Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

27.07.2020 · IWW-Abrufnummer 217025

Landessozialgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 14.02.2020 – L 2 SB 54/18

Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Feststellung des GdB im Schwerbehindertenrecht nach dem SGB IX bei einer Diabeteserkrankung; Vorliegen einer signifikanten Teilhabebeeinträchtigung durch den Therapieaufwand mit gravierender Beeinträchtigung in der Lebensführung
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 8. Juni 2018 aufgehoben. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 2. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2016 verurteilt, dem Kläger ab Februar 2017 einen GdB von 50 zuzuerkennen. Der Beklagte erstattet dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand

Der am 1960 geborene Kläger begehrt die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft mit Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50. Strittig ist dabei vor allem die Bewertung seiner Diabeteserkrankung.

Mit Feststellungsbescheid vom 11. Juli 2012 stellte der Beklagte bei dem Kläger einen GdB von 20 fest. Grundlage waren dabei folgende Behinderungen, hier mitgeteilt mit den verwaltungsinternen Einzelbewertungen.

Diabetes mellitus GdB 20 Schulterfunktionsstörung rechts GdB 10 Funktionsstörung im Knie GdB 10

Am 14. Januar 2015 stellte der Kläger gegenüber dem Beklagten einen Höherstufungsantrag, den er vor allem mit Änderungen hinsichtlich der Diabeteskrankheit begründete. Er fügte einen Entlassungsbericht aus den S Kliniken O über seinigen dortigen Aufenthalt vom 27. bis 30. Dezember 2014 bei. Nach Einholung eines Befundberichtes von dem Internisten Dr. T erkannte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 2. März 2015 einen GdB von 30 zu. Grundlage war verwaltungsintern die Bewertung der Diabeteserkrankung mit einem Einzel-GdB von 30. Dagegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 25. März 2015, der nach Einholung eines weiteren Befundberichtes des Internisten T sowie Einreichung eines Arztbriefes aus dem M Klinikum in K mit Widerspruchsbescheid vom 26. April 2016 zurückgewiesen wurde.

Mit der am 11. Mai 2016 beim Sozialgericht Kiel erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat er vorgetragen, der zuerkannte GdB von 30 werde seinen Behinderungen nicht gerecht, insbesondere die Zuckererkrankung, infolge der er auf die Einnahme von Insulin angewiesen sei, sei insoweit zu niedrig bewertet. Zusätzlich leide er auch an Beschwerden in den Knien und den Schultergelenken. Die stattgehabte Operation habe insoweit keine echte Besserung hinsichtlich der Schultergelenkbeschwerden gebracht. Auch der von dem gehörten Sachverständigen vorgeschlagene GdB von 40 werde seinen Leiden nicht gerecht. Anders als vom Beklagten angenommen, komme es tatsächlich häufig zu Unterzuckerungen, die sich in Müdigkeit und Erschöpfung ausdrückten. Glücklicherweise kenne er seinen Körper inzwischen gut und habe immer gut und rechtzeitig reagieren können. Es könne nicht Sinn und Zweck der Regelung sein, dass erst ein medizinischer Notfall eintreten müsse, damit die Schwere der Erkrankung anerkannt werde. Gleichwohl wirkten sich Unterzuckerungen aber auch erhöhte Zuckerwerte auf sein körperliches Wohlgefühl aus, es komme zu Augenbrennen, Schwindelgefühl und Schweißausbrüchen.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 2. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2016 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von 50 ab Antragstellung festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat zunächst an den Bewertungen der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen festgehalten und sich nach Einholung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. A bereit erklärt, die Behinderungen des Klägers ab Februar 2017 mit einem GdB von 40 zu bewerten. Ein höherer GdB als 40 komme für die Diabeteserkrankung aber nicht in Betracht. Es fehle an einer neben dem Therapieaufwand erforderlichen deutlichen Teilhabebeeinträchtigung. Eine solche sei bei fehlenden Folgeschäden und nicht beschriebenen Unterzuckerungen nicht erkennbar.

Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes einen weiteren Befundbericht des den Kläger behandelnden Arztes Dr. T eingeholt. Der Kläger selbst hat einen Entlassungsbericht aus der S klinik über einen kardiologisch bedingten Aufenthalt im Juni 2017 zur Akte gereicht. Das Sozialgericht hat ferner ein Gutachten des Chirurgen Dr. A eingeholt, welches dieser am 21. März 2018 aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 6. März 2018 erstattet hat. Der Sachverständige hat die Diabeteserkrankung des Klägers mit einem Einzel-GdB von 50 bewertet und dabei im Wesentlichen auf die häufigen Blutzuckermessungen (mindestens viermal täglich) abgestellt. Alle weiteren Behinderungen hat er mit einem GdB von 10 bzw. unter 10 bewertet.

Der Beklagte hat infolge dieses Gutachtens ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, den GdB des Klägers ab Februar 2017 mit 40 zu bewerten. Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht unter Aufrechterhaltung der Klage im Übrigen angenommen.

Das Sozialgericht hat zu den Ausführungen der Beteiligten noch eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen A eingeholt, der in dieser Stellungnahme vom 3. Juni 2018 in Abweichung von seinem Gutachten die Diabeteserkrankung nunmehr mit einem GdB von 40 bewertet hat.

Mit Urteil vom 8. Juni 2016 hat das Sozialgericht Kiel die Klage abgewiesen. In der Begründung hat es ausgeführt, die Diabeteserkrankung sei mit einem GdB von 40 zu bewerten. Zwar bestehe ein hoher Therapieaufwand, dieser reiche für die Festsetzung eines GdB von 50 aber nicht aus. Nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts müsse darüber hinaus eine erhebliche Beeinträchtigung in der Lebensführung bestehen. Hier könne die jeweilige Stoffwechsellage bedeutsam sein. Eine solche Teilhabebeeinträchtigung, die über die mit dem erforderlichen Therapieaufwand zwangsläufig verbundenen Einschnitte hinausgeht, liege nicht vor. Zwar berichte der Kläger über Hypoglykämien, diese würden jedoch rechtzeitig bemerkt und könnten durch Traubenzucker oder die Aufnahme von Nahrung kompensiert werden. Alle weiteren Behinderungen seien nicht mit einem GdB von mehr als 10 zu bewerten.

Gegen dieses seinen Bevollmächtigten am 20. August 2018 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 10. September 2018.

