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  • 06.09.2012

    Finanzgericht München: Urteil vom 13.03.2012 – 12 K 1369/08

    Besteht nach polnischem Recht aufgrund der Höhe des Einkommens kein Anspruch auf polnische Familienleistungen, hat der im Inland gewerblich tätige und in keinem Mitgliedstaat der EU sozialversicherte polnische Staatsangehörige gem. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG Anspruch auf ungekürztes deutsches Kindergeld.


    IM NAMEN DES VOLKES

    Urteil

    In der Streitsache

    hat der 12. Senat des Finanzgerichts München durch die Vorsitzende Richterin am Finanzgericht … die Richterin am Finanzgericht … und die Richterin am Finanzgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter … ohne mündliche Verhandlung am 13. März 2012 für Recht erkannt:

    1. Unter Änderung des Bescheides vom 8. November 2007 und der Einspruchsentscheidung vom 18. März 2008 wird die Beklagte verpflichtet, dem Kläger Kindergeld für seine Kinder P. und K. für den Zeitraum September 2007 bis März 2008 in voller Höhe zu gewähren.

    2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    3. Die Revision wird zugelassen.

    4. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

    Tatbestand

    Streitig ist nunmehr noch, ob dem Kläger, der polnischer Staatsangehöriger ist, deutsches Kindergeld für seine Kinder P. (geb. am 1994, Kindsmutter E. L.) und K. (geb. am 2001, Kindsmutter S., die Ehefrau des Klägers) für den Zeitraum September 2007 bis März 2008 zusteht.

    Beide Kinder leben bei der nach Angabe nicht erwerbstätigen Ehefrau des Klägers in Polen. Der Kläger erhielt Familienleistungen für P. und K. in Polen für den Zeitraum Juni 2006 bis Mai 2007. Die für den Zeitraum Februar bis Mai 2007 bezogenen Leistungen zahlte er später wieder zurück.

    Der Kläger meldete am 12. Juni 2006 einen Wohnsitz und ein Gewerbe für „Garten- und Landschaftspflege, Hausmeister-, Abbruch- und Bauhilfsarbeiten” in B. an. Am 20. Februar 2007 meldete er dieses Gewerbe ab und am 20. Juli 2007 für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts „X Bau, T. und Co. GbR” das Gewerbe „Maurer- und Betonbauer-, Fliesen-, Platten-, Mosaik- und Estrichlegerhandwerk, Garten- und Landschaftsbau, -pflege, Dienstleistungen für Land- und Forstwirtschaft, das Hotel- und Gaststättengewerbe, das Fleischereigewerbe” an. Nach den vorgelegten Einkommensteuerbescheiden 2006 und 2007 erzielte der Kläger im Jahr 2006 ein zu versteuerndes Einkommen von 10.271 EUR und im Jahr 2007 von 13.379 EUR. Laut dem Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für das Jahr 2008 vom 9. Juli 2009 erzielte er im Jahr 2008 Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 12.968,63 EUR. Auf die in den Akten befindlichen Mietverträge vom 1. Juni 2006 und 25. April 2005 mit Anlage vom 30. März 2006 sowie die Steuerbescheide wird gemäß § 105 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) Bezug genommen. Der Kläger war in den Jahren 2006 bis 2008 weder in der polnischen noch in der deutschen Sozialversicherung erfasst. Seit 31. Oktober 2008 lebt der Kläger wieder in Polen und erhält dort seit März 2009 wieder polnische Familienleistungen.

    Am 22. April 2007 beantragte der Kläger Kindergeld für seine beiden in Polen lebenden Kinder. Dabei gab er an, in Deutschland nicht sozialversichert zu sein. Weder er noch seine Ehefrau hätten in den letzten fünf Jahren Familienleistungen für die Kinder beantragt oder erhalten. Nach Auskunft des polnischen Leistungsträgers (Vordruck E 411 vom 24. Juli 2007 und vom 16. November 2009), haben die Ehefrau des Klägers seit 1. Februar 2007 bzw. 1. Juni 2006 und die Mutter von P., mit der die Behörde keinen Kontakt hatte, seit 1. Juni 2006 (Vordruck E 411 vom 16. November 2009) keine berufliche Tätigkeit ausgeübt.

    Mit Bescheid vom 8. November 2007 gewährte die Familienkasse der Agentur für Arbeit Ingolstadt (die Beklagte – Familienkasse –) für beide Kinder jeweils einen Kindergeldbetrag von 77 EUR monatlich ab Juni 2006. Zur Begründung wurde ausgeführt, die EG Verordnung Nr. 1408/71(VO 1408/71) sei nicht anwendbar, weil der Kläger in Deutschland nicht sozial-versicherungspflichtig sei. Der Anspruch auf polnisches Kindergeld führe nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) zum Ausschluss eines Anspruchs in Deutschland. Es könne jedoch aufgrund der allgemeinen Konkurrenzvorschrift des Art. 12 Abs. 2 VO Nr. 1408/71 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 574/72 (DVO 574/72) hälftiges Kindergeld gewährt werden.

    Den dagegen eingelegten Einspruch, mit dem der Kläger die Festsetzung des vollen Kindergelds begehrte, wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 18. März 2008 als unbegründet zurück.

    Zur Begründung der dagegen eingelegten Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor, in Polen habe schon deshalb kein Anspruch auf Kindergeld bestanden, weil er in Deutschland ein zu hohes Einkommen erzielt habe. In Polen würden gemäß Art. 24 Abs. 2 des Gesetzes über Familienleistungen vom 28. November 2003 (PKG) Familienbeihilfen erst ab dem Monat gezahlt, in dem der vollständig ausgefüllte Antrag einschließlich Anlagen bei der zuständigen Behörde eingehe. Er habe keine Möglichkeit, von der polnischen Behörde Bescheide oder Feststellungen für rückwirkende Zeiträume zu erhalten. Dies könne daher auch nicht von ihm verlangt werden. Er sei im Jahr 2006 lediglich für die streitgegenständlichen Kinder und seine Ehefrau unterhaltspflichtig gewesen.

    Am 14. Februar 2012 hat ein Erörterungstermin stattgefunden. Der Kläger hat die Klage hinsichtlich des Zeitraums Juni 2006 bis August 2007 zurückgenommen. Das Verfahren wurde insoweit abgetrennt und eingestellt. Auf die Niederschrift über den Erörterungstermin wird Bezug genommen.

    Der Kläger beantragt nunmehr noch, ihm Kindergeld für seine Kinder P. und K. für den Zeitraum September 2007 bis März 2008 in voller Höhe zu gewähren,

    hilfsweise, die Revision zuzulassen.

    Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen,

    hilfsweise die Revision zuzulassen.

    Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass in Polen kein Kindergeldanspruch bestehe.

    Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

    Auf die in der Finanzgerichtsakte abgelegten Auszüge der dem Gericht von der Familienkasse überlassenen Übersetzung des PKG wird Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist begründet.

    Der Kläger hat für den noch streitigen Zeitraum September 2007 bis März 2008 Anspruch auf ungekürztes deutsches Kindergeld, weil in Polen kein Kindergeldanspruch bestand.

    Das Gericht teilt die übereinstimmende Auffassung der Beteiligten, dass auf den Kläger die VO 1408/71 i.V.m. der DVO 574/72 nicht anwendbar ist, da er im Streitzeitraum in keinem der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in einem Zweig der sozialen Sicherheit versichert war (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 4. August 2011 III R 40/08, juris). Damit richtet sich sein Kindergeldanspruch allein nach den §§ 62 ff EStG.

    Gemäß § 62 EStG ist Voraussetzung für die Gewährung von Kindergeld, dass der Betroffene im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist oder nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird. Im Gegensatz zur Beklagten hat das Gericht keine Bedenken, dass der Kläger seinen Wohnsitz im Streitzeitraum in Deutschland hatte. Dafür sprechen neben den vorgelegten Mietverträgen und der Anmeldung beim Einwohnermeldeamt auch die nicht unerheblichen Einkünfte, die der Kläger in den Jahren 2006 bis 2008 in Deutschland erzielt hat. Für den Zeitraum September bis Dezember 2007 ergibt sich dies auch bereits daraus, dass der Kläger im Jahr 2007, wie sich aus dem Steuerbescheid 2007 ergibt, unbeschränkt steuerpflichtig war.

    Da die Kinder des Klägers in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ihren Wohnsitz haben, sind sie nach § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG grundsätzlich berücksichtigungsfähig.

    Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG wird Kindergeld nicht gezahlt, wenn für das Kind im Ausland dem Kindergeld vergleichbare Leistungen gewährt werden oder bei entsprechender Antragstellung hätten gewährt werden müssen. Im Streitfall hat der Kläger keine Bestätigung der polnischen Behörden darüber gebracht, dass – auch wenn er oder seine Ehefrau in Polen einen Kindergeldantrag gestellt hätten – dieses nicht gewährt worden wäre.

    Das Gericht geht jedoch unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden Übersetzung des PKG davon aus, dass ein Anspruch auf Kindergeld in Polen bereits deshalb nicht bestand, weil das Einkommen des Klägers hierfür zu hoch war.

    Kindergeld wird in Polen nur gezahlt, soweit das Familieneinkommen pro Familienmitglied höchstens 504 PLN beträgt (Art. 5 Abs. 1 PKG). Gemäß Art. 3 Abs. 2 PKG gilt als Familieneinkommen das durchschnittliche monatliche Einkommen der Familienmitglieder im Kalenderjahr, das dem Beihilfezeitraum vorangeht. Nach Art. 3 Abs. 1 PKG sind u.a. als Einkommen die im Ausland erzielten Einkünfte, verringert um die im Ausland abgeführte Einkommensteuer sowie Sozialversicherungsbeiträge und gesetzliche Krankenversicherungsbeiträge anzusetzen. An andere Personen zu zahlende Unterhaltsbeträge sind vom Einkommen abzuziehen. Nach Art. 3 Abs. 16 PKG gelten als Familie Ehegatten, Eltern der Kinder, tatsächliche Betreuer des Kindes sowie unterhaltene Kinder bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres. Gemäß Art. 3 Abs. 10 PKG gilt als Beihilfezeitraum der Zeitraum vom 1. September bis zum 31. August des nachfolgenden Kalenderjahres, für den der Anspruch auf Familienleistungen festgelegt wird.

    Für den Streitzeitraum September 2007 bis März 2008 kommt es daher auf das Einkommen des Klägers im Kalenderjahr 2006 an. Laut dem vorliegenden Einkommensteuerbescheid für 2006 betrug das anzusetzende Einkommen nach Art. 3 Abs. 1, 2 (10.307 EUR gewerbliche Einkünfte abzüglich 451 EUR Einkommensteuer =) 9.856 EUR im Kalenderjahr, mithin 821,33 EUR pro Monat. Sozialversicherungs- und Krankenversicherungsbeiträge hat der Kläger keine entrichtet und nach seinem glaubhaften Vorbringen hat er auch keine Unterhaltszahlungen an andere Personen geleistet. Im Jahr 2006 war das zu berücksichtigende Einkommen daher auf den Kläger, seine Ehefrau und zwei Kinder aufzuteilen (Art. 3 Abs. 16 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 PKG), woraus sich für jedes Familienmitglied ein monatlicher Betrag von jeweils 205,33 EUR ergab. Damit lag das Einkommen deutlich über dem Betrag von 504 PLN im Monat, der im Jahr 2006 umgerechnet ca. 132 EUR (Bundesministerium der Finanzen IV A 6-S 7329-1/07, Umsatzsteuer-Umrechnungskurse Gesamtübersicht für das Jahr 2006, BStBl I 2007, 126) betrug. Nachdem das Familieneinkommen die Grenze erheblich überschritten hat, bestand nach den polnischen Vorschriften in Polen kein Kindergeldanspruch für den Kläger oder seine Ehefrau.

    Da nach Art. 24 Abs. 2 des PKG, wie dem Senat aus anderen Streitsachen bekannt ist, das Recht auf Familienleistungen erst ab Antragstellung für zukünftige Zeiträume festgestellt wird, ist es dem Kläger nicht möglich, im Nachhinein eine zutreffende Bestätigung der polnischen Behörden für den Streitzeitraum zu erlangen, wie es die Beklagte fordert. Da nach den vorliegenden Informationen das Gericht überprüfen konnte, dass in Polen kein Kindergeldanspruch bestand, kann allein das Fehlen einer entsprechenden Entscheidung der polnischen Behörden nicht dazu führen, dass in Deutschland Kindergeld nur zur Hälfte angesetzt wird, wie das die Beklagte getan hat.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

    VorschriftenEStG § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, EWGV 1408/71 Art. 12 Abs. 2, EWGV 574/72 Art. 7 Abs. 1

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