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  • · Fachbeitrag · Einkommensteuer

    Rechtsfolgen der fiktiven unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG

    von StB Sebastian Leitsch, M.Sc. und RA Sven-Oliver Stoklassa, LL.M., beide Mazars, Berlin

    | Nachdem in einem ersten Beitrag die Voraussetzungen des Antrages nach § 1 Abs. 3 EStG aufgezeigt wurden ( PIStB 20, 187 ), widmet sich der folgende Beitrag nunmehr den Rechtsfolgen der fiktiven unbeschränkten Einkommensteuerpflicht. In der Praxis kann es schwierig sein, die Auswirkungen eines Antrags auf fiktive unbeschränkte Steuerpflicht zu überblicken. Da die Unterschiede zur beschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 4 EStG vielschichtig sind, ist dafür regelmäßig eine detaillierte Vergleichsberechnung anzustellen. |

    1. Allgemeine Rechtsfolgen

    Liegen die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 3 EStG vor und wird ein entsprechender Antrag gestellt, wird die natürliche Person im Inland wie ein unbeschränkt Steuerpflichtiger zur Einkommensteuer veranlagt. Im Unterschied zur unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 und Abs. 2 EStG erfolgt jedoch keine Besteuerung sämtlicher weltweiter Einkünfte i. S. d. Welteinkommensprinzips. Ausweislich § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 EStG beschränkt sich die fiktive unbeschränkte Einkommensteuerpflicht auf inländische Einkünfte i. S. d. § 49 EStG. Der Steuerpflichtige wird nur mit seinen inländischen Einkünften nach den allgemeinen Vorschriften des EStG zur Besteuerung herangezogen.

     

    Die fiktive unbeschränkte Einkommensteuerpflicht begründet außerdem grundsätzlich keine abkommensrechtliche Ansässigkeit (FG Hamburg 17.5.13, 6 K 73/12, EFG 2013, 1671). Der Umfang der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht gleicht demnach der beschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 4 EStG, mit dem Unterschied, dass der Grundfreibetrag und weitere persönliche Vergünstigungen gewährt werden und im Gegenzug die nicht inländischen Einkünfte dem Progressionsvorbehalt unterliegen.

    2. Steuerberechnung

    2.1 Grundfreibetrag und Abzugsbeträge

    Die Veranlagung der inländischen Einkünfte i. S. d. § 49 EStG des antragstellenden Steuerpflichtigen folgt den Grundsätzen für die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht. Insoweit hat der Steuerpflichtige losgelöst von den Beschränkungen des § 50 EStG die Möglichkeit, neben Werbungskosten und Betriebsausgaben auch Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen in Abzug zu bringen. Dazu gehört auch die Gewährung des Grundfreibetrages i. S. d. § 32a Abs. 1 EStG, der bei beschränkt Steuerpflichtigen gemäß § 50 Abs. 1 EStG bei der Steuerberechnung nicht berücksichtigt wird.

     

    2.2 Ehegattensplitting

    Ausweislich des Gesetzeswortlauts des § 26 Abs. 1 S. 1 EStG ist eine Zusammenveranlagung u. a. nur dann möglich, wenn beide Ehegatten unbeschränkt einkommensteuerpflichtig i. S. d. § 1 Abs. 1, Abs. 2 oder § 1a EStG sind. Einen entsprechenden Verweis auf die fiktive unbeschränkte Einkommensteuerpflicht i. S. d. § 1 Abs. 3 EStG sieht § 26 EStG ausdrücklich nicht vor.

     

    Beachten Sie | Selbst wenn beide Ehegatten die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG erfüllen, eröffnet das nicht die Möglichkeit der Zusammenveranlagung unter Anwendung des Splittingtarifs i. S. v. §§ 26, 26b, 32a Abs. 5 EStG.

