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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Reverse-Charge-Verfahren und EU-Auslandswarenbezug

    von Prof. Dr. Johannes G. Bischoff (StB, vBP), StB Dipl.-Finw. Kerstin Löbe und StB Dipl.-Finw. Julia Kekule, Köln, www.bischoffundpartner.de

    | Zahnärztliche und kieferorthopädische Behandlungen sind von der Umsatzsteuer befreit, wenn diese Behandlungen als Heilbehandlungen i. S. d. § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG erbracht werden. Leicht in Vergessenheit kann geraten, dass auch diese Heilberufler verpflichtet sein können, an das FA Umsatzsteuer abzuführen ‒ und zwar aufgrund von eingekauften Waren oder Dienstleistungen. Vorsicht ist insbesondere dann geboten, wenn Waren oder Dienstleistungen aus dem EU-Ausland bezogen werden, denn das Reverse-Charge-Verfahren und innergemeinschaftliche Erwerbe können sich schnell als Umsatzsteuerfalle entpuppen. |

     

    • Grundsatz: Steuerfreie Heilbehandlungen

    Nur die allerwenigsten Zahnärzte bieten ihren Patienten ausschließlich Heilbehandlungen an. Eine Heilbehandlung liegt nur dann vor, wenn sich die Maßnahme (Vorbeugung, Diagnose, Behandlung bzw. Heilung) auf eine konkrete, im individuellen Fall bei dem Patienten identifizierte oder identifizierbare Gesundheitsstörung bezieht, die Behandlung muss also medizinisch indiziert sein. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist auch keine Heilbehandlung gegeben, die Behandlung ist umsatzsteuerpflichtig.

     

    1. Reverse-Charge-Verfahren

    Die zentrale Regelung zum Übergang der Steuerschuld findet sich in § 13b Abs. 5 UStG. Hier ist die eigentliche Rechtsfolge enthalten und geregelt, welche Qualifikation der Leistungsempfänger erfüllen muss, damit es zum Übergang der Steuerschuldnerschaft kommt. In den Fällen des § 13b Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 bis 3 UStG muss der Leistungsempfänger z. B. Unternehmer sein. Durch das Reverse-Charge-Verfahren wird der Leistungsempfänger zum Schuldner der Umsatzsteuer auf den Bezug steuerpflichtiger Leistungen. Von dieser durch das Reverse-Charge-Verfahren bewirkten Umsatzsteuerschuldumkehr können auch Zahnärzte und Kieferorthopäden betroffen sein ‒ und zwar selbst dann, wenn sie ansonsten ausschließlich umsatzsteuerfreie Umsätze ausführen. Auch Kleinunternehmer i. S. d. § 19 UStG müssen das Reverse-Charge-Verfahren beachten, denn die Steuerschuldumkehr gilt nach § 13b Abs. 8 UStG ungeachtet der Kleinunternehmerregelung. Ausgeschlossen ist der Übergang der Steuerschuldnerschaft nur bei Leistungsbezug von einem Kleinunternehmer (§ 13b Abs. 5 S. 8 UStG); dieser Fall ist in der Praxis aber selten anzutreffen.

     

    Beachten Sie | Die Steuerschuldnerschaft kann sich sowohl auf die bezogenen Umsätze für den unternehmerischen als auch auf die Umsätze für den nichtunternehmerischen Bereich des Leistungsempfängers erstrecken.

     

    § 13b Abs. 2 UStG führt in insgesamt zwölf Nummern den Anwendungsbereich des Reverse-Charge-Verfahrens auf. Die in der Zahnarztpraxis am häufigsten anzutreffenden Fälle dieser Regelungen sind im Folgenden zusammengefasst.

     

    1.1 Bezug von Dienstleistungen aus dem EU-Ausland

    Der wohl häufigste Anwendungsbereich des Reverse-Charge-Verfahrens ist der Bezug von Dienstleistungen (sonstigen Leistungen gemäß § 3 Abs. 9 UStG) aus dem EU-Ausland. Für nach § 3a Abs. 2 UStG im Inland steuerpflichtige sonstige Leistungen eines im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmers schuldet der Leistungsempfänger die Steuer (§ 13b Abs. 1 UStG). Zudem unterliegen gemäß § 13b Abs. 2 Nr. 1 UStG nicht unter § 13b Abs. 1 UStG fallende sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers der Steuerschuldumkehr.

