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  • 13.08.2014 · IWW-Abrufnummer 142408

    Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 25.11.2013 – 5 U 164/12

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberlandesgericht Köln

    5 U 164/12

    Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 12.11.2012 – 9 O 203/11 – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

    Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.000,- EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.01.2011 zu zahlen.

    Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materielle Schäden zu ersetzen, die ihr infolge der Behandlung vom 14.08.2007 entstanden sind und noch entstehen werden.

    Der Beklagte wird verurteilt, an die I AG zu Schadens-Nr. 11-01-xxx/02xxxx-x-xx1xxx einen Betrag von 402,82 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.01.2011 zu zahlen.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 75 % und der Beklagte zu 25 %. Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen die Klägerin zu 55 % und der Beklagte zu 45 %.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    G r ü n d e

    I.

    Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

    II.

    Die Berufung, mit der die Klägerin ihre Ansprüche nicht mehr wegen des Vorwurfs von Behandlungsfehlern, sondern allein wegen behaupteter Aufklärungsfehler weiter verfolgt, ist teilweise begründet.

    1)

    Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld gemäß §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB. Der Eingriff vom 14.08.2007, bei dem Knochenmaterial aus dem linken Unterkiefer zum Aufbau des Knochens im Oberkiefer entnommen wurde, war rechtswidrig. Die Einwilligung der Klägerin war unwirksam, weil der Beklagte sie nicht ausreichend über Behandlungsalternativen und Risiken des Eingriffs aufgeklärt hat.

    a) Der Beklagte hat den ihm obliegenden Beweis einer umfassenden Aufklärung über Behandlungsalternativen nicht geführt.

    Der Beklagte war verpflichtet, die Klägerin über alternative Methoden der Knochenentnahme aufzuklären. Der Sachverständige Prof. Dr. K hat eine Aufklärung über die Möglichkeit einer Knochenentnahme aus dem Beckenkamm aus medizinischer Sicht für geboten erachtet. Er hat ausgeführt, bei der Entnahme aus dem Unterkiefer und aus dem Beckenkamm habe es sich um zwei unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten gehandelt, die mit unterschiedlichen Risiken behaftet gewesen seien. Bei einer Knochenentnahme aus dem Beckenkamm bestünden grundsätzlich Gefahren für Baucheingeweide, Durchblutung, Motorik und Sensibilität des Beines. Ferner könnten postoperative Schmerzen auftreten, die eine Gangschule notwendig machten. Demgegenüber bestehe bei einer Entnahme von Knochen aus dem Unterkiefer unter anderem das Risiko einer Verletzung und Beeinträchtigung des Nervus alveolaris inferior, was zu einer Gefühlsstörung oder Taubheit im Bereich des Unterkiefers führen könne. Der Sachverständige hat beide Methoden mit ihren unterschiedlichen Vor- und Nachteilen für gleichwertig bezeichnet. In der Situation der Klägerin sei keine der beiden Alternativen vorzugswürdig gewesen. Die Ausführungen des Sachverständigen sind nachvollziehbar und überzeugen auch insoweit, als er eine Aufklärungspflicht des Beklagten angenommen hat. Aufgrund der ganz unterschiedlichen Bereiche der Knochenentnahme und den damit verbundenen, unterschiedlichen Risiken musste die Klägerin über die verschiedenen Möglichkeiten informiert werden. Auch der Beklagte selbst hat die Pflicht zur Aufklärung über alternative Möglichkeiten der Knochenentnahme nicht in Abrede gestellt, sie vielmehr selbst im Rahmen seiner persönlichen Anhörung in erster Instanz als geboten bezeichnet.

    Nach Anhörung der Parteien und Vernehmung der von dem Beklagten benannten Zeugin C hat der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen können, dass der Beklagte die Klägerin über die Möglichkeit einer Knochenentnahme aus dem Beckenkamm aufgeklärt hat. Der Beklagte hat im Rahmen seiner persönlichen Anhörung angegeben, er erkläre seinen Patienten im Falle der Notwendigkeit einer Knochenentnahme regelmäßig, wo eine solche erfolgen könne, wobei er typischerweise drei Regionen nenne, nämlich das Kinn, die Weisheitszahnregion und die Beckenkammregion. Die Beckenkammregion halte er jedoch für zu komplikationsreich und nur sinnvoll im Falle der Entnahme größerer Mengen von Knochenmaterial. Die Entnahme größerer Knochenmengen sei bei der Klägerin jedoch nicht nötig gewesen. Der Beklagte hat ferner ausgeführt, er habe die Klägerin, auch wenn bei ihr nichts für eine Beckenkammentnahme gesprochen habe, standardmäßig auf diese Möglichkeit hingewiesen. Den Schilderungen des Beklagten stehen die nicht unglaubhaften Angaben der Klägerin entgegen, sie sei über eine Knochenentnahme aus dem Beckenkamm nicht hingewiesen worden und hätte im Falle der Aufklärung eine solche in jedem Fall vorgezogen, da sie aufgrund ihrer beruflichen Ausbildung bereits zum damaligen Zeitpunkt gewusst habe, dass im Bereich des Unterkiefers Nerven verliefen und sie Angst vor einer Nervverletzung im Bereich des Gesichtes gehabt habe.

