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12.04.2005 · IWW-Abrufnummer 051046

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 27.01.2005 – L 1 AL 156/04

Einkommen des getrennt lebenden Ehegatten ist beim Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nicht anrechenbar


L 1 AL 156/04

T E N O R:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 07.07.2004 - S 5 AL 71/04 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

T A T B E S T A N D:

Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) ohne Berücksichtigung des Einkommens ihres Ehegatten ab dem 05.03.2004 hat.

Die 1949 geborene Klägerin ist seit September 1969 verheiratet. Ihr 1934 geborener Ehemann bezieht eine gesetzliche Altersrente i.H.v. 1.446,52 Euro sowie eine Rente der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder i.H.v. 384,43 Euro (gesamt 1.828,95 Euro). Der Ehemann der Klägerin befindet sich seit 6 Jahren wegen eines Demenzleidens (Alzheimererkrankung) in einem Pflegeheim. Die Pflegeversicherungsleistungen reichen nicht aus, um die Kosten der Heimunterbringung zu decken. Die Klägerin verwendet die Rentenleistung ihres Ehemanns, um die Differenz und sonstige Kosten, wie beispielsweise Zuzahlungen für Medikamente und Hilfsmittel, zu begleichen. Außerdem bringt sie noch ca. 200,00 Euro durchschnittlich im Monat aus eigenen Mitteln auf, um den übrigen Bedarf ihres Ehemannes zu decken.

Nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Abteilungsleiterin bei der Fa. S GmbH, T , Ende 2001 bezog die Klägerin vom 15.01.2002 bis zum 04.03.2004 Arbeitslosengeld i.H.v. zuletzt 313,46 Euro wöchentlich. Auf ihren Antrag auf Gewährung von Anschluss-Alhi gewährte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 05.03.2004 Alhi nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 730,00 Euro unter Anrechnung des Einkommens ihres Ehemannes in Höhe von monatlich 859,61 Euro (wöchentlich 198,38 Euro). Auf den Widerspruch der Klägerin, mit dem diese insbesondere darauf hinwies, dass ihr die Rentenleistungen ihres Ehemannes tatsächlich nicht zur Verfügung stünden, reduzierte die Beklagte mit Bescheid vom 18.03.2004 den Anrechnungsbetrag auf wöchentlich 172,27 Euro. Den weitergehenden Widerspruch wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 22.03.2004).

Das Sozialgericht Trier (SG) hat der Klage mit Urteil vom 07.07.2004 stattgegeben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Alhi ohne Anrechnung des Einkommens ihres Ehegatten zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin lebe von ihrem Ehemann getrennt, weil zwischen ihnen wegen der Erkrankung des Ehemannes und der erforderlichen Heimunterbringung seit Jahren keine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft mehr bestehe.

Gegen das ihr am 12.07.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29.07.2004 Berufung eingelegt.

Sie trägt im Wesentlichen vor:

Die Klägerin lebe nicht von ihrem Ehemann dauernd getrennt. Deswegen sei das Einkommen ihres Ehegatten auf die der Klägerin zustehende Alhi anzurechnen. Eine berufs- oder krankheitsbedingte räumliche Trennung sei nämlich für die Feststellung des Getrenntlebens nicht ausreichend. Faktisch sei es so, dass die Klägerin trotz der Erkrankung ihres Ehemannes mit diesem aus ?einem Topf wirtschafte?. Alle Kosten, auch die der Heimunterbringung, würden aus dem gemeinsamen Einkommen bestritten. Im Übrigen sei eine häusliche Gemeinschaft keine notwendige Voraussetzung der so genannten Einstandsgemeinschaft, die dem Gedanken des § 194 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III zugrunde liege.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 07.07.2004 - S 5 AL 71/04 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend und weist noch einmal daraufhin, dass sie die ihrem Ehemann zustehenden Rentenleistungen verwende, um die Kosten der Heimunterbringung zu begleichen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Leistungsakte (Kundennummer: ) Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.


E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Alhi ohne Anrechnung des Einkommens ihres Ehemannes zu gewähren. Die Bescheide der Beklagten vom 05.03.2004 und 18.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2004 sind hinsichtlich der Anrechnung rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung von Alhi ohne Berücksichtigung des Einkommens ihres Ehemanns.

