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  • · Fachbeitrag · Gerichtsgutachten

    Sind Arzt- und Zahnarztpraxen aus Erwerber- oder aus Veräußerersicht zu bewerten?

    von WP StB Rolf Leuner, Nürnberg, www.roedl.de 

    | Die Frage, ob eine modifizierte Ertragswertbewertung aus Erwerber- oder Verkäufersicht vorzunehmen ist, ist höchst praxisrelevant, denn die Bewertungsergebnisse können stark voneinander abweichen. In diesem Beitrag soll daher hinterfragt werden, ob der modifizierte Ertragswert im Kontext der Erstellung eines Gerichtsgutachtens allein aus Erwerber- oder allein aus Veräußerersicht zu bewerten ist oder ob anlassabhängig differenziert werden muss. Deswegen werden die häufigsten Fälle von Gerichtsgutachten diskutiert. ­|

    1. Problemstellung

    Der BGH (2.2.11, XII ZR 185/08; 9.2.11, XII ZR 40/09) hat seine frühere Rechtsprechung (BGH 6.2.08, XII ZR 45/06) weiter fortgebildet und der modifizierten Ertragswertmethode zur Bewertung von Freiberufler-Praxen den Vorzug gegeben (BGH 2.2.11, a.a.O., Tz. I, zweitletzter Satz). Dieser Rechtsprechung hat sich in der Folge das BSG (14.12.11, B 6 KA 39/10 R) angeschlossen.

     

    Auf den ersten Blick scheinen damit alle Fragen zur Bewertungsmethodik erledigt zu sein, insbesondere weil die Formel, welche der modifizierten Ertragswertmethode zugrunde liegt, bereits 1994 festgeschrieben wurde (Kupsch, Bewertung von Arztpraxen mittels Ertragswertverfahren - Zusammenfassung eines Gutachtens, in: Bayerisches Zahnärzteblatt, Heft 2/1994, S. 14 - 20). Auch das IDW hat diese Formel für zeitlich begrenzt fortgeführte Unternehmen in das WP-Handbuch bis heute (zuletzt WP-Handbuch 2008, 13. Aufl. Band 2 A, Tz. 180/181) immer wieder übernommen.

     

    • Formel nach IDW Wp-Handbuch

     

     

     

    Während z.B. Nies (PFB 06, 193) in weitestgehender Anlehnung an das IDW zu zeitlich begrenzt fortgeführten Unternehmen den Liquidationswert abzinst, addiert Merk dagegen den abgezinsten Wiederbeschaffungswert zum laufenden Ertragsstrom hinzu (Merk, Bewertung, 3. Bewertungsmethoden, S. 55).

    Ein Grund dafür könnte sein, dass

     

    • aus Veräußerersicht die Alternative zum Sofortverkauf der Weiterbetrieb und nach Ende der laufenden Ertragsphase die Liquidation des Restvermögens ist, während

     

    • der Erwerber (alternativ zum Selbstaufbau einer Praxis) eine Praxis mit sukzessive verfliegendem Ertragsstrom aus dem Veräußerer-Goodwill kauft, womit ihm nach Ende des Goodwillstroms des Vorgängers noch eine werthaltige Substanz zur Nutzung verbleibt (Kupsch, P.: Bewertung von Arztpraxen mittels Ertragswertverfahren - Zusammenfassung eines Gutachtens, in: Bayerisches Zahnärzteblatt Heft 2/1994, S. 14 - 20).

     

    Bereits diese Unterscheidung zeigt, dass sich Erwerber- und Veräußererbewertung deutlich unterscheiden. Die Notwendigkeit latente Steuern bei Veräußerersichtweise anzusetzen bzw. stattdessen aus Sicht des Erwerberbewerters eine steuerlich relevante Erwerber Goodwillabschreibung zu berücksichtigen (Scheen, C.: in Schmid-Dormin, Bewertung von Arztpraxen und Kaufpreisfindung, 4. Aufl., Anhang 1, Fn. 410) und der potenzielle Ansatz divergierender Abzinsungsdauern wären weitere erhebliche Divergenzen zu beiden Sichtweisen. Allein hieraus könnten sich erhebliche Wertdifferenzen im Rahmen einer Gerichtsgutachtenbewertung ergeben, deren Hauptanlässe im Folgenden daraufhin untersucht werden.

