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  • 18.11.2022 · IWW-Abrufnummer 232369

    Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 28.06.2022 – 7 U 45/21

    1.

    Die Annahme eines deckungsgleichen und infolgedessen eine Ersatzfähigkeit ausschließenden Vorschadens scheidet aus, wenn es sich bei dem Vorschaden um eine normale und im Übrigen bloße optische Gebrauchsspur ohne jede Auswirkung auf die Funktionalität handelt.
    2.

    Insoweit ist allenfalls ein Abzug „neu für alt“ vorzunehmen, der jedoch – hier verneint – voraussetzt, dass bei dem Geschädigten eine messbare Vermögensvermehrung eintritt, die sich für ihn wirtschaftlich günstig auswirkt, wobei die Darlegungs- und Beweislast den Schädiger trifft.
    3.

    Zur Annahme eines die Erstattungspflicht von Sachverständigenkosten ausschließenden Bagatellschadens (hier verneint).



    Tenor:

    Auf die Berufung des Klägers wird das am 20.07.2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg (Az.: 1 O 132/20) unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen abgeändert.

    Unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Amtsgerichts Soest vom 12.02.2020 (Az. 12 C 215/19) wird der Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.684,46 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 1.447,46 EUR seit dem 24.11.2019 und aus einem weiteren Betrag in Höhe von 237,00 EUR seit dem 03.03.2020 zu zahlen sowie den Kläger von einer Anwaltskostenforderung seiner Bevollmächtigten in Höhe von 106,74 EUR freizustellen.

    Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen der Kläger zu 21 % und der Beklagte zu 79 % mit Ausnahme der durch die Säumnis des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 12.02.2020 veranlassten Kosten. Diese trägt der Kläger.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
     
    1

    Gründe
    2

    I.
    3

    Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 544 Abs. 2 ZPO abgesehen.
    4

    II.
    5

    Die zulässige Berufung des Klägers ist überwiegend begründet.
    6

    Dem Kläger steht gegen den Beklagten aus §§ 7, 18 Abs. 1 StVG ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1.684,46 EUR nebst Zinsen im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang sowie ein Anspruch auf Freistellung von einer Anwaltskostenforderung seiner Bevollmächtigten in Höhe von 106,74 EUR zu. Im Übrigen ist die Berufung des Klägers unbegründet und es verbleibt bei der Klageabweisung durch das Landgericht.
    7

    1.
    8

    Die volle Haftung des Beklagten dem Grunde nach für die Folgen des Verkehrsunfalls vom 20.07.2019 steht unter den Parteien nicht im Streit.
    9

    2.
    10

    Der Höhe nach steht dem Kläger gegen den Beklagten ein Anspruch auf Ersatz von zur Schadensbehebung aufgewandten und erforderlichen Brutto-Reparaturkosten in Höhe von 1.018,43 EUR über § 249 Abs. 1 und 2 BGB zu.
    11

    Unter Zugrundelegung des erstinstanzlich eingeholten schriftlichen Sachverständigengutachtens sowie der erläuternden und ergänzenden mündlichen Ausführungen des Sachverständigen A im Senatstermin vom 28.06.2022 steht zweifelsfrei fest, dass die Kontaktspuren am lackierten Heckstoßfänger im Bereich des linken Rückstrahlers sowie das Lösen der Kantenschutzleiste unfallbedingt entstanden sind, während es sich bei der Beschädigung an der separaten Heckstoßfängerblende und den Kratzspuren auf dem Heckstoßfänger um Vorschäden handelte; denn diese beiden Schadensbereiche lagen fahrzeugmittig und damit außerhalb des Anstoßbereichs.
    12

    Der Schaden an der Heckstoßfängerblende als separatem Bauteil ist sowohl technisch als auch rechnerisch von dem aus dem streitgegenständlichen Unfall herrührenden Schaden abgrenzbar und kann bei der Schadensberechnung unproblematisch in Abzug gebracht werden, wonach unfallkompatible Brutto-Reparaturkosten in Höhe von 1.018,43 EUR verbleiben.
    13

    Anders als im erstinstanzlichen Urteil ausgeführt steht der Ersatzfähigkeit dieser Reparaturkosten, die durch die Instandsetzung der unfallbedingt linksseitig entstandenen Beschädigung des Heckstoßfängers entstanden sind, nicht entgegen, dass sich in dessen mittlerem Bereich bereits vor dem Unfall Kratzspuren befanden, die durch die Reparatur ebenfalls beseitigt wurden. Wie der Sachverständige im Senatstermin ausgeführt hat, handelte es sich insoweit um normale und im Übrigen bloße optische Gebrauchsspuren ohne jede Auswirkung auf die Funktionalität des Stoßfängers. Die Annahme eines deckungsgleichen und infolgedessen eine Ersatzfähigkeit ausschließenden Vorschadens an dem Heckstoßfänger scheidet damit aus. Soweit die Kratzspuren im Rahmen der Reparatur des linksseitigen Unfallschadens zwangsläufig durch die Neulackierung ebenfalls beseitigt wurden, stellt sich allenfalls die Frage eines Vorteilsausgleichs im Sinne eines Abzugs „neu für alt“.
    14

    Die Vornahme eines solchen Abzugs „neu für alt“ setzt allerdings u.a. voraus, dass bei dem Geschädigten eine messbare Vermögensvermehrung eintritt, die sich für ihn wirtschaftlich günstig auswirkt, wobei die Darlegungs- und Beweislast den Schädiger ‒ mithin vorliegend den Beklagten ‒ trifft (vgl. OLG Hamm Urt. v. 8.2.2018 ‒ 21 U 95/15, NJW 2018, 2648 Rn. 83).
    15