Er trägt vor, es sei unstreitig, dass er mindestens 4 Insulininjektion täglich verabreichen müsse. Tatsächlich sei es so, dass es sich um durchschnittlich 7 Insulininjektionen handele. Diesbezüglich reicht er Kopien aus einem Diabetestagebuch über den Monat Oktober 2018 ein. Es sei auch so, dass er die Insulindosen in Abhängigkeit von Blutzuckerwert, Essensaufnahme und körperlicher Belastung selbständig variieren müsse. Darüber hinaus sei er gravierend in allen Bereichen seiner Lebensführung beeinträchtigt. Anders als das Sozialgericht meine, könne eine derartige Beeinträchtigung nicht erst dann angenommen werden, wenn fortlaufend schwerwiegende hypoglykämische Entgleisungen eingetreten sein. Denn dann läge eine außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellage vor, die nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen mit einem GdB von mehr als 50 zu bewerten sei. Das Sozialgericht habe verkannt, dass die Zahl der der erforderlichen Blutzuckermessungen durchaus ein Indiz für besondere, die Lebensführung beeinträchtigende Erschwernisse sein könne. Wer im ständigen Überwachungs- und Handlungsdruck lebe, könne nicht über längere Zeit ungestört anderen Aktivitäten nachgehen. Dies gelte umso mehr, wenn wie vorliegend mehr als vier Injektion regelhaft erforderlich seien. Der Kläger müsse nicht nur überdurchschnittlich häufig Injektionen durchführen, sondern sei wegen der Schwere seiner Erkrankung darüber hinaus gezwungen, einige Zeit nach der Insulininjektion seinen Blutzucker erneut zu messen. Er müsse daher immer Insulin dabei haben und die Möglichkeit, Reisen zu unternehmen, sei eingeschränkt. Ebenso beständen Einschränkungen bei Restaurantbesuchen oder privaten Treffen mit Freunden. Zudem lägen Folgeschäden an anderen Organen vor. So bestehe eine koronare Herzerkrankung und eine erektile Dysfunktion. Er habe auch bereits einen Herzinfarkt erlitten. Dies könne schwerlich geringer zu bewerten sein als die eine oder andere, fremde Hilfe erforderlich machende hypoglykämische Entgleisung. Auch die sexuelle Dysfunktion führe zu einer Beeinträchtigung in seiner Lebensführung. Ferner habe er den Verlust von zwei Zähnen zu beklagen. Auch dies sei Folge der Diabeteserkrankung, denn ein schwer regulierbarer Zuckerwert führe häufig auch zur Schädigung der Blutgefäße und damit einhergehend zu einer Verschlechterung der Durchblutung des Mundraums. Der behandelnde Zahnarzt habe daher auch von einem Füllen der Lücken durch Implantate abgeraten, da deren dauerhaft festes Verwachsen mit dem Kiefer wegen der Schwere des Diabetes nicht gewährleistet wäre. Eine entsprechende Bescheinigung seines Zahnarztes reicht er ein. Es könne auch nicht außer Acht gelassen werden, dass ein GdB von 30 bis 40 nach den VmG bereits regelhaft Menschen zuzubilligen sei, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt seien. Der Kläger sei deutlich stärker belastet. Die Feststellung eines GdB von 50 sei jedenfalls geboten. Zu berücksichtigen sei ferner das im Schultergelenk Einschränkungen der Beweglichkeit beständen, die der erstinstanzliche Sachverständige noch nicht abschließend bewertet habe. Diesbezüglich überreicht er einen Befundbericht aus dem M Klinikum vom 10. Dezember 2018.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 8. Juni 2018 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 2. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2016 zu verurteilen, dem Kläger einen GdB von mindestens 50 zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, aus dem vorgelegten Blutzuckertagebuch ergebe sich, dass in der Regel Injektionen von 3 Einheiten Insulin insbesondere zu den Mahlzeiten erfolgten. Eine wesentliche Varianz in der Insulindosis sei somit nicht dokumentiert. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensführung mit deutlicher Teilhabebeeinträchtigung sei weiterhin nicht festzustellen. Zwar habe der Gutachter auch eine Polyneuropathie beschrieben. Es hätten sich aber klinisch keine motorischen Defizite ergeben. Hinsichtlich des rechten Schultergelenkes sei eine endgültige Funktionsstörung mit einem Abspreizen von 90° dokumentiert. Dies entspreche einem GdB von 10.

Ergänzend wird hinsichtlich des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), gerechnet ab Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung bei dem Landessozialgericht eingegangen. Die Berufungsbeschränkungen des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG stehen der Zulässigkeit nicht entgegen, weil nicht um eine wertmäßig bezifferbare Geld-, Sach- oder Dienstleistung gestritten wird.

Die Berufung ist auch begründet. Im Ergebnis zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen erweisen sich auch in der Fassung des angenommenen Teilanerkenntnis als rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, denn er hat Anspruch auf Zuerkennung eines GdB von 50.

