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  • · Fachbeitrag · Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz

    Zentrale Aspekte des Referentenentwurfs zur Neugestaltung der Anti-Treaty-Shopping-Vorschrift

    von StB Dr. Thomas Loose, International Tax Partner bei der PwC GmbH WPG in Düsseldorf

    | Die Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG zielt darauf ab, die missbräuchliche Inanspruchnahme von Begünstigungen durch DBA sowie von EU-Richtlinien durch die gezielte Zwischenschaltung substanzschwacher Gesellschaften zu unterbinden. Diese Anti-Treaty-Shopping-Regelung erfuhr im Zeitablauf zahlreiche Änderungen. Infolge jüngerer EuGH-Rechtsprechung zwingt das Europarecht den Gesetzgeber erneut zu einer Anpassung der Norm. Das BMF hat im November 2020 einen entsprechenden Vorschlag zur Neugestaltung unterbreitet. Am Beispiel von Dividendenzahlungen werden die praxisrelevanten Änderungen des § 50d Abs. 3 EStG-E vorgestellt. |

    1. Reform des § 50d Abs. 3 EStG

    Mit Bearbeitungsstand vom 19.11.20 hat das BMF am 20.11.20 einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung von Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz ‒ AbzStEntModG) vorgelegt. Neben punktuellen Änderungen im Umwandlungssteuergesetz und in der Abgabenordnung sowie der Anpassung der beschränkten Steuerpflicht im Rahmen der Überlassung oder Veräußerung von Rechten beinhaltet der Gesetzesvorschlag Neuerungen und eine Digitalisierung betreffend das Abzugs- und Erstattungsverfahren für im Abzugswege erhobene (Quellen-)Steuern. Wichtigster Regelungsbereich ist wohl die europarechtlich induzierte Neufassung des § 50d Abs. 3 EStG (Anti-Treaty-Shopping-Vorschrift).

     

    Der Fokus dieses Beitrags liegt ausschließlich auf den Änderungen dieser Norm. Anhand von Praxisbeispielen für Gewinnausschüttungen wird die Neufassung sowohl hinsichtlich ihrer Struktur als auch bezüglich ihrer relevanten Effekte beleuchtet. Spezifische Anwendungsvorschriften sind im Referentenentwurf für § 50d Abs. 3 EStG-E nicht enthalten. Der weitere Gesetzgebungsprozess ist daher aufmerksam zu beobachten. Insbesondere spannend wird sein, wie mit bereits erteilten Freistellungsbescheinigungen verfahren wird. Denkbar ist, dass ein Bestandsschutz gewährt wird; es ist jedoch nicht gesichert, dass eine solche auch verfahrensökonomisch sinnvolle Lösung tatsächlich umgesetzt werden wird.

     

    Die Struktur der neu gestalteten Norm stellt sich wie folgt dar: Kein Anspruch auf eine Entlastung von Kapitalertragsteuer und vom Steuerabzug nach § 50a EStG besteht nach § 50d Abs. 3 S. 1 EStG-E (sog. Missbrauchsvermutung), soweit weder eine persönliche Entlastungsberechtigung (vgl. hierzu 2.) noch eine sachliche Entlastungsberechtigung (vgl. 3.) vorliegen. Gemäß § 50d Abs. 3 S. 2 1. HS EStG-E wird die Quellensteuerreduktion ‒ ungeachtet des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG-E ‒ jedoch gewährt, soweit die Erlangung eines steuerlichen Vorteils keiner der Hauptzwecke der Einschaltung der ausländischen Gesellschaft ist (sog. Principial-Purpose-Test, vgl. hierzu 4.). Ein weiterer Escape wird durch § 50d Abs. 3 S. 2 2. HS EStG-E für bestimmte börsennotierte Unternehmen eröffnet (vgl. 5.).

