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· Fachbeitrag · Schwerbehinderung

Erhöhung des GdB: Neue Erkrankungen müssen zu neuen Funktionsstörungen führen

| Beim Grad der Behinderung (GdB) kann auch eine leichte Höherstufung wichtig sein. Denn ab dem GdB 50 besitzt der Mandant die Schwerbehinderteneigenschaft. Begründen können dies mehrere oder neu hinzutretende Erkrankungen. Diese müssen sich aber auch wesentlich auswirken ( LSG Berlin-Brandenburg 6.4.17, L 13 SB 258/14, Abruf-Nr. 194232 ). Hier ist ausführlicher Vortrag zu den individuellen Auswirkungen unabdingbar. |

 

Sachverhalt

Die Klägerin begehrte, ihren Gesamt-GdB von 40 auf 50 zu erhöhen. Festgestellt waren jeweils eine psychische Störung und Schmerzsyndrom, Funktionsstörung der Wirbelsäule, Beinverkürzung rechts, Funktionsstörung der Hüftgelenke und eine Fußfehlbildung rechts. Erstinstanzlich hatte die Klägerin keinen Erfolg. Das SG sah weiterhin einen GdB von 40 als ausreichend an. Das LSG hingegen hielt einen GdB von 50 für angemessen.

 

Entscheidungsgründe

Vorliegend hinderten gesundheitliche Beeinträchtigungen die Klägerin an der gesellschaftlichen Teilhabe. In solchen Fällen ist der GdB entsprechend den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit festzustellen. Dabei sind die wechselseitigen Beziehungen zu berücksichtigen (§ 69 Abs. 3 SGB IX). Ist der Gesamt-GdB zu beurteilen, ist gemäß Teil A Nr. 3c der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt. Anschließend sind alle weiteren Beeinträchtigungen zu prüfen, ob und wie stark diese die vorhandene Behinderung verschlimmern. Dies war bei der Klägerin zweimal der Fall, nämlich betreffend der

  • Funktionsstörung der unteren Extremität in Verbindung mit der Funktionsstörung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 30 auf 40 hochgestuft) sowie die
  • Schmerzchronifizierung in Verbindung mit einer depressiven Störung (Einzel-GdB von 20).

 

MERKE | Auch wenn die Depression der Klägerin sich zeitlich vor der Begutachtung verstärkte (mittelschwere Symptomatik) und für sich allein einen GdB von 20 bedingt hätte, entschied das LSG: Eine zeitlich begrenzte Erhöhung des GdB für das Funktionssystem Psyche ist nicht gerechtfertigt. Denn dass stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vorliegen, für die ein GdB von 30 bis 40 vorgesehen ist, hatte der Gutachter ausdrücklich ausgeschlossen.

 

Relevanz für die Praxis

Ist ein GdB zu ermitteln, ist der Ausgangspunkt nicht die Diagnose der Erkrankung, sondern die aus der Erkrankung resultierende Funktionsstörung.

 

Die Beeinträchtigungen werden nach der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) einem Funktionssystem zugeordnet und zusammenfassend beurteilt. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen können, müssen aber nicht zu einem höheren GdB führen (LSG Berlin-Brandenburg 9.2.17, L 13 SB 23/14).

 

 

Der Bevollmächtigte muss vortragen, wie die neuen Erkrankungen das Beschwerdebild verschlechtern und dem Mandanten eine gesellschaftliche Teilhabe noch weiter erschweren. Wird ein höherer Einzel-GdB gerade für eine psychische Erkrankung angestrebt, sollte die Beweisfrage dahin gehen, ob stärker behindernde Störungen die Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit wesentlich einschränken (hier ist ein GdB von 30 bis 40 vorgesehen).

 

PRAXISHINWEIS | Dabei muss der Bevollmächtigte nach wie vor streng darauf achten, den Mandanten darauf hinzuweisen, dass bei der Begutachtung keine dritten Personen (Familienangehörige, Freunde) anwesend sein dürfen. Ansonsten kann ein psychologisches bzw. fachpsychiatrisches Gutachten wertlos sein (u. a. zuletzt SG Mainz 7.2.17, S 11 B 204/15). In Ausnahmefällen ist dies zulässig, wenn das Gericht zuvor zustimmt. Das Gericht sollte dann hierzu verbindlich entscheiden (SR 16, 206).

 

Weiterführende Hinweise

  • Merkzeichen und höhere GdB können nicht per einstweiligem Rechtsschutz festgestellt werden, SR 16, 136
  • Gesundheitszustand ist aktuell zu prüfen, SR 16, 80
Quelle: Ausgabe 06 / 2017 | Seite 94 | ID 44691737