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  • 21.09.2012 · IWW-Abrufnummer 122885

    Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 06.09.2012 – C-273/11

    1. Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/88/EU des Rates vom 7. Dezember 2010 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es nicht verwehrt, dem Verkäufer unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens den Anspruch auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass der Verkäufer seinen Nachweispflichten nicht nachgekommen ist oder dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um seine eigene Beteiligung an dieser Steuerhinterziehung zu verhindern.

    2. Dem Verkäufer kann die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Sinne von Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 nicht allein deshalb versagt werden, weil die Steuerverwaltung eines anderen Mitgliedstaats eine Löschung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers vorgenommen hat, die zwar nach der Lieferung des Gegenstands erfolgt ist, aber auf einen Zeitpunkt vor der Lieferung zurückwirkt.


    C-273/11

    In der Rechtssache C-273/11

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Baranya Megyei Bíróság (Ungarn) mit Entscheidung vom 18. Mai 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Juni 2011, in dem Verfahren

    Mecsek-Gabona Kft

    gegen

    Nemzeti Adó- és Vámhivatal Dél-dunántúli Regionális Adó Fõigazgatósága

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richter U. Lõhmus (Berichterstatter), A. Rosas, A. Ó Caoimh und A. Arabadjiev,

    Generalanwältin: J. Kokott,

    Kanzler: K. Sztranc-Sawiczek, Verwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 2012,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    - der ungarischen Regierung, vertreten durch Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,

    - der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,

    - der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und V. Bottka als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    Tenor:

    1. Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/88/EU des Rates vom 7. Dezember 2010 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es nicht verwehrt, dem Verkäufer unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens den Anspruch auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass der Verkäufer seinen Nachweispflichten nicht nachgekommen ist oder dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um seine eigene Beteiligung an dieser Steuerhinterziehung zu verhindern.

    2. Dem Verkäufer kann die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Sinne von Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 nicht allein deshalb versagt werden, weil die Steuerverwaltung eines anderen Mitgliedstaats eine Löschung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers vorgenommen hat, die zwar nach der Lieferung des Gegenstands erfolgt ist, aber auf einen Zeitpunkt vor der Lieferung zurückwirkt.
    Entscheidungsgründe


    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/88/EU des Rates vom 7. Dezember 2010 (ABl. L 326, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/112).

    1

    Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Mecsek-Gabona Kft (im Folgenden: Mecsek-Gabona) und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Dél-dunántúli Regionális Adó Fõigazgatósága (Regionalfinanzdirektion Dél-dunántúl, im Folgenden: Fõigazgatóság) wegen Ablehnung des Antrags von Mecsek-Gabona auf Mehrwertsteuerbefreiung eines von ihr als eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen eingeordneten Umsatzes durch die Fõigazgatóság.

    Rechtlicher Rahmen

    Richtlinie 2006/112

    2

    Die Richtlinie 2006/112 hat gemäß ihren Art. 411 und 413 mit Wirkung zum 1. Januar 2007 die auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer bestehenden Unionsvorschriften, insbesondere die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) aufgehoben und ersetzt.

    3

    Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2006/112 bestimmt:

    "(1) Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

    ...

    b) der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt

    i) durch einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, oder durch eine nichtsteuerpflichtige juristische Person, wenn der Verkäufer ein Steuerpflichtiger ist, der als solcher handelt, ..."

    4

    Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:

    "Als 'Lieferung von Gegenständen' gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen."

    5

    Titel IX der Richtlinie 2006/112 ("Steuerbefreiungen") besteht aus zehn Kapiteln, von denen das erste allgemeine Bestimmungen enthält. Art. 131, der einzige Artikel dieses Kapitels, lautet:

    "Die Steuerbefreiungen der Kapitel 2 bis 9 werden unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen."

    6

    Art. 138 Abs. 1 in Kapitel 4 ("Steuerbefreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen") des Titels IX der Richtlinie 2006/112 bestimmt:

    "Die Mitgliedstaaten befreien die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt."

    7

    Die Art. 131 und 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 entsprechen inhaltlich im Wesentlichen Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie in der Fassung der Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (ABl. L 102, S. 18).

    8

    Titel XI der Richtlinie 2006/112 ("Pflichten der Steuerpflichtigen und bestimmter nichtsteuerpflichtiger Personen") enthält u. a. ein Kapitel 2 ("Identifikation") und ein Kapitel 3 ("Rechnungstellung").