     

    Abweichend von der bisherigen Rechtslage bezieht sich die Missbrauchsvermutung des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG-E dabei unmittelbar nur auf die Quellensteuerreduktion auf Grundlage eines DBA. Infolge von Verweisen in § 43b Abs. 1 S. 1 2. HS EStG-E und § 50g Abs. 4 EStG-E sind die Anti-Treaty-Shopping-Regelungen jedoch auch künftig bei der Inanspruchnahme der Begünstigungen der Mutter-Tochter-Richtlinie sowie der Zins- und Lizenzrichtlinie zu beachten. Schließlich wird die partielle Erstattung der Kapitalertragsteuer gemäß § 44a Abs. 9 EStG auch in der Zukunft nur bei Erfüllen der (neuen) Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG-E gewährt werden (s. den entsprechenden Verweis in § 44a Abs. 9 S. 2 EStG-E).

    2. Persönliche Entlastungsberechtigung

     

    • Beispiel 1

    Die in den USA ansässige US Inc. ist 100%ige Anteilseignerin der in den Niederlanden ansässigen NL BV. Die NL BV wiederum besitzt sämtliche Anteile der in Deutschland ihren Sitz und Ort der Geschäftsleitung aufweisenden D-GmbH. Die NL BV fasst einen Gesellschafterbeschluss, demzufolge die D-GmbH eine Gewinnausschüttung von 10.000.000 EUR vornimmt.

     

     

     

    Die NL BV unterliegt mit der von ihr vereinnahmten Dividende in Deutschland der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht (§ 2 Nr. 1 KStG i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a) EStG). Annahmegemäß liegt keine steuerneutrale Kapitalrückzahlung infolge einer Verwendung des steuerlichen Einlagekontos vor (§ 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG i. V. m. § 27 KStG), sodass auf die Dividende eine 25%ige Kapitalertragsteuer anfällt (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG i. V. m. § 43a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG). Unter Berücksichtigung des 5,5%igen Solidaritätszuschlags auf die Kapitalertragsteuerschuld kumuliert sich die effektive Quellensteuerbelastung auf einen Betrag von 26,375 %, im Beispiel 1 mithin auf 2.637.500 EUR.

     

    Schuldner der Kapitalertragsteuer ist die NL BV als Gläubiger der Kapitalerträge (§ 44 Abs. 1 S. 1 EStG). Im Zuflusszeitpunkt hat die D-GmbH als Schuldner der Kapitalerträge den Einbehalt sowie die Abführung der Quellensteuer für Rechnung der NL BV vorzunehmen (§ 44 Abs. 1 S. 2, 3 und 5 EStG). Die Anwendung des § 8b KStG wird durch § 43 Abs. 1 S. 3 EStG im Rahmen des Steuerabzugs explizit ausgeschlossen. Gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG hat die Kapitalertragsteuer abgeltende Wirkung, da die Dividende nicht in einem inländischen Betrieb der NL BV anfällt ‒ mangels einer Betriebsstätte der NL BV in Deutschland sind die Anteile an der D-GmbH auch nicht einer solchen zuzuordnen.

     

    Beachten Sie | Nach nationalem deutschen Steuerrecht besteht allenfalls die Möglichkeit, unter den Voraussetzungen des § 44a Abs. 9 EStG und somit insbesondere durch Erfüllen der Substanzerfordernisse des § 50d Abs. 3 EStG-E zwei Fünftel der Kapitalertragsteuer erstattet zu bekommen.

     

    Auf Basis des DBA Deutschland-Niederlande und der Mutter-Tochter-Richtlinie (MTR) kann die NL BV von einer Reduktion der deutschen Quellensteuer profitieren. Vorliegend ist die EU-Richtlinie vorteilhaft, da gemäß Art. 10 Abs. 2 DBA Deutschland-Niederlande lediglich Quellensteuersätze von 5 %, 10 % und 15 % vorgesehen sind und keine vollständige Eliminierung der ‒ aufgrund einer 100%igen Steuerfreistellung der Dividende in den Niederlanden eine effektive Belastung darstellenden ‒ Kapitalertragsteuer. Unter den Voraussetzungen des § 43b EStG wird hingegen ein vollständiger Ausschluss der Quellensteuerbelastung ermöglicht.