    Eine solche Wertverbesserung lässt sich auf der Basis der sachverständigen Ausführungen jedoch nicht festzustellen. Der Sachverständige A hat hierzu im Senatstermin befragt schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, es habe sich um normale Gebrauchsspuren, die beim Be- oder Entladen des Fahrzeugs entstehen und die niemand durch Neulackierung hätte entfernen lassen, gehandelt.
    16

    3.
    17

    Dem Kläger steht zudem gegen den Beklagten ein Anspruch auf Ersatz von der Höhe nach unstreitigen Kosten für die Einholung eines Sachverständigengutachtens der B von 404,03 EUR zu.
    18

    a)
    19

    Entgegen der Ansicht des Beklagten scheidet eine Ersatzfähigkeit der Kosten für die Einholung des Gutachtens der B nicht unter dem Gesichtspunkt eines Bagatellschadens aus.
    20

    Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gem. § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist. Ebenso können diese Kosten zu dem nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung zur tatsächlichen Durchführung der Wiederherstellung erforderlich und zweckmäßig ist (BGH Urt. v. 30.11.2004 ‒ VI ZR 365/03, NJW 2005, 356 [unter II. 5 a].). Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen. Demnach kommt es darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte. Insoweit ist nicht alleine darauf abzustellen, ob die durch die Begutachtung ermittelte Schadenshöhe einen bestimmten Betrag überschreitet oder in einem bestimmten Verhältnis zu den Sachverständigenkosten steht, denn zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters ist dem Geschädigten diese Höhe gerade nicht bekannt. Allerdings kann der später ermittelte Schadensumfang im Rahmen tatrichterlicher Würdigung nach § 287 ZPO oft ein Gesichtspunkt für die Beurteilung sein, ob eine Begutachtung tatsächlich erforderlich war oder ob nicht möglicherweise andere, kostengünstigere Schätzungen wie beispielsweise ein Kostenvoranschlag eines Reparaturbetriebs ausgereicht hätten (BGH Urt. v. 30.11.2004 ‒ VI ZR 365/03, NJW 2005, 356 [unter II. 5 b]).
    21

    Nach diesen Grundsätzen liegt ein Bagatellschaden, welcher die Einholung eines Sachverständigengutachtens als nicht erforderlich erscheinen lassen würde, nicht vor. Auf das Unfallgeschehen sind ‒ wie ausgeführt ‒ Kontaktspuren am lackierten Heckstoßfänger im Bereich des linken Rückstrahlers sowie das Lösen der Kantenschutzleiste am Klägerfahrzeug zurückzuführen, deren Instandsetzung Brutto-Reparaturkosten in Höhe von 1.018,43 EUR erforderlich machte, weshalb bereits betragsmäßig kein Bagatellschaden ersichtlich ist (vgl. BGH Urt. v. 30.11.2004 ‒ VI ZR 365/03, NJW 2005, 356 [unter II. 5 c], wonach bei Überschreitung einer Schadenshöhe von 1.400,00 DM / 715,81 EUR kein Bagatellschaden vorliegt). Hinzu kommt, dass zum einen für die Lackierung eines Stoßfängers auch nach Kenntnis eines Laien erhebliche Kosten anfallen können und zum anderen bei entsprechenden Schäden aus Sicht eines Laien nicht ausgeschlossen werden kann, dass darüber hinaus durch den Unfall weitere ‒ unter der Stoßstange verborgene ‒ Schäden entstanden sind. Hiernach durfte der Kläger die Einholung eines Sachverständigengutachtens für geboten erachten.
    22

    b)
    23

    Der Anspruch des Klägers auf Ersatz der Sachverständigenkosten scheidet auch nicht unter dem Gesichtspunkt aus, dass das von ihm eingeholte Gutachten der B zur Darlegung eines durch das streitgegenständliche Schadensereignis verursachten mess- und abgrenzbaren Fahrzeugschadens unbrauchbar wäre; denn dies ist nicht allein deshalb der Fall, nur weil es sich auch  zu den beiden nicht unfallkausalen Schadensbereichen verhält.
    24

    4.
    25

    Der Kläger hat zudem wegen des durch die Reparatur seines Fahrzeugs bedingten Nutzungsausfalls einen Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung, allerdings nicht für fünf, sondern nur für drei Tage zu je 79,00 EUR, insgesamt  237,00 EUR.
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    Eine längere als die sich aus der Rechnung der Firma C vom 19.08.2019 (Anlage B5, GA I-76) belegte ‒ von dem Beklagten insoweit nicht bestrittene ‒ Reparaturdauer von drei Tagen (14.08.2019 bis 16.08.2019) hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt. Soweit er abweichend behauptet, die Reparatur habe nicht nur drei, sondern fünf Tage gedauert, fehlt es an jeglichem substantiiertem Vortrag hierzu.
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    5.
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    Schließlich steht dem Kläger gegen den Beklagten ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 106,74 EUR sowie auf Ersatz einer Kostenpauschale in Höhe von 25,00 EUR zu.
    29

    6.
    30

    Die Zinsforderung ergibt sich aus § 291 BGB. Soweit der Kläger weitergehend die Zahlung von Zinsen ab dem 17.08.2019 begehrt, fehlt es an jedem Vortrag zum Grund dieser Forderung.
    31

    III.
    32

    Die Nebenentscheidung bezüglich der Kosten folgt aus §§ 92 Abs. 1, 344 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
    33

    IV.
    34

    Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

    RechtsgebietVorschaden; Gebrauchsspuren; Abzug „neu für alt“; Sachverständigenkosten; BagatellschadenVorschriften§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB