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  • · Fachbeitrag · ATAD III

    Die Unshell-Initiative und der Kampf der EU gegen die Briefkastengesellschaften

    von Dr. Christian Kahlenberg, M. Sc., LL. M., StB/FBIStR und Rebekka Rein, M.Sc., beide Flick Gocke Schaumburg Berlin

    | Kurz vor dem Jahreswechsel 2021/2022 hat die EU-Kommission einen Richtlinienänderungsentwurf zur ATAD III präsentiert. Der Vorschlag richtet sich gegen die missbräuchliche Nutzung von Briefkastenfirmen. Damit gehen umfangreiche Meldeverpflichtungen hinsichtlich substanzschwacher Gesellschaften einher, denen bei Verfehlen der Mindestsubstanzanforderungen der Verlust bestimmter Steuervorteile aus der Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen oder EU-Richtlinien drohen. |

    1. Hintergrund

    Am 22.12.21 hat die EU-Kommission den „Entwurf einer Änderung der Amtshilferichtlinie“ (RL 2021/16/EU) präsentiert ‒ die sog. Unshell-Richtlinie oder auch ATAD III. Der Vorschlag wurde bereits im Frühjahr 2021 im Rahmen der Mitteilung über die Unternehmensbesteuerung (vgl. EU-Kommission 18.5.21, COM[2021] 251 final) angekündigt und fügt sich in die Klaviatur der EU-Kommission zur Bekämpfung missbräuchlicher Steuerpraktiken ein.

     

    Konkret richtet sich der Vorschlag gegen die Nutzung von in der EU ansässigen Gesellschaften ohne hinreichende Substanz (sog. Briefkastengesellschaften bzw. Shell Entities). Zwar gäbe es nach Auffassung der EU-Kommission plausible Gründe für die Einschaltung substanzschwacher Gesellschaften, es sei jedoch zu verhindern, dass einer Steuerpflicht durch missbräuchliche Nutzung von Briefkastengesellschaften entgangen werden kann ‒ z. B., indem Finanzströme über eine Briefkastengesellschaft in Niedrigsteuerländer oder Steueroasen gelenkt werden können. Der Richtlinienentwurf definiert mithin eine gewisse Mindestsubstanz von in der EU ansässigen Unternehmen. Sofern diese Anforderungen nicht erfüllt werden, droht der Entzug bestimmter Steuervorteile; etwa die Versagung von Richtlinienvergünstigungen oder DBA-Schutz.

    2. Der Richtlinienentwurf

    Grundsätzlich sind alle in der EU ansässigen körperschaftsteuerpflichtigen Unternehmen persönlich von dem Richtlinienvorschlag erfasst (vgl. Art. 2 ATAD III-E). Das heißt, jedes deutsche Körperschaftsteuersubjekt wird verpflichtet, zumindest die erste Stufe des Substanztests zu prüfen. Der erste Prüfschritt versteht sich dabei als eine Art Vorselektion potenzieller Briefkastenfirmen. Erfüllt das jeweilige Unternehmen die Kriterien der ersten Stufe, qualifiziert es als „berichtpflichtiges Unternehmen“. Nur solche Unternehmen müssen sodann auch die zweite Stufe der Substanzprüfung durchlaufen. Unternehmen, die auch die Substanzindikatoren der zweiten Stufe erfüllen, gelten letztlich als Briefkastenfirmen.

     

    MERKE | Der subjektive Anwendungsbereich der Richtlinie ist auf körperschaftsteuerpflichtige Unternehmen begrenzt, sodass aus deutscher Sicht grundsätzlich nur juristische Personen betroffen sind. Personengesellschaften sind nur dann einbezogen, wenn diese im Ausland der Körperschaftsteuer unterliegen (wie etwa in Bulgarien, Portugal oder Spanien) oder in Deutschland die Option gemäß § 1a KStG ausgeübt haben (vgl. auch Benz/Böhmer, DB 22, 1029).

     

    2.1 Stufe 1: Qualifikation als „berichtpflichtiges Unternehmen“

    2.1.1 Tatbestandsvoraussetzungen (Art. 6 Abs. 1 ATAD III-E)

    In einem ersten Schritt werden Unternehmen mit hohem Risiko des missbräuchlichen Einsatzes von Briefkastengesellschaften (Entity at Risk) identifiziert (sog. Gateway-Test). Ein hohes Risiko besteht nach dem Richtlinienentwurf, sofern

    • 1. die Einkünfte des jeweiligen Unternehmens in den vorangegangenen zwei Jahren zu mehr als 75 % aus „relevantem Einkommen“ bestanden,
    • 2. das Unternehmen grenzüberschreitend tätig ist und
    • 3. das Unternehmen über keine wesentliche Substanz verfügt.

     

    Unter das relevante Einkommen fallen insbesondere Einkünfte passiver Natur, die abschließend in Art. 4 Buchst. a) bis h) des Richtlinienentwurfs aufgelistet sind:

     

    • a) Zinsen sowie sonstige Einkünfte aus finanziellen Vermögenswerten einschließlich Kryptoanlagen,
    • b) Lizenzgebühren oder sonstige Einkünfte aus geistigem oder immateriellem Eigentum oder aus handelbaren Rechten,
    • c) Dividenden und Einnahmen aus der Veräußerung von Beteiligungen,
    • d) Einkünfte aus Finanzierungsleasing,
    • e) Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen,
    • f) Einkünfte aus beweglichem Vermögen mit Ausnahme von Bargeld, Aktien oder Wertpapieren, das nicht für betriebliche Zwecke gehalten wird und einen Buchwert von mehr als 1 Mio. EUR hat,
    • g) Einkünfte aus Versicherungs-, Bank- und sonstigen Finanzgeschäften,
    • h) Einkünfte aus Dienstleistungen, die die potenzielle Briefkastenfirma an verbundene Unternehmen ausgelagert hat, wovon auch operative Dienstleistungen erfasst sein könnten, deren Erbringung im Konzern (teilweise) unterbeauftragt wurden.

     

    Ein grenzüberschreitender Konnex des Unternehmens ist darüber hinaus gegeben, wenn

    • mehr als 60 % des Buchwertes des vom Unternehmen gehaltenen Vermögens in den beiden vorangegangenen Wirtschaftsjahren aus unbeweglichem oder nicht betrieblichem beweglichem Vermögen (ausgenommen Bargeld sowie Anteile oder Wertpapiere), das außerhalb des Ansässigkeitsstaates des Unternehmens belegen ist, bestand oder

     

    • mindestens 60 % der relevanten Einnahmen des Unternehmens durch grenzüberschreitende Transaktionen erwirtschaftet oder weitergeleitet werden.

     

    Hinsichtlich des dritten Kriteriums wird unterstellt, das Unternehmen verfüge über keine hinreichende Substanz, wenn in den beiden vorangegangenen Wirtschaftsjahren die Verwaltung des Tagesgeschäfts und die Entscheidungsfindung wichtiger Funktionen ausgelagert wurde; dies kann etwa eine Managementgesellschaft oder ein externer Provider sein. Unerheblich soll dabei sein, ob das Outsourcing der Geschäftsleitung an ein verbundenes Unternehmen oder an einen (fremden) Dritten erfolgt.

     

    2.1.2 Rechtsfolge: Gesteigerte Berichtspflicht (Art. 7 ATAD III-E)

    Unternehmen, die die drei Gateway-Kriterien kumulativ erfüllen, und denen mithin ein hohes Risiko für die Eigenschaft einer bloßen Briefkastengesellschaft anhaftet, müssen die zweite Stufe der Substanzprüfung durchlaufen (s. unter 2.1.2). Die entsprechenden Angaben müssen in den jährlichen Steuererklärungen gemacht werden.

     

    2.1.3 Ausnahme (Art. 6 Abs. 2 ATAD III-E)

    Unternehmen, die zwar den Einstiegstest erfüllen, aber unter den abschließenden Ausnahmekatalog gemäß Art. 6 Abs. 2 ATAD III-E fallen, sind von den erweiterten Berichtspflichten befreit. Die Ausnahme umfasst börsennotierte Unternehmen und regulierte Finanzunternehmen (z. B. Kreditinstitute, Investmentfonds, Versicherungsunternehmen oder Pensionsfonds), Holdingunternehmen, die in demselben Mitgliedstaat steuerlich ansässig sind wie ihre Muttergesellschaft, sowie Unternehmen mit mindestens fünf eigenen Mitarbeitern (Full Time Equivalents), die ausschließlich in Bezug auf die relevanten Einkünfte tätig sind. Sofern das betreffende Unternehmen eines der o. g. Kriterien erfüllt (z. B. die Eigenschaft einer Landesholding oder Anzahl der Mindestangestellten), wird das Unternehmen insgesamt vom Anwendungsbereich der Richtlinie befreit, d. h., sowohl die Berichtspflichten sind obsolet als auch die Prüfung der Mindestsubstanzerfordernisse.

     

    2.1.4 Exkulpationsmöglichkeit (Art. 10 ATAD III-E)

    Darüber hinaus können Unternehmen, die zwar den Einstiegstest erfüllen, aber nicht unter die Ausnahmetatbestände des Art. 6 Abs. 2 ATAD III-E fallen, dennoch von den weiteren Deklarationsverpflichtungen der Richtlinie auf Antrag befreit werden. Voraussetzung dafür ist der Nachweis, dass durch ihre Zwischenschaltung keine steuerlichen Vorteile weder für die unmittelbaren Anteilseigner noch für die gesamte Unternehmensgruppe erzielt werden.

     

    Der Nachweis hat anhand einer steuerlichen Vergleichsrechnung mit und ohne Einbezug des „Unternehmens mit hohem Risiko“ zu erfolgen. Wird der Antrag bewilligt, kann nach dem Steuerjahr diese Bescheinigung für weitere fünf Jahre unter der Voraussetzung verlängert werden, dass sich die tatsächlichen und rechtlichen Umstände des Unternehmens, seiner wirtschaftlichen Eigentümer und der Unternehmensgruppe in diesen Jahren nicht ändern.

     

    PRAXISTIPP | Die Exkulpationsmöglichkeit des Art. 10 ATAD III-E ist letztlich Ausfluss der EuGH-Rechtsprechung, wonach ein steuerlicher Gestaltungsmissbrauch nur dann vorliegt, wenn (objektiv) die Einschaltung einer vermeintlich rein künstlichen Gestaltung (Unternehmen ohne hinreichende Mindestsubstanz) allein oder überwiegend dem Erzielen eines Steuervorteils (subjektiv) dient. Daher ist ohne erzielbaren Steuervorteil eine vermeintlich missbräuchliche Gestaltung widerlegt.

     

    2.2 Stufe 2: Qualifikation als Briefkastengesellschaft

    2.2.1 Indikatoren für geringfügige Substanz

    Sofern ein Unternehmen nach der ersten Prüfungsstufe als meldepflichtiges Unternehmen qualifiziert, ist es im Rahmen der Jahressteuererklärung verpflichtet, u. a. folgende Angaben zu dessen Substanz offenzulegen:

     

    • Besteht im jeweiligen EU-Mitgliedstaat eine eigene Geschäftseinrichtung oder eine solche, die dem Unternehmen zur ausschließlichen Nutzung zur Verfügung steht (Eigentum oder exklusives Nutzungsrecht)?
    • Verfügt das Unternehmen über zumindest ein Bankkonto innerhalb der EU, das aktiv genutzt wird?
    • Informationen zu den Geschäftsleitungsmitgliedern (Art. 7 Abs. 1 Buchst. c) ATAD III - E) und Arbeitnehmern, z. B. Steueransässigkeit, Qualifikationen, Funktionen sowie Zustimmungsvorbehalte.

     

    2.2.2 Rechtsfolgen (Art. 11 und 12 ATAD III-E)

    Unternehmen, die die genannten Substanzindikatoren kumulativ abdecken, gelten nicht als substanzschwache Gesellschaften. Hinsichtlich Unternehmen, die wiederum mindestens einen der Kernindikatoren nicht nachweisen können, unterstellt die Richtlinie, es handele sich um eine substanzschwache Briefkastengesellschaft.

     

    Mit der Einordnung als sog. Briefkastengesellschaft sind folgende direkte Steuerfolgen verbunden:

     

    • 1. Versagung der Steueransässigkeit: Der Ansässigkeitsstaat der betreffenden Briefkastengesellschaft stellt keine Ansässigkeitsbescheinigung oder nur eine Ansässigkeitsbescheinigung mit Vermerk auf das Vorliegen einer Briefkastengesellschaft aus. In Konsequenz kann das betreffende Unternehmen keine Steuervergünstigungen auf Grundlage eines ansonsten anwendbaren DBA oder einer EU-Richtlinie (bspw. die Mutter-Tochter- oder die Zins- und Lizenzrichtlinie) anwenden, soweit die betreffende Begünstigung die steuerliche Ansässigkeit voraussetzt.

     

    • 2. Abweichende Einkünftezurechnung: Die EU-Ansässigkeitsstaaten der Anteilseigner der Briefkastengesellschaft besteuern das Einkommen der Gesellschaft so, als hätten die Anteilseigner dieses selbst erzielt. Im anderen Mitgliedstaat gezahlte Steuern können abgezogen werden. Soweit die Anteilseigner nicht in einem Mitgliedstaat ansässig sind, erhebt der Mitgliedstaat des Zahlungspflichtigen im Einklang mit seinem nationalen Recht und ungeachtet etwaiger DBA entsprechende Quellensteuern.