     

    Im Wege eines Treaty Overrides ordnet das innerstaatliche Steuerrecht jedoch an, dass der Steuerabzug ungeachtet von Vergünstigungen durch EU-Richtlinien und DBA stets in voller Höhe vorzunehmen ist (§ 50d Abs. 1 S. 1 EStG). Die zu viel einbehaltene Quellensteuer wird allerdings auf Antrag erstattet (§ 50d Abs. 1 S. 2 ff. EStG). Von vornherein kann der Einbehalt von Steuern unterbleiben, soweit eine Freistellungsbescheinigung i. S. d. § 50d Abs. 2 EStG vorliegt (§ 50d Abs. 1 S. 13 EStG).

     

    MERKE | Auch der Prozess der Quellensteuerreduktion wird durch das AbzStEntModG reformiert und zudem digitalisiert. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um eine rein formale Neustrukturierung der Normen (bspw. Umgliederung der zentralen Aspekte in § 50c EStG-E). Insbesondere bleibt es vorbehaltlich des Vorliegens einer Freistellungsbescheinigung beim zweistufigen Entlastungsverfahren (d. h. Quellensteuereinbehalt mit nachfolgender Option zur Beantragung der Erstattung). Inhaltliche Änderungen treten nur vereinzelt auf, so sollen etwa Freistellungsbescheinigungen künftig nicht mehr (faktisch rückwirkend) auf den Eingang des entsprechenden Antrags ausgestellt werden.

     

    Sowohl eine Erstattung als auch eine Freistellung wird allerdings nur gewährt, wenn die Missbrauchsvermutung des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG-E entkräftet werden kann. Für diese Zwecke ist im Rahmen der persönlichen Entlastungsberechtigung zu prüfen, ob an der ausländischen Gesellschaft (hier: NL BV) Personen beteiligt sind, denen „dieser“ Anspruch auf Entlastung von der Kapitalertragsteuer nicht zustünde, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten.

     

    Nach aktueller Rechtslage ist (lediglich) zu untersuchen, welcher Quellensteuersatz einschlägig wäre, wenn die US. Inc. unmittelbar 100 % der Anteile an der D-GmbH besäße. Art. 10 Abs. 3 DBA Deutschland-USA sieht in verschiedenen Konstellationen einen 0 %-Quellensteuersatz für Gewinnausschüttungen vor. Stets ist erforderlich, dass seit einem Zeitraum von 12 Monaten eine zumindest 80 % der Stimmrechte vermittelnde Beteiligung vorliegt. Darüber hinaus sind bestimmte Schranken für Abkommensvergünstigungen (Limitation on Benefits ‒ LOB) zu überschreiten (zu Details der LOBs vgl. Loose, PIStB 20, 11 ff.).

     

    Nach dem Reformentwurf ist hingegen gemäß § 50d Abs. 3 S. 1 1. HS 1. Alt. EStG-E zu prüfen, ob der US Inc. „dieser“ Entlastungsanspruch zustände. Unter Hinweis auf jüngste EuGH-Rechtsprechung (EuGH 26.2.19, C-116/16 und C-117/16, PIStB 19, 277) führt die Gesetzesbegründung aus, dass ein vergleichbarer Anspruch auf Grundlage einer anderen Anspruchsnorm (z. B. nach einem anderen DBA) diese Voraussetzung nicht erfüllt. Im Beispiel 1 läge somit keine persönliche Entlastungsberechtigung vor, da die US Inc. im Falle des Direktbesitzes der Anteile an der D-GmbH keinen Anspruch nach § 43b EStG geltend machen könnte, ungeachtet dessen, ob für sie nach dem DBA Deutschland-USA ein 0 %-Quellensteuersatz eröffnet wäre. Der Look-Through-Approach stünde folglich in vielen Praxisfällen in der Zukunft nicht mehr zur Entlastung von Quellensteuern zur Verfügung. Zu prüfen ist in diesen Fällen allerdings, ob die sachliche Entlastungsberechtigung oder eine der Escape-Möglichkeiten Abhilfe verschaffen kann.

    3. Sachliche Entlastungsberechtigung

     

    • Beispiel 2

    Eine in Japan steuerlich ansässige Kabushiki Kaisha (JP KK) ist Alleingesellschafterin der D-AG, deren Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland belegen ist. Die JP KK beschließt eine Dividendenausschüttung der D-AG.

     

     

     

    Auf Basis des DBA Deutschland-Japan kann die nach nationalem deutschen Steuerrecht einzubehaltende Kapitalertragsteuer i. H. v. 26,375 % reduziert werden:

     

    • Die Erhebung einer Quellensteuer wird auf grundsätzlich 15 % der Bruttodividende begrenzt (Art. 10 Abs. 2 Buchst. b) DBA D-Japan).

     

    • Bei einer Mindesthaltedauer von sechs Monaten beträgt der maximale Quellensteuersatz nur 5 %, wenn dem Empfänger der Dividende mindestens 10 % der Stimmrechte an der auszahlenden Gesellschaft unmittelbar gehören (Art. 10 Abs. 2 Buchst. a) DBA D-Japan).

     

    • Keine Quellensteuer darf erhoben werden, wenn die Stimmrechtsbeteiligung bei einer Mindesthaltedauer von 18 Monaten unmittelbar 25 % beträgt (Art. 10 Abs. 3 DBA D-Japan).

     

    Das DBA D-Japan sieht in seinem Art. 21 zwecks Verhinderung des Treaty Shoppings eine umfassende Klausel zur Einschränkung der Abkommensvorteile (LOB-Klausel) vor, die nach dessen Abs. 9 i. V. m. der Protokollregelung Nr. 7 Buchst. b) neben § 42 AO und § 50d Abs. 3 EStG anzuwenden ist.

     

    Erneut ist der nationale Treaty Override des § 50d Abs. 1 EStG bzw. § 50c Abs. 1 EStG-E, einschließlich der Anti-Treaty-Shopping-Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG(-E) zu beachten. In Bezug auf die sachliche Entlastungsberechtigung stellt § 50d Abs. 3 S. 1 1. HS 2. Alt. EStG-E darauf ab, inwieweit die Einkunftsquelle einen wesentlichen Zusammenhang mit einer Wirtschaftstätigkeit der ausländischen Gesellschaft aufweist. Entsprechend § 50d Abs. 3 S. 1 2. HS EStG-E gelten dabei das Erzielen von Einkünften und deren Weiterleitung an beteiligte Personen ebenso wie eine Tätigkeit, die ohne einen für den Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb ausgeübt wird, nicht als Wirtschaftstätigkeit.

     

    Mithin muss im Beispiel 2 für das (anteilige) Erfüllen der sachlichen Entlastungsberechtigung die Beteiligung an der D-AG einen (anteiligen) wesentlichen Zusammenhang mit einer Wirtschaftstätigkeit der JP KK besitzen. Laut der Gesetzesbegründung muss im Ergebnis wirtschaftlich nachvollziehbar sein, dass die ausländische Gesellschaft (hier: JP KK) die Einkunftsquelle (hier: Beteiligung an der D-AG) hält. Unstrittig sollte ein wesentlicher Zusammenhang u. a. dann vorliegen, wenn die D-AG von der JP KK produzierte Güter verkauft oder die JP KK von der D-AG hergestellte Produkte vertreibt.

     

    Beachten Sie | M. E. kann ein wesentlicher Zusammenhang auch dann vorliegen, wenn die operativen Geschäftsfelder grundverschieden sind und die Beteiligung (nachweislich) der Risikodiversifikation dient. Denn es ist wirtschaftlich nachvollziehbar, die Krisenresilienz eines Unternehmens durch Streuung von Risiken zu stärken. Und ungeachtet der Präsens-Formulierung („aufweist“) sollte zumindest eine intertemporale Betrachtung der jeweiligen Geschäftsfelder erfolgen. Ansonsten könnte sogar ein in dem früheren Erwerbszeitpunkt der Beteiligung bestehender wirtschaftlicher Zusammenhang infolge einer späteren Änderung der Geschäftstätigkeit aufgrund veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen nicht zum Erfüllen der sachlichen Entlastungsberechtigung ausreichen.

     

    Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass auch eine aktive Beteiligungsverwaltung begünstigt ist, nicht jedoch eine bloße passive Beteiligungsverwaltung, da in letzterem Fall bereits dem Grunde nach keine Wirtschaftstätigkeit vorläge.

     

    PRAXISTIPP | Die genaue Abgrenzung zwischen einer aktiven und einer passiven Beteiligungsverwaltung ist seit jeher unklar. Diese spielt nicht nur im Rahmen von § 50d Abs. 3 EStG(-E) eine entscheidende Rolle, sondern u. a. auch für die Frage, ob im Inbound-Fall bei einer Personengesellschaftsholding eine Organschaft begründet werden kann (Stichwort „Zuordnung der Beteiligung an der Organgesellschaft zu einer inländischen Betriebsstätte“, vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 4 ff. KStG). Auch nach der Reform des § 50d Abs. 3 EStG ist es für Steuerpflichtige ratsam, aktive Managementleistungen der ausländischen Gesellschaft genau zu dokumentieren. Um Streitigkeiten mit der Finanzverwaltung zu vermeiden, sollten idealerweise schriftliche Managementservice- bzw. weitere Dienstleistungsverträge abgeschlossen und die Fremdüblichkeit der jeweiligen Entgelte geeignet dokumentiert werden.

     

    In der Praxis wird von zentraler Bedeutung sein, wie eng das BZSt das Kriterium des wesentlichen Zusammenhangs mit einer Wirtschaftstätigkeit auslegt. Eine enge Auslegung würde eine erhebliche Verschärfung bedeuten ‒ vorbehaltlich der Nutzung einer der Escape-Regelungen des § 50d Abs. 3 S. 2 EStG-E. Denn nach aktueller Rechtslage (Stichwort: „Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit“) wird eine Quellensteuerreduktion zumindest insoweit gewährt, als die JP KK einer eigenen operativen Geschäftstätigkeit nachgeht ‒ selbst wenn keinerlei Zusammenhang mit der Beteiligung an der D-AG besteht. In EU-Fällen gewährt das BZSt nicht zuletzt seit Veröffentlichung des BMF-Schreibens vom 4.4.18 (IV B 3 - S 2411/07/10016-14, BStBl I 18, 589) zumindest dann regelmäßig eine (vollständige) Freistellung bzw. Erstattung, wenn (irgend-)eine operative Wirtschaftstätigkeit vorliegt. Nach dem BMF-Schreiben lag zudem auch bei bloßer passiver Beteiligungsverwaltung eine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr i. S. d. § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG vor, und der diesbezüglich erforderliche angemessen eingerichtete Geschäftsbetrieb setzte nicht zwingend voraus, dass die Gesellschaft eigenes Personal beschäftigt.

     

    MERKE | Ausweislich der Gesetzesbegründung und vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung soll die Bedeutung vorhersehbarer objektiver Kriterien teilweise eingeschränkt und eine Einzelfallbetrachtung betont werden. In diesem Zusammenhang sind die Streichungen von S. 2 (pauschale Außerachtlassung von Konzernverhältnissen), S. 3 (pauschaler Ausschluss einer eigenen Wirtschaftstätigkeit bei Verwaltung von Wirtschaftsgütern oder Outsourcing von wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte) und von S. 4 (Feststellungslast der ausländischen Gesellschaft für das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe und des für den Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetriebs) der aktuell geltenden Fassung des § 50d Abs. 3 EStG zu sehen.

     

    4. Principal-Purpose-Test

    Erstmals steht Steuerpflichtigen im Rahmen der Anti-Treaty-Shopping-Vorschrift ein sog. Principal-Purpose-Test (PPT) zur Verfügung. Entsprechend § 50d Abs. 3 S. 2 1. HS EStG-E findet die Missbrauchsvermutung des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG-E ‒ und damit insgesamt die Anti-Treaty-Shopping-Norm ‒ keine Anwendung, „soweit die ausländische Gesellschaft nachweist, dass keiner der Hauptzwecke ihrer Einschaltung die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist.“ Bei einem (nur) teilweisen Nachweis ist mithin (nur) eine anteilige Reduktion zu gewähren.

