· Wer in Generationen denkt, braucht mehr als gute Absichten
Familienverfassung schafft Orientierung

von Dipl.-Bw. Susanne Klier, Family Business Consulting, Köln
| Familienunternehmen leben von klaren Beziehungen. Mit wachsender Gesellschafterzahl, Generationswechsel, externer Geschäftsführung oder Regulierungs- und Finanzierungsanforderungen steigt das Risiko von Konflikten, Entscheidungsstaus und Wertverlust. Eine Familienverfassung schafft Orientierung: Sie bündelt Werte, Ziele und Regeln für Eigentum, Rollen, Nachfolge und Kommunikation und macht die Familie als Gesellschaftergremium handlungsfähig. Der Beitrag zeigt, wie eine Familienverfassung Stabilität, Geschwindigkeit und Vertrauen erhöht und liefert konkrete Schritte, um vom Vorsatz zur wirksamen Umsetzung zu kommen. |
1. Familienverfassung verstehen: Nutzen, Einordnung und Abgrenzung zur Inhaberstrategie
Wenn Familien ein Unternehmen führen, begegnen sich zwei Systeme mit ganz eigenen Logiken: das emotionale, beziehungsorientierte Familiensystem und das sachlich-rationale Unternehmenssystem. Beide verfolgen unterschiedliche Ziele und folgen unterschiedlichen Regeln ‒ und gerade darin liegt die große Stärke, aber auch das größte Konfliktpotenzial von Familienunternehmen. Das Familiensystem zielt darauf ab, Sicherheit, Fürsorge und Loyalität zu wahren. Entscheidungen orientieren sich hier oft an der Frage: Was ist gut für die Familie? Das Unternehmenssystem hingegen folgt den Prinzipien von Effizienz, Ergebnisorientierung und Wettbewerb. Es fragt: Was sichert den Substanzwert des Unternehmens ‒ heute und morgen?
In diesem Spannungsfeld prallen zwei unterschiedliche Haltungen aufeinander: das „Family First“-Prinzip, das die Interessen der Familienmitglieder priorisiert, und das „Business First“-Prinzip, das das Unternehmen als eigenständige Einheit betrachtet, die zukunftsfähig und wettbewerbsfähig bleiben muss ‒ auch unabhängig von individuellen Bedürfnissen. Beides hat seine Berechtigung. Aber ohne bewusste Auseinandersetzung mit diesen Unterschieden entstehen Reibung, Missverständnisse und nicht selten Konflikte.
Hier setzt die Familienverfassung ‒ auch Familien-Charta, Familiensatzung oder Family Governance genannt ‒ an: Sie ist ein Orientierungsrahmen, den sich die Familie selbst gibt ‒ mit dem Ziel, die Erwartungen, Werte und Spielregeln des Miteinanders zu klären. Sie beantwortet die grundlegende Frage: Wie wollen wir als Familie mit dem Unternehmen verbunden sein?
1.1 Familienverfassung ist nicht gleich Inhaberstrategie
Oft werden die Begriffe Inhaberstrategie und Familienverfassung synonym verwendet ‒ doch sie sind nicht dasselbe. Die Inhaberstrategie beschreibt den Prozess, in dem eine Unternehmerfamilie ihr Selbstverständnis, ihre Ziele und ihre langfristige Rolle im Unternehmen reflektiert. Sie umfasst einen strukturierten Dialog zu Themen wie Nachfolge, Werte, Vermögen, Verantwortung und Zusammenarbeit.
Die Familienverfassung ist hingegen das Ergebnis dieses Prozesses: ein verschriftlichtes Dokument, das die in der Inhaberstrategie erarbeiteten Inhalte zusammenfasst, verdichtet und für die Familie verbindlich macht ‒ moralisch, nicht juristisch. Sie ist Ausdruck eines gemeinsamen Commitments und lebt davon, dass sie mitgetragen und weiterentwickelt wird.
1.2 Orientierung nach innen ‒ Klarheit nach außen
Ziel der Familienverfassung ist es, nicht nur die Rollen und Beziehungen innerhalb der Familie zu klären, sondern auch den Auftrag an das Unternehmen und seine Organe zu formulieren. Nur wenn die Inhaberfamilie weiß, was sie will, kann ein Beirat oder eine Geschäftsführung den unternehmerischen Auftrag verstehen ‒ und mit strategischer Sicherheit handeln.
