998 vor. Als Begründung trug er vor, daß durch die Veräußerung eines Teils (22 %) seiner Beteiligung an der Steuerberatungsgesellschaft eine außerordentliche Steuer angefallen sei, die einen Billigkeitserlaß rechtfertige. So habe ein Teil des Veräußerungserlöses zur Deckung der Steuerbelastung verwendet werden müssen. Darüber hinaus diene dieser der Altersversorgung, die durch diese Steuerbelastung erheblich geschmälert werde. Die KiSt-Verpflichtung stelle für ihn eine erhebliche finanzielle Härte dar.
Mit Schreiben vom 6. November 1999 hat das KiStA unter Anführung der auch für einen KiSt-Erlaß anzuwendenden abgabenrechtlichen Bestimmungen das Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen für den beantragten Teilerlaß verneint und sich hierbei, wegen der engen Verknüpfung beider Steuern auch auf die Behandlung der KiSt begründenden Maßstabsteuer durch das Finanzamt bezogen. Zur näheren Darlegung der finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse wurde dem Kläger ein Fragebogen übermittelt.
Dieser hat mit seiner hierzu am 10. November 1998 eingegangenen Stellungnahme zur ablehnenden Haltung des KiStA ausgeführt, daß in gleichgelagerten Fällen bereits 50 % Teilerlaß gewährt worden sei und sich hierzu auch auf Entscheidungen anderer KiStÄ sowie gerichtliche Urteile berufen. Außerdem verwies er auf die Praxis eines Erlasses entsprechend dem Beschluß der Steuerkommission der beiden Kirchen, der eine „besondere Ermäßigung der Kirchensteuerschuld bis zu 50 %” vorsehe, sofern in Anwendung des § 227 der Abgabenordnung (AO) Billigkeitsgründe zu berücksichtigen seien. Da dies mittlerweile im Normalfall zu einer 50 %igen Reduzierung der KiSt geführt habe, verlange auch er eine Gleichbehandlung. Ein Erlaß sei daher aus seiner Sicht keineswegs unbillig. Der Fragebogen zur Einkommens- und Vermögenssituation wurde jedoch nicht zurückgeschickt, der Erlaßantrag nunmehr allein auf sachliche Gründe eingeschränkt.
Das KiStA hat mit Ablehnungsbescheid vom 16. November 1998 den Antrag formell als unbegründet zurückgewiesen und in der Begründung nochmals die rechtlichen Anforderungen für eine Billigkeitsmaßnahme nach der AO herausgestellt. Nach dem gegebenen Sachverhalt seien keinerlei Anhaltspunkte erkennbar, die einen Teilerlaß aus sachlichen oder persönlichen Gründen rechtfertigen könnten.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 30. November 1998 Einspruch ein. Er berief sich neuerlich auf die betreffende „Richtlinie” der Steuerkommissionen der Diözesen Deutschlands und der EKD und das Gebot, gleiche Sachverhalte auch gleich zu behandeln. Nach seiner Meinung führe die Rückkehr zur Einzelfallprüfung zu deren Nichtbeachtung und damit zur Rechtswidrigkeit des Ablehnungsbescheides.
Mit der am 9. April 1999 per PZU zugestellten Einspruchsentscheidung (EE) vom 8. April 1999 hat das KiStA den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Es verwies auf einen Beschluß der Finanzdirektionen der Erzdiözesen Bayerns vom 6. Februar 1998 (Bl. 7 f. FG-Akte), wonach Erlaßanträge in Fällen des § 34 Abs. 2 EStG künftig strikt nach den Vorgaben des § 227 AO behandelt werden sollen.
Mit seiner Klage hält der Kläger weiterhin daran fest, daß die auf den Veräußerungsgewinn entfallende KiSt zu 50 % zu erlassen sei. Er wiederholt im wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und beruft sich u.a. auf ein Protokoll der 38. Gemeinsamen Sitzung der Steuerkommissionen des Verbandes der Diözesen Deutschlands und der EKD in Marienheide am 6./7. Mai 1992. wonach der in Schwerte 1972 gefaßte Beschluß durch die Praxis weitgehend überholt sei. Die Ermessensentscheidung habe sich für den Normalfall auf eine 50 %-Entscheidung reduziert. ”...; Die Sitzungsteilnehmer sprechen sich dafür aus, eine verbleibende KiSt um 50 v.H. zu reduzieren.” Das KiStA habe sich jahrelang dieser Praxis angeschlossen. Sowohl nach dem Steuerrecht als auch dem Grundgesetz (GG) habe er einen Anspruch auf Gleichbehandlung. Wegen weiterer Einzelheiten verweist der Einzelrichter auf die Schriftsätze vom 2. Mai und 9. August 1999.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Ablehnungsverfügung vom 16. November 1998 und der EE vom 8. April 1999 das KiStA zu verpflichten, die KiSt 1996 i.H.v. 4.215 DM zu erlassen; hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Das KiStA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es tritt im Schriftsatz vom 27. Juni 1999 der Argumentation des Klägers entgegen. Vorgelegt wird eine Anweisung des Bischöflichen Ordinariats anläßlich einer Sitzung vom 10. Februar 1998, wonach das KiStA eine Ermäßigung der KiSt von bis zu 50 % „nur nach Prüfung des Einzelfalls zu gewähren” hat. Dabei sei „unbedingt erforderlich, daß in entsprechender Anwendung des § 227 AO Billigkeitsgründe vorliegen” (Bl. 19 FG-Akte).
II.
Die Klage ist unbegründet.
