08.01.2010
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 22.06.2005 – IV 340/02
Eine zu medizinischen Zwecken verwendete Kunststoffschraube, die sich nach Implantation im menschlichen Körper auflöst ist nicht als orthopädisches Hilfsmittel im Zolltarif einzuordnen.
Tatbestand
Streitig ist die Tarifierung einer sog. absorbierbaren Interferenzschraube, die in der Orthopädie und der Unfallchirurgie zur Verblockung von Transplantaten (Kreuzbandplastik) verwendet wird. Bei der Ware handelt es sich um eine hohle Schraube aus Kunststoff mit einem Gewinde und einem Schraubenkopf, der eine sechskantige Öffnung aufweist, die für den Ansatz eines Schraubendrehers (Sechskant) geeignet ist. Aufgrund des Hydrolyseprozesses baut sich die Schraube im menschlichen Körper ab.
Die Klägerin beantragte die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) über die Codenummer 901 89 085 0 des Deutschen Gebrauchszolltarifs. Nach der Beschreibung handelte es sich um eine absorbierbare Interferenzschraube, 9 x 23 mm, aus Poly-Lactic-Acid (PLA) zur Verblockung von Transplantaten (Kreuzbandplastik, Knie) im Bereich der Orthopädie / Unfallchirurgie. Mit der vZTA vom 20.12.2000 reihte der Beklagte die Ware in die Codenummer 3926 9099 90 an. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit dem fristgerecht eingelegten Einspruch. Nach Einholung von Stellungnahmen der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt (ZPLA) des Beklagten sowie der ZPLA Berlin, der Oberfinanzdirektion Cottbus, die u.a. für die Erteilung verbindlicher Zolltarifauskünfte für Waren des Kapitels 90 zuständig ist, blieb der Rechtsbehelf erfolglos. Die Einspruchsentscheidung wurde am 09.07.2002 abgesandt.
Mit der fristgerecht erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr rechtliches Begehren weiter. Hierzu trägt sie vor: Bei der absorbierbaren Interferenzschraube handele es sich um eine Ware, die ausschließlich als orthopädisches Hilfsmittel im Rahmen chirurgischer Eingriffe verwendet werden könne. Der Ware komme keine allgemeine Verwendungsmöglichkeit zu, wie von Anmerkung 2 Buchstabe a zu Abschnitt XV gefordert werde. Absorbierbare Interferenzschrauben zeichneten sich dadurch aus, dass sie im menschlichen Organismus abgebaut würden. Dieser Abbauprozess basiere auf sog. Hydrolyse. Dabei werden die aus Polymer bestehenden Schrauben durch Wasser zersetzt. Zu diesem Zersetzungsprozess komme es aufgrund der allgemeinen Luftfeuchtigkeit auch außerhalb des menschlichen Organismus. Aus diesem Grunde sei es zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der absorbierbaren Interferenzschrauben erforderlich, die Schrauben steril zu verpacken und unter Ausschluss jeglicher Feuchtigkeit zu lagern. Unterbleibe dies, zersetzten sie sich und verlören damit ihre Verwendungsmöglichkeit. Im menschlichen Organismus verfügten die Interferenzschrauben nur über eine kurzfristige Fixationswirkung von mehreren Wochen.
Die Interferenzschrauben seien nach Position 9021 KN, hilfsweise nach Position 9018 KN, zu tarifieren. Der Gegenstand als solcher sei nach Kapitel 90 KN zu tarifieren, da es sich um eine Ware handele, die wie Platten oder Nägel dazu diene, zu orthopädischen Zwecken von Chirurgen im menschlichen Körper angebracht zu werden (Erläuterung HF Rz. 28.1 zu Position 9021 KN). Entgegen der Auffassung des Beklagten sei Kapitel 90 KN auch anwendbar, denn es handele sich bei den absorbieren Interferenzschrauben nicht um „Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit” im Sinne der Anmerkung 1 Buchstabe f zu Kapital 90 KN i.V.m. Anmerkung 2 zu Abschnitt XV. Zwar seien danach Waren aus unedlen Metallen und gleichartige Waren aus Kunststoffen (Kapital 39) nicht in das Kapital 90 einzutarifieren. Nach der Rechtsprechung des BFH gelte dies jedoch nur, wenn die Möglichkeit bestehe, die Waren für normale Verschraubungen einzusetzen. Diese Möglichkeit sei bezüglich der Interferenzschrauben nicht gegeben, denn bereits normale Luftfeuchtigkeit reiche aus, um den sog. Hydrolyseprozess in Gang zu setzten, so dass die Schrauben binnen kürzester Zeit ihre Festigkeit verlören und sich zersetzten. Die absorbierbaren Interferenzschrauben seien demgemäß nur geeignet, für einen kurzen Zeitraum Gewebeteile im menschlichen Körper miteinander zu verbinden, verfügten damit aber nicht über eine allgemeine Verwendungsmöglichkeit im Sinne der BFH-Rechtsprechung (Beschluss vom 07.05.2002, VII B 189/01, ZfZ 2002 S. 267).