Die Erfahrung zeigt: Allein der gemeinsame Weg zur Familienverfassung ‒ also das Gespräch, die Auseinandersetzung, das Zuhören ‒ hat eine enorme Wirkung auf das Selbstverständnis der Inhaberfamilie. Er stärkt den Dialog zwischen den Generationen, schafft neue Perspektiven und bringt oft unausgesprochene Themen endlich auf den Tisch. Gerade weil viele Regelungen zuvor nur implizit vorhanden waren ‒ „weil es schon immer so war“ ‒ entsteht durch das Aussprechen und Aufschreiben eine neue Form von Verbindlichkeit, Transparenz und Vertrauen.
Gleichzeitig dient die Familienverfassung als strategischer Kompass: Sie hilft, unternehmerische Entscheidungen im Einklang mit den familiären Werten zu treffen ‒ und schafft die Grundlage für weitere Regelwerke wie Gesellschaftsverträge, Beiratsordnungen oder Beteiligungsmodelle. Sie ist kein Selbstzweck, sondern ein wirksames Instrument, das sowohl Orientierung als auch Identifikation ermöglicht ‒ besonders in Zeiten des Wandels oder der Nachfolge.
2. Anlass und Reifegrad: Wann Familienverfassungen wirklich Sinn machen
Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Familienverfassung? Diese Frage wird mir oft gestellt ‒ und meine Antwort ist: nicht dann, wenn alles längst entschieden ist, sondern dann, wenn noch offen ist, wie es weitergehen soll. Denn der eigentliche Wert der Familienverfassung liegt nicht im Dokument selbst, sondern in dem Prozess, den sie anstößt ‒ im gemeinsamen Denken, Diskutieren, Verstehen.
In der Praxis zeigt sich: Der Wunsch nach einer Familienverfassung entsteht oft an Wendepunkten. Wenn beispielsweise eine Nachfolge vorbereitet wird oder ein Generationswechsel ansteht. Wenn neue Gesellschafter ‒ etwa durch Erbschaft ‒ hinzukommen oder wenn es im Alltag immer wieder zu Reibungen, Missverständnissen oder unklaren Verantwortlichkeiten kommt. Auch der Wunsch, sich als Familie bewusster aufzustellen oder künftige Konflikte zu vermeiden, kann ein Auslöser sein. Dabei sind es aber nicht nur die großen strukturellen Umbrüche, die den Bedarf nach einer Familienverfassung auslösen, sondern auch die unterschiedlichen Lebensrealitäten innerhalb der Inhaberfamilie.
Ich erinnere mich an eine Familie mit drei Brüdern: Der älteste Bruder plante, seine Unternehmensanteile auf seinen bereits volljährigen Sohn zu übertragen. Der jüngste Bruder erwartete gerade sein zweites Kind. Die Gespräche über Erbschaft, Nachfolge und Beteiligung drohten sich in spontane Einzelentscheidungen zu verlieren ‒ bis die Familie sich entschied, das Thema grundsätzlicher anzugehen. Die Familienverfassung half, eine gemeinsame Haltung zu entwickeln, die für alle tragfähig war ‒ über individuelle Lebensphasen hinaus.
Entscheidend ist nicht nur der äußere Anlass, sondern auch der innere Reifegrad der Familie. Die Bereitschaft, offen miteinander zu sprechen. Die Fähigkeit, unterschiedliche Perspektiven nebeneinander stehen zu lassen. Und der Wille, eine gemeinsame Linie zu finden ‒ auch wenn man sich nicht in allem einig ist.
Je komplexer die Inhaberstruktur, desto dringlicher wird diese Klärung. Sobald mehrere Generationen beteiligt sind, Anteile zersplittert sind oder neue Familienzweige dazukommen, steigt die Notwendigkeit, sich über Spielregeln und Prinzipien zu verständigen. Auch wenn ‒ oder gerade weil ‒ viele Entscheidungen noch nicht getroffen wurden, bietet der inhaberstrategische Prozess einen sicheren Rahmen, in dem diese Diskussionen geführt werden können.
Wer frühzeitig beginnt, schafft Vertrauen und Orientierung, bevor Konflikte eskalieren oder externer Druck entsteht. Die Erfahrung zeigt: Es ist leichter, eine Familienverfassung in ruhigen Phasen zu entwickeln, als unter Zeitdruck oder im Krisenmodus.
