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  • · Fachbeitrag · Kindergeld

    Neue Rechtsprechung zum Kindergeldanspruch bei Auslandsbezug

    von RA Prof. Dr. Ralf Jahn, Würzburg

     

    Sachverhalte

    Im ersten Fall (BFH III R 59/11) war streitig, ob dem polnischen Vater, der in den Streitjahren 2005 und 2006 gemäß § 1 Abs. 3 EStG zur Einkommensteuer veranlagt wurde, für seine in Polen lebenden Kinder, für die er im Jahr 2005 polnische Familienleistungen erhalten hatte, jeweils für das ganze Jahr 2005 und 2006 (deutsches) Kindergeld zusteht oder aber nur für die Zeiträume seiner inländischen Saisonbeschäftigung. Der BFH hat letzteres angenommen.

     

    Im zweiten Fall (BFH VI R 68/11) war die Kürzung des Kindergeldanspruchs eines deutschen Wanderarbeitnehmers mit Wohnsitz im Inland streitig, der in den Niederlanden arbeitete und nach dortigem Recht einen Anspruch auf Familienleistungen hatte. Der BFH hat entschieden, dass der deutsche Kindergeldanspruch nach § 62 ff. EStG zwar nicht ausgeschlossen ist, im Ausland gewährte Familienleistungen aber anzurechnen sind.

     

    Im dritten Fall (BFH III R 22/12) war der Kindergeldanspruch eines nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländers streitig, der dem Nato-Truppenstatut unterliegt. Der BFH hat den Kindergeldanspruch in analoger Anwendung von § 62 Abs. 2 EStG bejaht.

     

    Anmerkungen

    Nach nationalem Recht enthält § 62 Abs. 1 EStG die Anspruchsvoraussetzungen für Kindergeld. Kindergeld wird nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG allerdings nicht gezahlt, wenn für das Kind im Ausland Leistungen gewährt werden, die dem (deutschen) Kindergeld vergleichbar sind.

     

    In der VO (EWG) Nr. 1408/71 ist unter Titel II in Art. 13 geregelt, dass Personen grundsätzlich nur dem System zur sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen. Sinn dieser Regelung ist es, dass es nicht wegen der parallelen Anwendung mehrerer nationaler Rechtsvorschriften zur gänzlichen Versagung sozialen Schutzes oder zur ungerechtfertigten Kumulierung von Ansprüchen kommt. Unlängst hat der BFH klargestellt, dass diese Vorschriften Kollisionsregeln darstellen und deshalb keinen eigenständigen Anspruch auf Kindergeld begründen (BFH 20.3.13, XI R 37/11, BFH/NV 13, 1170 Abruf-Nr. 131771, Verfassungsbeschwerde beim BVerfG unter 2 BvR 2338/13).

     

    Die neuen BFH-Urteile können wie folgt zusammengefasst werden:

     

    • Die Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 b EStG besteht nur für die Monate, in denen der Steuerpflichtige - seine fiktive Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG vorausgesetzt - tatsächlich auch inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG erzielt hat.

     

    • Eine fiktive Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG liegt nur dann vor, wenn das Finanzamt im maßgeblichen Einkommensteuerbescheid dem entsprechenden Antrag des Steuerpflichtigen entsprochen hat. Lässt sich eine solche Behandlung dem Steuerbescheid nicht eindeutig entnehmen, kommt es auf den objektiven Erklärungsinhalt des Steuerbescheides an (BFH 24.5.12, III R 14/10, BStBl II 12, 897).

     

    • Ein nach §§ 62 ff. EStG bestehender Kindergeldanspruch ist entgegen § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG nicht ausgeschlossen, wenn ein Wanderarbeitnehmer in einem nach den gemeinschaftsrechtlichen Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit für die Gewährung von Familienleistungen zuständigen Beschäftigungsmitgliedstaat dem Kindergeld vergleichbare Familienleistungen erhält. Solche Leistungen sind allerdings auf den Kindergeldanspruch anzurechnen (s. auch EuGH 20.5.08, C-352/06, HFR 08, 877; EuGH 12.6.12, C-611/10 und C-612/10, DStRE 12, 999).

     

    • Verliert ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer seinen zum Bezug von Kindergeld berechtigten Aufenthaltstitel, weil sich sein Aufenthaltsstatus aufgrund seiner Heirat mit einer Angehörigen des zivilen Gefolges der Nato-Truppen nunmehr nach dem Nato-Truppenstatut richtet, so ist er dennoch aufgrund einer analogen Anwendung des § 62 Abs. 2 EStG kindergeldberechtigt. Denn es würde dem Zweck der Kindergeldregelung widersprechen, wenn ausländische Staatsangehörige, die
      • sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten,
      • voraussichtlich dauerhaft in Deutschland einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen,
      • in das Sozialversicherungssystem eingegliedert und
      • einkommensteuerpflichtig sind,
    • vom Kindergeld ausgeschlossen würden, weil sie für ihren rechtmäßigen Aufenthalt Kraft gesetzlicher Regelung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind und deshalb keinen Aufenthaltstitel erhalten.

     

    Praxishinweise

    Das Niedersächsische FG hat am 19. und 21.8.13 in den Klageverfahren 7 K 111/13, 7 K 112/13, 7 K 113/13 7 K 114/13, 7 K 116/13 und 7 K 9/10 entschieden, dass die Verfahren ausgesetzt werden und Entscheidungen des BVerfG darüber eingeholt werden, ob § 62 Abs. 2 EStG verfassungswidrig ist. § 62 Abs. 2 EStG regelt den Anspruch von im Inland lebenden Ausländern auf Kindergeld. Der 7. Senat des Niedersächsischen FG ist davon überzeugt, dass § 62 Abs. 2 EStG gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Die vom Gesetzgeber gewählten Differenzierungskriterien in § 62 Abs. 2 EStG halten nach Auffassung des FG einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand.

     

    Beachten Sie | Die Begründung der Vorlagen und die Az. des BVerfG sollen demnächst auf der Internetseite des Niedersächsischen FG veröffentlicht werden.

    Quelle: Ausgabe 02 / 2014 | Seite 31 | ID 42434850

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