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  • 22.03.2013

    Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 06.09.2012 – C-38/10


    In der Rechtssache C-38/10

    betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 22. Januar 2010,

    Europäische Kommission, vertreten durch R. Lyal, G. Braga da Cruz und P. Guerra e Andrade als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

    Klägerin,

    gegen

    Portugiesische Republik, vertreten durch L. Fernandes und J. Menezes Leitão als Bevollmächtigte,

    Beklagte,

    unterstützt durch

    Königreich Dänemark, vertreten durch C. Vang als Bevollmächtigten,

    Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch C. Blaschke und K. Petersen als Bevollmächtigte,

    Königreich Spanien, vertreten durch M. Muñoz Pérez und A. Rubio González als Bevollmächtigte,

    Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues und N. Rouam als Bevollmächtigte,

    Königreich der Niederlande, vertreten durch C. Wissels und M. de Ree als Bevollmächtigte,

    Republik Finnland, vertreten durch J. Heliskoski als Bevollmächtigten,

    Königreich Schweden, vertreten durch A. Falk und S. Johannesson als Bevollmächtigte,

    Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch S. Hathaway und A. Robinson als Bevollmächtigte,

    Streithelfer,

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richter K. Schiemann (Berichterstatter) und L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,

    Generalanwalt: P. Mengozzi,

    Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. April 2012,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Juni 2012

    folgendes

    Urteil

    Tenor:

    1. Die Portugiesische Republik hat dadurch gegen ihre Pflichten aus Art. 49 AEUV verstoßen, dass sie die Art. 76 A und 76 B des Código português do Imposto sobre o Rendimento das Pessoas Colectivas (portugiesisches Körperschaftsteuergesetz) erlassen und beibehalten hat, die im Fall der Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes und der tatsächlichen Leitung einer portugiesischen Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat oder im Fall der durch eine nicht in Portugal ansässige Gesellschaft vorgenommenen Überführung eines Teils oder der Gesamtheit der einer portugiesischen festen Niederlassung zugeordneten Vermögenswerte aus Portugal in einen anderen Mitgliedstaat anwendbar sind und vorsehen, dass die Besteuerungsgrundlage des Geschäftsjahrs, in dem der Steuertatbestand eintritt, sämtliche nicht realisierten Wertzuwächse der betroffenen Vermögenswerte einschließt, jedoch nicht die nicht realisierten Wertzuwächse, die sich aus ausschließlich nationalen Transaktionen ergeben.

    2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    3. Die Portugiesische Republik trägt die Kosten.

    Entscheidungsgründe

    1

    Mit ihrer Klageschrift beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Pflichten aus Art. 49 AEUV und Art. 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) verstoßen hat, dass sie die Art. 76 A, 76 B und 76 C des Código português do Imposto sobre o Rendimento das Pessoas Colectivas (portugiesisches Körperschaftsteuergesetzbuch, im Folgenden: CIRC) erlassen und beibehalten hat, die im Fall der Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes und der tatsächlichen Leitung einer portugiesischen Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat oder im Fall der Einstellung der Tätigkeiten einer festen Niederlassung in Portugal oder der Überführung ihrer Vermögenswerte aus Portugal in einen anderen Mitgliedstaat anwendbar sind und vorsehen,

    - dass die Besteuerungsgrundlage des Geschäftsjahrs, in dem der Steuertatbestand eintritt, sämtliche nicht realisierten Wertzuwächse der betroffenen Vermögenswerte einschließt, jedoch nicht die nicht realisierten Wertzuwächse, die sich aus ausschließlich nationalen Transaktionen ergeben;

    - dass die Anteilseigner einer Gesellschaft, die ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre tatsächliche Leitung aus dem portugiesischen Hoheitsgebiet wegverlegt, einer Steuer unterliegen, deren Grundlage die Differenz zwischen dem Nettovermögenswert der Gesellschaft (berechnet zum Tag der Verlegung und zum Marktpreis) und dem Kaufpreis der entsprechenden Gesellschaftsanteile ist.

    Rechtlicher Rahmen

    2

    Mit dem Decreto Lei Nr. 159/2009 vom 13. Juli 2009 (Diário da República I, Serie A, Nr. 133 vom 13. Juli 2009) wurden u. a. die im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits einschlägigen Artikel des CIRC umnummeriert. Es ist ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu überprüfen ist, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde, und dass später eingetretene Veränderungen vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden können. Das betreffende Decreto Lei ist am 1. Januar 2010 in Kraft getreten, während die von der Kommission gesetzte Frist am 1. Februar 2009 abgelaufen ist. Daher werden im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits die Änderungen, die infolge des Inkrafttretens des Decreto Lei Nr. 159/2009 eingetreten sind, nicht berücksichtigt.

    3

    Die Art. 76 A, 76 B und 76 C CIRC hatten folgenden Wortlaut:

    "Artikel 76 A

    Verlegung des Sitzes

    1. Zur Ermittlung des steuerbaren Gewinns des Geschäftsjahres, in dem es zur Einstellung der Tätigkeit einer Körperschaft kommt, deren Sitz oder tatsächliche Leitung aus dem portugiesischen Hoheitsgebiet wegverlegt wird, einschließlich einer europäischen Gesellschaft oder einer europäischen Genossenschaft, stellen die Differenzbeträge zwischen den Marktwerten und den steuerlich relevanten Buchwerten ihrer Vermögenswerte zum Zeitpunkt der Einstellung der Tätigkeit Gewinne oder Verluste dar.

    2. Die Bestimmungen von Abs. 1 gelten nicht für Vermögenswerte, die einer festen Niederlassung derselben Körperschaft tatsächlich zugeordnet bleiben und zur Bildung ihres steuerbaren Gewinns beitragen, wenn die in Art. 68 Abs. 3 vorgesehenen Voraussetzungen für diese Vermögenswerte sinngemäß erfüllt sind.

    3. Die Bestimmungen von Art. 68 Abs. 4 gelten sinngemäß für die Ermittlung des steuerbaren Gewinns der festen Niederlassung.

    4. In dem in Abs. 2 aufgeführten Fall können steuerliche Verluste aus der Zeit vor der Einstellung der Tätigkeit von dem steuerbaren Gewinn, der der festen Niederlassung der gebietsfremden Körperschaft zurechenbar ist, nach den in Art. 15 vorgesehenen Modalitäten und Voraussetzungen abgezogen werden.

    5. Die in den Abs. 2, 3 und 4 vorgesehene Sonderregelung gilt nicht für die in Art. 67 Abs. 10 CIRC aufgeführten Fälle.

    Artikel 76 B

    Einstellung der Tätigkeit der festen Niederlassung

    Die Bestimmungen in Abs. 1 des vorstehenden Artikels gelten sinngemäß für die Ermittlung des steuerbaren Gewinns, der der im portugiesischen Hoheitsgebiet ansässigen festen Niederlassung einer gebietsfremden Körperschaft zurechenbar ist,

    a) im Fall der Einstellung ihrer Tätigkeit im portugiesischen Hoheitsgebiet;

    b) im Fall einer Überführung aus dem portugiesischen Hoheitsgebiet - ungeachtet der materiellen oder rechtlichen Modalitäten - von Vermögenswerten, die der festen Niederlassung zugeordnet sind.

    Artikel 76 C

    Regelung für Anteilseigner

    1. Für das Geschäftsjahr, in dem der satzungsmäßige Sitz und die tatsächliche Leitung aus dem portugiesischen Hoheitsgebiet wegverlegt werden, wird für die Zwecke der Besteuerung der Anteilseigner die Differenz zwischen dem Nettovermögenswert an diesem Tag und dem Kaufpreis der entsprechenden Gesellschaftsanteile durch die sinngemäße Anwendung der Bestimmungen von Art. 75 Abs. 2 und 4 berücksichtigt.