    9

    In Art. 214 in diesem Kapitel 2 heißt es:

    "(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit folgende Personen jeweils eine individuelle Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erhalten:

    ...

    b) jeder Steuerpflichtige und jede nichtsteuerpflichtige juristische Person, der bzw. die gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Mehrwertsteuer unterliegende innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen bewirkt oder von der Möglichkeit des Artikels 3 Absatz 3, seine bzw. ihre innergemeinschaftlichen Erwerbe der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, Gebrauch gemacht hat;

    ..."

    10

    Art. 220 Abs. 1 in Kapitel 3 des genannten Titels bestimmt:

    "Jeder Steuerpflichtige stellt in folgenden Fällen eine Rechnung entweder selbst aus oder trägt dafür Sorge, dass eine Rechnung vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder in seinem Namen und für seine Rechnung von einem Dritten ausgestellt wird:

    ...

    3. Er liefert Gegenstände unter den Voraussetzungen des Artikels 138.

    ..."

    11

    Art. 226 in diesem Kapitel 3 sieht vor:

    "Unbeschadet der in dieser Richtlinie festgelegten Sonderbestimmungen müssen gemäß den Artikeln 220 und 221 ausgestellte Rechnungen für Mehrwertsteuerzwecke nur die folgenden Angaben enthalten:

    ...

    4. die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer im Sinne des Artikels 214, unter der der Erwerber oder Dienstleistungsempfänger eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung, für die er Steuerschuldner ist, oder eine Lieferung von Gegenständen nach Artikel 138 erhalten hat;

    ..."

    Ungarisches Recht

    12

    Art. 89 Abs. 1 des Gesetzes Nr. CXXVII aus dem Jahr 2007 über die Mehrwertsteuer (Általános forgalmi adóról szóló 2007. évi CXXVII. Törvény, Magyar Közlöny 2007/128) bestimmt:

    "Befreit sind - vorbehaltlich der Bestimmungen der Abs. 2 und 3 - Lieferungen von Gegenständen, die nachweislich von Ungarn aus ins innergemeinschaftliche Ausland versandt oder befördert werden, unabhängig davon, ob der Versand oder die Beförderung durch den Verkäufer, den Erwerber oder einen Dritten erfolgt, der für Rechnung des Verkäufers oder des Erwerbers handelt, an einen anderen Steuerpflichtigen, der als solcher nicht in Ungarn, sondern in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft tätig ist, oder aber an eine juristische Person, die, ohne Steuerpflichtiger zu sein, in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft registriert und zur Steuerzahlung verpflichtet ist."

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    13

    Mecsek-Gabona ist ein ungarisches Unternehmen, zu dessen Kerngeschäft der Großhandel mit Getreide, Tabak, Saatgut und Futtermitteln gehört.

    14

    Am 28. August 2009 schloss die Klägerin in der Absicht, eine mehrwertsteuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen vorzunehmen, einen Kaufvertrag mit der in Italien ansässigen Handelsgesellschaft Agro-Trade srl (im Folgenden: Agro-Trade), in dem die Lieferung von 1 000 Tonnen Raps (mit einer Abweichung nach oben oder unten von 10 %) zum Preis von 71 500 HUF/Tonne vereinbart wurde.

    15

    Im Hinblick auf die Kaufvertragsdurchführung wurde bezüglich der Menge vereinbart, maßgeblich seien das Gewicht der Fracht bei Verladung auf dem Gelände der Verkäuferin in Szentlõrinc (Ungarn), bescheinigt durch Wiegescheine, und die auf Grundlage des ermittelten Gewichts ausgestellten Rechnungen. Die Erwerberin übernahm die Verpflichtung, das Beförderungsmittel bereitzustellen und die Ware in einen anderen Mitgliedstaat zu befördern.

    16

    Vor der Durchführung der Frachtbeförderung teilte die Erwerberin die amtlichen Kennzeichen der Fahrzeuge mit, die die Ware bei Mecsek-Gabona abholen würden. Nach Verwiegung der Fahrzeuge wurden die Gewichtsbeträge der erworbenen Produkte in den CMR-Frachtbriefen (dies sind Beförderungsdokumente, die auf der Grundlage des am 19. Mai 1956 in Genf unterzeichneten Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr in der Fassung des Protokolls vom 5. Juli 1978 ausgestellt werden) vermerkt, und die Frachtführer führten von ihnen abgestempelte Lieferscheine mit sich. Die Verkäuferin erstellte eine Kopie des ersten Exemplars der ausgefüllten Frachtbriefe, die Originale verblieben im Besitz der Frachtführer. Die fortlaufend durchnummerierten 40 CMR-Frachtbrief-Exemplare wurden der Verkäuferin per Post von der Anschrift der Erwerberin in Italien aus zugesandt.

    17

    Am 4. September 2009 wurden für den im Ausgangsverfahren fraglichen mehrwertsteuerbefreiten Umsatz zwei Rechnungen über Beträge von 34 638 175 HUF und 34 555 235 HUF ausgestellt, die mengenmäßig 484,45 Tonnen bzw. 483,29 Tonnen Raps entsprachen. Einige Tage nach der Lieferung wurde der Betrag der ersten Rechnung durch eine natürliche Person ungarischer Staatsangehörigkeit bezahlt, die den genannten Geldbetrag auf das Bankkonto von Mecsek-Gabona einzahlte. Die zweite Rechnung, die innerhalb von acht Monaten nach Lieferung zu begleichen war, wurde hingegen nicht bezahlt.

    18

    Aus einer Anfrage der Klägerin des Ausgangsverfahrens am 7. September 2009 beim Register der Steuerpflichtigen ging hervor, dass Agro-Trade zu diesem Zeitpunkt über eine gültige Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer verfügte.

    19

    Anlässlich der Überprüfung des Steuerbescheids von Mecsek-Gabona richtete die ungarische Steuerverwaltung ein Auskunftsersuchen nach Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 des Rates vom 7. Oktober 2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 218/92 (ABl. L 264, S. 1) an die italienischen Behörden. Diese teilten mit, dass Agro-Trade nicht ausfindig gemacht werden könne und sich unter der Adresse des registrierten Gesellschaftssitzes ein Privathaus befinde. Unter dieser Adresse sei keine Gesellschaft mit diesem Namen registriert worden. Da Agro-Trade nie Mehrwertsteuer abgeführt hatte, war sie der italienischen Steuerverwaltung auch nicht bekannt. Die italienische Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer dieses Unternehmens war am 14. Januar 2010 rückwirkend zum 17. April 2009 im Register gelöscht worden.

    20

    Auf der Grundlage dieses Sachverhalts vertrat die erstinstanzliche ungarische Steuerbehörde die Auffassung, dass Mecsek-Gabona im Steuerverfahren nicht habe nachweisen können, dass eine mehrwertsteuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen stattgefunden habe, und setzte mit Bescheid vom 7. September 2010 gegen Mecsek-Gabona für die Mehrwertsteuer des Monats September 2009 eine Steuerschuld in Höhe von 17 298 000 HUF nebst einer Geldbuße in Höhe von 1 730 000 HUF und einem Verspätungszuschlag in Höhe von 950 000 HUF fest.

    21

    Mit Entscheidung vom 18. Januar 2011 bestätigte die Fõigazgatóság den Bescheid der erstinstanzlichen Steuerbehörde. Sie war der Auffassung, dass Mecsek-Gabona über ein Dokument hätte verfügen müssen, mit dem sie die Auslieferung der Ware und ihre Beförderung in einen anderen Mitgliedstaat hätte nachweisen können. Da sie bei der Überprüfung eine solche Urkunde nicht habe beibringen können oder diese nicht als beweiskräftig anzusehen sei, schulde sie Mehrwertsteuer für den im Ausgangsverfahren fraglichen Umsatz, es sei denn, sie habe das Geschäft in gutem Glauben durchgeführt.

    22

    Nach Ansicht der Fõigazgatóság hätte Mecsek-Gabona größere Sorgfalt walten lassen müssen. So hätte sie sich nicht damit begnügen dürfen, zu überprüfen, ob die Ware abtransportiert worden sei, sondern hätte sich auch vergewissern müssen, dass die Ware an ihrem Zielort angekommen sei.

    23

    Die Klägerin des Ausgangsverfahrens beantragte beim vorlegenden Gericht die Nichtigerklärung der Entscheidung der Fõigazgatóság und des Bescheids der erstinstanzlichen Steuerbehörde. Sie machte geltend, dass ihr keine Sorgfaltspflichtverletzung anzulasten sei, weder bei Vertragsschluss noch bei Durchführung des Vertrags, denn sie habe sich am 7. September 2009 vergewissert, dass die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer von Agro-Trade gültig sei und ihr die CMR-Frachtbriefe von der italienischen Adresse der Erwerberin aus zugeschickt worden seien. Dass die italienische Steuerverwaltung am 14. Januar 2010 rückwirkend zum 17. April 2009 diese Nummer gelöscht habe, habe ihr nicht bekannt sein können, so dass die Löschung in diesem Zusammenhang keine Bedeutung haben könne.

    24

    Die Fõigazgatóság beantragte die Abweisung der Klage von Mecsek-Gabona und behielt ihre Argumentation bei, dass diese sich nur dann auf die Mehrwertsteuerbefreiung der im Ausgangsverfahren fraglichen Lieferung berufen könne, wenn sie sich nicht nur des Abtransports der Ware, sondern auch deren Ankunft an ihrem Bestimmungsort vergewissert hätte.

    25

    Der Baranya Megyei Bíróság hält eine Auslegung des Art. 138 der Richtlinie 2006/112 für erforderlich, um entscheiden zu können, welche Beweise als hinreichend zu erachten seien, um das Vorliegen einer mehrwertsteuerbefreiten Lieferung von Gegenständen nachzuweisen, und in welchem Ausmaß der Verkäufer, wenn er die Beförderung nicht selbst übernehme, für das Handeln des Erwerbers verantwortlich sei. Unter Berufung auf das Urteil vom 27. September 2007, Teleos u. a. (C-409/04, Slg. 2007, I-7797), möchte das vorlegende Gericht außerdem wissen, ob die nach der Auslieferung des Gegenstands erfolgte Löschung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer von Agro-Trade es zulasse, den guten Glauben der Klägerin des Ausgangsverfahrens in Frage zu stellen und eine mehrwertsteuerbefreite Lieferung zu verneinen.

    26

    Der Baranya Megyei Bíróság hat unter diesen Umständen beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1. Ist Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen, dass eine Lieferung von Gegenständen von der Mehrwertsteuer befreit ist, wenn die Gegenstände an einen Erwerber geliefert worden sind, der zur Zeit des Kaufvertragsschlusses zu Mehrwertsteuerzwecken in einem anderen Mitgliedstaat registriert war, in dem Kaufvertrag bestimmt worden ist, dass Verfügungsmacht und Eigentumsrecht mit dem Verladen der Gegenstände auf das Beförderungsmittel auf den Erwerber übergehen und es dem Erwerber obliegt, die Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat zu verbringen?

    2. Genügt es zur Durchführung einer mehrwertsteuerbefreiten Lieferung vom Standpunkt des Verkäufers aus, dass er überprüft, dass die veräußerte Ware mit im Ausland zugelassenen Fahrzeugen befördert wird, und er über von dem Erwerber übersandte CMR-Frachtbriefe verfügt, oder hat er sich darüber hinaus zu vergewissern, dass die veräußerten Gegenstände die Grenze überschritten haben und die Beförderung innerhalb des Gemeinschaftsgebiets erfolgt ist?

    3. Kann allein aufgrund der Tatsache, dass die Steuerbehörden eines anderen Mitgliedstaats die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers mit Rückwirkung auf einen vor der Lieferung eines Gegenstands liegenden Zeitpunkt löschen, in Zweifel gezogen werden, dass diese Lieferung mehrwertsteuerbefreit ist?

    Zu den Vorlagefragen

    Zur ersten und zur zweiten Frage

    27

    Mit seinen ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass er es der Steuerverwaltung eines Mitgliedstaats verwehrt, einem in diesem Mitgliedstaat ansässigen Verkäufer die Mehrwertsteuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen, wenn zum einen das Recht, über einen Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats auf einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Erwerber übertragen wird, der zum Zeitpunkt des Umsatzes über eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer in diesem anderen Mitgliedstaat verfügt und sich zur Beförderung des Gegenstands an dessen Bestimmungsort verpflichtet, und wenn sich der Verkäufer zum anderen vergewissert, dass der Gegenstand von im Ausland zugelassenen Fahrzeugen von seinem Lager abgeholt wird, und er über CMR-Frachtbriefe, die der Erwerber ihm vom Bestimmungsmitgliedstaat aus übersandt hat, als Nachweis dafür verfügt, dass der Gegenstand an Orte außerhalb des Mitgliedstaats des Verkäufers befördert wurde.

