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  • · Abkommensrecht

    Niederländische 30 %-Regelung für Arbeitnehmer führt nicht zum Rückfall des Besteuerungsrechts

    Bild: © Robert Biedermann - stock.adobe.com

    von Prof. Dr. Stephan Peters, Hochschule für Finanzen NRW

    | Der in den Niederlanden erzielte Arbeitslohn ist in Deutschland auch dann steuerfrei zu stellen und nur dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen, wenn er dort nach der 30 %-Regelung teilweise steuerfrei ausgezahlt wurde. Denn dadurch wird keine tatsächliche Nichtbesteuerung bewirkt, sondern es handelt sich um eine pauschale Aufwandsentschädigung ( BFH 10.4.25, VI R 29/22 ). |

    Sachverhalt

    Der Arbeitnehmer war im Jahr 2019 ausschließlich in Deutschland wohnhaft und bei einem Arbeitgeber in den Niederlanden beschäftigt. Er übte seine nichtselbstständige Arbeit an 157 Tagen in den Niederlanden und an 80 Tagen in Deutschland aus. Das Besteuerungsrecht stand demnach anteilig den Niederlanden (157/237) und Deutschland (80/237) zu, was zwischen den Parteien auch unstreitig war.

     

    Streitig war die Behandlung von 30 % des Arbeitslohns, den der niederländische Arbeitgeber aufgrund der sog. 30 %-Regelung des niederländischen Rechts steuerfrei ausgezahlt hatte. Danach können Arbeitnehmern, die in den Niederlanden tätig sind und hierfür vom Ausland einpendeln, unter bestimmten Voraussetzungen entstehende Mehrkosten (sog. extraterritoriale Kosten) steuerfrei erstattet werden. Der Arbeitgeber kann diese entweder gegen Nachweis oder ‒ nach Genehmigung durch die niederländischen Finanzbehörden ‒ pauschal in Höhe von 30 % des Arbeitslohns steuerfrei auszahlen. Die Inanspruchnahme dieser 30 %-Regelung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer über spezifisches Fachwissen verfügt. Hierdurch soll die Beschäftigung von Fachkräften, die nicht in den Niederlanden ansässig sind, begünstigt werden. Für den Arbeitnehmer war die Anwendung dieser 30 %-Regelung durch Bescheide des niederländischen FA bewilligt worden.

     

    Bild: IWW

     

    In der niederländischen Lohnsteuerbescheinigung wurde daher nur das um 30 % gekürzte Jahresgehalt als Arbeitslohn ausgewiesen. Der nach der 30 %-Regelung steuerfreie Betrag wurde gesondert nachrichtlich angegeben. Das Finanzamt erhöhte bei der Einkommensteuerfestsetzung die in Deutschland steuerbaren Einkünfte des Arbeitnehmers um den auf die Tätigkeitstage in den Niederlanden entfallenden Teil des nach der 30 %-Regelung steuerfreien Arbeitslohns gemäß § 50d Abs. 9 S. 4 EStG, da dieser Betrag in den Niederlanden tatsächlich nicht besteuert worden sei. Zugleich nahm das FA die bisherige Einbeziehung dieses Anteils in den Progressionsvorbehalt zurück.

     

    Der Anwendung der abkommensrechtlichen Freistellungsmethode in Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) DBA-Niederlande stehe entgegen, dass die 30 %-Regelung eine Steuerbefreiung des Arbeitslohns zur Folge habe. Damit seien für diese Arbeitslohnzahlungen die Voraussetzungen einer tatsächlichen Besteuerung i. S. d. Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) DBA-Niederlande nicht erfüllt. Für die Anwendung der abkommenseigenen Rückfallklausel sei zu beachten, dass § 50d Abs. 9 S. 4 EStG einen Übergang von der Freistellungsmethode zur Anrechnungsmethode auch dann vorsehe, wenn ‒ wie im vorliegenden Fall ‒ eine Nichtbesteuerung von Einkunftsteilen gegeben sei.

     

    Bild: IWW

     

    Gemäß Art. 14 Abs. 1 DBA-Niederlande steht Deutschland das Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit nur insoweit zu, als die Tätigkeit in Deutschland ausgeübt wird (hier: 80 Tage).

     

    Im Übrigen steht den Niederlanden das Besteuerungsrecht zu und Deutschland stellt die Einkünfte gem. Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-NL unter Einbeziehung in den Progressionsvorbehalt (Art. 22 Abs. 1 Buchst. d DBA-NL i. V. m. § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG) frei. Die Voraussetzungen von Art. 14 Abs. 2 DBA-NL liegen nicht vor, da das Gehalt vorliegend von einem Arbeitgeber mit Sitz in den Niederlanden gezahlt wird.

     

    Voraussetzung für die Freistellung in Deutschland ist laut DBA (Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-NL), dass die Einkünfte „tatsächlich in den Niederlanden besteuert werden“ (Subject-to-Tax-Klausel), was im Hinblick auf den unter Anwendung der 30 %-Regelung gezahlten Anteil am Arbeitslohn streitig war. Unstreitig unterlag von den in den Niederlanden pauschal steuerfrei behandelten Einkünften ein Anteil von 80/237 der deutschen Bemessungsgrundlage. Streitig war demnach nur die Behandlung der auf die Niederlanden entfallende und nach der 30 %-Regelung steuerfreie Teil (157/237; im Beispiel: 29.810 EUR).

     

    Der Arbeitnehmer begehrte, dass die in Deutschland steuerpflichtigen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit entsprechend gemindert werden und der nach der 30 %-Regelung steuerfreie Teil nur dem Progressionsvorbehalt unterworfen wird, und hatte Erfolg.

    Entscheidungsgründe

    Das FA und das FG Düsseldorf (25.10.22, 13 K 2867/20 E, PIStB 23, 1) haben den in den Niederlanden nach Anwendung der 30 %-Regelung von der Besteuerung freigestellten Teil des Arbeitslohns zu Unrecht bei der Ermittlung der deutschen Bemessungsgrundlage berücksichtigt. Stattdessen ist auch dieser Anteil in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen, weil es schon an einer tatsächlichen Nichtbesteuerung i. S. d. Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) DBA-NL fehlt.

     

    MERKE | Eine tatsächliche Besteuerung i. S. d. Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) DBA-Niederlande 2012/2016 liegt vor, wenn die Einkünfte in die steuerliche Bemessungsgrundlage des anderen Vertragsstaats einbezogen werden, wobei eine tatsächliche Steuer(zahl)last nicht entstehen muss. Eine tatsächliche Besteuerung liegt deshalb auch dann vor, wenn sich Einkünfte wegen Freibeträgen oder Verlusten nicht auswirken (BFH 12.4.23, I R 44/22; BStBl II 23, 974). Hingegen fehlt es an einer tatsächlichen Besteuerung, wenn Einkünfte in den Niederlanden aufgrund sachlicher oder persönlicher Steuerbefreiungen nicht besteuert werden oder keine Besteuerung durchgeführt wird. Dies umfasst Fälle, in denen der Staat, dem das Besteuerungsrecht zugewiesen ist, die Einkünfte nicht besteuern kann oder darauf verzichtet (BT-Drs. 17/10752, 59).

     

    Die niederländische 30 %-Regelung stellt aus Sicht des BFH keine persönliche oder sachliche Steuerbefreiung dar, sondern eine pauschalierte Erstattung von steuerlich relevanten Aufwendungen des Arbeitnehmers. Sie basiert auf der Annahme, dass Arbeitnehmern durch ihre Tätigkeit in den Niederlanden zusätzliche Kosten entstehen, die steuerfrei erstattet werden können. Die pauschale Steuerfreistellung im Rahmen der 30 %-Regelung bewirkt keine tatsächliche Nichtbesteuerung i. S. v. Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) DBA-Niederlande, da sie aufwandsbezogen und lediglich rechtstechnisch anders ausgestaltet ist als die Erstattung tatsächlich nachgewiesener Kosten.

     

    Im Ergebnis lag damit kein Fall einer tatsächlichen Nichtbesteuerung vor, weshalb der auf die Niederlande entfallende Anteil und nach der 30 %- Regelung steuerfrei gestellte Arbeitslohn nicht in die deutsche Bemessungsgrundlage einbezogen, sondern lediglich beim Progressionsvorbehalt berücksichtigt werden durfte.

     

    Bild: IWW

    Relevanz für die Praxis

    Während das FG Düsseldorf (25.10.22, 13 K 2867/20 E, PIStB 23, 1) in erster Instanz noch davon ausging, dass es sich bei der niederländischen 30 %- Regelung um eine sachliche Steuerbefreiung handelte, hat der BFH dies verneint ‒ mit erheblichen Folgen.

     

    Anstelle der Einbeziehung in die Bemessungsgrundlage unterliegen diese Einkünfte nur dem Progressionsvorbehalt. Die Entscheidung ist aufgrund der konkreten Ausgestaltung des niederländischen Rechts und unter Berücksichtigung der besonderen Regelungen des internationalen Steuerrechts nachvollziehbar. Insbesondere wird die nach niederländischem Recht gestaffelte Pauschale für einen begrenzten Zeitraum gewährt und die Höhe der Pauschale für exterritoriale Kosten dürfte nicht völlig außer Verhältnis zu den tatsächlich bestehenden Kosten stehen.

     

    • Niederländische 30 %-Regelung
    • Rechtsgrundlagen: Art. 31a Nr. 2 Buchst. e der Wet op de loonbelasting 1964 (niederländisches Lohnsteuergesetz) i. V. m. Art. 10ea Uitvoeringsbesluit loonbelasting 1965 (niederländische Lohnsteuer-Durchführungsverordnung) i. V. m. § 17.4 Handboek Loonheffingen (Lohnsteuerhandbuch)
    • Hochqualifizierte ausländische Staatsangehörige (De werknemer beschikt over een specifieke deskundigheid)
    • Seit 1.1.24 schrittweise Reduzierung der Pauschale (ab 2027 soll Pauschale teilweise rückgängig gemacht werden)
    • 30 % für die ersten 20 Monate, 20 % für die nächsten 20 Monate, 10 % für die letzten 20 Monate (max. 60 Monate)
    • Begrenzung auf ein Jahresgehalt von 233.000 EUR (2024) bzw. 246.000 EUR (2025)
    • Ab 46.160 EUR Jahresgehalt (ohne angestrebte Befreiung)
     

    Quelle: Government of the Netherlands; www.iww.de/s14370

     

    Sinn und Zweck der 30 %-Regelung lassen sich wie folgt zusammenfassen:

     

    • Ausgangspunkt/Zielsetzung: Die Regelung dient dazu, Arbeitnehmern, die aus dem Ausland in die Niederlande entsandt oder angeworben werden (oder dort grenzüberschreitend arbeiten), bei den damit verbundenen zusätzlichen Lebenshaltungs- und Aufwandskosten (sogenannte extraterritoriale Kosten) steuerlich entgegenzukommen.

     

    • Wirtschaftlicher Zweck: Die Regelung dient der Förderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit niederländischer Arbeitgeber, indem diese für hochqualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland attraktiv bleiben. Ein aufwendiger Einzelnachweis der Mehrkosten ist nicht notwendig. Die Mehrbelastung durch höhere Lebenshaltungskosten im Vergleich zum Herkunftsland wird abgemildert.

     

    • Kernmechanismus: Statt, dass diese Kosten im Einzelnen nachgewiesen werden müssen, erlaubt die 30 %-Regelung eine pauschale Steuerfreistellung: Arbeitgeber dürfen bis zu 30 % des vereinbarten Bruttolohns steuerfrei auszahlen. Der Arbeitnehmer wird so gestellt, als ob seine einkommensteuerlich relevanten Aufwendungen entweder direkt abgezogen oder eben pauschal steuerfrei erstattet würden.

     

    Zur Abgeltung exterritorialer Kosten räumt das niederländische Lohnsteuerrecht dem Arbeitgeber im Hinblick auf die steuerfreie Erstattung dieser Kosten ein Wahlrecht ein.

     

    • Exterritoriale Kosten i. S. d. Regelung
    • Mehrkosten aufgrund eines höheren Preisniveaus in den Niederlanden
    • Kosten für eine Erkundungsreise durch die Niederlande (z. B. zur Wohnungs- oder Schulsuche)
    • Verwaltungskosten durch Ummeldungen oder die Beantragung eines Visums oder einer Aufenthaltsgenehmigung
    • Kosten für Sprachkurse
    • Kosten für eine doppelte Haushaltsführung
    • Kosten für Familienheimfahrten
     

    Dieser kann dem Arbeitnehmer entweder

    • die tatsächlich entstandenen und nachgewiesenen extraterritorialen Kosten erstatten oder
    • dem Arbeitnehmer (ohne Nachweis der tatsächlich entstandenen Kosten) nach positiver Verbescheidung durch die niederländischen Finanzbehörden pauschal max. 30 % des (niederländischen) Arbeitslohns (inklusive etwaiger steuerfrei ausgezahlter anderweitiger Erstattungen) steuerfrei auszahlen.