    2. Für die Zwecke der Anwendung der Bestimmungen des vorstehenden Absatzes werden die Vermögenswerte zu ihrem Marktwert bewertet.

    3. Die Verlegung des Sitzes einer europäischen Gesellschaft oder einer europäischen Genossenschaft löst für sich genommen nicht die Anwendung der Bestimmungen des Abs. 1 aus."

    4

    Art. 43 Abs. 1 CIRC bestimmte: "Als realisierte Gewinne oder Verluste gelten die Gewinne oder Verluste, die für Güter des Anlagevermögens anlässlich einer entgeltlichen Übertragung - ungeachtet der Gründe hierfür - entstanden sind, sowie diejenigen, die auf einen Unfall zurückgehen oder diejenigen, die sich aus der dauerhaften Zuordnung dieser Güter zu anderen Zwecken als der ausgeübten Tätigkeit ergeben."

    5

    Nach Art. 43 Abs. 2 CIRC entsprachen die Gewinne und Verluste "der Differenz zwischen dem Veräußerungswert - nach Abzug der auf ihn anwendbaren Belastungen - und dem Anschaffungswert - nach Abzug der Wertminderungen und der vorgenommenen Abschreibungen".

    6

    Nach Art. 43 Abs. 3 CIRC entsprach der Veräußerungswert bei der entgeltlichen Übertragung der Vermögensgüter dem Betrag der Gegenleistung, jedoch war im Fall von Gütern, die dauerhaft anderen Zwecken als der ausgeübten Tätigkeit zugeordnet waren, der Veräußerungswert der Marktwert.

    Vorverfahren

    7

    Da die Kommission aufgrund der damals verfügbaren Informationen der Ansicht war, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Pflichten aus Art. 43 EG (jetzt Art. 49 AEUV) verstoße, dass sie in Anwendung der Art. 76 A, 76 B und 76 C CIRC im Fall der Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes und der tatsächlichen Leitung einer portugiesischen Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat oder im Fall der Überführung der Vermögenswerte einer im portugiesischen Hoheitsgebiet ansässigen festen Niederlassung in einen anderen Mitgliedstaat die sofortige Besteuerung der nicht realisierten Wertzuwächse vornehme, richtete sie am 29. Februar 2008 ein Aufforderungsschreiben an diesen Mitgliedstaat, in dem sie ihn nach Art. 226 EG (jetzt Art. 258 AEUV) zur Stellungnahme aufforderte.

    8

    In ihrer Antwort vom 10. Juli 2008 widersprach die Portugiesische Republik dem Standpunkt der Kommission.

    9

    Am 1. Dezember 2008 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie die Auffassung vertrat, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Pflichten aus Art. 43 EG und Art. 31 des EWR-Abkommens verstoßen habe, dass sie die Art. 76 A, 76 B und 76 C CIRC erlassen und beibehalten habe, und die Portugiesische Republik aufforderte, die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich seien, um ihren Pflichten binnen zwei Monaten nach Erhalt dieser Stellungnahme nachzukommen.

    10

    Da die Portugiesische Republik in ihrer Antwort vom 6. April 2009 weiterhin den Standpunkt der Kommission für unzutreffend hielt, beschloss die Kommission, die vorliegende Klage zu erheben.

    Verfahren vor dem Gerichtshof

    11

    Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 28. Juni 2010 sind das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland, das Königreich Schweden sowie das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Portugiesischen Republik zugelassen worden.

    12

    Im Anschluss an das Urteil vom 29. November 2011, National Grid Indus (C-371/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), sind alle Streithelfer gemäß Art. 54a der Verfahrensordnung des Gerichtshofs aufgefordert worden, sich schriftlich zu der Frage zu äußern, welche Folgen sich für die vorliegende Rechtssache aus dem genannten Urteil ergeben.

    13

    Das Königreich Dänemark und die Portugiesische Republik haben ihre Antwort am 21. bzw. 27. März 2012 der Kanzlei des Gerichtshofs übermittelt. Die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich der Niederlande und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland haben ihre Antwort am 29. März 2012 der Kanzlei des Gerichtshofs mitgeteilt. Das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Königreich Schweden und die Kommission haben ihre Antwort am 30. März 2012 der Kanzlei des Gerichtshofs übermittelt.

    Zur Zulässigkeit der Klage

    14

    Zwar macht die portugiesische Regierung in ihren Schriftsätzen keinen Grund geltend, aus dem die vorliegende Klage unzulässig sein könnte, doch kann der Gerichtshof, wie der Generalanwalt in den Nrn. 11 bis 13 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, von Amts wegen prüfen, ob die gemäß Art. 256 AEUV für die Erhebung einer Vertragsverletzungsklage geltenden Voraussetzungen erfüllt sind.

    15

    In diesem Zusammenhang ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass das von der Kommission an den betroffenen Mitgliedstaat gerichtete Aufforderungsschreiben sowie ihre mit Gründen versehene Stellungnahme den Streitgegenstand abgrenzen, so dass dieser nicht mehr erweitert werden kann. Die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Klage der Kommission müssen daher auf dieselben Rügen gestützt werden wie das Aufforderungsschreiben, mit dem das Vorverfahren eingeleitet wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. September 2009, Kommission/Portugal, C-457/07, Slg. 2009, I-8091, Randnr. 55, und vom 14. Oktober 2010, Kommission/Österreich, C-535/07, Slg. 2010, I-9483, Randnr. 41).

    16

    Ist dies nicht der Fall, kann dieser Fehler nicht dadurch als beseitigt angesehen werden, dass sich der beklagte Mitgliedstaat zu der mit Gründen versehenen Stellungnahme geäußert hat (vgl. Urteil Kommission/Österreich, Randnr. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung). Nach ständiger Rechtsprechung stellt nämlich das Vorverfahren eine wesentliche Garantie nicht nur für den Schutz der Rechte des betroffenen Mitgliedstaats, sondern auch dafür dar, dass sichergestellt ist, dass das eventuelle streitige Verfahren einen eindeutig festgelegten Streitgegenstand hat (vgl. u. a. Urteile vom 9. November 1999, Kommission/Italien C-365/97, Slg. 1999, I-7773, Randnr. 35, und vom 10. April 2003, Kommission/Portugal, C-392/99, Slg. 2003, I-3373, Randnr. 133).

    17

    Im vorliegenden Fall ist aber unstreitig, dass, wie die Kommission im Übrigen in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, das Aufforderungsschreiben an die Portugiesische Republik vom 29. Februar 2008 keinen Bezug auf einen Verstoß gegen Art. 31 des EWR-Abkommens nahm.

    18

    Die Klage ist daher für unzulässig zu erklären, soweit sie sich auf die Verletzung dieser Bestimmung bezieht.

    19

    Außerdem hat die Kommission nicht hinreichend genau dargelegt, inwiefern Art. 76 C CIRC, der bei den Anteilseignern die sofortige Besteuerung der nicht realisierten Wertzuwächse von Anteilen am Kapital von Gesellschaften im Fall der Verlegung ihres satzungsmäßigen Sitzes und ihrer tatsächlichen Leitung in einen anderen Mitgliedstaat vorsieht, ein Hindernis für die Niederlassungsfreiheit der betreffenden Gesellschaften bilden kann.

    20

    Die zweite Rüge der Kommission ist daher für unzulässig zu erklären.

    Zur Klage

    21

    Vorab ist festzustellen, dass die Kommission das Recht der Mitgliedstaaten, die in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet entstandenen Wertzuwächse zu besteuern, nicht bestreitet.

    22

    Sie wirft der Portugiesischen Republik im Wesentlichen vor, mit den streitigen Bestimmungen bei der steuerlichen Behandlung nicht realisierter Wertzuwächse einen Unterschied zwischen einerseits einer Verlagerung der Tätigkeiten einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat und andererseits vergleichbaren Verlagerungen innerhalb des portugiesischen Hoheitsgebiets eingeführt zu haben. Wenn eine Gesellschaft von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch mache und Tätigkeiten aus dem portugiesischen Hoheitsgebiet in einen anderen Mitgliedstaat verlagere, kann dies nach Ansicht der Kommission nicht die Auferlegung einer Steuer zur Folge haben, die früher erhoben werde oder einen höheren Betrag aufweise, als diejenige, die auf eine Gesellschaft anwendbar sei, die Tätigkeiten innerhalb des portugiesischen Hoheitsgebiets verlagere. Die streitigen Bestimmungen könnten daher Hindernisse für die Niederlassungsfreiheit schaffen und verstießen gegen Art. 49 AEUV.

    23

    Wie der Generalanwalt in den Nrn. 26 und 49 bis 54 seiner Schlussanträge ausführt, steht in diesem Zusammenhang insbesondere im Licht des Urteils National Grid Indus fest, dass die Niederlassungsfreiheit auf Verlagerungen von Tätigkeiten einer Gesellschaft aus dem portugiesischen Hoheitsgebiet in einen anderen Mitgliedstaat anwendbar ist, und zwar unabhängig davon, ob die fragliche Gesellschaft ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre tatsächliche Leitung aus dem portugiesischen Hoheitsgebiet wegverlegt oder ob sie Vermögenswerte einer im portugiesischen Hoheitsgebiet ansässigen festen Niederlassung in einen anderen Mitgliedstaat überführt.

    24

    Art. 49 AEUV schreibt die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit vor. Mit dieser Freiheit ist für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (vgl. Urteile vom 23. Oktober 2008, Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt, C-157/07, Slg. 2008, I-8061, Randnr. 28, und vom 25. Februar 2010, X Holding, C-337/08, Slg. 2010, I-1215, Randnr. 17).

    25

    Auch wenn die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit nach ihrem Wortlaut die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern sollen, verbieten sie es doch ebenfalls, dass der Herkunftsmitgliedstaat die Niederlassung seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindert (Urteil National Grid Indus, Randnr. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    26

    Im Übrigen sind nach ständiger Rechtsprechung als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (Urteil National Grid Indus, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    27

    Folglich ist festzustellen, dass - wie die Kommission im Rahmen ihrer ersten Rüge geltend macht - die Art. 76 A und 76 B CIRC Hindernisse für die Niederlassungsfreiheit enthalten, da im Fall der Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes und der tatsächlichen Leitung einer portugiesischen Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat sowie im Fall der teilweisen oder vollständigen Überführung der Vermögenswerte einer im portugiesischen Hoheitsgebiet ansässigen festen Niederlassung einer nicht in Portugal ansässigen Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat eine solche Gesellschaft gegenüber einer ähnlichen Gesellschaft, die ihre Tätigkeiten im portugiesischen Hoheitsgebiet beibehält, finanziell benachteiligt wird.

    28

    Nach diesen Bestimmungen hat nämlich eine portugiesische Gesellschaft, die ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre tatsächliche Leitung aus dem portugiesischen Hoheitsgebiet wegverlegt, Steuern auf die nicht realisierten Wertzuwächse zu zahlen. Dagegen ist dies nicht der Fall, wenn diese Gesellschaft ihren Sitz im portugiesischen Hoheitsgebiet beibehält, da sie nur die realisierten Wertzuwächse versteuern muss. Außerdem sehen die genannten Bestimmungen auch die Besteuerung der nicht realisierten Wertzuwächse im Fall der teilweisen oder vollständigen Überführung der Vermögenswerte einer im portugiesischen Hoheitsgebiet ansässigen festen Niederlassung einer nicht in Portugal ansässigen Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat vor, während eine Überführung der Vermögenswerte innerhalb des portugiesischen Hoheitsgebiets keine solche Besteuerung zur Folge hat. Diese unterschiedliche Behandlung ist geeignet, eine Gesellschaft davon abzuhalten, ihre Tätigkeiten aus dem portugiesischen Hoheitsgebiet in einen anderen Mitgliedstaat zu verlagern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2012, DI. VI. Finanziaria di Diego della Valle & C., C-380/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 36).

    29

    Die somit festgestellte unterschiedliche Behandlung lässt sich nicht durch eine objektiv unterschiedliche Situation erklären. Wie der Generalanwalt sinngemäß in den Nrn. 55, 94 bis 99 und 111 seiner Schlussanträge zur Regelung eines Mitgliedstaats über die Besteuerung der in seinem Hoheitsgebiet entstandenen Wertzuwächse ausführt, entspricht nämlich die Situation einer Gesellschaft, die ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre tatsächliche Leitung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, und die Situation einer Gesellschaft, die einen Teil oder die Gesamtheit der Vermögenswerte einer portugiesischen festen Niederlassung in einen anderen Mitgliedstaat überführt, in Bezug auf die Besteuerung der Wertzuwächse, die im ersten Mitgliedstaat in der Zeit vor diesen Vorgängen erzielt wurden, der Situation einer Gesellschaft, die diese Vorgänge auf das nationale Hoheitsgebiet beschränkt (vgl. in diesem Sinne Urteil DI. VI. Finanziaria di Diego della Valle & C., Randnr. 37).

    30

    Soweit Art. 76 B Buchst. a CIRC eine Besteuerung in einer Situation vorsieht, in der die Einstellung der Tätigkeit im portugiesischen Hoheitsgebiet nicht die Folge einer Verlagerung der Gesamtheit der Tätigkeiten einer portugiesischen festen Niederlassung in einen anderen Mitgliedstaat ist, sondern die Folge einer Einstellung der betroffenen Geschäftstätigkeit durch die steuerpflichtige Gesellschaft, ist im Hinblick auf Art. 43 CIRC festzustellen, dass eine unterschiedliche Behandlung einer unter Art. 49 AEUV fallenden Situation und einer rein innerstaatlichen Situation nicht vorliegt. Wie nämlich die Portugiesische Republik vorgetragen hat, sieht Art. 43 CIRC bei einer portugiesischen Gesellschaft die Besteuerung der nicht realisierten Wertzuwächse der Vermögenswerte vor, die von der Geschäftstätigkeit dieser Gesellschaft getrennt sind. Daher liegt insoweit eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht vor.

    31

    Was das Vorliegen einer etwaigen Rechtfertigung der festgestellten Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und deren Verhältnismäßigkeit anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Urteil National Grid Indus, Randnr. 86, entschieden hat, dass Art. 49 AEUV einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die sofortige Einziehung der Steuer auf die nicht realisierten Wertzuwächse bei den Vermögensgegenständen einer Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, zum Zeitpunkt dieser Verlegung vorschreibt.

    32

    Wie sich im Übrigen aus Randnr. 73 des Urteils National Grid Indus ergibt, würde eine nationale Regelung, die einer Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, die Wahl lässt zwischen einerseits der sofortigen Zahlung des Steuerbetrags und andererseits einer Aufschiebung der Zahlung dieses Steuerbetrags, gegebenenfalls zuzüglich Zinsen entsprechend der geltenden nationalen Regelung, eine Maßnahme darstellen, die die Niederlassungsfreiheit weniger stark beeinträchtigt als die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme.

    33

    Hierzu ist festzustellen, dass die Portugiesische Republik in ihrer schriftlichen Antwort auf die in Randnr. 12 des vorliegenden Urteils erwähnte Frage des Gerichtshofs eingeräumt hat, dass, wenn der Gerichtshof feststellen sollte, dass das portugiesische Recht tatsächlich die Ausübung der Niederlassungsfreiheit beschränkt, es ihre Aufgabe wäre, in ihr nationales Recht die Möglichkeit aufzunehmen, dass die Gesellschaften, die ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen möchten, nicht sofort den Gesamtbetrag der Steuer auf die im portugiesischen Hoheitsgebiet entstandenen nicht realisierten Wertzuwächse zahlen müssen.

    34

    Ferner ist - entgegen dem Vorbringen der Portugiesischen Republik in der mündlichen Verhandlung - in Bezug auf die Besteuerung nicht realisierter Wertzuwächse der in einen anderen Mitgliedstaat überführten Vermögenswerte einer im portugiesischen Hoheitsgebiet ansässigen festen Niederlassung dieselbe Schlussfolgerung wie in Randnr. 31 des vorliegenden Urteils zwingend. Die von der Portugiesischen Republik herangezogene Feststellung in Randnr. 57 des Urteils National Grid Indus, nach der die "Vermögenswerte einer Gesellschaft ... unmittelbar wirtschaftlichen Tätigkeiten zugewiesen [sind], die auf Gewinn ausgerichtet sind", wurde nämlich nicht im Rahmen der Prüfung des beschränkenden Charakters der in jener Rechtssache maßgeblichen innerstaatlichen Regelung getroffen, sondern im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit dieser Regelung, soweit danach Wertminderungen, die nach der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat realisiert wurden, nicht berücksichtigungsfähig waren. Daher lässt, wie der Generalanwalt in Nr. 102 seiner Schlussanträge ausführt, diese Feststellung des Gerichtshofs nicht den Schluss zu, dass die Aufhebung der Zuordnung der Vermögenswerte einer festen Niederlassung zu einer Wirtschaftstätigkeit in einem Mitgliedstaat einerseits und die Überführung der Vermögenswerte in einen anderen Mitgliedstaat bei der Einstellung der Tätigkeit der genannten festen Niederlassung im ersten Mitgliedstaat vergleichbare Sachverhalte sind.

    35

    Aufgrund aller dieser Erwägungen ist festzustellen, dass die erste Rüge der Kommission, insofern mit ihr ein Verstoß gegen Art. 49 AEUV geltend gemacht wird, begründet ist, soweit sie die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes und der tatsächlichen Leitung einer portugiesischen Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat oder die durch eine nicht in Portugal ansässige Gesellschaft vorgenommene Überführung eines Teils oder der Gesamtheit der einer portugiesischen festen Niederlassung zugeordneten Vermögenswerte aus Portugal in einen anderen Mitgliedstaat betrifft, und die Klage im Übrigen abzuweisen.

    Kosten

    36

    Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Portugiesischen Republik beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen im Wesentlichen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

    1. Die Portugiesische Republik hat dadurch gegen ihre Pflichten aus Art. 49 AEUV verstoßen, dass sie die Art. 76 A und 76 B des Código português do Imposto sobre o Rendimento das Pessoas Colectivas (portugiesisches Körperschaftsteuergesetz) erlassen und beibehalten hat, die im Fall der Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes und der tatsächlichen Leitung einer portugiesischen Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat oder im Fall der durch eine nicht in Portugal ansässige Gesellschaft vorgenommenen Überführung eines Teils oder der Gesamtheit der einer portugiesischen festen Niederlassung zugeordneten Vermögenswerte aus Portugal in einen anderen Mitgliedstaat anwendbar sind und vorsehen, dass die Besteuerungsgrundlage des Geschäftsjahrs, in dem der Steuertatbestand eintritt, sämtliche nicht realisierten Wertzuwächse der betroffenen Vermögenswerte einschließt, jedoch nicht die nicht realisierten Wertzuwächse, die sich aus ausschließlich nationalen Transaktionen ergeben.

    2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    3. Die Portugiesische Republik trägt die Kosten.

    Karrierechancen

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