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  • · Fachbeitrag · Einkommensteuer

    Fiktive unbeschränkte Steuerpflicht ‒ Berechnung der Einkunftsgrenzen

    von StB Dr. Oliver Schmidt, Hamburg

    Bei der Prüfung der Einkunftsgrenzen für die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht ist das gezahlte Krankengeld des niederländischen Sozialversicherungsträgers (UWV) nicht in die Ermittlung des Welteinkommens einzubeziehen. Ausländische Kapitaleinkünfte eines fiktiv unbeschränkt Steuerpflichtigen unterliegen nicht dem Progressionsvorbehalt (FG Düsseldorf 5.12.17, 10 K 1232/16 E, EFG 18, 631, Revision unter I R 3/18).

     

    Sachverhalt

    Im Besprechungsurteil geht es um die Besteuerung von in Deutschland beschränkt steuerpflichtigen Einkünften aus selbstständiger Arbeit (ca. 60.000 EUR) einer in den Niederlanden wohnenden Person. Neben diesen Einkünften erzielte die Person noch in den Niederlanden steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen (ca. 1.000 EUR) und Krankengeldzahlungen des niederländischen Sozialversicherungsträgers (ca. 16.000 EUR), die ebenfalls in den Niederlanden besteuert wurden.

     

    Die Person beantragte, nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (sog. fiktive unbeschränkte Steuerpflicht) behandelt zu werden. Der Antrag wurde abgelehnt, da nach Auffassung des Finanzamts die sog. Wesentlichkeitsgrenzen des § 1 Abs. 3 S. 2 EStG unterschritten wurden. Dabei hatte das Finanzamt die Krankengeldzahlungen des niederländischen Sozialversicherungsträgers in die Berechnung der Wesentlichkeitsgrenzen miteinbezogen.

     

    Gesetzlicher Hintergrund

    Nach § 1 Abs. 3 EStG können Personen auf Antrag als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden, soweit sie beschränkt steuerpflichtige inländische Einkünfte erzielen. Voraussetzung hierfür ist, dass

    • die Einkünfte im Kalenderjahr zu mindestens 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen (relative Wesentlichkeitsgrenze) oder
    • die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag nicht übersteigen (absolute Wesentlichkeitsgrenze).

     

    MERKE | Die Höhe der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte muss durch eine Bescheinigung der ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen werden.

     

    Hintergrund dieser Regelung ist die folgende europarechtliche Vorgabe: Grundsätzlich ist es Sache des Wohnsitzstaats, einen Steuerpflichtigen nach Maßgabe seiner gesamten Leistungsfähigkeit zu besteuern. Es ist damit grundsätzlich die Verpflichtung des Wohnsitzstaats, die persönlichen und familienbezogenen Umstände des Steuerpflichtigen durch die Gewährung steuerlicher Abzugsbeträge zu berücksichtigen. Ein Verstoß gegen das Europarecht liegt aber dann vor, wenn ein Steuerpflichtiger seine Einkünfte „im Wesentlichen“ außerhalb seines Wohnsitzstaats erzielt und deshalb der Wohnsitzstaat mangels steuerpflichtiger Einkünfte nicht in der Lage ist, die persönlichen und familienbezogenen Umstände des Steuerpflichtigen (steuerlich) zu berücksichtigen. In diesem Fall gebietet es das Europarecht, das der Quellenstaat dem beschränkt Steuerpflichtigen die gleichen Vergünstigungen einräumt wie einem unbeschränkt Steuerpflichtigen (Rechtssache Schumacker, EuGH 14.2.95, C-279/93, DB 1995, 407).

     

    Im Streitfall stellte die Person den Antrag auf fiktive unbeschränkte Steuerpflicht, um in den Genuss des Grundfreibetrags zu kommen. Dieser wäre ihr als lediglich beschränkt steuerpflichtige Person versagt geblieben (§ 50 Abs. 1 S. 2 EStG). Ein weiterer praktisch sehr bedeutsamer Anwendungsfall der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht ist die Gewährung des Splittingtarifs für Steuerpflichtige ohne Wohnsitz in Deutschland (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 1 Abs. 3 EStG). Mit den möglichen Vorteilen der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht geht aber auch ein Nachteil einher: Ausländische Einkünfte, die nicht in Deutschland der Besteuerung unterliegen, sind im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen (§ 32b Abs. 1 Nr. 5 EStG).

     

    Anmerkungen

    Das FG hat im Besprechungsurteil zugunsten der antragstellenden Person entschieden, dass zur Berechnung der Wesentlichkeitsgrenzen das gezahlte Krankengeld des niederländischen Sozialversicherungsträgers (UWV) nicht in die Ermittlung des Welteinkommens einzubeziehen ist. Das FG führt in der Begründung dazu aus, dass die Einkünfteermittlung nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG grundsätzlich in zwei Stufen erfolgt:

     

    • 1. Stufe: Es ist die Summe der Welteinkünfte zu ermitteln.
    • 2. Stufe: Diese Welteinkünfte sind in einem zweiten Schritt in die Einkünfte, die der deutschen Einkommensteuer unterliegen, und die Einkünfte, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, aufzuteilen.

