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· Fachbeitrag · Nichteheliche Lebensgemeinschaft

Aufgepasst: Fehlender Trauschein schützt nicht vor Sozialhilferegress

von RA Norbert Nolting, Lohra-Kirchvers

| Wer glaubt, eine nichteheliche Lebensgemeinschaft schütze ihn im Fall der Pflegebedürftigkeit des Partners vor dem Regress des Sozialhilfeträgers, irrt. Dies führt jetzt eine Entscheidung des SG Gießen vor Augen. |

1. Nichteheliche Lebensgemeinschaft

Zivilrechtlich haben die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft so gut wie keine gegenseitigen Ansprüche. Erst recht besteht keine wechselseitige Unterhaltspflicht. Im Sozialrecht besteht eine wichtige Ausnahme, wie der Fall des SG Gießen zeigt (21.4.15, S 18 SO 84/13, Abruf-Nr. 144649).

 

Der Kläger führte mit seiner Lebensgefährtin, die an Demenz litt, seit 1989 eine eheähnliche Beziehung. Nachdem er in 2011 aufgrund Demenz in einem Pflegeheim untergebracht worden war, wurde 2 Monate später auch die Lebensgefährtin in einem anderen Pflegeheim aufgenommen. Im Vorfeld der Klage war zunächst der von den Kindern der Lebensgefährtin auf Übernahme der Heimkosten gestellte Antrag seitens des Sozialhilfeträgers mit Hinweis auf vorhandenes Vermögen des Lebensgefährten abgelehnt worden.

 

Darauf forderten die Kinder der Lebensgefährtin den Kläger zur Übernahme der Kosten auf. Dies wurde wegen nicht bestehender Unterhaltsansprüche zwischen Lebensgefährten zurückgewiesen. Dem darauf erneut beim Sozialhilfeträger gestellten Antrag wurde seitens des Sozialhilfeträgers gemäß §§ 19 SGB XII Abs. 3 und 5 stattgegeben. Der Sozialhilfeträger teilte dem Kläger mit, dass er ab 2012 Aufwendungsersatz nach § 19 V SGB XII leisten muss und forderte ihn zunächst zur Zahlung der rückständigen Beträge auf. Die Kinder der Lebensgefährtin erhielten Rechtswahrungsanzeigen. Im Laufe des Rechtsstreites verstarb der Kläger im Dezember 2013. Das Verfahren wurde vom Sohn aufgenommen.

 

a) Entscheidung des SG Gießen in der Sache

Das SG Gießen gab der Klage statt, da es an einer Überleitungsanzeige des Sozialhilfeträgers fehlte. Zudem ergab die Befragung der Leiterin des Pflegeheimes, dass sich der Kläger einer Mitbewohnerin seines Pflegeheimes zugewandt hatte. Somit lag nicht nur eine faktische räumliche Trennung der ehemaligen Lebensgefährten vor. Vielmehr fehlte es auch an einer besonderen inneren Bindung, da der Kläger durch die Hinzuwendung zu einer anderen Partnerin eine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art begründet hatte.

 

Wichtig | Der Sachverhalt, der aufgrund vermehrt bestehender Lebensgemeinschaften älterer Personen „ohne Trauschein“, äußerst brisant ist, bietet mehr Zündstoff, als die Entscheidungsgründe vermuten lassen.

 

b) Rechtliche Situation

Zivilrechtliche Unterhaltsansprüche zwischen Lebensgefährten existieren nicht. Es gibt hier auch keinen Schenkungsrückforderungsanspruch, den der Sozialhilfeträger auf sich überleiten könnte. Sein Anspruch kann sich nur daraus ergeben, dass eine gemäß § 19 SGB XII Abs. 3 i.V. mit § 20 SGB XII bestehende Verantwortungsgemeinschaft vorliegt. Der Gesetzgeber geht hierfür davon aus, dass beide Partner ohne Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen uneingeschränkt füreinander einstehen wollen. Es bleibt aber ein Punkt unberücksichtigt. Ist der Lebensgefährte nicht bereit, sein Einkommen und Vermögen zur Deckung des Bedarfs einzusetzen, hat die Hilfeempfängerin ihm gegenüber keinen zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch.

2. Verantwortungsgemeinschaft im Sozialrecht

Im Sozialrecht besteht der Begriff der Verantwortungsgemeinschaft, der - im Unterschied zum Zivilrecht - durchaus rechtliche Konsequenzen hat.

 

a) Definition der Verantwortungsgemeinschaft

Was unter einer Verantwortungsgemeinschaft zu verstehen ist, bestimmt § 19 Abs. 3 SGB XII. Sie muss über eine reine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (BVerwG 98, 195) und erfordert

  • eine objektiv bestehende Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft und
  • als subjektives Element innere Bindungen, die ein wechselseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen.

