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· Fachbeitrag · Sozialrecht

Diabetes-Erkrankung kann GdB von 50 rechtfertigen, aber …

| Ist der Grad der Behinderung (GbB) für eine Diabetes-Erkrankung einfach zu bestimmen? Nein, denn je nachdem, wie stark ausgeprägt sie ist und den Betroffenen im Alltag einschränkt, kann der GdB zwischen 0 und 50 liegen. In bestimmten Fällen ist also schon die Schwerbehinderteneigenschaft erreicht. Eine aktuelle Entscheidung des LSG Schleswig-Holstein zeigt: Anwälte sollten die Abstufungen kennen, denn über die Schwere eines Diabetes wird häufig gestritten. |

 

Sachverhalt

Der 60-jährige Kläger begehrte einen GdB von 50. Strittig war, wie schwerwiegend sich sein Diabetes darstellte. Zwar hatte der Sachverständige im Klageverfahren den Diabetes auch mit einem Einzel-GdB von 50 eingeschätzt. Das Sozialgericht sah jedoch einen GdB von 40 als ausreichend an. Es bestünde zwar ein höherer Therapieaufwand. Allerdings müsse der BSG-Rechtsprechung folgend darüber hinaus die Lebensführung erheblich beeinträchtigt sein (SR 20, 82). Eine solche Beeinträchtigung, die über die mit dem erforderlichen Therapieaufwand zwangsläufig verbundenen Einschnitte hinausgeht, liege hier aber nicht vor. Die Unterzuckerungen würden vom Kläger rechtzeitig bemerkt und könnten durch Traubenzucker oder Nahrung ausgeglichen werden. Die Berufung des Klägers zum LSG Schleswig-Holstein hatte jedoch Erfolg. Dieses hielt einen GdB von 50 für angemessen.

 

Entscheidungsgründe

Wie ein Diabetes schwerbehindertenrechtlich gewichtet wird, richtet sich nach Teil B Nr. 15.1 VmG (Versorgungsmedizinische Grundsätze). Bei der Erkrankung spielen verschiedene Merkmale eine Rolle, wenn die Höhe des GdB zu bestimmen ist.

 

 

Das LSG Schleswig-Holstein wies in seiner Entscheidung darauf hin, wie der GdB in entsprechenden Fällen zu ermitteln ist (14.2.20, L 2 SB 54/18, Abruf-Nr. 217025).

 

Über den geschilderten Therapieaufwand hinaus müssen gravierende Einschnitte in der Lebensführung feststellbar sein. Je nach persönlichen Fähigkeiten und Umständen der erkrankten Person kann sich die Anzahl der Insulininjektionen und die Anpassung der Dosen unterschiedlich stark auf die Teilhabe am Leben auswirken, wie das BSG betont (25.10.12, B 9 SB 2/12 R; 17.4.13, B 9 SB 3/12 R; 16.12.14, B 9 SB 2/13 R). So mag der eine Betroffene mit den Injektionsutensilien geschickter und schneller umgehen als der andere. Daher ist genau festzustellen, wie hoch der individuelle, krankheitsbegleitende Aufwand ist (z.B. Bestimmung der Insulindosen) und dieser die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe beeinflusst. Eine ausgeprägte Einschränkung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben lässt sich aber nur unter strengen Voraussetzungen bejahen (z. B. Arbeitsunfähigkeitszeiten, stationäre Behandlung, Folgeschäden an anderen Organen).

 

Im vorliegenden Fall war der Kläger gravierend beeinträchtigt. Er hatte ausführlich und glaubhaft vorgetragen, bei Reisen und privaten Freundesbesuchen oder der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen eingeschränkt zu sein. Dies im Zusammenhang mit den hier vorliegenden Folgeerkrankungen des Diabetes (Zahnverlust, koronare Herzerkrankung, erektile Dysfunktion) ergibt eine gravierende Beeinträchtigung, die einen GdB von 50 rechtfertigt.

 

Merke | Ein Diabetes zieht oft typische Folgeerkrankungen nach sich. Ist es wahrscheinlich, dass eine Erkrankung durch den Diabetes mitverursacht worden sind, müssen diese nicht selbst mit einem GdB bewertet werden. Folgeerkrankungen können ‒ je nach Schwere ‒ direkt beim GdB für den Diabetes berücksichtigt werden.

 

Relevanz für die Praxis

Diabetes-Erkrankungen spielen in Schwerbehindertensachen immer wieder eine zentrale Rolle. Ist der Diabetes Ihres Mandanten besonders im Sinne der Rechtsprechung des BSG stark ausgeprägt, kann er allein bereits rechtfertigen, dass ihm die Schwerbehinderteneigenschaft zuerkannt wird.

 

Achten Sie daher stets darauf, ob das Gericht die zentralen Kriterien berücksichtigt und die Diabetes-Erkrankung mit einem angemessenen GdB ausstattet. Insbesondere sollten sie vortragen,

  • wie häufig Ihr Mandant täglich Blutzuckermessungen und Insulininjektionen vornimmt und diese dokumentiert,
  • welchen Aufwand dies darstellt,
  • ggf., ob und wie er unterwegs Besuche oder Termine unterbrechen oder beenden muss, um eine Injektion vorzunehmen bzw. diese sogar überhaupt nicht wahrnehmen kann.

 

Weiterführende Hinweise

  • Bei Diabetes-Erkrankung an Behindertenpauschbetrag denken, SR 16, 148
  • Gesamt-GdB: Wie stark ist Mandant in Lebensgestaltung eingeschränkt? SR 20, 82
Quelle: Ausgabe 08 / 2020 | Seite 128 | ID 46557179