1. Zu Recht hat das KiStA einen Teilerlaß der KiSt abgelehnt.
a) Ermessensentscheidungen der Finanzbehörden, wozu auch Erlaßentscheidungen nach § 227 AO i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 3 Satz 3 des Bayerischen Kirchensteuergesetzes (KirchStG) gehören, sind von den Gerichten nur daraufhin überprüfbar, ob Ermessensfehler i.S.v. §§ 5 AO, 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorliegen (Ermessensüber- oder -unterschreitung, Ermessensfehlgebrauch). Dies ist nicht der Fall.
Die Ablehnungsverfügung und die EE lassen keine Ermessensfehler erkennen. Insbesondere fehlt es im Streitfall an der Erlaßbedürftigkeit, denn es ist nicht ersichtlich, wie bei einem zu versteuernden Einkommen von 660.898 DM (ESt-Bescheid 1996 vom 29. September 1998, Bl. 10 f. KiSt-Akte) durch die Zahlung von 4.215 DM KiSt, die noch dazu als Sonderausgabe in voller Höhe abziehbar ist, die persönliche und/oder wirtschaftliche Existenz des Klägers gefährdet sein soll.
b) Ein Ermessensfehlgebrauch ist auch nicht darin zu erblicken, daß das KiStA eine fragwürdige Praxis nicht mehr fortgesetzt hat, wonach den KiSt-Pflichtigen von einem Großteil der Steuergläubiger ein 50 %iger automatischer (d.h. ohne Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgender) Teilerlaß gewährt wurde. Diese Praxis geht zurück auf eine Empfehlung in der gemeinsamen Sitzung der Steuerkommissionen der Kath. Diözesen und der EKD in Schwerte vom 31. Januar/1. Februar 1972. Doch zum einen hat der vom Kläger erwähnte Beschluß nicht den Charakter einer Verwaltungsanweisung und schon gar nicht einer Rechtsnorm, sondern er kann lediglich als unverbindliche Empfehlung gewertet werden. Denn die Kommission ist nicht vorgesetzte Behörde der jeweiligen Steuergläubiger. Zum anderen hat gerade diese Empfehlung den ausdrücklichen Hinweis auf die „Billigkeitsgründe” des § 227 AO enthalten und somit eine Einzelfallprüfung (wie vorliegend) nicht verwehrt.
Erstmals der Beschluß in Marienheide vom 6./7. Mai 1592 bezieht sich auf eine Praxis (automatischer) 50 %-Entscheidungen im Normalfall. Wenn sich die Sitzungsteilnehmer ferner dafür aussprachen, „eine verbleibende Kirchensteuer um 50 % zu reduzieren”, kann auch dies nur den Charakter einer die Steuergläubiger und (in Bayern) die ihnen nachgeordneten KiStÄ nicht bindenden Empfehlung haben (Hinweise auf die Texte beider Beschlüsse im Tatbestand des Urteils FG Nürnberg vom 2. Februar 1995 VI 41/91, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 1995, 691, 692).
Hinzu kommt noch folgendes: Die Praxis bei Erlaßanträgen in Fällen des § 34 EStG war schon in der ersten Hälfte der 90er-Jahre jedenfalls in Bayern nicht mehr einheitlich, wie das Urteil des FG Nürnberg in EFG 1995, 691 beweist. Am 12. Januar 1995 wurde eine Klage (Az. 13 K 2610/94) beim FG München zurückgenommen; sie wandte sich gegen die Verfügung eines KiStA aus seinem Zuständigkeitsbereich, mit der es einen Erlaßantrag nach Prüfung der Voraussetzungen des § 227 AO abgelehnt hatte (s. auch das den Beteiligten bekannte Urteil des erkennenden Senats vom 27. Oktober 1997 – 13 K 2650/97 betr. KiSt 1994, das eine ablehnende Entscheidung desselben KiStA bestätigte).
Angesichts dieser Gegebenheiten kann den bayerischen Diözesen das Recht nicht abgesprochen werden, von einer als rechtswidrig oder zumindest als unzweckmäßig erkannten Praxis abzurücken und sich einheitlich der vom Gesetz vorgeschriebenen Einzelfallprüfung zuzuwenden (Beschluß vom 6. Februar 1998; s. auch Schreiben des Katholischen KiStA München vom 6. Mai 1999). Auch der Kläger wird sich der Einsicht nicht verschließen können, daß eine Erlaßpraxis höchst zweifelhaft ist, die wohlsituierten Steuerpflichtigen mit hohen, bisher ohnehin steuerbegünstigten Abfindungen oder Veräußerungsgewinnen ein zusätzliches Steuergeschenk gewährt. Die Diözese des beklagten KiStA hat den o.g. Beschluß mit ihrer Weisung vom 10. Februar 1998 lediglich in rechtsstaatlich nicht zu beanstandender Form vollzogen. Daß das KiStA zumindest seit Februar 1995 nach dieser Weisung verfährt, bedeutet keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nach § 85 AO, Art. 3 GG. Im Gegenteil: Ein Rückfall in die empfohlene Erlaßautomatik wäre ein eindeutiger Ermessensfehlgebrauch (Verstoß gegen § 227 AO und gegen eine ausdrückliche innerdienstliche Weisung).
Daß die der Ev. Landeskirche unterstehenden KiStÄ großenteils (s. aber Schreiben des Ev.-luth. KiStA vom 1. Juni 1999) noch die oben erwähnte Praxis verfolgen, ist besonders in Fällen konfessionsverschiedener Ehen zwar äußerst mißlich, vermag die Diözesen wegen der ihnen zukommenden Autonomie aber nicht zu binden.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.
Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter gem. § 6 Abs. 1 FGO (Beschluß vom 6. September 1999).