· Nachricht · FG Münster
Erstattungszinsen sind nicht notwendig steuerbar
Zinsen, die der Fiskus auf Steuererstattungen zahlt (Erstattungszinsen), sind ungeachtet der durch das Jahressteuergesetz 2010 eingefügten Neuregelung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3 EStG nicht steuerbar. Dies gilt auch dann, wenn die Erstattungszinsen in Zeiträumen angefallen sind, in denen vom Steuerpflichtigen gezahlte Nachzahlungszinsen als Sonderausgaben abziehbar waren (FG Münster 10.5.12, 2 K 1947/00 E, 2 K 1950/00 E, Rev. zugelassen). |
Sachverhalt
In den Streitfällen hatten die Kläger in den Jahren 1992 bzw. 1996 Erstattungszinsen (§ 233a AO) in erheblicher Höhe erhalten. Zugleich hatten sie in ihrer Steuererklärung auch Nachzahlungszinsen geltend gemacht. Das Finanzamt besteuerte die Erstattungszinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen und berücksichtigte die Nachzahlungszinsen als Sonderausgaben. Im Jahr 2010 beantragten die Kläger unter Hinweis auf eine Entscheidung des BFH (15.6.10, VIII R 33/07), die Erstattungszinsen steuerfrei zu stellen. Verfahrensrechtlich war dies noch möglich, da die angefochtenen Bescheide aufgrund von Einspruchs- und Klageverfahren noch nicht bestandskräftig und damit noch änderbar waren.
Anmerkungen
Das FG Münster gab den Klägern jetzt Recht. Der Gesetzgeber habe mit § 12 Nr. 3 EStG die Grundentscheidung getroffen, Erstattungszinsen zur Einkommensteuer dem nichtsteuerbaren Bereich zuzuweisen. Dies habe auch der BFH (15.6.10 a.a.O.) so gesehen. Soweit der BFH dies auch unter Hinweis auf den ab 1999 bestehenden Gleichklang zwischen der Steuerfreiheit von Erstattungszinsen einerseits und der Nichtabziehbarkeit von Nachzahlungszinsen andererseits begründet habe, folge hieraus nicht, dass Erstattungszinsen steuerbar seien, solange Nachzahlungszinsen - wie in den Streitjahren - noch als Sonderausgaben abzugsfähig gewesen seien. Ein solcher Umkehrschluss verstieße gegen die Grundentscheidung des § 12 Nr. 3 EStG und stellte eine unzulässige richterliche Rechtsfortbildung dar.
Ob die durch das Jahressteuergesetz 2010 als Reaktion auf die Rechtsprechung des BFH neu eingefügte Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3 EStG, die Erstattungszinsen ausdrücklich den Einkünften aus Kapitalvermögen zuordnet, auch rückwirkend auf die Streitjahre Anwendung findet, kommt es nach Meinung des FG nicht an: § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3 EStG ist keine Spezialregelung gegenüber § 12 Nr. 3 EStG. Vielmehr geht § 12 Nr. 3 EStG als eine den einzelnen Einkunftsarten systematisch vorangestellte Vorschrift § 20 Abs. 1 EStG vor.
Praxishinweise
Auslöser ist die Entscheidung des BFH (15.6.10, VIII R 33/07), mit der er seine bisherige Rechtsprechung aufgab, nach der Erstattungszinsen nach § 233a AO Einkünfte aus Kapitalvermögen waren. Daraufhin reagierte der Gesetzgeber und ergänzte § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG um S. 3, der Erstattungszinsen - rückwirkend - den Einkünften aus Kapitalvermögen zuweist. Fraglich ist nun, ob die Rückwirkung auf alle noch offenen und damit auch auf bereits abgeschlossene Veranlagungszeiträume zulässig ist, weil der Gesetzgeber lediglich den Zustand vor Rechtsprechungsänderung wiederhergestellt hat. Die Rechtsprechung ist hierzu uneins:
- Der BFH hat in mehreren Beschwerdeverfahren ernstliche Zweifel an der Erfassung von Erstattungszinsen i.S. von § 233a AO nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3 EStG in der Fassung des JStG 2010 bejaht (BFH 22.12.11, VIII B 146/11, 9.1.12, VIII B 95/11).
- Die anhängigen Revisionsverfahren BFH VIII R 1/11 (Vorinstanz FG Münster 16.12.10 , 5 K 3626/03 E 9) und BFH VIII R 36/10 (FG Baden-Württemberg 29.1.10, 10 K 2720/09) sind allerdings noch offen.
- Sowohl einfachrechtliche als auch verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot, erheben:
- FG Düsseldorf 5.9.11, 1 V 2325/11 A(E)
- Demgegenüber wird die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung und die Rechtmäßigkeit von deren Erstreckung auf noch „offene Altfälle“ zum Teil auch bejaht:
- FG Schleswig-Holstein, 1.6.11, 2 V 35/11 (Beschwerde hiergegen begründet, BFH 9.1.12 VIII B 95/11)
- FG Düsseldorf 17.5.11, 6 K 703/08 K,G
- FG Rheinland-Pfalz 29.5.12, 3 K 1954/11 (Rev. zugelassen)