     

    Nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 1a EStG kann es zu einer Zusammenveranlagung kommen. Hierfür muss ein Ehegatte bzw. Lebenspartner EU-/EWR-Staatsbürger und darüber hinaus unbeschränkt einkommensteuerpflichtig nach § 1 Abs. 1 oder Abs. 3 EStG sein. Aus dem Verweis in § 1a Abs. 1 Nr. 2 S. 2 EStG auf Nr. 1 S. 2 Buchst. a) EStG folgt als Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Ehegattensplittings zusätzlich, dass der andere nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte bzw. Lebenspartner seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen EU-/EWR-Mitgliedstaat unterhalten muss. Für Ehegatten mit Ansässigkeit in Drittstaaten außerhalb des EU-/EWR-Raums scheidet eine Zusammenveranlagung unter Gewährung des Ehegattensplittings damit aus.

     

    PRAXISTIPP | Hat der Ehegatte seinen Wohnsitz in der Schweiz, ist die Zusammenveranlagung und das Ehegattensplitting gemäß Verwaltungsauffassung unter den weiteren Voraussetzungen zu gewähren (BMF 16.9.13, IV C 3 - S 1325/11/10014, BStBl I 13, 1325 unter Bezugnahme auf EuGH 28.2.13, C-425/11, IStR 13, 353 ‒ Ettwein).

     

    2.3 Progressionsvorbehalt

    Verfügt der Steuerpflichtige über nicht von § 49 EStG erfasste Einkünfte, so unterfallen diese nicht der Einkommensteuerpflicht. Sämtliche nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte sind jedoch nach § 32b Abs. 1 Nr. 5 EStG im Rahmen des Progressionsvorbehaltes zu berücksichtigen. In diesen sind seit VZ 2008 auch negative Einkünfte einzubeziehen (vgl. Teller in: Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Stand: 17.10.19, § 1 Rn. 146).

     

    Nicht dem Progressionsvorbehalt unterliegen Einkünfte, die Deutschland nach einem DBA als Quellenstaat der Höhe nach nur beschränkt besteuern darf, auch wenn sie für die Höchstbetragsberechnung des § 1 Abs. 3 EStG als nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegend gelten (vgl. Lochte, in: Frotscher/Geurts, EStG, Stand: 10.4.16, § 1 EStG Rn. 48).

     

    Die Ausnahmen vom Progressionsvorbehalt gemäß § 32b Abs. 1 S. 2 EStG, beispielsweise für Vermietungseinkünfte innerhalb der EU, gelten grundsätzlich nicht für fiktiv unbeschränkt Steuerpflichtige. Der Progressionsvorbehalt ist in diesem Fall auf das Nichtvorliegen inländischer Einkünfte gemäß § 49 EStG zurückzuführen und nicht auf die Freistellung gemäß DBA.

     

    • Beispiel 1

    Der in Tschechien ansässige A erzielt Mieteinkünfte aus einer in Tschechien gelegenen Immobilie i. H. v. 2.000 EUR. Daneben erzielt er Arbeitslohn in Deutschland i. H. v. 90.000 EUR für eine Tätigkeit, die er ausschließlich in Deutschland ausübt. Außerdem erhält er eine Dividende von der in Deutschland ansässigen AB-GmbH i. H. v. 8.000 EUR.

     

     

     

    Lösungshinweise: Insgesamt erzielt B ein Welteinkommen i. H. v. 100.000 EUR. Die Mieteinkünfte unterliegen dabei nicht der deutschen Einkommensteuer, da es sich gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG nicht um inländische Einkünfte handelt. Der Arbeitslohn stellt inländische Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a) EStG dar, für die gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA-Tschechien Deutschland das uneingeschränkte Besteuerungsrecht hat.

     

    Grundsätzlich handelt es sich bei der Dividende um inländische Einkünfte i. S. d. § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG. Allerdings können Dividenden nach dem DBA in Tschechien als Ansässigkeitsstaat des A besteuert werden (vgl. Art. 10 Abs. 1 DBA-Tschechien). Da die Besteuerung in Deutschland auf ein 15%iges Quellenbesteuerungsrecht beschränkt ist (vgl. Art. 10 Abs. 2 DBA-Tschechien), gelten die Einkünfte nach § 1 Abs. 3 S. 3 EStG als nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegend (vgl. BFH 12.8.15, I R 18/14, DStRE 16, 65).