Zu berücksichtigendes Einkommen ist nach § 194 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III zunächst das Einkommen des Arbeitslosen, soweit es nicht als Nebeneinkommen anzurechnen ist. Nach § 194 Abs. 1 Satz 2 SGB III ist auch das Einkommen des vom Arbeitslosen nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners oder einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, zu Lasten des Antragstellers als Einkommen zu berücksichtigen, soweit es die vorgesehenen Freibeträge i.S.d. § 194 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB III übersteigt. Einkommen im Sinne der Vorschriften über die Alhi sind nach der Legaldefinition im § 194 Abs. 2 Satz 1 SGB III alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert einschließlich der Leistungen, die von Dritten beansprucht werden können.

Zwar ist es richtig, dass der Ehemann der Klägerin Einkommen im Sinne des § 194 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III erzielt, doch ist dieses Einkommen nicht zu Lasten der Klägerin anzurechnen. Die Klägerin lebt von ihrem Ehegatten dauernd getrennt im Sinne dieser Vorschrift.

Der Begriff des dauernden Getrenntlebens umschreibt den Zustand, dass die zum Wesen der Ehe gehörende häusliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft im Sinne des § 1353 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf Dauer nicht mehr besteht (vgl. Spellbrink, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, S. 921 Rz. 104). Dabei ist unter Lebensgemeinschaft die räumliche, persönliche und geistige Gemeinschaft der Ehegatten, unter Wirtschaftsgemeinschaft die gemeinsame Erledigung der die Ehegatten gemeinsam berührenden wirtschaftlichen Fragen ihres Zusammenlebens zu verstehen (vgl. Hengelhaupt in Noftz, SGB III, 21. Lieferung XII/01, § 193 Rz. 48). Insoweit ist einer auf Dauer herbeigeführten räumlichen Trennung regelmäßig eine besondere Bedeutung beizumessen. Dies obwohl die eheliche Lebens- oder Wirtschaftsgemeinschaft im Allgemeinen nicht aufgehoben wird, wenn die Ehegatten sich nur vorübergehend räumlich trennen. Auch in den Fällen, in denen die Ehegatten in Folge zwingender äußerer Umstände, also beispielsweise Krankheit oder Verbüßung einer Freiheitsstrafe, für eine nicht absehbare Zeit räumlich voneinander getrennt leben müssen, kann die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft noch weiter bestehen, wenn die Ehegatten die erkennbare Absicht haben, die eheliche Verbindung im noch möglichen Rahmen aufrechtzuerhalten und nach dem Wegfall der Hindernisse die volle eheliche Gemeinschaft wiederherzustellen. Indikator hierfür kann zum Beispiel sein, dass sie weiterhin gemeinsam die sie berührenden wirtschaftlichen Fragen erledigen und über die Verwendung des Familieneinkommens entscheiden (vgl. Hengelhaupt a.a.O.)

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann vorliegend nicht mehr von einer zum Wesen der Ehe gehörenden häuslichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann gesprochen werden. Dagegen spricht nicht allein, dass der Ehemann der Klägerin seit Jahren in einem Pflegeheim untergebracht ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25.01.1989 - Az.: IVb ZR 34/88; Jauernig, Kommentar zum BGB, 11. Aufl. 2004, § 1567 Rz. 4). Entscheidend kommt vielmehr hinzu, dass der Ehemann der Klägerin aufgrund seiner geistigen Erkrankung nicht in der Lage ist, mit der Klägerin eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zu führen oder wiederherzustellen. Eine Führung in diesem Sinne bedeutet, dass der Ehepartner willentlich Einfluss auf die Ausgestaltung der die Ehegatten gemeinsam berührenden (ideellen und wirtschaftlichen) Angelegenheiten nimmt, diese also zumindest in einem gewissen Umfang mitprägt. Hierzu ist jedoch der an Alzheimer im Endstadium erkrankte Ehepartner der Klägerin nicht mehr in der Lage.

Im Falle einer geistigen Erkrankung dieses Ausmaßes kommt es daher nicht darauf an, ob der Betroffene die zum Wesen der Ehe gehörende häusliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft erkennbar nicht (mehr) herstellen will, weil er die Ehe ablehnt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen ( § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
- Rechtsmittelbelehrung -

RechtsgebieteSozialrecht, ArbeitslosenhilfeVorschriften§ 194 Abs. 1 SGB III