3. Vom Sprechen zum Schreiben: Der Weg zur Familienverfassung und ihre zentralen Themen
Eine Familienverfassung entsteht nicht über Nacht ‒ und sie lässt sich auch nicht einfach „erstellen“, wie man ein Vertragswerk aufsetzt. Vielmehr handelt es sich um einen strukturierten Klärungsprozess, der Moderation, Zeit und ein gutes Gespür für Dynamiken braucht. Die zentrale Frage dabei lautet: Wie wollen wir als Familie gemeinsam in Verantwortung stehen ‒ heute und in Zukunft?
Oft beginnen wir diesen Prozess mit einem gemeinsamen Auftaktworkshop, an dem alle relevanten Familienmitglieder teilnehmen ‒ idealerweise über Generationen hinweg. In diesem Rahmen klären wir zunächst Rollen, Erwartungen und Zielbilder. Wie ist der Status quo? Welche Themen liegen unausgesprochen im Raum? Und was braucht es, um in eine konstruktive Auseinandersetzung zu kommen?
Anschließend folgt ein mehrstufiger Prozess mit Workshops, Einzelgesprächen oder kleinen Arbeitsgruppen ‒ immer angepasst an die spezifische Familiensituation. Dabei orientieren wir uns an sieben Themenfeldern, die in fast allen Familien auftauchen, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung:
|
|
Diese Themen werden nicht in einer Sitzung entschieden ‒ sie wachsen. Und sie verändern sich mit jeder Diskussion, mit jeder Perspektive, die hinzukommt. Genau darin liegt die Kraft der Familienverfassung: Sie ist nicht nur ein Dokument, sondern ein Raum, in dem Verständigung möglich wird.
4. Umsetzung mit Wirkung: Wie die Familienverfassung ins Leben kommt
Eine Familienverfassung zu entwickeln, ist ein anspruchsvoller, oft intensiver Prozess. Viele Familien berichten davon, wie viel Nähe, Perspektivwechsel und gegenseitiges Verständnis dabei entsteht. Doch so kraftvoll dieser Prozess auch ist ‒ seine Wirkung entfaltet sich erst dann, wenn die Vereinbarungen auch gelebt werden.
Denn: Die Familienverfassung ist kein Abschlussdokument. Sie ist kein Vertrag, der mit Unterschrift automatisch gilt. Sie ist eine Selbstverpflichtung, die ihre Stärke aus der Identifikation der Beteiligten zieht ‒ und aus der Bereitschaft, sich auch nach der Verschriftlichung mit ihr auseinanderzusetzen. Ohne Verantwortlichkeit bleibt sie ein gut gemeintes Papier.
Deshalb ist es entscheidend, die Familienverfassung im Alltag handhabbar zu machen. Das beginnt mit der Frage: Wer übernimmt eigentlich die Verantwortung für die Umsetzung? Welche Personen sorgen dafür, dass Vereinbartes überprüft, weiterentwickelt oder eingehalten wird? Und wie stellen wir sicher, dass neue Familienmitglieder ‒ etwa durch Geburt, Heirat oder Erbschaft ‒ an die Inhalte herangeführt werden?
In vielen Familien hat es sich bewährt, die Familienverfassung jährlich auf die Agenda der Gesellschafterversammlung zu setzen. So kann regelmäßig geprüft werden, ob die getroffenen Regelungen noch den gelebten Realitäten entsprechen ‒ oder ob es aufgrund veränderter Lebenssituationen, neuer Familienmitglieder oder unternehmerischer Entwicklungen Anpassungen braucht.
Zusätzlich kann ein Familienmanager benannt werden ‒ eine Rolle mit der Aufgabe, die vereinbarten Inhalte im Alltag umzusetzen, lebendig zu halten und weiterzuentwickeln. Dieser Familienmanager übernimmt keine Entscheidungsbefugnis, aber eine strukturierende und begleitende Funktion ‒ vergleichbar mit einem Projektverantwortlichen innerhalb der Familie.
Darüber hinaus sollten ausgewählte Inhalte auch in rechtlich relevante Dokumente überführt werden. Denn auch wenn die Familienverfassung moralisch verbindlich ist ‒ sie ersetzt keinen Gesellschaftsvertrag. Typische Beispiele für eine rechtliche Konkretisierung sind:
- Gesellschaftsverträge, in denen etwa Nachfolgeregelungen, Vorkaufsrechte oder Ausschüttungspolitiken kodifiziert werden
- Beiratsordnungen, die aus der Governance-Logik der Familienverfassung abgeleitet werden
- Eheverträge, wenn beispielsweise klar geregelt werden soll, wie mit Anteilen im Falle einer Trennung umgegangen wird
- Testamente, in denen die familienintern erarbeiteten Prinzipien zur Vermögensweitergabe rechtlich abgesichert werden
Was in die Familienverfassung gehört ‒ und was zusätzlich rechtlich geregelt werden sollte ‒ ist keine starre Trennlinie, sondern eine bewusste Abwägung. Sie hängt von der Familienstruktur, dem Vertrauen untereinander und dem Reifegrad der Organisation ab.