     

    Die der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte machen dennoch mindestens 90 % der Gesamteinkünfte aus (90.000 EUR von 100.000 EUR), weshalb ein Antrag auf unbeschränkte Einkommensteuerpflicht möglich ist. Die Dividendeneinkünfte sind in die Veranlagung einzubeziehen und werden deshalb nicht dem Progressionsvorbehalt unterworfen (vgl. auch BFH 13.11.02, I R 67/01, BStBl II 03, 587).

     

    Die tschechischen Vermietungseinkünfte unterliegen in diesem Fall dem Progressionsvorbehalt in Deutschland (§ 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG). Die Ausnahme des § 32b Abs. 1 S. 2 Nr. 3 EStG greift nicht, da die Ausnahmeregelung nur für die Fälle des Abs. 1 S. 1 Nr. 3 gilt.

     

    Beachten Sie | Die Subject-to-tax- und Switch-over-Klauseln des § 50d Abs. 8 und Abs. 9 EStG gelten nicht für fiktiv unbeschränkte Steuerpflichtige i. S. d. § 1 Abs. 3 EStG (BFH 2.9.09, I R 90/08, DStRE 09, 1377; vgl. Tiede in: HHR, EStG, 275. EL 06.2016, § 1 Rn. 297).

     

    Der in der Belgien ansässige B erzielt in Deutschland Einkünfte aus in Deutschland ausgeübter nichtselbstständiger Arbeit von 100.000 EUR. Zusätzlich erhält er aufgrund der Auflösung seines Arbeitsverhältnisses eine Abfindung von 10.000 EUR. Weitere Einkünfte erzielt B im VZ nicht.

     

     

     

    Lösungshinweise: Bei sämtlichen Einkünften handelt es sich um inländische Einkünfte gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a) bzw. d) EStG. Die Abfindung kann, anders als der laufende Arbeitslohn, jedoch nach Art. 15 Abs. 1 DBA-Belgien nur im Ansässigkeitsstaat Belgien besteuert werden. Da die Vergütung für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt wird, fehlt es nach ständiger BFH-Rechtsprechung an dem Anlasszusammenhang zwischen Zahlung und Tätigkeit.

     

    Da die inländischen Einkünfte mindestens 90 % der Gesamteinkünfte betragen, kann B einen Antrag auf fiktive unbeschränkte Steuerpflicht stellen. In diesem Fall sind § 50d Abs. 8 und 9 EStG nicht auf die Abfindungseinkünfte anzuwenden, da die Regelung nur greift, wenn Deutschland Ansässigkeitsstaat ist. Die Abfindung unterliegt dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG.

     

    Beachten Sie | Aus steuersystematischen Gründen unterliegen ausländische Kapitaleinkünfte, die bei einem inländischen Sachverhalt der Abgeltungsteuer nach § 32d Abs. 1 S. 1 und § 43 Abs. 5 EStG unterliegen würden, nicht dem Progressionsvorbehalt (FG Münster 7.12.16, 11 K 2115/15 E, DStRE 17, 1500, rkr; FG Düsseldorf 5.12.17, 10 K 1232/16 E, DStRE 19, 65, Rev. unter I R 3/18). Gleichwohl sind sie im Rahmen der Ermittlung der weltweiten Einkünfte zur Ermittlung der Einkommensgrenzen gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 EStG zu berücksichtigen (BFH 12.8.15, I R 18/14, DStRE 16, 65; Stöber, in: BeckOK EStG, Stand: 1.2.20, § 1 Rn. 306).

    3. Berücksichtigung von Kindern

    3.1 Kindergeld

    Ein Anspruch auf Kindergeld besteht nach § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. b) EStG, wenn der Anspruchsberechtigte ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird. Im Unterschied zur unbeschränkten Steuerpflicht (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a) EStG) kommt es bei Nr. 2 Buchst. b) auf die tatsächliche einkommensteuerliche Behandlung an, also darauf dass der Anspruchsberechtigte aufgrund eines Antrages gemäß § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird (und nicht „behandelt hätte werden können“, BFH 24.5.12, III R 14/10, DB 12, 1910).