    Eine Aufklärung über die Möglichkeit der Knochenentnahme aus dem Beckenkamm hält der Senat auch nicht aufgrund der Aussage der Zeugin C für erwiesen. Die Zeugin hat bekundet, sie sei lediglich bei dem Erstgespräch am 26.04.2007 zugegen gewesen. Soweit in der Patientenkartei unter diesem Datum „Ausführliche Implantat- und Augmentationsberatung“ vermerkt sei, gehe sie davon aus, dass dann auch eine Aufklärung über die Knochenentnahme aus dem Beckenkamm vorgenommen worden sei, da dies in der Regel so geschehe. Eine konkrete Erinnerung an das Aufklärungsgespräch hatte die Zeugin jedoch nicht. Sie wollte daher auch nicht mit Sicherheit bestätigen, dass im Falle der Klägerin über die Alternative „Beckenkamm“ gesprochen wurde. Die Zeugin C hat – wie der Beklagte im Übrigen auch - deutlich gemacht, dass aus ihrer Sicht die Entnahme aus dem Beckenkamm allenfalls eine theoretische, nicht aber eine praktisch ernsthaft in Betracht kommende Möglichkeit war. Eine Entnahme aus dem Beckenkamm wäre in der Praxis des Beklagten auch nicht durchgeführt worden. Die Klägerin hätte im Falle einer Entscheidung für die Entnahme aus dem Beckenkamm also an einen anderen Arzt oder ein Krankenhaus verwiesen werden müssen. Diese Umstände lassen es als nicht fernliegend erscheinen, dass die Klägerin über die von dem Beklagten als nicht ernsthaft in Betracht gezogene Alternative „Beckenkamm“ nicht aufgeklärt worden ist. Jedenfalls bleiben für den Senat so viele Zweifel, dass der Beweis einer umfassenden Aufklärung nicht gelungen ist.

    b) Ebenfalls für nicht erwiesen hält es der Senat, dass die Klägerin über das Risiko einer Nervverletzung aufgeklärt worden ist.

    Die von der Klägerin am 31.05.2007 unterzeichnete „OP-Einwilligungsklärung“ enthält keinen Hinweis auf eine derartige Aufklärung. Dort ist bei den in Betracht kommenden Risiken der Operation lediglich „Entzündung der Wundregion, Nachblutung, Wundheilungsstörungen, Schwellung, Hämatom“ angekreuzt. Die ebenfalls formularmäßig erwähnten Risiken „Nervverletzung“ und „Gefühlsstörung (Taubheit)“ sind nicht angekreuzt. Soweit in der elektronischen Karteikarte unter dem 31.05.2007 eine Aufklärung über das Risiko einer Nervverletzung vermerkt ist (im Wortlaut: „Es wurde noch mal ausführlich über die Indikation, die Alternativen der vorgesehenen Maßnahme gesprochen, Hinweis, dass der transpantierte Knochen bei einer Infektion nicht einheilen kann und abgestoßen werden kann, wodurch die Maßnahme wiederholt werden müsste. Die Entnahme des Knochen kann mit einer Infektion und durch den dort langlaufenden N. alv. inf. zu Gefühlsstörungen führen. Die Entnahme findet oberhalb des Nerven statt, daher besteht ein theoretisches aber nicht hohes Risiko einer Nervbeeinträchtigung.“), hat der Senat – wie bereits in der mündlichen Verhandlung erörtert – erhebliche Zweifel, ob der Vermerk die tatsächlich erfolgte Aufklärung wiedergibt. Es besteht vielmehr der Verdacht, dass diese, die Risikoaufklärung betreffende Dokumentation erst im Nachhinein erstellt worden ist. Die außergewöhnlich detaillierte Beschreibung des Aufklärungsinhaltes passt nicht zur ansonsten recht knapp gehaltenen Dokumentation und lässt insbesondere bei der Formulierung „ ... durch den dort langlaufenden N. alv. inf. zu Gefühlsstörungen führen. Die Entnahme findet oberhalb des Nervens statt, daher besteht ein theoretisches aber nicht hohes Risiko einer Nervbeeinträchtigung“ vermuten, dass die Dokumentation den klägerseits erhobenen Vorwürfen angepasst worden ist. Für die Dokumentation hätte es durchaus ausgereicht, lediglich eine erfolgte Aufklärung über die Gefahr von Nervverletzung zu erwähnen. Es erschließt sich dem Senat nicht und konnte vom Beklagten auch auf entsprechenden Vorhalt nicht überzeugend dargelegt werden, warum bei ansonsten knapp gehaltener Dokumentation an dieser Stelle so ausführlich das Risiko einer Nervverletzung beschrieben wurde. Es bestand auch technisch die Möglichkeit, die Eintragungen in der elektronisch geführten Karteikarte nachträglich zu ändern. Eine Software, die eine Abänderung oder Ergänzung von Daten ausschließt, nutzt der Beklagten nach Aussage der Zeugin C nicht. Sie hat bekundet, das in der Praxis des Beklagten genutzte EDV-Programm ermögliche es, in der Karteikarte nachträglich Ergänzung vorzunehmen.