    28

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine innergemeinschaftliche Lieferung als logische Folge des innergemeinschaftlichen Erwerbs von der Mehrwertsteuer befreit ist, wenn sie die Voraussetzungen des Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 erfüllt (vgl. in diesem Sinne Urteile Teleos u. a., Randnr. 28, und vom 18. November 2010, X, C-84/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 26).

    29

    Nach dieser Bestimmung befreien die Mitgliedstaaten die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Union versandt oder befördert werden, von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt.

    30

    Nach ständiger Rechtsprechung ist die Befreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung eines Gegenstands erst dann anwendbar, wenn das Recht, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber übertragen worden ist, wenn der Verkäufer nachweist, dass der Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert worden ist, und wenn der Gegenstand aufgrund dieses Versands oder dieser Beförderung den Liefermitgliedstaat physisch verlassen hat (vgl. Urteile Teleos u. a., Randnr. 42, vom 27. September 2007, Twoh International, C-184/05, Slg. 2007, I-7897, Randnr. 23, vom 7. Dezember 2010, R., C-285/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 41, und vom 16. Dezember 2010, Euro Tyre Holding, C-430/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 29).

    31

    Was erstens die Übertragung des Rechts, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber anbelangt, ist festzustellen, dass sie eine wesentliche Voraussetzung für das Vorliegen einer Lieferung von Gegenständen im Sinne von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 ist und für sich allein nicht den innergemeinschaftlichen Charakter des betreffenden Umsatzes festlegen kann.

    32

    Hierzu ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass die Voraussetzung der Übertragung des Rechts, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, in der Rechtssache des Ausgangsverfahrens unstreitig erfüllt ist, da die Übertragung gemäß dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag zum Zeitpunkt des Verladens der Waren auf die vom Erwerber zur Verfügung gestellten Transportmittel stattgefunden hat, und dass die ungarische Steuerverwaltung die Verladung nicht in Zweifel gezogen hat.

    33

    Zweitens ist zu der Verpflichtung des Verkäufers, den Nachweis zu erbringen, dass der Gegenstand an Orte außerhalb des Liefermitgliedstaats versandt oder befördert worden ist, darauf hinzuweisen, dass diese Verpflichtung in den besonderen Kontext der Übergangsregelung für die Besteuerung des Handelsverkehrs innerhalb der Union zu stellen ist, einer Regelung, die wegen der Abschaffung der Binnengrenzen ab dem 1. Januar 1993 durch die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388 im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen (ABl. L 376, S. 1) eingeführt wurde (Urteil Teleos u. a., Randnr. 21).

    34

    Der Gerichtshof hat hierzu festgestellt, dass zwar die innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen der objektiven Voraussetzung unterliegt, dass die Gegenstände physisch an Orte außerhalb des Liefermitgliedstaats verbracht worden sind, dass es aber für die Finanzverwaltung seit dem Wegfall der Kontrollen an den Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten schwierig ist, sich zu vergewissern, ob die Waren den betreffenden Mitgliedstaat physisch verlassen haben. Diese Prüfung führen die Finanzbehörden daher in erster Linie anhand der von den Steuerpflichtigen vorgelegten Beweise und abgegebenen Erklärungen durch (Urteile Teleos u. a., Randnr. 44, sowie R., Randnr. 42).

    35

    Der Rechtsprechung ist auch zu entnehmen, dass in Ermangelung einer konkreten Bestimmung in der Richtlinie 2006/12, welche Beweise Steuerpflichtige vorlegen müssen, um in den Genuss der Mehrwertsteuerbefreiung zu gelangen, die Mitgliedstaaten dafür zuständig sind, gemäß Art. 131 der Richtlinie 2006/12 die Bedingungen festzulegen, unter denen sie innergemeinschaftliche Lieferungen befreien, um eine korrekte und einfache Anwendung der Befreiungen zu gewährleisten und um Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch zu verhindern. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch bei der Ausübung ihrer Befugnisse die allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten, die Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind und zu denen insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit zählen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. September 2007, Collée, C-146/05, Slg. 2007, I-7861, Randnr. 24, Twoh International, Randnr. 25, X, Randnr. 35, und R., Randnrn. 43 und 45).