     

    Gemäß § 63 Abs. 1 S. 6 EStG werden Kinder ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland oder im EU-/EWR-Raum nur dann berücksichtigt, wenn sie im Haushalt eines Berechtigten i. S. d. § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG leben. Im Unterschied zum Kinderfreibetrag sind für das Kindergeld keine Anpassungen aufgrund geringerer Lebenshaltungskosten im Rahmen einer Ländergruppeneinteilung vorgesehen (Selder in: Blümich, 152. EL Mai 2020, EStG, § 66 Rn. 18).

     

    Gemäß § 66 Abs. 2 EStG wird das Kindergeld für die Monate gezahlt, in denen die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei fiktiven unbeschränkt Steuerpflichtigen i. S. d. § 1 Abs. 3 EStG besteht der Anspruch auf Kindergeld folglich nur in Monaten, in denen auch inländische Einkünfte i. S. d. § 49 EStG erzielt werden (BFH 24.7.13, XI R 8/12, BeckRS 14, 94252). Aufgrund der monatsbezogenen Betrachtungsweise stellt sich hierbei insbesondere die Frage, wann inländische Einkünfte i. S. v. § 49 EStG konkret als erzielt gelten, mithin zeitlich zu erfassen sind (vgl. hierzu Mutschler, in BeckOK EStG, 6. Ed. 1.2.20, EStG § 62 Rn. 52 ff.):

     

    • Bei Einkünften aus gewerblicher Tätigkeit i. S. v. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) i. V. m. § 15 EStG stellt der BFH auf den Zeitpunkt der Verwirklichung des Besteuerungstatbestandes durch die ausgeübte inländische Tätigkeit ab (14.3.18, III R 5/17, DStR 18, 1167).

     

    • Bei Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit ist nach jüngster finanzgerichtlicher Rechtsprechung auch nicht mehr auf den Zuflusszeitpunkt (so noch BFH 12.3.15, III R 14/14, DStRE 15, 1014, 1017), sondern auf die im Inland entfaltete wirtschaftliche Tätigkeit abzustellen (FG Sachsen 29.10.19, 4 K 98/17 Kg, BeckRS 19, 33811).

     

    Bestehen im Ausland Ansprüche auf dem Kindergeld vergleichbare Leistungen, entfällt der Anspruch auf Kindergeld insoweit (vgl. § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Abs. 2 EStG; Selder in: Blümich, 152. EL Mai 2020, EStG, § 66 Rn. 19 und § 65 Rn. 10 ff.).

     

    MERKE | Bilaterale oder supranationale Abkommen über soziale Sicherheit mit anderen (Dritt-)Staaten können abweichende Regelungen hinsichtlich der Kindergeldhöhe vorsehen (vgl. dazu EStH 31 „Über- und zwischenstaatliche Rechtsvorschriften“; Mutschler, in: BeckOK EStG, 6. Ed. 1.2.20, EStG § 66 Rn. 22 f.).

     

    3.2 Kinderfreibetrag

    Während § 50 Abs. 1 S. 3 EStG die Anwendung der Kinderfreibeträge des § 32 EStG für beschränkt Steuerpflichtige ausdrücklich ausschließt, können diejenigen, die als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden, die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG ‒ ggf. nach Anpassung auf Grundlage der Ländergruppeneinteilung (§ 32 Abs. 6 S. 4 EStG) ‒ in Anspruch nehmen. Obwohl es sich bei dem Kinderfreibetrag um einen Jahresbetrag handelt, schreibt § 32 Abs. 6 S. 5 EStG eine monatsbezogene Betrachtungsweise vor. Hierdurch reduziert sich der Freibetrag für jeden Monat, in dem die Voraussetzungen nach § 32 Abs. 6 S. 1 bis 4 EStG nicht erfüllt sind, entsprechend (Mutschler in: BeckOK EStG, 7. Ed. 1.5.20, EStG § 32 Rn. 620).

