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  • · Fachbeitrag · DBA-Schweiz

    Unzumutbarkeit der arbeitstäglichen Rückkehr eines Grenzgängers

    von Prof. Dr. Ralf Jahn, Würzburg

    | Streitig war, ob ein Arbeitnehmer Grenzgänger i. S. v. Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz ist. Dabei setzte sich das FG Baden-Württemberg mit der Berechnung der für die Bestimmung der Grenzgängereigenschaft wichtigen Nichtrückkehrtage auseinander und vertrat die Auffassung, dass bei einer regelmäßig gegebenen täglichen Fahrzeit für die Hin- und Rückfahrt von über drei Stunden die Grenze zur Unzumutbarkeit einer arbeitstäglichen Rückkehr eines Arbeitnehmers zu seinem inländischen Wohnsitz überschritten sei (FG Baden-Württemberg 12.9.24, 11 K 2242/22, IStR 25, 361, Rev. zugelassen). |

     

    Sachverhalt

    Der in Deutschland lebende und bei einer schweizerischen Firma angestellte Arbeitnehmer hatte für die Ausübung seiner Arbeit eine Wohnung in der Schweiz angemietet. In seiner Einkommensteuererklärung für 2019 erklärte er Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in der Schweiz als ausländische Einkünfte, die nicht der deutschen Einkommensteuer unterlägen. Er legte eine Aufstellung vor, nach der er im Streitjahr an 128 Tagen aus beruflichen Gründen nicht an seinen inländischen Wohnsitz zurückgekehrt war, weil die Fahrtzeit an den Wohnort mehr als drei Stunden betragen hätte.

     

    Das Finanzamt (FA) teilte dem Arbeitnehmer mit, dass nach der seit dem VZ 2019 geltenden Verständigungsvereinbarung zum DBA-Schweiz die arbeitstägliche Rückkehr an den inländischen Wohnort als zumutbar gilt, wenn die kürzeste Entfernung zwischen Arbeitsort und Wohnort höchstens 100 km beträgt. Im konkreten Fall ergab der Routenplaner für die Strecke zwischen dem deutschen Wohnsitz des Arbeitnehmers und seinem Tätigkeitsort in der Schweiz nur 90 km. Damit sei die tägliche Rückkehr grundsätzlich zumutbar. Ein Verneinen der Grenzgängereigenschaft wegen mehr als 60 Nichtrückkehrtagen komme daher nicht in Betracht. Eine Unzumutbarkeit der Rückkehr sei nur dann gegeben, wenn dem Arbeitnehmer zwischen Arbeitsende und Arbeitsbeginn weniger als acht Stunden Freizeit verblieben.

     

    Unter Annahme der Grenzgängereigenschaft des Arbeitnehmers gemäß Art. 15a DBA-Schweiz unterwarf das FA die Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit daher der inländischen Besteuerung und setzte deutsche Einkommensteuer fest. Die hiergegen gerichtete Klage war vor dem FG Baden-Württemberg erfolgreich: Die Einkünfte sind in Deutschland von der Einkommensteuer freigestellt und unterliegen dem Progressionsvorbehalt.

     

    Anmerkungen

    Gemäß Art. 15a Abs. 1 S. 1 DBA-Schweiz können ‒ ungeachtet des Art. 15 DBA-Schweiz ‒ Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbstständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem dieser ansässig ist. Nach Abs. 2 dieser Regelung ist Grenzgänger i. S. d. Abs. 1 jede in einem Vertragsstaat (hier: Deutschland) ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat (hier: Schweiz) ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA-Schweiz).

     

    Beachten Sie | Die zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft haben am 12.10.18 (BStBl I 18, 1103) zur einheitlichen Anwendung und Auslegung des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz eine Konsultationsvereinbarung abgeschlossen.

     

    • KonsVerCHEV (Wortlaut)

    „Eine Nichtrückkehr aufgrund der Arbeitsausübung liegt namentlich dann vor, wenn die Rückkehr an den Wohnsitz aus beruflichen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Bei Benutzung eines Kraftfahrzeugs ist eine Rückkehr der unselbstständig erwerbstätigen Person nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz insbesondere nicht zumutbar, wenn die kürzeste Straßenentfernung für die einfache Wegstrecke über 100 km beträgt. Bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist eine Rückkehr nach Arbeitsende an den Wohnsitz insbesondere nicht zumutbar, wenn die schnellste Verbindung zu den allgemein üblichen Pendelzeiten für die einfache Wegstrecke länger als 1,5 Stunden beträgt. Von einem Nichtrückkehrtag ist bei vorliegender Unzumutbarkeit der Rückkehr nur auszugehen, wenn die unselbstständig erwerbstätige Person glaubhaft macht, dass sie tatsächlich nicht an ihren Wohnsitz zurückgekehrt ist. Diese Konsultationsvereinbarung soll Anwendung finden für Sachverhalte ab dem 1.1.19.“