Gemäß § 152 Abs. 1 SGB XI (bis zum 31. Dezember 2017 § 69 Abs. 1 SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden - in Schleswig-Holstein das Landesamt für soziale Dienste - das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Eine Behinderung liegt nach § 2 Abs. 1 SGB IX vor, wenn Menschen körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung in diesem Sinn liegt vor, wenn der Körper und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Der Grad der Behinderung ist nach 10er-Graden abgestuft festzustellen. Gemäß § 153 Abs. 2 SGB IX (bis 31. Dezember 2017 § 70 Abs.2 SGB IX) ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Eine entsprechende Verordnungsermächtigung für das soziale Entschädigungsrecht enthält § 30 Abs.16 BVG (zuvor § 30 Abs.17 BVG). Das Bundessministerium für Arbeit und Soziales hat auf Grundlage des damaligen § 30 Abs. 17 BVG mit Wirkung ab 1. Januar 2009 die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) erlassen. Diese enthält in ihrer Anlage zu § 2 die versorgungsmedizinischen Grundsätze (VmG), in denen u.a. die Einzelheiten der GdB-Bemessung, zum Teil der Voraussetzungen der Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen und der Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Behinderungen geregelt sind.

Liegen mehrere Behinderungen vor, so wird der GdB gemäß § 152 Ab.3 SGB IX (bis 31. Dezember 2017 gem.§ 69 Abs. 3 SGB IX) nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Dabei ist nach Teil A Nr. 3 der VmG zu beachten, dass leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigungen führen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderungen zu schließen. Eine Addition oder andere Rechenmethoden sind zur Ermittlung des Gesamt-GdB ungeeignet. Ausgangsbasis für die Bildung des Gesamt-GdB ist nach Teil A Nr. 3 c VmG vielmehr die Funktionsbeeinträchtigung, die für sich genommen den höchsten Einzel-GdB bedingt. Es ist dann zu prüfen, ob und inwieweit weitere Funktionsbeeinträchtigungen den GdB insgesamt erhöhen. Dabei sind verschiedene Fallgruppen zu beachten. So können Funktionsbeeinträchtigungen voneinander unabhängig sein und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere aber auch ganz besonders nachteilig auswirken. Dieses ist vor allem der Fall, wenn Funktionsbeeinträchtigungen an paarigen Gliedmaßen oder Organen vorliegen. Ferner können sich die Auswirkungen von Behinderungen überschneiden. Es gibt auch Fälle, in denen die Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung durch eine hinzutretende Gesundheitsstörung gar nicht verstärkt werden.

Bei Behinderungen, die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sind, ist im Hinblick auf die nach Teil A Nr. 3 d ee VmG mögliche, in vielen Fällen aber auch nicht anzunehmende erhöhende Wirkung auf den Gesamt-GdB auch zu berücksichtigen, ob es sich um sogenannte "schwache" oder "starke" 20er-Werte handelt, also solche, die eher zu einem GdB von 10 oder eher zu einem GdB von 30 tendieren.

Die schwerbehindertenrechtliche Bewertung einer Diabeteserkrankung richtet sich nach Teil B Nr. 15.1 VmG.

Danach erleiden an Diabetes erkrankte Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdB rechtfertigt. Der GdB beträgt 0.

An Diabetes erkrankte Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB beträgt 20.

An Diabetes erkrankte Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB beträgt 30-40.

An Diabetes erkrankte Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens 4 Insulininjektion durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden aufgrund dieses Therapieaufwandes eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen bzw. Insulingaben über die Insulinpumpe müssen dokumentiert sein. Der GdB beträgt 50.

Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdB- Werte bedingen.