    4. Vergleichsrechnung

    Da die Vorteilhaftigkeit eines Antrages auf fiktive unbeschränkte Steuerpflicht nicht zwangsläufig auf der Hand liegt, ist in jedem Fall eine detaillierte Vergleichsrechnung zu erstellen, um eine Handlungsempfehlung zur Antragstellung geben zu können.

     

    • Beispiel 3

    Die Ehegatten C und D wohnen in Österreich und sind österreichische Staatsbürger. Ehefrau D erzielt gewerbliche Einkünfte von 220.000 EUR aus einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte. Aus einer gemeinsamen in Österreich belegenen Immobilie (50 : 50) erzielen die Ehegatten Vermietungseinkünfte über 24.000 EUR. Sie haben im VZ als Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 EStG abziehbare Versicherungsbeiträge von 6.000 EUR (D) bzw. 2.000 EUR (C) sowie außerdem ein minderjähriges Kind E.

     

     

     

    Lösung: Da C und D in Deutschland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind sie nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig nach § 1 Abs. 1 EStG.

     

    • Option 1: Beschränkte Einkommensteuerpflicht
    • Bei den gewerblichen Einkünften von D handelt es sich aufgrund der Betriebsstätte in Deutschland um inländische Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG. D unterliegt mit diesen der beschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 4 EStG. Dieses Besteuerungsrecht wird auch nicht durch das DBA eingeschränkt (Art. 7 Abs. 1 DBA-Österreich). Gemäß § 50 Abs. 1 EStG sind bei der Einkommensteuerberechnung weder Grundfreibetrag noch Sonderausgaben oder Kinderfreibetrag zu berücksichtigen.

     

    • Option 2: Antrag auf fiktive unbeschränkte Einkommensteuerpflicht
    • Da die inländischen Einkünfte von D zu mind. 90 % der Einkommensteuer unterliegen (220.000 EUR von 232.000 EUR), kann sie einen Antrag auf fiktive unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG stellen. Hierdurch erreicht sie den Abzug des Grundfreibetrages sowie der Sonderausgaben und des Kinderfreibetrages. Im Gegenzug unterliegen ihre Vermietungseinkünfte dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG, da es sich nicht um inländische Einkünfte i. S. d. § 49 EStG handelt.

     

    • Option 3: Antrag auf Zusammenveranlagung
    • Außerdem wären auch sämtliche Voraussetzungen erfüllt, einen Antrag auf Zusammenveranlagung nach § 1a i. V. m. § 1 Abs. 3 EStG zu stellen:
      • D ist Staatsbürgerin der europäischen Union (§ 1a Abs. 1 S. 1 EStG),
      • C und D sind nicht dauernd getrennt lebend (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 S. 1 EStG),
      • C hat seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der europäischen Union (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 S. 2 i. V. m. Nr. 1 S. 2 Buchst. a) EStG) und
      • die Einkünfte von C und D unterliegen zu mindestens 90 % der deutschen Einkommensteuer (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 S. 3 EStG).

     

    • Wenn C und D die Zusammenveranlagung beantragen, erhalten Sie den Splittingtarif und die Sonderausgaben. Zudem kann der Kinderfreibetrag von C berücksichtigt werden. Im Gegenzug unterliegen auch die von C erzielten ausländischen Einkünfte dem Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG.

     

    Vergleichsrechnung / 

    Die einzelnen Optionen stellen sich im Detail wie folgt dar:

    Option 1
    Option 2
    Option 3
    Beschränkte Steuerpflicht
    Fiktive unbeschränkte Steuerpflicht
    Fiktive unbeschränkte Ehegattenveranlagung

     § 1 (4) EStG

     § 1 (3) EStG

     § 1a EStG

    Einkommensteuertarif

    Grundtarif ohne Grundfreibetrag

    § 32a (1) i. V. m.