    2. Zugewinnausgleich

    Im Zugewinnausgleichsverfahren ist vom Sachverhalt her unstrittig, dass in aller Regel der Arzt oder die Ärztin, die bislang die Praxis alleine betreibt oder in einer Gemeinschaftspraxis tätig ist, weiter praktizierten wird. Es findet zumeist lediglich die familienrechtliche Trennung vom Ehepartner statt. Eine Bewertung aus Erwerbersicht macht folgerichtig vom Betriebswirtschaftlichen her in diesen Konstellationen keinen Sinn, da die Praxis nicht erworben, sondern sie vielmehr in derselben Konstellation wie bisher fortbetrieben wird (so auch BGH 6.2.08, XII ZR 45/06, Tz. 31-33). Es wird somit nur fiktiv der Verkauf unterstellt. Der BGH fragt danach, was beim Zugewinnausgleich bei einer Veräußerung zu erzielen wäre (BGH 2.2.11, a.a.O., Tz. II 2 a und was am Bewertungsstichtag am Markt erzielbar wäre (BGH 9.2.11, a.a.O., Tz. 30).

     

    2.1 Bewertungsperspektive

    Die Logik spricht somit eindeutig dafür, dass in diesem Fall eine Bewertung aus Veräußerersicht zwingend geboten ist, da es ohne Verkauf keine Erwerber geben kann. Als Konsequenzen hieraus wäre dann der Unternehmenswert aus dem modifizierten Ertragswert aus Veräußerersicht abzuleiten bzw. im Falle einer ertragsschwachen Praxis aus dem Liquidationswert.

     

    Die korrekte Bewertungsposition wäre also die des neutralen Gutachters, der das Unternehmen bewertet wie es „steht und liegt“, somit aus Veräußerersicht (IDW, S. 1, IDW-FN 7/2008, S. 276, Tz. 29 sowie BGH 2.2.11, a.a.O., Tz. II 2 d bb.

     

    2.2 Verflüchtigungszeitraum

    Eine Alternative zum fiktiven Verkaufsnutzen hat der Noch-Ehepartner nicht und nur daran kann er zugewinnausgleichsberechtigt sein. Als Konsequenz daraus wäre festzuhalten, dass rein theoretisch in diesem Fall als Goodwill-Verflüchtigung genau der Zeitraum anzusetzen wäre, den der Arzt und Noch-Ehepartner in der Praxis zukünftig real verbringen würde.

     

    Dieser Zeitraum wiederum ist ungewiss und muss prognostiziert werden. Dabei sind biometrische Risiken, wie Krankheit, Berufsunfähigkeit, Tod etc. zu berücksichtigen. Zudem können Erosionen durch neu aufkommenden Wettbewerb nicht ausgeschlossen werden. Um dem gerecht zu werden, ist theoretisch schon diese ungewisse Zeitdauer zu deckeln. Dies geschieht auch praktisch im Rahmen der modifizierten Ertragswertmethode (VSA e.V. , Stellungnahme 2012, Pkt. 6; BGH 9.2.11, XII ZR 40/09, Tz. 42; BSG 14.12.11, a.a.O., Tz. 28, Zeitraum i.d. Regel zwischen zwei und fünf Jahren).

     

    PRAXISHINWEIS | Im Übrigen würde bei Nichtdeckelung auch gegen das Doppelteilhabeverbot des BGH verstoßen (BGH 6.2.08, XII ZR 45/06, Tz. 15): Unendlicher Ertragswert und abgezinster Wert der Substanz können nicht zueinander addiert werden, ohne Doppelteilhabe zu provozieren (Nies, PFB 06, 193, Tz. 2.3 und Friebe/Beusker, PFB 12, 244, Tz. 3.2).