    36

    Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass in der Vorlageentscheidung keine konkreten Pflichten nach ungarischem Recht erwähnt werden wie etwa eine Liste von Unterlagen, die den zuständigen Behörden für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung vorzulegen sind. Nach den Erklärungen der ungarischen Regierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof sieht die ungarische Regelung nur vor, dass die Lieferung zu zertifizieren ist und dass das Niveau der verlangten Nachweise von den konkreten Umständen des betreffenden Umsatzes abhängt.

    37

    Daher sind die Nachweispflichten eines Steuerpflichtigen nach den im nationalen Recht dafür ausdrücklich vorgesehenen Voraussetzungen und nach der für ähnliche Geschäfte üblichen Praxis zu bestimmen.

    38

    Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, verlangt der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass Steuerpflichtige ihre steuerlichen Verpflichtungen kennen, bevor sie ein Geschäft abschließen (Urteil Teleos u. a., Randnr. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    39

    Das vorlegende Gericht möchte insbesondere wissen, ob ein Mitgliedstaat für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung vom Steuerpflichtigen verlangen kann, sich zu vergewissern, dass die Ware diesen Mitgliedstaat physisch verlassen hat.

    40

    Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine korrekte und einfache Anwendung der Befreiungen nicht gewährleistet ist, wenn der Steuerpflichtige in einer Situation, in der es offenbar keinen stichhaltigen Beweis gibt, der den Schluss zulässt, dass die betreffenden Gegenstände an Orte außerhalb des Liefermitgliedstaats verbracht wurden, verpflichtet wird, einen solchen Beweis zu erbringen. Vielmehr lässt diese Verpflichtung den Steuerpflichtigen im Ungewissen darüber, ob die innergemeinschaftliche Lieferung von der Steuer befreit werden kann oder ob er die Mehrwertsteuer in den Verkaufspreis mit einbeziehen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil Teleos u. a., Randnrn. 49 und 51).

    41

    Außerdem hängt, wenn der Erwerber im Liefermitgliedstaat die Befähigung hat, über den betreffenden Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, und er sich verpflichtet, den Gegenstand in den Bestimmungsmitgliedstaat zu befördern, der Nachweis, den der Verkäufer gegenüber den Steuerbehörden führen kann, wesentlich von den Angaben ab, die er zu diesem Zweck vom Erwerber erhält (vgl. in diesem Sinne Urteil Euro Tyre Holding, Randnr. 37).

    42

    Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass in dem Fall, dass der Verkäufer seinen Verpflichtungen in Bezug auf den Nachweis einer innergemeinschaftlichen Lieferung nachgekommen ist, während der Erwerber seine vertragliche Verpflichtung, den betreffenden Gegenstand an Orte außerhalb des Liefermitgliedstaats zu versenden oder zu befördern, nicht erfüllt hat, der Erwerber im Liefermitgliedstaat zur Mehrwertsteuer heranzuziehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Teleos u. a., Randnrn. 66 f., sowie Euro Tyre Holding, Randnr. 38).

    43

    Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, hat Mecsek-Gabona ihr Recht auf Mehrwertsteuerbefreiung im Ausgangsverfahren auf folgende Punkte gestützt: auf die der Erwerberin von den italienischen Behörden erteilte Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer, auf die Tatsache, dass die veräußerte Ware mit im Ausland zugelassenen Fahrzeugen abtransportiert wurde, und auf die CMR-Frachtbriefe, die ihr von der Erwerberin von deren postalischer Anschrift aus zugeschickt wurden und darauf hindeuteten, dass die Gegenstände nach Italien befördert worden waren.

    44

    Ob Mecsek-Gabona mit diesem Vorgehen ihren Nachweis- und Sorgfaltspflichten nachgekommen ist, unterliegt der Würdigung durch das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung der in Randnr. 38 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen.

    45

    Ist aber die betreffende Lieferung mit der vom Erwerber begangenen Steuerhinterziehung verknüpft und hat die Steuerverwaltung keine Gewissheit, dass die Gegenstände tatsächlich den Liefermitgliedstaat verlassen haben, ist drittens zu prüfen, ob die Steuerverwaltung den Verkäufer zu einem späteren Zeitpunkt zu der auf diese Lieferung entfallenden Mehrwertsteuer heranziehen kann.