     § 50 (1) EStG

    Grundtarif

     § 32a (1) EStG

    Splittingtarif

     § 32a (5) EStG

    Inländische Einkünfte (§ 49 EStG)

    220.000 EUR

    220.000 EUR

    220.000 EUR

    Progressionsvorbehalt

    (§ 32b (1) Nr. 5 EStG)

    12.000 EUR

    24.000 EUR

    Sonderausgaben (§ 10 EStG)

    6.000 EUR

    8.000 EUR

    Kinderfreibetrag (§ 32 Abs. 6 EStG)

    3.906 EUR

    7.812 EUR

    Zu versteuerndes Einkommen

    220.000 EUR

    210.094 EUR

    204.188 EUR

    Tarifliche Einkommensteuer

    87.387 EUR

    79.759 EUR

    68.825 EUR

     

    Im Ergebnis führt ein Antrag auf fiktive unbeschränkte Steuerpflicht mit dem Antrag auf Zusammenveranlagung von Ehegatten zur geringsten Einkommensteuerbelastung.

     

    5. Verfahrensfragen

    Beginn und Ende der fiktive unbeschränkten Einkommensteuerpflicht richten sich danach, inwieweit der Steuerpflichtige die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG erfüllt. Treten die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG unterjährig ein oder fallen sie im Laufe eines Veranlagungsjahres weg, kann die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht auch unterjährig beginnen oder enden (Tiede in: HHR, 275. EGL 06/2016, EStG, § 1 Rn. 297). Im Fall eines unterjährigen Wechsels zwischen unbeschränkter Steuerpflicht und fiktiv unbeschränkter Steuerpflicht folgt aus der analogen Anwendung von § 2 Abs. 7 S. 3 EStG eine einheitliche Veranlagung. Für den Zeitraum der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht werden jedoch insoweit nur die inländischen Einkünfte nach § 49 EStG berücksichtigt (Stöber, in: BeckOK EStG, Stand: 1.2.20, § 1 Rn. 307 m. w. N.).

     

    Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1 AO ist für die Einkommensbesteuerung natürlicher Personen grundsätzlich das Wohnsitzfinanzamt zuständig. Mangels inländischen Wohnsitzes ergibt sich das zuständige Finanzamt für fiktive unbeschränkte Steuerpflichtige zunächst aus § 19 Abs. 2 AO. In Anlehnung an § 18 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 AO richtet sich die Zuständigkeit des Finanzamts gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 AO danach, wo sich das Vermögen des Steuerpflichtigen befindet. Verteilt sich das Vermögen über mehrere Zuständigkeitsbezirke, ist der wertvollste Teil des nach § 121 BewG zu bestimmenden Vermögens maßgeblich.

     

    PRAXISTIPP | Im Rahmen von Zuständigkeitsvereinbarungen i. S. v. § 27 AO können Finanzbehörden von diesen Zuständigkeitsregeln abweichen, wenn die betroffene Person zustimmt.

     

    6. Hinzurechnungsbesteuerung

    Steuerlicher Nachteil des Antrags auf unbeschränkte Steuerpflicht könnte das Auslösen der Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 AStG ff. sein. Wenn die Einkünfte einer ausländischen Kapitalgesellschaft zu weniger als 25 % besteuert werden und diese passive Einkünfte erzielt, kommt es zur Besteuerung dieser Einkünfte in Deutschland, wenn die Anteile der Kapitalgesellschaft zu mehr als 50 % von einer in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Person gehalten werden. Unbeschränkte Steuerpflicht i. S. d. Vorschrift kann auch durch einen Antrag auf fiktiv unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG ausgelöst werden (vgl. Wassermeyer in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Stand: 1.3.18, § 7 AStG, Rn. 9.3).

     

    FAZIT | Durch einen Antrag auf fiktive unbeschränkte Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 3 EStG können grundsätzlich beschränkt Steuerpflichtige den Abzug von Grundfreibetrag, Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und Kinderfreibetrag erreichen. Im Gegenzug unterliegen die ausländischen Einkünfte dem Progressionsvorbehalt. Wenngleich in den meisten Fällen ein Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG vorteilhaft erscheint, sollten die Folgen detailliert betrachtet werden. Um dem Steuerpflichtigen eine Handlungsempfehlung zu geben, ist eine vollständige Vergleichsberechnung zur beschränkten Steuerpflicht anzuraten.

     
    Quelle: Ausgabe 09 / 2020 | Seite 267 | ID 46802692

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