Dazu hat das Bundessozialgericht in gefestigter, ständiger Rechtsprechung (vergleiche Urteil vom 25. Oktober 2012, B 9 SB 2/12 R; Urteil vom 17. April 2013, B 9 SB 3/12 R; Urteil vom 16. Dezember 2014, B9 SB 2/13 R) entschieden, dass der im 4. Absatz von Teil B Nr. 15.1 VmG genannte Therapieaufwand die ebenfalls erforderliche gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung nicht indiziert, sondern über den geschilderten Therapieaufwand hinaus gravierende Einschnitte in der Lebensführung feststellbar sein müssen. Je nach persönlichen Fähigkeiten und Umständen der betreffenden Person könne sich die Anzahl der Insulininjektionen und die ständige Anpassung der Dosis unterschiedlich stark auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken. Abgesehen davon sei für die Beurteilung des GdB bei Diabetes auch die jeweilige Stoffwechsellage bedeutsam, die im Rahmen des Merkmals der gravierenden Beeinträchtigung der Lebensführung berücksichtigt werden könne. Gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung könnten mithin auf Besonderheiten in der Therapie beruhen, etwa wenn ein Erkrankter aufgrund persönlicher Defizite für eine Injektion erheblich mehr Zeit benötige als ein anderer, im Umgang mit den Injektionsutensilien versierter Mensch. (BSG, Urteil vom 25. Oktober 2012 aaO). Es sei eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Nicht zu fordern sei jedoch, dass erhebliche Einschnitte in mindestens zwei verschiedenen Lebensbereichen vorliegen müssten. Bei der anzustellenden Gesamtbetrachtung aller Lebensbereiche lasse sich eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung aber nur unter strengen Voraussetzungen bejahen (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 aaO). Berücksichtigt werden könnten hier nennenswerte Zeiten von Arbeitsunfähigkeit oder stationärer Behandlungsbedürftigkeit oder Folgeschäden an anderen Organen. (BSG aaO). Einschränkungen bei privaten oder dienstlichen Reisen oder beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen und bei der Nahrungsaufnahme beinhalteten eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung im Sinne des dritten Absatzes von Teil B Nr. 15.1 VmG, erreichten das Ausmaß einer darüber noch hinausgehenden ausgeprägten Teilhabebeeinträchtigung im Sinne des vierten Absatzes von Teil B Nr. 15.1 VmG jedoch nicht (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 aaO).

Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung unter Hintanstellung von Bedenken an. Für die Sichtweise des BSG spricht nämlich schon der Wortlaut der Norm, die neben dem geschilderten Therapieaufwand ein Hinzutreten erheblicher Einschnitte fordert. Die VmG formulieren eindeutig " und durch " und nicht etwa " und dadurch ". Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass dieser Ansatz dazu führt, dass die Bewertung des GdB für eine Diabeteserkrankung nicht nur von leicht überprüfbaren, objektivierbaren medizinischen Merkmalen abhängt, sondern von einer zusätzlichen, individuellen Bewertung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung, der naturgemäß eine subjektive Komponente innewohnt. Dem Ziel gleichgelagerte Sachverhalte im Rahmen einer Massenverwaltung auch gleich zu bewerten, wird dadurch tendenziell eher entgegengewirkt.