MERKE | Die Familienverfassung kann nicht alle Eventualitäten lösen. Aber sie kann dafür sorgen, dass im entscheidenden Moment bereits ein gemeinsames Grundverständnis da ist ‒ und niemand bei null anfangen muss. Ihre Wirkung entfaltet sich nicht nur im Dokument, sondern im Handeln. Und dafür braucht es Klarheit, Kontinuität und eine Familie, die bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. |
5. Zwei Welten, ein Ziel ‒ Wie Familienverfassung und Gesellschaftsvertrag zusammenspielen
Die Familienverfassung und der Gesellschaftsvertrag sind zwei zentrale Instrumente der Governance in Familienunternehmen ‒ sie folgen jedoch unterschiedlichen Logiken. Während der Gesellschaftsvertrag ein juristisch bindendes Regelwerk ist, das die formalen Rechte und Pflichten der Gesellschafter sowie den rechtlichen Rahmen des Unternehmens definiert, ist die Familienverfassung ein moralisches Selbstverständnis-Dokument. Sie formuliert die gemeinsamen Werte, Ziele und Prinzipien, nach denen die Inhaberfamilie ihre Beziehung zum Unternehmen gestalten will.
Beide Dokumente unterscheiden sich also im Charakter ‒ doch genau darin liegt ihr gemeinsames Potenzial: Die Familienverfassung schafft den Orientierungsrahmen, auf dessen Grundlage ein tragfähiger und zukunftsgerichteter Gesellschaftsvertrag entwickelt werden kann. Sie bietet Klarheit über Haltungen, Verhaltensregeln und Zielbilder, auf die sich alle Familienmitglieder verständigt haben ‒ und damit auch über das, was rechtlich geregelt werden sollte.
Ein Beispiel: In der Familienverfassung kann die Haltung der Familie zur Unternehmensnachfolge grundlegend beschrieben sein ‒ etwa die Präferenz für familieninterne Übergaben, das Ideal der Gleichbehandlung oder die Haltung zur Eignung von Nachfolgern. Diese Grundsätze liefern dann die Leitplanken für konkrete Regelungen im Gesellschaftsvertrag ‒ etwa zur Übertragbarkeit von Anteilen, zu Eintrittskriterien für Nachfolger oder zu Vorkaufsrechten.
Ein weiteres Beispiel ist die Ausschüttungspolitik: Während im Gesellschaftsvertrag vielleicht ein Verteilungsschlüssel steht, definiert die Familienverfassung das Verständnis, warum dieser Schlüssel so gewählt wurde ‒ etwa weil Substanzerhalt über Konsum geht oder weil das Vermögen auch nachfolgenden Generationen dienen soll. Diese Werte machen das rechtliche Dokument anschlussfähig und verständlich.
MERKE | Die Familienverfassung ersetzt keinesfalls den Gesellschaftsvertrag ‒ aber sie verhindert, dass dieser rein formalistisch, konfliktreduzierend oder technokratisch formuliert wird. Ohne vorherige Verständigung über Werte, Erwartungen und Prinzipien kann der Gesellschaftsvertrag zu einem bloßen Kompromissdokument werden, in dem sich niemand wirklich wiederfindet ‒ mit der Folge, dass Konflikte trotzdem aufbrechen. |
Gleichzeitig muss auch bewusst sein: Eine Familienverfassung ist in der Regel nicht rechtsverbindlich. Sie ist Ausdruck eines gemeinsamen Commitments ‒ und wird im Streitfall zwar oft herangezogen, ist aber juristisch nicht einklagbar. Deshalb ist es sinnvoll, ausgewählte Regelungsinhalte aus der Familienverfassung gezielt in den Gesellschaftsvertrag zu überführen, wenn sie dort rechtlich abgesichert sein sollen.