     

    2.3 Unternehmerlohn

    Stimmig ist diese Denkweise der Bewertung aus Veräußerersicht auch insoweit, als der BGH in seiner jüngsten Rechtsprechung ausdrücklich auf das individuelle Unternehmergehalt des Abgebers abstellt (BGH 9.2.11, a.a.O., Tz. 20; BGH 2.2.11, a.a.O., Tz. I 2 a).

     

    2.4 Hinzurechnung eines Endwerts

    Desweiteren wäre folgerichtig zum abgekürzten Zahlungsstrom aus laufendem Praxisbetrieb der Liquidationswert als abgezinster Wert der restlichen Substanz hinzuzuaddieren, da nach dem Ende der laufenden Ertragsströme aus dem Praxisbetrieb die Substanz verkauft würde und dementsprechend als Verkaufs-Erlös (gleich Liquidationserlös) resultierte. Folgerichtig wären auch latente Steuern für diese fiktive Veräußerung anzusetzen (so der BGH 2.2.11, a.a.O., Tz. II 2 c und d, 9.2.11, a.a.O., Tz. 29).

     

    Im Umkehrschluss scheidet eine steuerliche Goodwill-Abschreibung, die es nur aus Erwerbersicht geben kann, in diesem Kontext aus, da die Praxis nicht nochmals erworben, sondern vom bisherigen Arzt und bisherigen Ehegatten fortbetrieben wird. Diese betriebswirtschaftliche Logik findet ihre Entsprechung auch in den Urteilen des BGH (2.2.11, a.a.O. und 9.2.11 a.a.O.). In beiden Urteilen handelt der Sachverhalt von Zugewinnausgleichsfällen, und in beiden Fällen rechnet der BGH latente Steuern (BGH 9.2.11, a.a.O., Tz. 29; BFH 2.2.11, a.a.O., Tz. II 2 c und d).

    3. Erbauseinandersetzung

    Durchaus differenzierter gestaltet sich die Situation des Erbfalls und die oftmals darauf folgende Erbauseinandersetzung.

     

    3.1 Bewertungsperspektive

    Für den Fall, dass die Erben allesamt nicht die berufsrechtlichen Übernahmevoraussetzungen erfüllen, ist es zwingend logisch, dass eine Bewertung aus Veräußerersicht erforderlich ist. Weichende Erben können nur am fiktiven oder realen Verkauf partizipieren.

     

    Anders gestaltet sich die Situation, wenn einer der Erben berufsausübungsberechtigt ist und die Praxis oder den Anteil daran fortführen wird. In diesem Fall gibt es dann vor Gericht natürlich eine Sicht des Erwerbererben und eine zweite des Veräußerererben, wobei für beide wegen des Tods des Abgebers die gleiche Goodwillreichweite zum Tragen kommt hinsichtlich des fairen Veräußerer-Preises. In diesem Fall müsste konsequenterweise der Sachverständige als Schiedsgutachter im Rahmen einer Schiedsgutachterfunktion tätig sein, der Erwerbersicht und Veräußerersicht auf Schnittmengen überprüft und nicht als objektivierter Bewerter aus Erwerber- oder Veräußerersicht (so das IDW, HFA 2/1995, IV., S. 293, 294).

     

    Wiederum im Umkehrschluss ergibt sich hieraus: Eine ausschließliche Bewertung unter Erwerber-Gesichtspunkten hat keine theoretisch fundierte Basis im Erbfall. Zwar könnten alle Erben denklogisch auch Erwerber sein, folgerichtig würden sie dann aber als Erben unentgeltlich erwerben und nicht über den rechten Veräußerungspreis streiten können.