     

    In Beispiel 1 droht die persönliche Entlastungsberechtigung künftig daran zu scheitern, dass die US Inc. bei Direktbezug der Dividende der D-GmbH nicht die Mutter-Tochter-Richtlinie in Anspruch nehmen kann (vgl. 2.). Annahmegemäß sei auch eine sachliche Entlastungsberechtigung nicht gegeben: Die unmittelbare Anteilseignerin, die NL BV, fungiere als reine Holdinggesellschaft und nehme in Bezug auf die D-GmbH ausschließlich ihre Gesellschafterrechte wahr (passive Beteiligungsverwaltung) und besäße damit bereits keine eigene Wirtschaftstätigkeit.

     

    PRAXISTIPP | Die sachliche Entlastungsberechtigung ist nach der hier vertretenen Auffassung auch auf Ebene nur mittelbarer Anteilseigner zu prüfen, obwohl der Gesetzeswortlaut nur auf einen wesentlichen Zusammenhang mit einer Wirtschaftstätigkeit „dieser“ ausländischen Gesellschaft abstellt. Im Zuge des Look-Through-Approaches („wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten“) sollte jedoch die jeweilige mittelbare Anteilseignerin als „diese ausländische Gesellschaft“ anzusehen sein und damit stufenspezifisch das Vorliegen eines wesentlichen Zusammenhangs mit einer Wirtschaftstätigkeit geprüft werden.

     

    Im Rahmen des PPT obliegt dem Steuerpflichtigen (hier: der NL BV) die Nachweispflicht, dass keiner der Hauptzwecke ihrer Einschaltung die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist. Laut der Gesetzesbegründung könnte es nicht ausreichen, dass die NL BV nachweist, dass die US Inc. bei Direktbezug der Gewinnausschüttung auf Basis des DBA Deutschland-USA ebenfalls zu einem 0 %-Quellensteuersatz berechtigt wäre. Vielmehr könnten jegliche steuerlichen Vorteile relevant sein, z. B. auch im Hinblick auf das Steuerrecht des Ansässigkeitsstaats des Anteilseigners.

     

    Beachten Sie | Es ist somit möglich, dass das BZSt die NL BV auffordern wird, steuerliche Gutachten zur Darstellung auch der niederländischen Steuerperspektive, ggf. sogar zudem der US-Steuersicht, beizubringen. Das würde eine ganz erhebliche Verschärfung der Rechtslage darstellen und dürfte verfahrensökonomisch einerseits eine weitere Erhöhung der Komplexität und andererseits eine weitere Verlangsamung der Verfahrensdauern nach sich ziehen.

     

    Zu hoffen ist daher, dass im Laufe des weiteren Gesetzgebungsprozesses klargestellt wird, dass allein inländische Steuervorteile relevant sind bzw. dass etwaige ausländische Steuervorteile nur Nebenzwecke darstellen und daher nicht zu berücksichtigen sind. Die Anti-Treaty-Shopping-Vorschrift will die künstliche Inanspruchnahme von Vorteilen von DBA sowie von EU-Richtlinien verhindern, weshalb diesbezügliche Nachweise bzw. Nachweise gewichtiger außersteuerlicher Gründe (die sich nunmehr auch aus dem Konzernverhältnis ergeben können) genügen müssen ‒ es ist weder die Aufgabe des deutschen Gesetzgebers noch die Pflicht im Inland (beschränkt) Steuerpflichtiger, vermeintliche ausländische Steuervorteile ihrer Gesellschafter aufzuspüren bzw. deren Nichtexistenz nachzuweisen.

     

    MERKE | Nach aktueller Rechtslage ist in § 50g Abs. 4 S. 1 EStG hinsichtlich der Zins- und Lizenzrichtlinie bereits ein PPT vorgesehen: „Die Entlastung nach Abs. 1 ist zu versagen oder zu entziehen, wenn der hauptsächliche Beweggrund oder einer der hauptsächlichen Beweggründe für Geschäftsvorfälle die Steuervermeidung oder der Missbrauch sind.“ In der Praxis wurde dieser Norm aber vonseiten des BZSt keine hohe Bedeutung beigemessen, zumal auch zahlreiche DBA einen 0 %-Quellensteuersatz für Lizenzen vorsehen. Im Zuge des AbzStEntModG wird dieser (separate) PPT gestrichen, da § 50g Abs. 4 EStG-E vollumfänglich auf § 50d Abs. 3 EStG-E verweist.

     

    5. Escape-Klausel für börsennotierte Gesellschaften

     

    • Beispiel 3

    Die Anteile der in Brasilien ansässigen Sociedade Anônima (BRA SA) sind an der Börse von São Paulo (Bolsa de Valores, Mercadorias e Futuros de São Paulo, kurz: BM&FBovespa S.A.) notiert. Die BRA SA hat eine 100%ige Tochterkapitalgesellschaft in Großbritannien (UK Ltd.), die wiederum sämtliche Anteile an der inländischen D-GmbH besitzt. Die D-GmbH nimmt eine Gewinnausschüttung an die UK Ltd. vor.

     

     

     

    Der Wortlaut des Börsen-Escapes des § 50d Abs. 3 S. 2 2. HS EStG-E stimmt mit der aktuellen Gesetzesfassung überein, nur das Wort „Aktien“ wurde (klarstellend) durch „Anteile“ ersetzt: „… wenn mit der Hauptgattung der Anteile an der ausländischen Gesellschaft ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet“.

     

    Eine erhebliche Verschärfung droht aber insoweit, als dass nach der Gesetzesbegründung nur noch eine Börsennotierung des unmittelbaren Anteilseigners begünstigt sein soll. Gegenwärtig wird hingegen der Börsen-Escape auf Basis des BMF-Schreibens vom 24.1.12 (IV B 3 - S 2411/07/10016, BStBl I 12, 171, Tz. 9.2 i. V. m. 9.1) vonseiten des BZSt auch im Falle eines börsennotierten (indirekten) Gesellschafters der ausländischen Gesellschaft eröffnet, sofern auf Ebene des mittelbaren Gesellschafters der deutschen Gesellschaft (durch die Kette) eine persönliche Entlastungsberechtigung vorliegt.

     

    In Beispiel 3 ist der Anwendungsbereich der Börsenklausel künftig nicht eröffnet, da zwar die BRA SA, nicht aber die UK Ltd. börsennotiert ist. Insofern kommt es zu keiner Änderung der Rechtslage. Der BRA SA wird mangels persönlicher Entlastungsberechtigung (zwischen Deutschland und Brasilien ist gegenwärtig kein DBA in Kraft) bereits aktuell die Börsenklausel verwehrt. Dies ist auch sachgerecht, da andernfalls die Zwischenschaltung einer „leeren“ UK Ltd. eine effektive Reduktion der Quellensteuer auf 5 % (Art. 10 Abs. 2 Buchst. a) DBA D-Großbritannien) bewirken könnte.

     

    Falls aber statt der BRA SA die an der London Stock Exchange (LSE) börsennotierte UK PLC Anteilseignerin der UK Ltd. wäre, ergäbe sich hingegen eine sinnwidrige Verschärfung. Denn aktuell würde der mittelbare Börsenhandelstest eine Reduktion der Quellensteuer auf 5 % ermöglichen. Dagegen wäre nach dem Referentenentwurf der Börsenescape nicht mehr eröffnet, obwohl die UK PLC bei Direktbezug auch eine Reduktion auf 5 % erhalten würde.

     

    Beachten Sie | Ungeachtet der Börsenklausel ist insbesondere zu prüfen, ob der PPT genutzt werden kann (vgl. zu den diesbezüglichen Fragestellungen die Ausführungen unter 4.).