Die Klägerin beantragt, die verbindliche Zolltarifauskunft vom 20.12.2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.07.2002 aufzuheben und eine verbindliche Zolltarifauskunft zu erteilen, die die absorbierbaren Interferenzschrauben nach Position 9021 9090 KN, hilfsweise Position 9018 9085 KN einreiht.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie verweist darauf, dass es für die zolltarifliche Einordnung nach der Rechtsprechung lediglich darauf ankomme, ob die Möglichkeit bestehe, eine Spezialschraube für eine normale Verschraubung einzusetzen, und zwar unabhängig davon, ob dies wirtschaftlich oder aus sonstigen sachlichen Erwägungen vernünftig sei. Soweit der Einsatz als Schraube nicht unmöglich sei, könne eine Tarifierung nach Kapital 90 nicht erfolgen.
Gründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Beklagte hat die absorbierbare Interferenzschraube zu Recht in das Kap. 39 eingereiht.
Nach ständiger Rechtsprechung ist das entscheidende Kriterium die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs festgelegt sind. Dazu gibt es Erläuterungen, die für das Harmonisierte System (HS) vom Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens sowie für die KN von der Europäischen Kommission ausgearbeitet wurden und ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (vgl. EuGH-Urteil vom 07.02.2002, Rs. C-276/00, EuGHE 2002, I-1389 Rdnr. 21; BFH-Urteil vom 23.05.2000, VII R 1/99, BFH/NV 2000, 1266; vom 14.11.2000, VII R 83/99, BFH/NV 2001, 499, und vom 09.10.2001, VII R 69/00, BFH/NV 2002, 560).
Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt nicht in Betracht die absorbierbaren Interferenzschrauben nach der Pos. 9021 KN, hilfsweise nach Pos. 9018 KN zu tarifieren. Wie auch die Klägerin nicht übersieht, ist Kapitel 90 KN dann nicht anwendbar, wenn es sich bei der zu beurteilenden Ware um „Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit” im Sinne der Anm. 1 Buchstabe f zu Kapital 90 KN i.V.m. Anm. 2 zu Abschnitt XV, aus unedlen Metallen (Abschn. XV) und gleichartige Waren aus Kunststoffen (Kapitel 39) handelt. Der Bundesfinanzhof hat hierzu entschieden, dass der Begriff „Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit” nicht aus sich heraus, sondern „im Sinne der Anm. 2 zu Abschnitt XV zu verstehen ist (BFH-Beschluss vom 07.05.2002, VII B 189/01, BFH/N 2002, 1187). In der Anm. 2 zu Abschnitt XV wird nicht allgemein definiert, unter welchen Voraussetzungen die Annahme gerechtfertigt ist, dass es sich um „Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit” handelt. Dort heißt es vielmehr „das Waren der Positionen u.a. 7318 und ähnliche Waren aus anderen unedlen Metallen als Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit gelten. Die Position 7318 KN ist eine Spezialposition u.a. für Schrauben jeglicher Art aus Eisen oder Stahl. Sie gelten als Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit, ohne das es auf ihre konkrete Verwendung im Einzelfall ankäme. Für den Fall einer Titan-Interferenzschraube hat der BFH entschieden, dass die Einreihung in Pos. 7318 KN auch dann zu erfolgen habe, wenn es sich um Spezialschrauben handelt, die, weil sie etwa besonders konstruiert und daher teuer sind, konkret nur für einen ganz bestimmten Verwendungszweck eingesetzt werden.
Der Streitfall unterscheidet sich hiervon lediglich dadurch, dass die Interferenzschraube nicht aus Metall sondern aus (auflöslichem) Kunststoff besteht. Dieser Unterschied vermag eine Einreihung unter Kapitel 90 nicht zu begründen. In der Anm. 1 Buchstabe f zu Kapital 90 KN i.V.m. Anm. 2 zu Abschnitt XV sind Waren aus unedlen Metallen und aus Kunststoff hinsichtlich des Einreihungsverbots in das Kapitel 90 gleichgestellt. Eine Kunststoffschraube kann daher ebenso wenig wie eine Metallschraube in das Kapitel 90 eingereiht werden. Der Umstand, dass die Interferenzschraube aufgrund des Hydrolyseprozesses nicht für dauerhafte Verschraubungen geeignet ist, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Nach ihrer objektiven Beschaffenheit ist es nicht unmöglich, die Schraube einzusetzen, um verschiedene Teile miteinander zu verschrauben. Die mangelnde Eignung der Verschraubung für andere als von der Klägerin dargelegten Zwecke sowie die voraussichtliche begrenzte Haltbarkeit der Verschraubung haben bei der Beurteilung der Tarifierung außer Betracht zu bleiben. Denn diese Umstände vermögen nichts daran zu ändern, dass eine Verschraubung - wenn man es nur will - auch allgemein vorgenommen werden kann.
Für eine einheitliche Tarifierung von Schrauben - sei es aus Metall, sei es aus Kunststoff - spricht zudem der Umstand, dass hierdurch mögliche Streitereien um den konkreten Einsatz- und Verwendungsmöglichkeiten bei Spezialschrauben vermieden werden kann. Wie der BFH (a.a.O.) hierzu erkannt hat, ist gerade dies tieferer Sinn und Zweck der zolltarifrechtlichen Regelung, die es gebietet, alle Schrauben einheitlich als Schrauben zu behandeln und sie unabhängig von ihrer konkreten Verwendung dem jeweiligen Kapitel zuzuweisen. Der Senat sieht die aufgeworfene Rechtsfrage im Hinblick auf den BFH-Beschluss VII B 181/99 (a.a.O.) als eindeutig geklärt an, so dass ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH nicht in Betracht kommt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nicht zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO).