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  • · Fachbeitrag · Erbschaft-/Schenkungsteuer

    Erbschaftsteuerliche Freibeträge sind europarechtswidrig

    von RA Prof. Dr. Ralf Jahn, Würzburg

    Die deutschen Vorschriften, wonach bei der Erbschaft oder Schenkung einer Immobilie nur ein geringer erbschaft- bzw. schenkungsteuerlicher Freibetrag gewährt wird, wenn der Erblasser (zur Zeit seines Todes) oder der Schenker (zur Zeit der Ausführung der Schenkung) und der Erwerber (zur Zeit der Entstehung der Steuer) in einem anderen Mitgliedstaat ansässig waren, verstoßen gegen die EU-Kapitalverkehrsfreiheit. Denn es wird ein wesentlich höherer Freibetrag gewährt, wenn wenigstens einer der beiden Beteiligten zur betreffenden Zeit in Deutschland ansässig war. Damit hat der EuGH seine bisherige Rechtsprechung abermals bekräftigt (EuGH 4.9.14, C-211/13).

     

    Sachverhalt

    Hintergrund des Besprechungsurteils ist ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland aus dem Jahr 2013. Bereits 2009 hatte die Kommission die Bundesrepublik Deutschland darauf hingewiesen, dass ihre Rechtsvorschriften mit der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV = Art. 56 EG a.F.) unvereinbar seien, da § 16 Abs. 2 ErbStG im Fall der beschränkten Steuerpflicht hinsichtlich der Erbschaft- und Schenkungsteuer einen Freibetrag von nur 2.000 EUR vorsehe, während im Fall der unbeschränkten Steuerpflicht Freibeträge zwischen 20.000 EUR und 500.000 EUR gewährt würden. Die Nachbesserung des deutschen Gesetzgebers durch die Einfügung eines Antragsrechts eines beschränkt steuerpflichtigen Erwerbers hin zur unbeschränkten Steuerpflicht in § 2 Abs. 3 ErbStG hielt die EU-Kommission für nicht ausreichend. Der Vertragsverletzungsklage der EU-Kommission hat der EuGH jetzt stattgegeben und einen Verstoß der deutschen Rechtsvorschriften gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) festgestellt.

     

    Anmerkungen

    Diese deutschen Vorschriften in § 16 Abs. 2 ErbStG laufen darauf hinaus, dass die Erbschaft bzw. Schenkung von Grundstücken zwischen Gebietsfremden höher besteuert wird, als wenn zumindest einer der Beteiligten im maßgeblichen Zeitpunkt im Inland ansässig gewesen wäre. Wirtschaftlich wird damit eine Wertminderung des Nachlasses oder der Schenkung bewirkt. Dies stellt eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs (Art. 63 AEUV = Art. 56 EG) dar. Den Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit begründet der EuGH wie folgt:

     

    • Ein Sachverhalt, bei dem eine Person mit Wohnsitz zum Zeitpunkt des Todes oder der Schenkung in der EU (oder in einem Drittland) einer anderen Person mit gleichem Wohnsitz Vermögensgegenstände vererbt/schenkt, die zur Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer veranlagt werden, kann nicht als rein innerstaatlicher Sachverhalt angesehen werden. Eine solche Erbschaft/Schenkung stellt also einen Vorgang dar, der grundsätzlich unter den freien Kapitalverkehr i.S.d. Art. 63 AEUV (= 56 Abs. 1 EG a.F.) fällt (so bereits EuGH 22.4.10, C-510/08, BFH/NV 10, 1212; EuGH 17.10.13, C-181/12, BFH/NV 13, 2046).

     

    • Wie der EuGH abermals bekräftigt, ist diese Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt: Es gibt in Bezug auf die Höhe der Schenkung- oder Erbschaftsteuer, die für ein in Deutschland belegenes Vermögen anfällt, keinen objektiven Unterschied, der es rechtfertigen würde, die Situation von Personen, von denen keine in diesem Mitgliedstaat ansässig ist, und die Situation in der zumindest eine der beteiligten Personen in diesem Staat ansässig ist, ungleich zu behandeln. Denn der Wert für eine in Deutschland belegene Immobilie wird nach dem Gesetz nach deren Wert und dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen Schenker bzw. Erblasser und dem Erwerber berechnet. Wie der EuGH betont, ist weder das eine noch das andere dieser beiden Kriterien vom Wohnort dieser Person abhängig.

     

    • Folglich hat Deutschland gegen seine Verpflichtungen aus Art. 63 AEUV verstoßen. Mit § 16 ErbStG wurde eine Rechtsvorschrift erlassen und beibehalten, nach der für eine in Deutschland belegene Immobilie (oder Vermögen) nur ein geringer Freibetrag gewährt wird, wenn der Erblasser zur Zeit des Todes oder der Schenker zur Zeit der Schenkung und der Erwerber zum Entstehungszeitpunkt der Steuer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig waren, während ein wesentlich höherer Freibetrag gewährt wird, wenn wenigstens einer der beiden Beteiligten in Deutschland ansässig war.

     

    PRAXISHINWEISE |

    Mit diesem Urteil setzt der EuGH seine Rechtsprechung in den Verfahren Mattner und Welte konsequent auch im laufenden Jahr fort (EuGH 22.4.10, C-510/08, BFH/NV 10, 1212; EuGH 17.10.13, C-181/12, BFH/NV 13, 2046). In Vergleichsfällen ist Steuerpflichtigen deshalb zu raten, die allgemein bei unbeschränkter Steuerpflicht im Inland geltenden Freibeträge bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer zu reklamieren und sich hierbei auf die jüngste EuGH-Rechtsprechung zu berufen. Steuerpflichtige können also einen erheblichen steuerlichen Vorteil schöpfen, wenn sie anderslautende Steuerbescheide anfechten.

     

    Die (höheren) Freibeträge bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer sind nicht auf Fälle im EU-Ausland beschränkt. Nach dem Urteil in der Rechtssache Welte (EuGH 17.10.13, C-181/12) gilt der Freibetrag des § 16 Abs. 1 ErbStG vielmehr auch für Drittstaatsangehörige. Auch dies ist eine konsequente Erweiterung der bisherigen Rechtsprechungslinie des EuGH.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Für Sterbefälle ab dem 17.8.15 tritt eine neue europäische Erbrechtsverordnung (EU-ErbVO Nr. 56/2012, Abl. 12, L 201/107) in Kraft. Damit wird künftig das internationale Erbrecht EU-weit vereinheitlicht. Zum Anwendungsbereich und Gestaltungsempfehlungen bei der Nachlassplanung s. ausführlich Jülicher, PIStB 14, 167 ff., 14, 228 ff.
    • Zu Sonderbesteuerungsrechten im deutsch-französischen Erbfall s. Jülicher, PIStB 14, 256 ff.
    Quelle: Ausgabe 11 / 2014 | Seite 294 | ID 42965962

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