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  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Allgemeines Lebensrisiko oder zurechenbare Unfallfolge?

    Verlässt ein Unfallbeteiligter wegen eines Auffahrunfalls bei eisglatter Fahrbahn sein Fahrzeug, um sich über die Unfallfolgen zu informieren, eröffnet er dadurch nicht selbst einen eigenständigen Gefahrenkreis. Stürzt er infolge der Eisglätte, verwirklicht sich nicht eine aufgrund der Straßenverhältnisse gegebene allgemeine Unfallgefahr, sondern die besondere durch den Unfall entstandene Gefahrenlage (BGH 26.2.13, VI ZR 116/12, Abruf-Nr. 131025).

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Der wartepflichtige Kl. hatte mit seinem Pkw angehalten, als die Bekl. mit ihrem Pkw bei eisglatter Fahrbahn auffuhr. Die vordere Stoßstange ihres Pkw verhakte sich mit der Anhängerkupplung des Kl.-Fahrzeugs, die Fahrzeuge selbst blieben unbeschädigt. Der Kl. stieg nach dem Unfall aus und ging um die Fahrzeuge herum. Dabei stürzte er auf der eisglatten Fahrbahn und zog sich einen Bruch des re. Schultergelenks zu. Seine Schmerzensgeldklage blieb in den Vorinstanzen erfolglos. Begründung des OLG: allgemeines Lebensrisiko, keine Zurechenbarkeit, auch keine Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG.

     

    Auf die zugelassene Revision hat der BGH das OLG-Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Im Ausgangspunkt teilt er die Ansicht der Vorinstanz, die Bekl. habe sich im Straßenverkehr fahrlässig verhalten (Auffahrverschulden). Im Gegensatz zum OLG bejaht der VI. ZS jedoch den haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang zwischen den beiden Unfällen. Der durch den Sturz entstandene Schaden sei auch vom Schutzbereich der Straßenverkehrsvorschriften umfasst, gegen die die Bekl. fahrlässig verstoßen habe. Darüber hinaus hafte sie auch gem. § 7 Abs. 1 StVG wegen der Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs. An dem auch im Rahmen der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehle es nicht. Die abweichende Wertung des OLG („allgemeines Lebensrisiko“, „eigener Gefahrenkreis“) sei verfehlt.

     

    Praxishinweis

    Was wäre gewesen, wenn nicht der Kl. (Fahrer), sondern ein Beifahrer ausgestiegen wäre? Und was, wenn ein Kind den unfreiwilligen Stopp „zum Austreten“ genutzt hätte und auf der eisglatten Straße gestürzt wäre? Der BGH spricht von „Unfallbeteiligter“, andererseits einschränkend von „sein Fahrzeug“. Und von „Fahrzeugführer“. Wichtig scheint ihm der Grund zu sein, aus dem das Fahrzeug verlassen wurde: Information über die Unfallfolgen und Unfallaufnahme. Unfallfremde Zwecke können den „inneren Zusammenhang“ zwischen Schaden und der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage entfallen lassen. Ein „äußerlicher“, gleichsam „zufälliger“ Zusammenhang genügt nicht. Dass hier wie bei den anderen Zurechnungskriterien eine „wertende Betrachtung“ geboten ist, sagt der BGH nicht zum ersten Mal. Wenn Wiederholungen und Klarstellungen sinnvoll sind, dann bei dieser äußerst heiklen Zurechnungsproblematik. Schon die Begrifflichkeiten sind nicht jedem klar.

     

    Schwierigkeiten macht ersichtlich auch die Umsetzung bei der Verschuldenshaftung einerseits und andererseits der Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG, wo die Grenzen der Zurechnung aus der Norm selbst entwickelt werden müssen. Demgegenüber ist bei der Verschuldenshaftung auf den Schutzzweck der missachteten StVO-Normen (hier: § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 1 Abs. 2) abzustellen. Dass das OLG ihn zu eng verstanden hat, ist ein häufig zu beobachtender Fehler. Fazit: Das BGH-Urteil ist für jeden Unfallrechtler Pflichtlektüre.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zu den vielfältigen Rechtsfragen zur komplexen Thematik Erst- und Zweitunfall, Pannen-/Unfallhilfe und Fahrzeugbergung siehe den Schwerpunktbeitrag in dieser Ausgabe auf S. 79.
    Quelle: Ausgabe 05 / 2013 | Seite 73 | ID 39037620