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  • 15.05.2013

    Finanzgericht Köln: Urteil vom 29.01.2013 – 1 K 3219/11

    Bei der Berechnung der absoluten Wesentlichkeitsgrenze für die Anwendbarkeit der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht von
    verheirateten Grenzgängern und der Zusammenveranlagung wird niederländisches Arbeitslosengeld mit in die Berechnung der Welteinkünfte
    einbezogen, nicht dagegen jedoch niederländisches Krankengeld. Denn dieses wäre nach deutschem Einkommensteuerrecht gem. §
    3 Nr. 1 a) EStG steuerfrei.


    Im Namen des Volkes


    URTEIL


    In dem Rechtsstreit


    hat der 1. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht
    … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtliche Richterin … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 29.01.2013 für Recht
    erkannt:


    Tatbestand

    Die in den Niederlanden wohnhafte Klägerin erzielte im Streitjahr 2009 in Deutschland Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
    i.H.v. 15.032 EUR (Bruttoarbeitslohn 15.952 EUR abzgl. 920 EUR Arbeitnehmer-Pauschbetrag). In den Niederlanden erzielte sie
    nicht der deutschen Besteuerung unterliegende Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 9.482 EUR und Arbeitslosengeld
    in Höhe von 3.768 EUR. Beides wurde in den Niederlanden besteuert. Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragte
    die Klägerin zunächst die getrennte Veranlagung von ihrem ebenfalls in den Niederlanden wohnhaften Ehemann, welcher in Deutschland
    eine Kfz-Werkstatt betreibt und daraus im Jahr 2009 einen Verlust aus Gewerbebetrieb von – 13.457 EUR erzielt hatte. In den
    Niederlanden erhielt der Ehemann der Klägerin im Streitjahr nicht der deutschen Besteuerung unterliegendes – in den Niederlanden
    steuerpflichtiges – Krankengeld in Höhe von 13.425 EUR. Entsprechende Bescheinigungen der niederländischen Steuerbehörden
    nach § 1 Abs. 3 Satz 5 EStG befinden sich in den Steuerakten des Beklagten.


    Mit Bescheid vom 18.08.2010 wurde die Einkommensteuer für das Streitjahr antragsgemäß auf 2.127,00 EUR festgesetzt. In die
    Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid 2009 wurde aufgenommen, dass eine Einzelveranlagung nach den Vorschriften der beschränkten
    Steuerpflicht durchgeführt wurde.


    Im Rahmen des hiergegen geführten Einspruchsverfahrens reichte die Klägerin eine von ihr und ihrem Ehemann unterschriebene
    Einkommensteuererklärung ein und beantragte die Zusammenveranlagung mit ihrem Ehemann. Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung
    vom 19.9.2011 als unbegründet zurückgewiesen. Die Klägerin und ihr Ehemann seien nicht nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt
    einkommensteuerpflichtig zu behandeln. Die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung nach § 1 a Abs. 1 Nr. 2 S. 3 i. V.
    m. § 26 Abs. 1 S. 1 EStG seien damit nicht gegeben. Zu Recht sei daher eine Einzelveranlagung durchgeführt worden.


    Im Rahmen des hiergegen geführten Klageverfahrens trägt die Klägerin vor, entgegen der Auffassung des Beklagten seien die
    Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung erfüllt da das in den Niederlanden ihrem Ehemann zugeflossene Krankengeld bei
    der Ermittlung der Einkünftegrenze im Sinne des §§ 1 Abs. 3 EStG ausscheide. Die Ermittlung der Einkunftsgrenzen des § 1 Abs.
    3 EStG erfolge nach deutschem Recht.


    Die Einkünfte müssten hiernach in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig sein. Das ausländische Krankengeld sei – im Gegensatz
    zu dem in den Niederlanden gezahlte Arbeitslosengeld, welches nicht nach § 3 EStG steuerbefreit sei – gemäß § 3 Nr. 1a EStG
    steuerfrei und bleibe somit bei der Ermittlung der Einkünfte unberücksichtigt. Einzubeziehen seien alle bei unterstellter
    Inlandsbesteuerung nach den EStG im Kalenderjahr anzusetzenden inländischen und ausländischen Einkünfte, die bei unbeschränkter
    Steuerpflicht nach deutschem Recht ohne DBA steuerbar und steuerpflichtig seien, unabhängig davon, welchem Staat das Besteuerungsrecht
    zustehe. Die Aufteilung nach inländischen bzw. ausländischen Einkünften erfolge erst in einem zweiten Schritt. Da das Krankengeld
    erst gar nicht in die Einkünfteermittlung eingehe, erübrige sich eine Zuordnung. Dementsprechend seien die nicht der deutschen
    Steuer unterliegenden Einkünfte niedriger als 15.668,– EUR.


    Die Klägerin beantragt,

    den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 18.8.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.9.2011 aufzuheben und für das
    Streitjahr erklärungsgemäß eine Zusammenveranlagung durchzuführen.


    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Bezugnehmend auf die Einspruchsentscheidung führt er aus, nach § 1 Abs. 3 EStG würden auf Antrag auch natürliche Personen
    als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt
    hätten, soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG erzielten. Dies gelte allerdings nur, wenn ihre Einkünfte
    im Kalenderjahr mindestens zu 90% der deutschen Einkommensteuer unterlägen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden
    Einkünfte 7.834 EUR, bei Ehegatten 15.668,– EUR, nicht überstiegen. Bei der Ermittlung der Einkünfte blieben nicht der deutschen
    Einkommensteuer unterliegende Einkünfte, die im Ausland nicht besteuert würden, unberücksichtigt, soweit vergleichbare Einkünfte
    im Inland steuerfrei seien. Da sowohl das in den Niederlanden bezogene Arbeitslosengeld wie auch das Krankengeld in den Niederlanden
    besteuert würden, seien beide Leistungen in die Ermittlung der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte
    nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG einzubeziehen.


    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist begründet.

    Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt im Streitjahr 2009 die Zusammenveranlagung der Klägerin mit ihrem Ehemann durchzuführen.

    Nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG können nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten auf Antrag gemäß §§ 26 Abs. 1 Satz 1, 26b EStG
    u.a. zusammenveranlagt werden, wenn sie die die Voraussetzungen der sog. fiktiven unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach
    § 1 Abs. 3 EStG erfüllen. Insbesondere – nur dies ist hier streitig – sind hierbei die Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 Satz
    2 EStG zu beachten. Nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG ist auf die Einkünfte beider Ehegatten abzustellen und der Grundfreibetrag
    zu verdoppeln.


    Eine Zusammenveranlagung ist danach möglich, wenn entweder die Einkünfte beider Ehegatten im Kalenderjahr mindestens zu 90%
    der deutschen Einkommensteuer unterliegen (sogenannte relative Wesentlichkeitsgrenze) oder die nicht der deutschen Einkommensteuer
    unterliegenden Einkünfte den Betrag von 15.668,– EUR nicht übersteigen (sogenannte absolute Wesentlichkeitsgrenze).


    Die Einkünfteermittlung nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG vollzieht sich in zwei Stufen. Zunächst ist in einem ersten Schritt die
    Summe der Welteinkünfte zu ermitteln. Diese sind sodann in einem zweiten Schritt in die Einkünfte, die der deutschen Einkommensteuer
    unterliegen, und die Einkünfte, bei denen dies nicht der Fall ist, aufzuteilen.


    Bei der Ermittlung der Welteinkünfte sind sämtliche Einkünfte, unabhängig davon, ob sie im In- oder im Ausland erzielt wurden,
    nach deutschem Recht zu ermitteln. § 1a Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 S. 2 EStG enthält keine spezielle Regelung, wie die
    Einkünfte zu ermitteln sind, so dass der Begriff der Einkünfte dem deutschen Einkommensteuerrecht zu entnehmen ist (BFH-Urteil
    vom 20.8.2008 I R 78/07, BStBl II 2009,708 m. w. N). Nicht zu berücksichtigen sind daher insbesondere Zuflüsse, die nicht
    unter die Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG fallen, nach § 3 EStG steuerfrei sind oder nach DBA von der Besteuerung freigestellt
    sind (vgl. Stapperfend in H/H/R, § 1 EStG, Tz. 265). Hieraus folgt, dass zu den für die absolute Wesentlichkeitsgrenze nach
    § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG zu ermittelnden, nicht der deutschen Besteuerung unterliegenden Einkünften nur solche zählen, die bei
    unterstellter deutscher Besteuerung auch im Inland steuerbar wären. Ob diese Einkünfte im Ausland steuerbar und steuerpflichtig
    sind ist hierbei unbeachtlich. Darüberhinaus bleiben bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG auch solche
    nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte unberücksichtigt, die im Ausland nicht besteuert werden, soweit
    vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei sind (§ 1 Abs. 3 S. 4 EStG).


    Vorliegend sind die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung erfüllt. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die absolute
    Wesentlichkeitsgrenze nicht überschritten, da die nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG zu berücksichtigenden nicht der deutschen Einkommensteuer
    unterliegenden Einkünfte weniger als 15.668,– EUR betragen.


    Unstreitig ist bei der Ermittlung der Welteinkünfte der Kläger (erste Stufe) neben den in Deutschland erzielten Einkünften
    aus nichtselbständiger Arbeit und aus Gewerbebetrieb auch das niederländische Arbeitslosengeld in die Berechnung mit einzubeziehen,
    da es, weil nicht aufgrund der in § 3 Nr. 2 EStG aufgeführten Vorschriften gewährt, bei unterstellter inländischer Besteuerung
    nach deutschem Einkommensteuerrecht nicht steuerbefreit wäre. Nicht zu den Welteinkünften der Kläger zählt allerdings das
    dem Ehemann der Klägerin in den Niederlanden zugeflossene Krankengeld in Höhe von 13.425,– EUR, da dieses, deutsches Einkommensteuerrecht
    zugrunde gelegt, nach § 3 Nr. 1 a EStG steuerfrei wäre. Hiernach ist die Leistung aus einer Krankenversicherung – und um eine
    solche handelt es sich bei dem Krankengeld – uneingeschränkt steuerfrei.


    Entgegen der Auffassung des Beklagten führt auch § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG nicht dazu, dass das Krankengeld bei der Berechnung
    des Welteinkommens zu berücksichtigen ist und zwar – so der Beklagte – im Umkehrschluss, weil es sich bei dem Krankengeld
    um Einkünfte handelt, die in den Niederlanden besteuert werden. Diese Vorschrift, die in Umsetzung des EuGH-Urteils Meindl
    (EuGHE I 2007, 1107) eingeführt wurde und die Ausübung des Wahlrechtes nach § 1 Abs. 3 EStG einem erweiterten Personenkreis
    ermöglichen sollte, betrifft Einkünfte, die im Ausland steuerfrei sind und deren deutsche Entsprechungen auch nach deutschem
    Einkommensteuerrecht steuerfrei wären. Der Grund für die Nichtberücksichtigung solcher Einkünfte ist, dass der ausländische
    Staat an solche Einkünfte, weil steuerfrei, keine steuerlichen Vergünstigungen knüpfen kann und dies auch nach deutscher steuerrechtlicher
    Auffassung nicht können würde. Der europäische Gedanke gebietet es daher solche Einkünfte, die nicht bereits bei der Ermittlung
    der Welteinkünfte nach § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG außer Acht zu lassen sind, unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 S. 4 EStG
    unberücksichtigt zu lassen, um zu verhindern, dass der Betroffene aufgrund der jeweiligen Regelungen in keinem der beiden
    Staaten in den Genuss steuerlicher Vergünstigungen kommen kann. Diese Vorschrift kann aber nicht im Umkehrschluss dazu führen,
    dass in Deutschland steuerfreie Einkünfte – entgegen der Vorgabe das Welteinkommen nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln
    – nur deshalb berücksichtigt werden, weil sie im Ausland steuerpflichtig sind. Eine solche Auslegung wird zum einen vom Wortlaut
    der Vorschrift nicht gedeckt und steht zum anderen der oben geschilderten Systematik der zweistufigen Prüfung entgegen. Das
    Urteil des EuGH in der Sache Meindl (a.a.O.) hat keine Auswirkung auf den Grundsatz, dass die Beurteilung der Frage ob die
    im Ausland erzielten Einkünfte einer Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig entgegenstehen, nach deutschem Steuerrecht
    und nicht nach dem Recht des Wohnsitzstaates zu beurteilen ist (vgl. hierzu FG Köln v. 20.4.2012, 4 K 1943/09, EFG 2012, 1677).


    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

    VorschriftenEStG § 26 Abs 1 Satz 1, EStG § 3 Nr. 1 a), EStG § 1a Abs 1 Nr 2 Satz 3

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