    46

    Nach gefestigter Rechtsprechung ist die Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch ein von der Richtlinie 2006/112 anerkanntes und gefördertes Ziel (vgl. Urteile vom 29. April 2004, Gemeente Leusden und Holin Groep, C-487/01 und C-7/02, Slg. 2004, I-5337, Randnr. 76, R., Randnr. 36, und vom 21. Juni 2012, Mahagében und Dávid, C-80/11 und C-142/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung), das mitunter hohe Anforderungen an die Verpflichtungen der Verkäufer rechtfertigt (Urteil Teleos u. a., Randnrn. 58 und 61).

    47

    Somit verstößt es nicht gegen das Unionsrecht, von einem Wirtschaftsteilnehmer zu fordern, dass er in gutem Glauben handelt und alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt (Urteile Teleos u. a., Randnr. 65, sowie Mahagében und Dávid, Randnr. 54).

    48

    Diese Gesichtspunkte hat der Gerichtshof als wichtige Kriterien für die Feststellung angesehen, ob der Verkäufer nachträglich zur Mehrwertsteuer herangezogen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Teleos u. a., Randnr. 66).

    49

    Wenn also im Ausgangsverfahren eine Steuerhinterziehung der Erwerberin vorliegt, ist es gerechtfertigt, das Recht der Verkäuferin auf Mehrwertsteuerbefreiung von ihrer Gutgläubigkeit abhängig zu machen.

    50

    Der Vorlageentscheidung lässt sich nicht entnehmen, ob Mecsek-Gabona wusste oder hätte wissen müssen, dass die Erwerberin eine Steuerhinterziehung begangen hat.

    51

    In ihren schriftlichen und mündlichen Ausführungen vor dem Gerichtshof hat die ungarische Regierung jedoch geltend gemacht, dass mehrere nicht in der Vorlageentscheidung aufgeführte Gesichtspunkte die Bösgläubigkeit der Klägerin des Ausgangsverfahrens bewiesen. So habe Mecsek-Gabona, obwohl sie die Erwerberin der im Ausgangsverfahren fraglichen Gegenstände nicht gekannt habe, keinerlei Sicherheit von ihr verlangt, ihre Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erst nach Bewirkung des Umsatzes überprüft, keine zusätzlichen Erkundigungen über sie eingezogen, ihr das Eigentum an den Gegenständen trotz Stundung der Kaufpreiszahlung übertragen und die von der Erwerberin zurückgesandten CMR-Frachtbriefe vorgelegt, obwohl sie unvollständig gewesen seien.

    52

    Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV nicht befugt ist, den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zu überprüfen oder zu würdigen. Daher ist es Sache des nationalen Gerichts, alle Gesichtspunkte und tatsächlichen Umstände der Rechtssache umfassend zu beurteilen, um festzustellen, ob Mecsek-Gabona in gutem Glauben gehandelt und alle Maßnahmen ergriffen hat, die von ihr vernünftigerweise verlangt werden konnten, um sicherzustellen, dass sie sich aufgrund des getätigten Umsatzes nicht an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat.

    53

    Sollte das nationale Gericht zu dem Schluss gelangen, dass die betreffende Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihr bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung der Erwerberin verknüpft war, und sie nicht alle ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um diese zu verhindern, müsste es ihr den Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung versagen.

    54

    Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass er es nicht verwehrt, dem Verkäufer unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens den Anspruch auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass der Verkäufer seinen Nachweispflichten nicht nachgekommen ist oder dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um seine eigene Beteiligung an dieser Steuerhinterziehung zu verhindern.

    Zur dritten Frage

    55

    Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob dem Verkäufer die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Sinne von Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 mit der Begründung versagt werden kann, dass die Steuerverwaltung eines anderen Mitgliedstaats eine Löschung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers vorgenommen hat, die zwar nach der Lieferung des Gegenstands erfolgt ist, aber auf einen Zeitpunkt vor der Lieferung zurückwirkt.