    6. Praxisleitfaden und kritische Würdigung

    Für eine zielgerichtete Prüfung der mitunter komplexen Regelungstechnik des § 50d Abs. 3 EStG-E bietet es sich an, einen Praxisleitfaden zu befolgen. Wie nachfolgend dargestellt ist ‒ von links nach rechts ‒ zunächst zu analysieren, ob der Börsenhandelstest Abhilfe schaffen kann. Bejahendenfalls ist eine Reduktion der Quellensteuer ohne Beachtung der Anti-Treaty-Shopping-Vorschrift möglich. Andernfalls sind die relativ zeitaufwendigeren persönlichen bzw. sachlichen Entlastungsberechtigungen zu untersuchen. Falls sich hierdurch die Missbrauchsvermutung nicht entkräften lässt, bleibt als letzte Rettungsmöglichkeit der PPT:

     

     

    Anzumerken ist, dass abweichend von der aktuellen Rechtslage

     

    • kein Escape mehr für ausländische Gesellschaften eröffnet wird, die den Vorschriften des Investmentsteuergesetzes unterliegen (s. hierzu in der aktuellen Gesetzesfassung noch § 50d Abs. 3 S. 5 2. HS EStG);

     

    • durch die Verwendung der Treaty-Override-Formulierung „ungeachtet des Abkommens“ insbesondere abschließende abkommensrechtliche Missbrauchsverhinderungsregelungen überschrieben werden sollen. Praxisrelevant ist dies insbesondere im Hinblick auf die LOB-Klausel nach Art. 28 DBA Deutschland-USA. Nach aktueller Verwaltungspraxis (vgl. BMF 24.1.12, IV B 3 - S 2411/07/10016, BStBl I 12, 171, Tz. 10) bedarf es bei Erfüllen der LOB-Klausel aufgrund deren Charakters als abschließende Spezialregelung keiner separaten Prüfung des § 50d Abs. 3 EStG mehr.

     

    Auf den ersten Blick ist es erfreulich, dass durch die Neufassung der Anti-Treaty-Shopping-Vorschrift (endlich) die jüngere EuGH-Rechtsprechung gesetzgeberisch ‒ statt nur im Wege eines BMF-Schreibens ‒ Berücksichtigung finden soll. Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, dass die Neugestaltung in vielen Fällen zu einer Verschärfung der Norm genutzt werden soll. Höchst fraglich ist somit, ob die Norm europarechtlichen Anforderungen standhalten oder vielmehr künftig erneut dem EuGH zur Überprüfung der Europarechtswidrigkeit vorliegen wird.

     

    In der Praxis wird neben den genauen Anwendungs- bzw. Übergangsvorschriften entscheidende Bedeutung der Frage zukommen, welche Anforderungen vonseiten des BZSt an den PPT gestellt werden. Denn nur bei einer Begrenzung der Anforderungen auf ein vernünftiges Maß (insbesondere der Fokussierung nur auf etwaige inländische Steuervorteile) können sinnwidrige Ergebnisse, die aus der isolierten Anwendung eines (verschärften) Look-Through-Approaches sowie einer (verschärften) sachlichen Entlastungsberechtigung und eines (verschärften) Börsen-Escapes resultieren würden, verhindert werden.

     

    FAZIT | Im Rahmen des AbzStEntModG wird eine Reform der Anti-Treaty-Shopping-Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG angestrebt. Auch wenn noch nicht Klarheit bezüglich aller Einzelheiten besteht, sind Steuerpflichtige gut beraten, sich bereits mit der Entwurfsfassung des Gesetzes auseinanderzusetzen. Sie sollten prüfen, ob für ihre jeweiligen Beteiligungsstrukturen eine Verschlechterung der Quellensteuerposition droht, und geeignete Sachverhaltsdokumentationen vornehmen. Der weitere Gesetzgebungsprozess sollte aufmerksam beobachtet werden.

     
    Quelle: Ausgabe 02 / 2021 | Seite 45 | ID 47057072

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