     

    3.2 Verflüchtigungszeitraum, Unternehmergehalt

    Der Goodwill des bisherigen Praxisinhabers bzw. Mitinhabers wird sich ab dessen Tod verflüchtigen. Folglich kann im Hinblick auf die Diskontierungsdauer der laufenden Ertragsphase auch dessen prinzipiell statistisch denkbare Restarbeitsdauer keine Rolle mehr spielen. Es resultiert erneut die unter Tz. 2.2 bereits dargestellte Deckelung auf zwei bis fünf Jahre.

     

    Das bisherige individuelle Unternehmergehalt des Erblassers kann allenfalls dann eine Rolle für die Bewertung spielen, wenn damit dessen individuelle Leistungen eliminiert werden sollen.

    4. Gesellschafterwechsel/-streitigkeiten

    Diese Fallkonstellation unterscheidet sich diametral von den beiden vorangegangenen.

     

    4.1 Bewertungsperspektive

    Im Regelfall findet sich im Gesellschaftsvertrag ein Passus, wie in Ausscheidensfällen zu bewerten ist und welche Bewertungsverfahren anzuwenden sind. Nur falls eine solche Regelung nicht im Gesellschaftsvertrag enthalten, diese nicht konkret genug sein sollte oder das Gericht diese verwirft, ist die Frage zu beantworten, ob aus Erwerber- oder Veräußerersicht zu bewerten ist.

     

    PRAXISHINWEIS | Fallen Abfindungs- und Zugewinnausgleichsfall zusammen, ist der Abfindungsanspruch laut Gesellschaftsvertrag dann die Grenze, wenn der Ausscheidende am Bewertungsstichtag bereits gekündigt hat (BGH 10.10.79, IV ZR 79/78).

     

     

    Ein bloßes Erwerber-Bewertungsszenario kann es wiederum nicht geben. Schließlich stehen sich weichender und neu eintretender Gesellschafter im Rahmen des Gesellschafterstreits gegenüber oder die Gesellschaft, z.B. als Einziehende und der weichende Gesellschafter als derjenige, der die Einziehung dulden muss. Insofern bleiben daher allenfalls die Alternativen: Bewertung als neutraler Gutachter aus Veräußerersicht mit dem Unternehmen so wie es „steht und liegt“, weil der weichende Gesellschafter eindeutig Veräußernder ist, oder die Schiedsgutachterfunktion des Gerichtsgutachters, der die subjektiven Vorstellungen des weichenden Gesellschafters und des übernehmenden Gesellschafters in Übereinstimmung bringen muss. Dass sich insoweit folgerichtig keine bloße Bewertung aus Erwerbersicht begründen lässt, sah früh bereits der BGH: Bei Abfindungsfällen ist der Wert zu ermitteln, der sich bei einer möglichst vorteilhaften Verwertung des Gesellschaftsvermögens im Ganzen ergeben würde (BGH 30.3.67, II ZR 141/ 64, BB 67, 559); denn „verwerten“ kann nur der Eigentümer, nicht er Erwerber.

     

    4.2 Verflüchtigungszeitraum, Unternehmerlohn

    Die Ausnahmefälle sind abgesehen vom Fall, dass der Ausscheidende die Zulassung samt Goodwill mitnimmt und eine Bewertung damit entbehrlich ist, meist dadurch gekennzeichnet, dass es einen das Unternehmen bzw. die Gesellschafter verlassenden Gesellschafter gibt, der weiterhin in Zukunft praktizieren wird. Sein Goodwill wird sich daher verflüchtigen. Die Verflüchtigungsdauer wird davon abhängen, wie schnell ein neuer Nachfolger gefunden werden kann und insbesondere, ob der bisherige abgebende Gesellschafter sich in der Nähe niederlassen und der Gemeinschaftspraxis oder sonstigen BAG gegebenenfalls sogar Konkurrenz machen wird.

     

    Somit spielt das individuelle Gehalt des bisherigen Gesellschafters, der das Unternehmen verlässt, ebenso wie seine zukünftige Restlebensarbeitsrestzeit aufgrund Ausscheidens keine Rolle bei dieser Bewertung.

    5. Nachbesetzung (§ 103 ff. SGB V)

    Nachbesetzungsfälle sind dadurch gekennzeichnet, dass der Berufungsausschuss den besten Bewerber aus denjenigen herauszufiltern hat, die bereit sind, den Verkehrswert zu bezahlen. (BSG 14.12.11, a.a.O., Tz. 18). Insoweit dürfte es keine Streitigkeiten geben hinsichtlich der Bewertung, falls der Verkehrswert bekannt wäre. Genau dies ist jedoch regelmäßig das Problem.

     

    5.1 Bestimmung des Verkehrswerts

    Was als Verkehrswert gilt, konkretisiert das Gesetz. In der Begründung zu §  103 Abs. 4 S. 6 SGB V heißt es (BT-Drucksache 12/3608, 99): „Satz 6 trägt den schutzwürdigen Interessen des ausscheidenden Kassenarztes oder seiner Erben Rechnung. Es soll ausgeschlossen werden, dass sich durch die erhöhte Nachfrage nach Kassenpraxen und der mit der Praxisübernahme verbundenen Kassenzulassung der Kaufpreis für die Praxis ungerechtfertigt erhöht.“

     

    Hieraus folgt, dass der Kaufpreis nicht durch Erwerber-Übernachfrage am Markt überhöht werden darf, umgekehrt darf nicht mehr als der Verkehrswert gezahlt werden (BSG 14.12.11, a.a.O., Tz. 18). Folglich muss der Verkehrswert der innere Wert der Praxis sein. Deswegen hat auch das BSG (14.12.11, a.a.O) die modifizierte Ertragswertmethode als die Methode favorisiert, die den inneren Wert der Praxis ermitteln soll. Bereits aus der Gesetzesbegründung und dem Urteil des BSG ergibt sich somit, dass das schützenswerte Interesse bei Gerichtsstreitigkeiten folglich darin endet, wenn die auszuwählenden Bewerber durch den Berufungsausschuss den Verkehrswert als Kaufpreis zahlen an den Abgeber oder dessen Erben.

     

    5.2 Bewertungsperspektive

    Hieraus ergibt sich wiederum eindeutig, dass die Bewertung in Nachbesetzungsfällen eine solche aus Veräußerersicht sein muss. Schließlich ist das Verwertungsinteresse des ausscheidenden Vertragsarztes das Schutzgut i.S. des § 103 Abs. 4 S. 6 SGB V, so der BSG im vorgenannten Urteil Tz. 21.

     

    Dementsprechend ergibt sich hieraus wiederum logisch zwingend, dass die Bewertung des Gerichtsgutachters in der Funktion des neutralen Gutachters zu erfolgen hat. Er hat das Unternehmen zu bewerten wie es „steht und liegt“ und zwar aus Veräußerersicht. Diese Sichtweise bestätigt nicht nur das IDW (IDW-FN 7/2008, S. 276, Tz. 29), sondern auch das BSG. So berücksichtigt das BSG sämtliche Erlöse die der bisherige Inhaber mit der Praxis erzielt hat (BSG 14.12.11, a.a.O, Tz. 26).

     

    5.3 Verflüchtigungszeitraum, Unternehmerlohn

    Konsequenterweise wäre bei der Dauer des Abzinsungszeitraums zunächst die Abgebersicht einzunehmen und damit seine reale zukünftige Restlebensarbeitszeitdauer zu berücksichtigen. Diese wäre angesichts der Ungewissheit der Zukunft, wie oben dargestellt, zu prognostizieren unter Beachtung der vorgefundenen Struktur und jedenfalls wegen biometrischer Risiken zu deckeln, auch um nicht gesetzeswidrig über den Verkehrswert hinauszureichen. Da diese Vorgehensweise bei Nachbesetzung aufgrund Todesfalls des Arztes oder bereits erfolgtem Renteneintritt denklogisch stimmig ausscheidet, wäre insoweit hilfsweise mangels zukünftiger Restlebensarbeitszeit des Abgebers der erforderliche Zeitaufwand für eine Neugründung ein hilfreicher Maßstab. Diese zweigeteilte Sichtweise nimmt auch das BSG (14.12.11, a.a.O. Tz. 28) ein.

     

    Konsequent und nachvollziehbar wäre es, den individuellen kalkulatorischen Unternehmerlohn des Abgebers zu berücksichtigen, um dessen nur individuell erzielbare Leistungen zu eliminieren, die der Nachfolger nicht heben kann (BSG 4.12.11, a.a.O, Tz. 27).

    6. Fazit

    Es zeigt sich auch für das Feld der Bewertung einer Freiberuflerpraxis, dass in der Unternehmensbewertung alles mit dem Anlass der Bewertung steht und fällt. Je nach Gerichtsgutachtenanlass ergibt sich für die Fälle des Zugewinnausgleichs, der Erbauseinandersetzung, des Abfindungsrechtsstreits und des Nachbesetzungsverfahrens eine andere Bewertungsperspektive und Bewerterfunktion. Je nach Anlass wird der Sachverständige vor Gericht regelmäßig als neutraler Gutachter oder als Schiedsgutachter tätig werden. Die Warte wird dabei entweder die Veräußererwarte oder die Ermittlung eines fairen Einigungskorridors aus Erwerber- und Veräußerersicht sein. Eine Bewertung allein aus Erwerbersicht wäre folgerichtig in diesen Fällen regelmäßig intersubjektiv nicht begründbar.

     

    • Synopse der häufigsten Bewertungsanlässe in Gerichtsgutachten
    Bewertungs-
    anlass
    Bewertungs-
    perspektive
    Verflüchtigungszeitraum
    Unternehmerlohn
    Endwert

    Zugewinn-

    ausgleich

    neutraler Gutachter 
(= Veräußerersicht)

    i.d. Regel zwischen zwei und fünf Jahren

    individueller

    Abgeberlohn

    Liquidationswert

    Erbauseinander-

    setzung

    nicht-fortführungsberechtigte Erben:

     

    Veräußerersicht

     

    wenn auch

    forführungsberechtigte(r) Erbe(n):

     

    Schiedsgutachtersicht

    i.d. Regel zwischen

    zwei und fünf Jahren

    fallabhängig

    fallabhängig

    Gesellschafterwechsel, -streitigkeiten

    i.d. Regel Vorrang der gesellschaftsvertraglichen Regelungen

     

    hilfsweise:

    Schiedsgutachtersicht

    Einflussfaktoren:

    Dauer der Nachfolgersuche,

    Konkurrenz durch ausscheidenden Gesellschafter

    fallabhängig

    fallabhängig

    Nachbesetzung

    neutraler Gutachter

    (= Veräußerersicht)

    i.d. Regel Orientierung an Zeitbedarf für eine Neugründung

    individueller

    Abgeberlohn

    Liquidationswert

     

     

    Weiterführende Hinweise

    • Zur Kritik am modifizierten Ertragswertverfahren für die Bewertung von Arztpraxen (Friebe/Beusker, PFB 12, 244)
    • Praxisbewertung beim Zugewinnausgleich: Unternehmerlohn und latente Steuern mindern den Praxiswert (Grewe, PFB 11, 275)
    • Hinweise der Bundessteuerberaterkammer zur Praxisbewertung (Grewe, PFB 11, 50)
    • Bewertung von Freiberufler-Praxen anhand von Multiplikatoren (Grewe, PFB 10, 77)
    • Zum Umgang mit den Hinweisen von BÄK und KBV (Wendland, PFB 09, 67)
    Quelle: Ausgabe 09 / 2013 | Seite 250 | ID 42229038

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