 

Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen (BSG NJW 13 957). Dabei kann diese Verantwortungsgemeinschaft jederzeit aufgrund einer Erklärung der betroffenen Person beendet werden (BVerfGE 87, 234, 265). Nur wenn solch eine Verantwortungsgemeinschaft vorliegt, schließt § 20 SGB XII eine Besserstellung von Lebensgefährten gegenüber Ehegatten aus.

 

b) Ende der Verantwortungsgemeinschaft

Anders als die Ehe, die nur durch Scheidung aufgelöst werden kann und bei der der Sozialhilfeträger auch den Erben des verstorbenen Ehegatten in Regress nehmen kann, endet eine Verantwortungsgemeinschaft auf andere Weise.

  • Ausweislich des Sachverhalts war der Kläger im Dezember 2013 verstorben. Das bedeutet, zu diesem Zeitpunkt endete spätestens die Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Für Aufwendungsersatzansprüche ab 01/2014 konnte er bzw. sein Sohn nicht mehr herangezogen werden.

 

  • Ferner endete objektiv das Zusammenleben 2011 aufgrund des Heimaufenthalts des Klägers. Fraglich ist jedoch, ob das allein bereits ausreicht, um die Verantwortungsgemeinschaft zu beenden.

 

c) Trennungswille

Sowohl das LSG Berlin-Brandenburg (2.4.09, L 23 SO 37/09, FEVS 61, 263), das LSG Hessen (25.11.11, L 7 SO 194/09), wie das LSG NRW (28.6.07, L 20 B 37/07 SO ER, FEVS 59, 42) haben in Fortführung der Entscheidung des BVerwG (26.1.99, 5 C 8.93, BVerwGE 97, 344) ausgeführt, dass allein der Heimaufenthalt eines Partners die Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft nicht beendet.

 

Die eheähnliche Gemeinschaft könne zwar jederzeit ohne rechtlich geregeltes Verfahren aufgelöst werden, wenn ein Partner sein bisheriges Verhalten ändere. Es sei jedoch erforderlich, wenn die häusliche Gemeinschaft durch äußeren Zwang aufgehoben wurde, dass einem der Partner zusätzlich der Wille fehle, die Gemeinschaft - wieder - herzustellen. Dieser Trennungswille müsse nach außen erkennbar sein. Dabei könne nicht auf die Erkrankung bzw. deren Auswirkung auf das Wesen der Verantwortungsgemeinschaft abgestellt werden.

 

Auch der Wille der an Demenz erkrankten Person sei irrelevant, da ihr ein eventueller Wille zur Auflösung gerade wegen ihrer Erkrankung nicht mehr zugeschrieben werden könne. Vielmehr käme es auf das Verhalten und den Willen der in der Wohnung verbliebenen Person an. So läge eine derartige Verhaltensänderung nicht vor, wenn die zu Hause verbliebene Person nach wie vor bereit sei, sich um die Belange ihres Partners zu sorgen und damit zum Ausdruck bringe, dass sie sich mit ihm weiterhin partnerschaftlich verbunden fühle. Als Anhaltspunkte wurden unter anderem genannt:

  • Besuche im Alten-/Pflegeheim,
  • das Vorliegen von Vorsorgevollmachten,
  • die Bestellung zum Betreuer/zur Betreuerin und
  • Angaben zum persönlichen Umgang.
  • Ein weiteres Argument des LSG Hessen war die Konzeption der Ehe als lebenslange Verantwortungsgemeinschaft (§ 1353 Abs. 1 BGB).

3. Kritik an der Rechtsprechung

Zunächst ist festzuhalten, dass das Argument der Ehe als lebenslanger Verantwortungsgemeinschaft im Verhältnis von Lebensgefährten nicht gilt. Ferner hatte entgegen den oben genannten Entscheidungen das LSG Rheinland-Pfalz (27.1.05, L 1 AL 156/04, Abruf-Nr. 041046), ausgeführt, dass bereits ein an Alzheimer im Endstadium erkrankter Ehepartner objektiv nicht mehr in der Lage sei, willentlich Einfluss auf die Ausgestaltung der die Ehegatten gemeinsam berührenden (ideellen und wirtschaftlichen) Angelegenheiten zu nehmen. Er kann sie nicht in einem gewissen Umfang mit prägen. Ob darüber hinaus zusätzlich subjektiv der Wille vorläge, die häusliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft aufzukündigen oder nicht, darauf käme es nicht an.