     

    Ferner werden die durch die Richtlinie erhobenen Daten Gegenstand des automatischen Informationsaustauschs zwischen den EU-Finanzbehörden, unabhängig davon, ob eine Klassifikation als Briefkastenfirma besteht oder nicht (Art. 13 ATAD III-E). Außerdem ist den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, in dem anderen betroffenen Mitgliedstaat eine Betriebsprüfung bei der Gesellschaft anzuregen.

     

    2.2.3 Exkulpationsmöglichkeit (Art. 9 ATAD III-E)

    Für Unternehmen, denen der Substanznachweis in der Jahressteuererklärung nicht gelingt, besteht die Möglichkeit, die Vermutung einer Briefkastengesellschaft zu widerlegen. Im Rahmen des Gegenbeweises hat das Unternehmen

    • Dokumente über die wirtschaftlichen Hintergründe für ihre Errichtung sowie
    • Informationen über das Arbeitnehmerprofil (z. B. Erfahrung, Entscheidungsbefugnisse innerhalb der Gesamtorganisation, Art des Arbeitsvertrags, Qualifikation und Dauer der Beschäftigung) zu erbringen.

     

    Kann auf Grundlage der genannten Nachweise die fehlende Mindestsubstanz des Unternehmens widerlegt werden, gilt der Gegenbeweis für fünf Jahre als erbracht ‒ unter der Voraussetzung, dass sich in diesem Zeitraum die tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten nicht verändern.

     

    PRAXISTIPP | Mit dieser Escape-Möglichkeit wird die primärrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung verankert. Sofern eine substanzschwache Gesellschaft vorliegt, mit deren Einschaltung ein Steuervorteil verbunden ist, kann das Unternehmen bzw. können die Anteilseigner wirtschaftliche Gründe für die konkrete Struktur vorbringen. Dieser sachliche Gegenbeweis ist auch in § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG angelegt.

     

    2.3 Strafbestimmungen (Art. 14 ATAD III-E)

    Art. 14 ATAD III-E verpflichtet die Mitgliedstaaten, in ihrem nationalen Steuerrecht „effektive, verhältnismäßige und abschreckende“ Strafen im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Vorgaben der Richtlinie einzuführen. Die Sanktionen sollen ein Bußgeld von mindestens 5 % des Jahresumsatzes der Briefkastengesellschaft vorsehen, wenn diese ihren Berichtspflichten innerhalb der vorgesehenen Frist nicht nachkommt oder falsche Angaben macht.

     

    FAZIT UND AUSBLICK | Der von der Europäischen Kommission unter dem Titel „shining a light on empty shell companies“ vorgelegte Richtlinienvorschlag (s. www.iww.de/s7334, letzter Zugriff am 2.11.22) soll sicherstellen, dass Briefkastengesellschaften innerhalb der EU, die nicht über jene in der Richtlinie definierte Substanz verfügen, steuerliche Vorteile in den EU-Mitgliedstaaten verweigert werden. Auch wenn sich die Vorschriften hauptsächlich an substanzlose Unternehmen richten, führen sie bei vielen Steuerpflichtigen zu zusätzlichem Administrationsaufwand. Die ATAD III soll bis spätestens 30.6.23 in innerstaatliches Recht übernommen werden und ab dem 1.1.24 anwendbar sein. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich einige Substanzanforderungen bereits auf die beiden Vorjahre, d. h. auch auf das Jahr 2022, beziehen. Mithin besteht im Einzelfall bereits heute Analyse- bzw. Handlungsbedarf. Auch wenn aus deutscher Sicht mit der Adjustierung des § 50d Abs. 3 EStG bereits eine erhebliche Verschärfung erfolgt ist, könnte der Gesetzgeber durch die ATAD III zu weiteren Anpassungen gezwungen werden: Dies dürfte einerseits zusätzliche Compliancepflichten betreffen, andererseits aber auch die Rechtsfolgen, da § 50d Abs. 3 EStG bisher nur auf die Entlastung von deutschen Quellensteuern begrenzt ist und keine abweichende Einkünftezurechnung vorsieht oder die Abkommensberechtigung insgesamt versagt. Mithin droht insofern eine weitere Regelungsverschärfung.

     
    Quelle: Ausgabe 01 / 2023 | Seite 9 | ID 48835964

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