So entsteht ein Zusammenspiel beider Welten: Die Familienverfassung als Fundament, das Orientierung, Werte und Zusammenhalt sichert. Der Gesellschaftsvertrag wiederum als juristische Absicherung, die klare, überprüfbare Rahmenbedingungen für die Unternehmensführung und Gesellschafterbeziehungen schafft. Nur gemeinsam entfalten sie ihre volle Wirkung ‒ für eine starke, zukunftsfähige Inhaberfamilie.
6. Persönliches Fazit ‒ Wie die Familienverfassung wirklich wirkt
In meiner Arbeit mit Inhaberfamilien ‒ aber auch als Mitglied einer Unternehmerfamilie ‒ habe ich erlebt, dass der Wert einer Familienverfassung weit über das geschriebene Wort hinausgeht. Es ist nicht das Dokument allein, das wirkt. Es ist der Weg dorthin, das gemeinsame Denken, Ringen und Verständigen, das eine neue Qualität in die Zusammenarbeit bringt.
Im Entwicklungsprozess habe ich gespürt, wie wichtig es ist, Raum für unterschiedliche Haltungen und Lebensrealitäten zu schaffen. In unserer Familie war nicht immer alles klar: Wer übernimmt welche Verantwortung? Wie offen wollen wir miteinander über Geld sprechen? Welche Rolle spielt Herkunft, welche spielt Haltung? Erst durch die moderierten Gespräche ‒ und durch den Mut, auch schwierige Themen anzusprechen ‒ konnten wir einander wirklich zuhören. Das hat uns als Familie verändert. Wir haben uns nicht nur besser verstanden, sondern auch besser zugehört.
Bei der Ausgestaltung unseres Gesellschaftsvertrags war die Familienverfassung dann wie ein Kompass: Viele Fragen waren bereits geklärt ‒ etwa zum Ausscheiden von Gesellschaftern, zur Erbfolge oder zur Rolle von Ehepartnern. Wir mussten nicht bei null anfangen oder auf Standardformulierungen zurückgreifen, sondern konnten auf eigene Überzeugungen und gemeinsame Entscheidungen zurückgreifen. Das gab uns Klarheit ‒ und unseren Beratern eine wertvolle Grundlage.
In Krisenzeiten, in denen der Ton rauer wurde und Unsicherheiten Raum gewannen, war es die Familienverfassung, die uns geholfen hat, wieder zueinander zu finden. Nicht, weil sie Lösungen vorgab ‒ sondern weil sie uns erinnerte: Wer sind wir als Familie? Wofür stehen wir? Und wie gehen wir miteinander um, wenn es schwierig wird?
Heute bin ich überzeugt: Die Familienverfassung ist kein starres Regelwerk, sondern ein lebendiger Rahmen. Sie ist wie ein gemeinsamer Boden, auf dem jeder stehen kann ‒ auch wenn er in eine andere Richtung schaut. Sie ersetzt keine juristischen Verträge, keine professionelle Geschäftsführung und keine persönliche Verantwortung. Aber sie verankert das, was oft zu kurz kommt: Sinn, Haltung und Beziehung.
Deshalb ist mein Appell an jede Inhaberfamilie: Beginnen Sie rechtzeitig. Nicht, wenn der Konflikt schon da ist. Nicht, wenn die Nachfolge vor der Tür steht. Sondern dann, wenn noch Zeit ist zu fragen: Wer wollen wir als Familie sein ‒ und was wollen wir gemeinsam gestalten?
Zur Autorin | Susanne Klier begleitet seit 2020 Inhaberfamilien im Generationswechsel als Sparringspartnerin, Coach und Mediatorin. Als Unternehmerin in dritter Generation kennt sie die Chancen und Fallstricke der Nachfolge aus eigener Erfahrung und bringt zusätzlich mehr als 15 Jahre Management- und Führungserfahrung aus unterschiedlichen Organisationsstrukturen mit. Sie unterstützt Unternehmerfamilien in zentralen Transformationsprozessen ‒ von der Nachfolgeplanung über die Entwicklung von Familienstrategien bis hin zur Kompetenzentwicklung der nächsten Generation. Dabei verbindet sie betriebswirtschaftliches Know-how mit psychologischem Verständnis und legt besonderes Augenmerk auf das Zusammenspiel von Rationalität und Emotionalität. Ihr Ziel: nachhaltige Nachfolgelösungen, die den langfristigen Unternehmenserfolg sichern und zugleich den Familienfrieden bewahren. Susanne Klier ist Diplom-Betriebswirtin, zertifizierte Nachfolgeexpertin und systemische Business-Coachin sowie ausgebildete Mediatorin.