     

    • Beispiel

    Der in Frankreich ansässige Architekt F plant für den in Köln ansässigen Zahnarzt Z die Errichtung eines neuen Praxisgebäudes in München.

     

    Lösung: Der im Ausland ansässige Unternehmer F erbringt im Inland steuerpflichtige Leistungen an Z (§ 3a Abs. 3 Nr. 1 UStG). Die Umsatzsteuer für diese Leistung schuldet Z (§ 13b Abs. 5 S. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 UStG) und nicht der die Leistung erbringende Architekt F.

     

    Wer für seine Praxis z. B. Google AdWords nutzt, unterliegt dem Reverse-Charge-Verfahren, denn für den Bezug dieser Dienstleistungen aus dem EU-Ausland muss die Umsatzsteuer vom Leistungsempfänger abgeführt werden. Google erbringt diese Dienstleistungen aus Irland ‒ das ist ein klassischer Anwendungsfall des Reverse-Charge-Verfahrens.

     

    1.2 Werklieferungen im Ausland ansässiger Unternehmer

    Eine Werklieferung liegt vor, wenn der Werkhersteller für das Werk einen fremden Gegenstand be- oder verarbeitet und dafür selbstbeschaffte Stoffe verwendet, die nicht nur Zutaten oder sonstige Nebensachen sind. Unter den Begriff der Werklieferung fallen insbesondere die Herstellung, Reparaturen sowie Wartungs- oder sonstige Arbeiten an Gebäuden und beweglichen Sachen. Während bei „normalen“ Lieferungen der Gegenstand bereits fertig ist, wird das Werk bei Werklieferungen erst fertiggestellt. Die Werklieferung beinhaltet also sowohl die darin eingegangenen Stoffe als auch die aufgewendete Arbeitsleistung.

     

    Bei der Anwendung des § 13b Abs. 2 Nr. 1 UStG ist zu beachten, dass der BFH den Begriff der Werklieferung in seiner neueren Rechtsprechung wesentlich eingeschränkt hat. Danach liegt keine Werklieferung vor, wenn der leistende Unternehmer das Werk ausschließlich aus selbst beschafften Hauptstoffen herstellt (vgl. BFH 22.8.13, V R 37/10, BStBl 14 II, 128 „Bauträgerurteil“). Die Finanzverwaltung hat die Begriffsbestimmung des BFH zwischenzeitlich übernommen. Vor allem bei sog. Montagelieferungen kommt es nun nicht mehr zum Übergang der Steuerschuldnerschaft, sofern nicht eine Verbindung mit einem vom Auftraggeber gestellten Gegenstand (insbesondere einem Bauwerk oder einem Grundstück) erfolgt.

     

    Die Abgrenzung zwischen Werklieferungen und „normalen“ Lieferungen ist insbesondere für folgende zwei Anwendungsbereiche der Steuerschuldumkehr bedeutsam:

     

    • § 13b Abs. 2 Nr. 1 UStG: Werklieferungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers ‒ hier ist der Leistungsempfänger Steuerschuldner, wenn er Unternehmer ist.

     

    • § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG: Werklieferungen und sonstige Leistungen im Zusammenhang mit Grundstücken, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen ‒ hier ist der Leistungsempfänger Steuerschuldner, wenn er selbst Bauunternehmer ist.

     

    • Beispiel

    Zahnarzt Z hat für seine Praxis in Köln Mobiliar bei einer französischen Tischlerei in Auftrag gegeben. Während zahlreiche Teile in Frankreich vorgefertigt werden können und bei Z nur noch zusammengebaut werden müssen, werden andere Bestandteile vor Ort maßgefertigt und zusammengebaut. Befestigungen am Mauerwerk des Praxisgebäudes sind nicht erforderlich.

     

    Lösung: Mangels Be- und Verarbeitung fremder Gegenstände bleibt der französische Tischler Schuldner der Umsatzsteuer.

     

    Das Beispiel macht deutlich, dass die Frage des „Be- und Verarbeitens fremder Gegenstände“ als Voraussetzung für eine Werklieferung zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen kann. Wie dem Bauträgerurteil aus 2013 zu entnehmen ist, ist die Herstellung einer festen Verbindung mit Grund und Boden (z. B. beim Bau von bzw. bei Arbeiten an Gebäuden oder bei Mietereinbauten) einer solchen Be- und Verarbeitung gleichzusetzen. Fehlt allerdings ein Bezug zu Grund und Boden bzw. Gebäuden, ist genau zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Werklieferung vorliegen. Hilfreich kann es in diesen Fällen sein, eine klarstellende Formulierung in den Verträgen vorzunehmen.

     

    1.3 Die Lieferung „versteckter“ Edelmetalle

    Zahnärzte, die in ihren Praxen große medizinische Geräte wie Röntgenapparate oder Magnetresonanztomographen betreiben, wissen häufig nicht, dass deren Abfälle in großem Maße Edelmetallverbindungen enthalten. Erhält der Zahnarzt Abfälle dieser Art, wird er zum Steuerschuldner, gibt er die Abfälle hingegen ab, wird deren Empfänger zum Umsatzsteuerschuldner (§ 13b Abs. 2 Nr. 7 UStG). Die von der Regelung erfassten Abfallstoffe sind in der Anlage 3 zum UStG mit Verweisungen auf den Zolltarif aufgelistet.

     

    1.4 Einkauf von Gold

    Gold ist einer der möglichen Rohstoffe zur Herstellung von Zahnersatz. Nach § 13b Abs. 2 Nr. 9 UStG gilt der Übergang der Steuerschuldnerschaft bei dem Einkauf von Gold mit einem Feingehalt von mindestens 325/1.000, in Rohform oder als Halbzeug und von Goldplattierungen mit einem Goldfeingehalt von mindestens 325/1.000. Der Zahnarzt schuldet auch dann die Umsatzsteuer, wenn er Kleinunternehmer ist und der Lieferant sich in Deutschland befindet (§ 13b Abs. 2 Nr. 9, Abs. 5 UStG). Zudem ist zu beachten, dass der Unternehmer auch dann Steuerschuldner der Golderwerbe ist, wenn die Lieferung für den nichtunternehmerischen Bereich erbracht wird (§ 13b Abs. 5 S. 7 UStG).

     

    Der Übergang der Steuerschuld kommt jedoch nicht in Betracht, soweit die Lieferung von Anlagegold nach § 25c UStG steuerfrei ist oder die Goldgegenstände nicht unter die Zolltarifpositionen 7108 oder 7109 fallen.

     

    • Beispiel

    Ein Zahnlabor liefert einem Zahnarzt Zahnkronen aus Gold.

     

    Lösung: Zahnkronen sind in Kapitel 90 des Zolltarifs einzureihen und fallen nicht unter die Zolltarifpositionen 7108 oder 7109.

     

    2. Innergemeinschaftliche Erwerbe

    Wareneinkäufe im EU-Ausland sind bei Zahnärzten nicht regelmäßig an der Tagesordnung. Gerade deshalb ist im Falle des Warenbezugs aus dem europäischen Ausland stets zu prüfen, ob ein innergemeinschaftlicher Erwerb vorliegt (§ 1a UStG) und der erwerbende Praxisinhaber diesen Erwerb im Inland der Umsatzsteuer unterwerfen muss. Auch in diesen Fällen kehrt sich die Steuerschuld vom Lieferanten zum Bezieher um. Ein innergemeinschaftlicher Erwerb ist bei einem Unternehmer, der ganz oder zum Teil zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, immer steuerbar.

     

    Ausnahmsweise findet kein umsatzsteuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb statt, wenn der Unternehmer ausschließlich umsatzsteuerfreie Umsätze ausführt, die den Vorsteuerabzug ausschließen, oder ein Kleinunternehmer ist (§ 1a Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a und b UStG). In eigener Praxis tätige Zahnärzte und Kieferorthopäden sind umsatzsteuerlich häufig Kleinunternehmer i. S. d. § 19 UStG. Sie müssen deshalb auch für an sich umsatzsteuerpflichtige Tätigkeiten, die sie neben den Heilbehandlungen durchführen, keine Umsatzsteuer abführen, wenn diese „an sich“ umsatzsteuerpflichtigen Tätigkeiten nur einen geringen Umfang einnehmen (2023: Betragsgrenze 22.000 EUR pro Jahr). Allerdings unterliegt der innergemeinschaftliche Erwerb in diesen Fällen nur dann nicht der Umsatzsteuer, wenn zusätzlich die sog. Erwerbsschwelle nicht überschritten wird (§ 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG). Dies ist der Fall, wenn der Einkauf aus anderen EU-Ländern im Vorjahr nicht mehr als 12.500 EUR betragen hat und im laufenden Jahr voraussichtlich nicht mehr als 12.500 EUR betragen wird. Zur Berechnung der Erwerbsschwelle sind alle innergemeinschaftlichen Bezüge von Gegenständen aus sämtlichen EU-Mitgliedstaaten zusammenzurechnen. Bei EU-Einkäufen von mehr als 12.500 EUR im Jahr muss die Erwerbsbesteuerung im Inland immer vom Erwerber durchgeführt werden.

     

    • Beispiel

    Zahnarzt Z bezieht im Jahr 2023 für 15.000 EUR Zahnprothetik aus Spanien. Er muss darauf deutsche Umsatzsteuer i. H. v. 1.050 EUR (7 %) abführen. Auch wenn er nur für 5.000 EUR Zahnprothetik aus Spanien bezieht, müsste er Umsatzsteuer an das FA abführen, wenn er daneben z. B. eine Behandlungseinheit für 8.000 EUR aus den Niederlanden geliefert bekommt. Denn in beiden Fällen überschreitet er die Erwerbsschwelle.

     

    PRAXISTIPP | Daneben besteht auch die Möglichkeit, die Erwerbsbesteuerung freiwillig durchzuführen, wenn die Erwerbsschwelle nicht überschritten wird (§ 1a Abs. 4 UStG). Das ist vor allem dann vorteilhaft, wenn die ausländische Umsatzsteuer deutlich höher ist als die inländische Umsatzsteuer. Die Option erfolgt formlos durch die Verwendung der erteilten USt-IdNr. gegenüber einem Lieferer. Allerdings bindet diese Option den Erwerber mindestens für zwei Kalenderjahre.

     

    Die Rechnung des Lieferers wird bei einem innergemeinschaftlichen Erwerb nur in Höhe des Nettobetrags ausgestellt, die Lieferung erfolgt steuerfrei. Die Umsatzsteuer entsteht für den innergemeinschaftlichen Erwerb grundsätzlich mit Ausstellung der Rechnung, spätestens jedoch mit Ablauf des dem Erwerb folgenden Kalendermonats. Der Zahnarzt in Deutschland muss den Erwerb in seiner Umsatzsteuervoranmeldung deklarieren, die Höhe der Umsatzsteuer nach den Grundsätzen des § 12 UStG mit 7 % oder 19 % ermitteln und diese an sein Betriebsstätten-FA abführen (§§ 10 Abs. 1, 12 Abs. 1, 13 Abs. 1 Nr. 6 UStG). Ob die abgeführte Umsatzsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb als Vorsteuer abziehbar ist, richtet sich nach den allgemeinen Regelungen des § 15 UStG.

     

    Häufig erkennt der Lieferant den Kundenkreis bereits am Produkt, so dürfte z. B. Zahnprothetik nur an Zahnarztpraxen ‒ und damit umsatzsteuerlich an ein Unternehmen ‒ geliefert werden. Gibt der Zahnarzt bei einer Bestellung seine Umsatzsteueridentifikationsnummer an, werden Einkäufe aus EU-Ländern vom Lieferanten netto, d. h. ohne Umsatzsteuer abgerechnet.

     

    PRAXISTIPP | Wird z. B. bei Amazon Büromaterial bestellt, erkennt Amazon grundsätzlich nicht, ob ein Unternehmer bestellt bzw. für sein Unternehmen einkauft, sondern stellt eine „normale“ Rechnung mit Umsatzsteuerausweis aus. Handelt es sich in diesem Fall um Erwerbe aus dem EU-Ausland und wird die Erwerbsschwelle überschritten oder wurde zur Erwerbsbesteuerung optiert, muss der Zahnarzt trotzdem Umsatzsteuer auf den Einkauf abführen ‒ es liegt eine doppelte Umsatzsteuerbelastung vor. Deshalb sollte bei Amazon-Bestellungen möglichst ein Amazon-Business-Konto angelegt werden, über das dann ausschließlich betriebliche Bestellungen erfolgen.

     
    Quelle: Ausgabe 04 / 2023 | Seite 106 | ID 49015095

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