     

    Der BFH stuft die 30 %-Pauschale als aufwandsbezogene Steuerbefreiung ein und nicht als Fall einer Nichtbesteuerung. Dies ist vor dem Hintergrund nachvollziehbar, dass im internationalen Steuerrecht das Leistungsfähigkeitsprinzip zugunsten des Prinzips der zwischenstaatlichen Verteilungsgerechtigkeit eingeschränkt ist (BFH 12.4.23, I R 44/22, BStBl II 23, 974).

     

    Leider hat es der BFH versäumt, klare Kriterien für die Abgrenzung zwischen aufwandsbezogenen Steuerbefreiungen und solchen Befreiungen zu entwickeln, die zu einer tatsächlichen Nichtbesteuerung im Sinne der DBA führen. Jedenfalls dann, wenn eine aufwandsbezogene Pauschale völlig außerhalb des mit einer Pauschale abgegoltenen tatsächlichen Aufwands steht, dürften Pauschalen zu einer faktischen Nichtbesteuerung führen, die auch abkommensrechtlich nicht anzuerkennen wäre. Dass dies vorliegend nicht der Fall war, folgt auch daraus, dass die Pauschale nach niederländischem Recht

    • zeitlich begrenzt (max. 60 Monate),
    • prozentual der Höhe nach gestaffelt (30 % bis 10 %) und
    • betragsmäßig der Höhe nach begrenzt ist (2025: 246.000 EUR), wenngleich der tatsächliche Aufwand bei Gehältern im Bereich der Obergrenze weit hinter der Pauschale zurückbleiben dürfte.

     

    • Betragsmäßige Begrenzung der Pauschale
    Untergrenze
    Obergrenze

    Jahresgehalt 2025

    46.160 EUR

    246.000 EUR

    30 %

    13.848 EUR

    73.800 EUR

    20 %

    9.232 EUR

    49.200 EUR

    10 %

    4.610 EUR

    24.600 EUR

     

    Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass während der Inanspruchnahme der Pauschale ein Ansatz der tatsächlichen Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung ausgeschlossen ist, erscheint die Höhe der Pauschale jedenfalls im Bereich der Untergrenze nicht völlig außerhalb der tatsächlichen zusätzlichen Kosten zu liegen. Abgesehen von diesem Einzelfall ist dieses Ergebnis nicht zwingend und auf jede Pauschale zu übertragen. Vielmehr kann sich eine nach ausländischem Recht gewährte aufwandsbezogene Pauschale im Rahmen einer Gesamtwürdigung als Fall einer abkommensrechtlichen Nichtbesteuerung darstellen, wobei insbesondere folgende Kriterien zu prüfen sein dürften:

     

    • Höhe der Pauschale (problematisch bspw. 90 % Pauschale)
    • Zeitliche Geltung der Pauschale (bspw. keine zeitliche Begrenzung)
    • Keine betragsmäßige Begrenzung (bspw. Geltung auch bei sehr hohen Einkommen)

     

    FAZIT | Die Entscheidung setzt die bisherige Linie des BFH fort und zeigt zugleich die Probleme, die sich bei Bestehen von steuerlichen Sonderregelungen im ausländischen Recht (hier 30 %-Regelung) ergeben. Solange entsprechende Begünstigungen nicht zu einer Nichtbesteuerung führen, also in die steuerliche Bemessungsgrundlage im Ausland einbezogen werden, besteht kein Grund zur Korrektur der abkommensrechtlichen Mechanismen durch Anwendung einer Subject-to-Tax-Klausel. Leider hat es der BFH versäumt, greifbare Abgrenzungskriterien für aufwandsbezogene Steuerbefreiungen und abkommensrechtlich zur Nichtbesteuerung führende Normen zu entwickeln. Fehlt es abkommensrechtlich an einer Subject-to-Tax-Klausel, wäre § 50d Abs. 9 EStG zu prüfen (vgl. BFH 20.5.15, I R 68/14, BStBl II 16, 90).

     
    Quelle: Ausgabe 10 / 2025 | Seite 265 | ID 50538495