     

    Die Höhe der Welteinkünfte (erste Stufe) sind nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln. Der Begriff der „Einkünfte“ i. S. d. § 1 Abs. 3 S. 2 EStG ist dem deutschen Einkommensteuerrecht und damit § 2 EStG zu entnehmen. Daraus folgt, dass nur solche Zuflüsse in die Ermittlung der Wesentlichkeitsgrenzen einzubeziehen sind, die bei unterstellter deutscher Besteuerung in Deutschland steuerbar wären. Die Krankengeldzahlungen des niederländischen Sozialversicherungsträgers fallen aber ‒ so das FG ‒ unter keine der sieben Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG. Sie gehören insbesondere nicht zu den Einkünften aus selbstständiger Arbeit.

     

    Strittig war ferner, ob die Sonderregelung des § 1 Abs. 3 S. 4 EStG im Umkehrschluss dazu führen kann, dass die Krankengeldzahlungen des niederländischen Sozialversicherungsträgers doch bei der Ermittlung der Wesentlichkeitsgrenze zu berücksichtigen sind. Nach dieser Sonderregelung bleiben bei der Ermittlung der Wesentlichkeitsgrenzen solche nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte unberücksichtigt (hier: Krankengeldzahlungen), die im Ausland nicht besteuert werden, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei wären. Da die Krankengeldzahlungen aber in den Niederlanden besteuert werden, hat das Finanzamt diese ‒ im Umkehrschluss ‒ bei der Ermittlung der Wesentlichkeitsgrenzen berücksichtigt. Das FG hat entscheiden, dass dieser Umkehrschluss nicht zulässig ist, da er nicht im Einklang mit dem Wortlaut der Vorschrift steht.

     

    Relevanz für die Praxis

    Vor dem FG Düsseldorf wurde nun um die Auslegung des § 1 Abs. 3 S. 4 EStG gestritten. Diese Vorschrift wurde erst in Folge des EuGH-Urteils in der Rechtssache Meindl in § 1 Abs. 3 EStG eingeführt (EuGH 25.1.07, C-329/05, NJW 2007, 1191).

     

    • EuGH-Urteil in der Rechtssache Meindl

    In der Rechtssache Meindl hatte ein in Deutschland arbeitender Ehemann mit seiner in Österreich lebenden Ehefrau eine Zusammenveranlagung beantragt. Die Ehefrau hatte in Österreich Mutterschaftsgeld und Erziehungsgeld bezogen, das nach österreichischem Steuerrecht steuerfrei ist. Diese Lohnersatzleistungen hatten sowohl 10 % des Haushaltseinkommens überschritten als auch den maßgeblichen absoluten Höchstbetrag. Für diese Situation hatte der EuGH entschieden, dass Deutschland die familienbezogenen Vergünstigungen (Splittingtarif) gewähren muss, denn im Wohnsitzstaat der Ehefrau ist dies in Ermangelung dort steuerpflichtiger Einkünfte nicht möglich.

     

    Der Umkehrschluss, den das Finanzamt im Besprechungssachverhalt bei Anwendung des § 1 Abs. 3 S. 4 EStG machte, ist aber nach Auffassung des FG mit dem Wortlaut der Regelung nicht vereinbar. Darüber hinaus kann dieser Umkehrschluss mit dem Argument abgelehnt werden, dass nach der EuGH- Entscheidung in der Rechtssache Meindl die Vorschrift des § 1 Abs. 3 S. 4 EStG die Ausübung des Wahlrechts zur fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht einem erweiterten Personenkreis ermöglichen sollte. Die Auslegung des Finanzamts würde aber das Gegenteil bewirken: Personen, die bei alleiniger Anwendung des § 1 Abs. 3 S. 2 EStG die Wesentlichkeitsgrenzen erfüllen, könnten durch die Anwendung des § 1 Abs. 3 S. 4 EStG an der Ausübung des Wahlrechts zur fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht gehindert werden.

     

    Dieses Ergebnis erscheint aber dem Sinn und Zweck der Regelung zur fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht gerecht zu werden. Denn der Besprechungssachverhalt unterscheidet sich in einem ganz wesentlichen Punkt von dem Sachverhalt der Rechtssache Meindl: Durch das in den Niederlanden steuerpflichtige Krankengeld ist es dem Wohnsitzstaat ja gerade möglich, die persönlichen Umstände des Steuerpflichtigen durch steuerliche Abzugsbeträge zu berücksichtigen. Die Einführung des § 1 Abs. 3 S. 4 EStG sollte aber gerade solchen Sachverhalten Rechnung tragen, in denen dies dem Wohnsitzstaat nicht möglich ist. Die Entscheidung des BFH darf also mit Spannung erwartet werden.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Der BFH erhält mit dem anhängigen Revisionsverfahren ebenfalls die Gelegenheit darüber zu entscheiden, ob ausländische Kapitaleinkünfte bei fiktiver unbeschränkter Steuerpflicht dem Progressionsvorbehalt unterliegen (§ 32b Abs. 1 Nr. 5 EStG). Das FG Düsseldorf hat dies mit Hinweis auf § 2 Abs. 5b EStG verneint.
    Quelle: Ausgabe 05 / 2019 | Seite 122 | ID 45757212

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