     

    Das FG Baden-Württemberg verneint im Streitfall die Grenzgängereigenschaft des Arbeitnehmers, weil die Nichtrückkehr an den inländischen Wohnsitz unzumutbar gewesen ist und es sich in diesem Fall um einen Nichtrückkehrtag handelt:

     

    • Der Arbeitnehmer erfüllt zwar grundsätzlich die Voraussetzungen der Grenzgängereigenschaft nach Art. 15a Abs. 2 S. 1 DBA-Schweiz. Die Grenzgängereigenschaft ist aber nach Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA-Schweiz entfallen, da der Arbeitnehmer im Streitjahr an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund seiner Arbeitsausübung nach Arbeitsende nicht an seinen inländischen Wohnsitz zurückgekehrt ist.

     

    • Eine „Nichtrückkehr aufgrund der Arbeitsausübung“ liegt namentlich dann vor, wenn die Rückkehr an den Wohnsitz aus beruflichen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist.

     

    • Die Nichtrückkehr des Arbeitnehmers ist „aufgrund seiner Arbeitsausübung“ erfolgt. Denn im Hinblick auf den zeitlichen und persönlichen Aufwand, den der Arbeitnehmer im Falle einer arbeitstäglichen Rückkehr an seinen inländischen Wohnort gehabt hätte, war ihm eine solche nicht zuzumuten. Hierbei ist maßgeblich darauf abzustellen, wie aufwendig eine solche arbeitstägliche Rückkehr für den Arbeitnehmer gewesen wäre. Wesentliches Kriterium für diese Beurteilung ist die tägliche Fahrzeit vom Wohnort zum Arbeitsort und zurück.
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    • Nach Ansicht des FG Baden-Württemberg ist bei einer regelmäßig gegebenen täglichen Fahrzeit für die Hin- und Rückfahrt von über drei Stunden die Grenze zur Unzumutbarkeit einer arbeitstäglichen Rückkehr eines Arbeitnehmers zu seinem inländischen Wohnsitz überschritten. Die Zuteilung des Besteuerungsrechts kann nicht von der individuellen Entscheidung über das genutzte Verkehrsmittel abhängig gemacht werden.

     

    • Die in der Konsultationsvereinbarung vom 12.10.18, BStBl I 18, 1103, genannten Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit einer arbeitstäglichen Rückkehr an den inländischen Wohnsitz i. S. d. Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA-Schweiz sind nach Ansicht des FG Baden-Württemberg mit dem Wortlaut des Art. 15a DBA-Schweiz nicht vereinbar.

     

    Relevanz für die Praxis

    Das FG hat die Revision zum BFH zugelassen, weil die Frage, welche Bedeutung die KonsVerCHEV für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „auf Grund ihrer Arbeitsübung“ i. S. v. Art. 15a Abs. 2 S. 2 DBA-Schweiz hat, noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen BFH-Entscheidung gewesen ist. Dazu sind beim BFH bereits die Revisionsverfahren

     

    Auf diese anhängigen Verfahren sollten sich Steuerpflichtige in vergleichbaren Fällen berufen, wenn das FA zu ihrem Nachteil unter Berufung auf die KonsVerCHEV entscheidet.

     

    MERKE | Zwischenstaatliche Konsultationsvereinbarungen, die aufgrund der Ermächtigung des § 2 Abs. 2 AO als Rechtsverordnung erlassen wurden, können eine Regelung im DBA spezifizieren und umsetzen. Konsultationsvereinbarungen haben aber keine Rechtsnormqualität, können ein DBA deshalb nicht außer Kraft setzen und binden die Gerichte auch nicht (BFH 24.9.13, VI R 48/12, BFH/NV 14, 341; 13.1.11, V R 12/08, BStBl II 12, 61). Die Befugnis zur Verwerfung derartiger abkommensändernder Rechtsverordnungen liegt deshalb bei den Gerichten (BFH 30.9.20, I R 37/17, BFH/NV 21, 698; 10.6.15, I R 79/13, BStBl II 16, 326).

     

    Weiterführende Hinweise

    • Zum Territorialitätsprinzip und Besteuerungsrecht eines im internationalen Luftverkehr eingesetzten Piloten s. BFH 24.10.24, VI R 28/22
    • Zum Verhältnis von Art. 15 Abs. 3 zu Art. 15a DBA-Schweiz s. Jahn, PIStB 22, 300
    Quelle: Ausgabe 09 / 2025 | Seite 234 | ID 50467223