 

Im Fall des SG Gießen litten beide ehemaligen Lebensgefährten an fortgeschrittener Demenz (Pflegestufe 2). Somit geht der Fall über den vom LSG Rheinland-Pfalz entschiedenen sogar noch hinaus. Folgt man dagegen der Auffassung des LSG Hessen, dass der Wille der an Demenz erkrankten Person irrelevant sei, da ihr ein eventueller Wille zur Auflösung gerade wegen ihrer Erkrankung nicht mehr zugeschrieben werden könne, würden beide Lebensgefährten bis zum Tod eine Verantwortungsgemeinschaft bilden. Es könnte somit entgegen der Auffassung des SG Gießen auch nicht darauf ankommen, ob sich einer der (dementen) Partner im Seniorenheim einer anderen Person zugewandt habe, da ihnen kein eigenständiger Trennungswille zukomme.

 

Es fragt sich jedoch, wenn zwei Personen dement sind, welche überhaupt die Verantwortung für eine Einstandsgemeinschaft übernehmen sollte. Es gibt keinen gesunden Partner, der sich um den anderen kümmert, willentlich Einfluss auf gemeinsam berührende Angelegenheiten nehmen und diese zumindest in einem gewissen Umfang mit prägen könnte. Hinzu kam hier, dass beide Personen in verschiedenen Einrichtungen wohnten und keiner in der ehemals gemeinsam bewohnten Wohnung verblieb. Die Haushalts-, Einstands- und Wirtschaftsgemeinschaft war somit auch von der ehemaligen Lebensgefährtin beendet worden.

 

Es ist zu hoffen, dass zumindest in Fällen wie diesem die Sozialgerichte sich bewusst werden, was eine Verantwortungsgemeinschaft ausmacht: Der Wille, füreinander einzustehen (BVerwGE 97, 344, 347).

4. Unbillige Rechtsfolgen

Die Auffassung des Sozialhilfeträgers würde im Übrigen dazu führen, dass die Kinder entgegen ihrer auch im Sozialrecht zu berücksichtigenden zivilrechtlichen Unterhaltsverpflichtung keine Zahlungen erbringen müssten. Dagegen würde das Vermögen des ehemaligen Lebensgefährten aufgebraucht. Wenn das Vermögen verbraucht ist, könnte der Kläger seine Heimkosten nicht zahlen. Dann müsste der Sohn schließlich aufgrund seiner Unterhaltsverpflichtung für die Heimkosten seines Vaters aufkommen.

 

Auch stellt sich die Frage des Rangverhältnisses. Auf der einen Seite Einsatz des Vermögens im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft, auf der anderen Seite nicht realisierte Unterhaltsforderungen der Mutter gegenüber ihren Kindern. Müssten diese Unterhaltsforderungen nicht zumindest als fiktives Einkommen berücksichtigt werden? Da Unterhaltsansprüche gemäß § 94 SGB XII automatisch auf den Landkreis übergehen, besteht bei Leistungsverpflichtung der Kinder kein Anspruch gegen den ehemaligen Lebensgefährten. In Höhe dieser Leistungsverpflichtung ist der Anspruch gegen den ehemaligen Lebensgefährten von Anfang an gemindert.

 

Der ehemalige Lebensgefährte hat die Übernahme der Bedarfskosten abgelehnt. Die ehemalige Lebensgefährtin hatte zivilrechtlich keinen Anspruch. Müsste der Kläger zahlen, könnte er die Kinder seiner Ex-Partnerin, obwohl Unterhaltsforderungen zwischen Mutter und Kinder beständen, nicht in Regress nehmen. Bei § 19 Abs. 3 SGB XII handelt es sich um einen eigenständigen Anspruch des Sozialhilfeträgers. Mangels Gesamtschuldnerausgleich läge folglich keine Gesamtschuld vor. Somit wäre bereits der zugrunde liegende Bescheid des Sozialhilfeträgers nicht hinreichend bestimmt genug. Er hätte zum Ausdruck bringen müssen, dass nur in Höhe der nicht auf den beklagten Landkreis gemäß § 94 SGB XII übergegangenen Unterhaltsansprüche eine Teilschuldnerschaft und ein Zahlungsanspruch bestände.

 

FAZIT | Festzuhalten ist, dass in eheähnlicher Gemeinschaft lebende Partner sich im Alter bewusst sein sollten, dass das Fehlen eines „Trauscheins“ für den Aufwendungsersatzanspruch des Sozialhilfeträgers nach § 19 SGB Abs. 5 XII irrelevant ist. Vielmehr muss sich bei plötzlichem Heimaufenthalt eines Partners der gesunde Partner nach „außen erkennbar“ von ihm lösen.

Quelle: Ausgabe 08 / 2015 | Seite 134 | ID 43492822