Der erkennende Senat gelangt ungeachtet dessen unter Zugrundelegung der Maßstäbe der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Vorliegen einer gravierenden Beeinträchtigung in der Lebensführung. Der Kläger hat in der Berufungsbegründung ausführlich und glaubhaft Einschränkungen bei Reisen aber auch bei privaten Besuchen im Freundeskreis oder der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen geschildert. Dass insoweit stärkere Beeinträchtigungen vorliegen, ist in Hinblick auf die Zahl der dokumentierten Blutzuckermessungen und Insulininjektionen auch schlüssig. Diese Einschränkungen erreichen für sich allein allerdings das Ausmaß einer gravierenden Beeinträchtigung noch nicht, wohl aber das Ausmaß einer stärkeren Beeinträchtigung, wie sie für die Annahme eines GdB von 30-40 erforderlich ist. Hinzu kommen bei dem Kläger vorliegend aber noch Schäden an anderen Organen bzw. gesundheitliche Einschränkungen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf den Diabetes zurückzuführen sind. So hat der Kläger einen zweifachen Zahnverlust erlitten, der auch nur eingeschränkt durch Zahnersatz kompensiert werden konnte, denn auf den Einsatz von Implantaten ist auf Anraten des behandelnden Zahnarztes verzichtet worden. Dieser führt den Zahnverlust auf die Diabeteserkrankung zurück. Es ist auch anerkannt, dass eine Diabeteserkrankung mit einem erhöhten Risiko von Parodontitis und Wundheilungsstörungen im Mundbereich einhergeht (vergleiche Eintrag zu Diabetes mellitus bei Wikipedia in der Version vom 13.Februar 2020 m.w.N.). Gleiches gilt für ein erhöhtes Risiko infolge der mit der Erkrankung einhergehenden Durchblutungsstörungen, einen Herzinfarkt zu erleiden (Wikipedia aaO). Insoweit ist darauf zu verweisen, dass der Kläger an einer koronaren Herzkrankheit leidet und bereits einen Herzinfarkt erlitten hat. Der behandelnde Diabetologe und Internist Dr. S führt diese Erkrankung kausal auf den langjährig bestehenden Diabetes zurück. Dr. S bescheinigte auch das von dem Kläger ebenfalls beklagte Vorliegen einer erektilen Dysfunktion. Auch insoweit besteht ein erhöhtes Risiko für männliche Diabetiker eine erektile Dysfunktion zu entwickeln (vgl. www.zuckerkrank.de/diabetes-alltag/sexualitaet). Die Berücksichtigung von Folgeerkrankungen, die mit Wahrscheinlichkeit durch den Diabetes mitverursacht worden sind, erfordert nicht, dass die Folgeerkrankung selbst mit einem GdB zu bewerten ist, der sich erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirken kann. Würde man dies fordern, so bliebe für die Berücksichtigung von Folgeerkrankung im Rahmen von Teil B Nr.15.1 VmG kaum ein eigener Anwendungsbereich, weil dann ja schon die Folgeerkrankung selbst im Rahmen der Gesamt-GdB-Bildung Berücksichtigung finden würde. Auch ein Vergleich zu den anderen Fallgruppen erheblicher Einschränkungen im Sinne der streitigen Norm legt dies nahe, denn wenn mit der Rechtsprechung des BSG schon ein zeitlicher Mehraufwand für die notwendigen Injektionen aufgrund persönlicher Defizite die Annahme erheblicher Einschränkungen rechtfertigt, ist ein allzu restriktiver Maßstab bei der Berücksichtigung von Folgeerkrankungen nicht indiziert. Es kommt daher vorliegend auch nicht darauf an, ob die Voraussetzungen der Bewertung der erektilen Dysfunktion mit einen GdB von 20 gemäß Teil B Nr. 13.2 VmG bzw. des Zahnverlustes gemäß Teil B Nr.7.4 VmG vorliegen.

Berücksichtigt man sowohl die Einschränkungen bei der Freizeitgestaltung, insbesondere beim Reisen, bei Restaurantbesuchen sowie bei der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen und den Besuch von Freunden als auch das Vorliegen mehrerer Folgeerkrankungen des Diabetes, so liegen insgesamt gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung vor, die die Bewertung der Erkrankung des Klägers mit einem GdB von 50 rechtfertigen. Gestützt wird dies auch durch den Umfang des Therapieaufwandes, der hier den in Teil B Nr.15. Abs.4 VmG geforderten Mindestumfang noch deutlich übersteigt.

Die Einschränkungen der Beweglichkeit in der rechten Schulter hat der Beklagte nicht korrekt bewertet. Denn die 10 bzw. 11 Monate postoperativ vom M Klinikum dokumentierte Abduktionsfähigkeit von 90 Grad bedingt gemäß Teil B Nr. 18.13 VmG einen GdB von 20 und nicht nur von 10. In Hinblick darauf, dass dieser Grenzwert gerade so erreicht wird, erscheint es aber nicht angezeigt, den Gesamt-GdB weiter zu erhöhen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1, Abs. 4 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.