    56

    Im Rahmen der Übergangsregelung für die Besteuerung des Handelsverkehrs innerhalb der Union, deren Ziel es ist, die Steuereinnahmen auf den Mitgliedstaat zu verlagern, in dem der Endverbrauch der gelieferten Gegenstände erfolgt (vgl. Urteile Teleos u. a., Randnr. 36, sowie vom 22. April 2010, X und fiscale eenheid Facet-Facet Trading, C-536/08 und C-539/08, Slg. 2010, I-3581, Randnr. 30), soll die Identifizierung der Mehrwertsteuerpflichtigen durch individuelle Nummern die Bestimmung des Mitgliedstaats erleichtern, in dem der Endverbrauch erfolgt.

    57

    Nach Art. 214 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 sind die Mitgliedstaaten zum einen verpflichtet, die Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass jeder Steuerpflichtige, der innergemeinschaftliche Erwerbe bewirkt, eine individuelle Nummer erhält. Zum anderen verlangt Art. 226 Nr. 4 dieser Richtlinie, dass die Rechnung, die bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung stets auszustellen ist, die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers, unter der er eine Lieferung von Gegenständen nach Art. 138 dieser Richtlinie erhalten hat, zwingend enthält.

    58

    Jedoch wird weder in Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 noch in der in Randnr. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung unter den abschließend aufgezählten materiellen Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung die Verpflichtung erwähnt, über eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer zu verfügen.

    59

    Zwar dient die Zuteilung einer solchen Nummer dem Nachweis des steuerlichen Status des Steuerpflichtigen für die Zwecke der Mehrwertsteuer und erleichtert die steuerliche Kontrolle innergemeinschaftlicher Umsätze. Jedoch handelt es sich dabei um ein formelles Erfordernis, das den Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung nicht in Frage stellen kann, sofern die materiellen Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung erfüllt sind (vgl. entsprechend zum Vorsteuerabzug Urteile vom 21. Oktober 2010, Nidera Handelscompagnie, C-385/09, Slg. 2010, I-10385, Randnr. 50, und vom 22. Dezember 2010, Dankowski, C-438/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 33 und 47).

    60

    Der Rechtsprechung ist nämlich zu entnehmen, dass eine nationale Maßnahme, die das Recht auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Wesentlichen von der Einhaltung formeller Pflichten abhängig macht, ohne die materiellen Anforderungen zu berücksichtigen, über das hinausgeht, was erforderlich ist, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen (Urteil Collée, Randnr. 29), es sei denn, der Verstoß gegen die formellen Anforderungen verhinderte den sicheren Nachweis, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil Collée, Randnr. 31).

    61

    Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die Identifikationsnummer der Erwerberin zum Zeitpunkt der Bewirkung des Umsatzes gültig war, aber einige Monate nach diesem Umsatz von den italienischen Behörden rückwirkend aus dem Steuerpflichtigen-Register gelöscht wurde.

    62

    Da die zuständige nationale Behörde den Status eines Steuerpflichtigen zu prüfen hat, bevor sie ihm eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer zuteilt, können eventuelle Unregelmäßigkeiten des Registers nicht dazu führen, dem Wirtschaftsteilnehmer, der sich auf die Angaben in diesem Register gestützt hat, die Steuerbefreiung zu nehmen, auf die er einen Anspruch hätte.

    63

    Wie die Europäische Kommission zutreffend ausführt, widerspräche es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den Verkäufer allein deshalb zur Mehrwertsteuer heranzuziehen, weil die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers rückwirkend aus dem Register gelöscht wurde.

    64

    Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass dem Verkäufer die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Sinne von Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 nicht allein deshalb versagt werden kann, weil die Steuerverwaltung eines anderen Mitgliedstaats eine Löschung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers vorgenommen hat, die zwar nach der Lieferung des Gegenstands erfolgt ist, aber auf einen Zeitpunkt vor der Lieferung zurückwirkt.

    Kosten

    65

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

    1. Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/88/EU des Rates vom 7. Dezember 2010 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es nicht verwehrt, dem Verkäufer unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens den Anspruch auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass der Verkäufer seinen Nachweispflichten nicht nachgekommen ist oder dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um seine eigene Beteiligung an dieser Steuerhinterziehung zu verhindern.

    2. Dem Verkäufer kann die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Sinne von Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 nicht allein deshalb versagt werden, weil die Steuerverwaltung eines anderen Mitgliedstaats eine Löschung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers vorgenommen hat, die zwar nach der Lieferung des Gegenstands erfolgt ist, aber auf einen Zeitpunkt vor der Lieferung zurückwirkt.

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