    Bestehen Zweifel daran, ob die Eintragungen unter dem 31.05.2007 nicht nachträglich erstellt worden sind, kann auch den Eintragungen unter dem 03.08.2007 („Es können … Gefühlsstörungen auftreten“), keine entscheidende Indizwirkung mehr zukommen.

    Soweit die Zeugin C, die lediglich bei dem Erstgespräch am 26.04.2007 dabei war und auch an dieses Gespräch keine konkrete Erinnerung mehr hatte, unter Bezugnahme auf die Eintragungen in der Karteikarte („Ausführliche Implantat- und Augmentationsberatung einschließlich ... und Risiken ...“) bekundet hat, sie gehe davon aus, dass die Klägerin über das Risiko von Nervverletzungen aufgeklärt worden sei, da dies regelmäßig so geschehe, reicht diese Aussage vor dem Hintergrund bestehender Zweifel an der Richtigkeit der Dokumentation in der Karteikarte und den in der „OP-Einwilligung“ nicht angekreuzten Risiken „Nervverletzung“ und „Gefühlsstörungen (Taubheit)“, zur Bildung einer sicheren Überzeugung des Senates nicht aus.

    c) Die Frage der ordnungsgemäßen Aufklärung konnte entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung nicht dahinstehen, weil auf den Einwand des Beklagten von einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin auszugehen wäre. Die Klägerin hat plausibel gemacht, dass sie sich bei umfassender Aufklärung in einem ernstzunehmenden Entscheidungskonflikt befunden hätte.

    Der Einwand der hypothetischen Einwilligung, der um missbräuchlichem Vorbringen fehlerhafter Aufklärung zu begegnen, grundsätzlich beachtlich ist, unterliegt strengen Anforderungen (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 6. Auflage 2009, C IV. 137). Der Arzt muss darlegen und beweisen, dass der Patient bei rechtzeitiger ordnungsgemäßer Aufklärung in die identische Operation eingewilligt hätte. Der Einwand der hypothetischen Einwilligung ist dem Arzt abgeschnitten, wenn sich der Patient bei ordentlicher Aufklärung in einem plausibel zu machenden Entscheidungskonflikt befunden hätte, insbesondere wenn er ernsthaft vor der Frage der Erteilung einer Einwilligung gestanden hätte (BGH NJW 1994, 3009, 3011; NJW 2007, 217, 219; OLG Köln VersR 2009, 1119, 1120). An die Substanziierung der Darlegung eines solchen Entscheidungskonfliktes dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (BGH NJW 2003, 2012 ff). Für die Bewertung eines behaupteten Konfliktes als plausibel oder nicht, kommt es nicht entscheidend an, wie sich ein „vernünftiger“ Patient verhalten hätte. Maßgebend ist allein die Situation des konkreten Patienten, dem ein persönlicher Entscheidungsspielraum verbleibt. Auf die Frage, wie der Patient sich konkret entschieden hätte, kommt es ebenfalls nicht an (BGH NJW 1991, 1543, 1544; NJW 1994, 2414, 2415).

    Von diesen Grundsätzen ausgehend hätte das Landgericht den Vortrag der Klägerin zu einem Entscheidungskonflikt nicht als unplausibel bewerten dürfen. Die Klägerin hätte bei ordnungsgemäßer Behandlungsaufklärung vor der Frage gestanden, ob sie einer Knochenentnahme aus dem Unterkiefer oder aus dem Beckenkamm oder aus einem anderen Bereich zustimmte. Der Sachverständige Prof. Dr. K hat im Rahmen seiner mündlichen Anhörung ausgeführt, es handele sich bei den hier in Frage stehenden Knochenentnahmen aus dem Unterkiefer und dem Beckenkamm um grundsätzlich gleichwertige Behandlungsmethoden. In der hier vorliegenden Situation einer Knochenentnahme zum Aufbau des Oberkiefers, bei dem nur wenig Knochenmaterial benötigt werde, sei keine der Behandlungsmethoden vorzugswürdig. Hinsichtlich der zu beachtenden Risiken hat der Sachverständige in Bezug auf die Knochenentnahme aus dem Beckenkamm auf Gefahren für Baucheingeweide, Durchblutung, Motorik und Sensibilität des Beines, auf postoperative Schmerzen, die eine Gangschule notwendig machen und auf die Gefahr von Beckenfrakturen bei vorgeschädigten Knochen (z.B. Osteoporose) hingewiesen. Demgegenüber bestehe bei einer Knochenentnahme aus dem Unterkiefer das – sich hier realisiert habende - Risiko einer Verletzung oder einer Beeinträchtigung des Nervus alveolaris inferior, was zu einer Taubheit bzw. Gefühlsstörung im Bereich des Unterkiefers führen könne. Die Klägerin hat bereits in erster Instanz schriftsätzlich mehrfach vorgetragen, sie habe aufgrund eigener anatomischer Kenntnisse – sie selbst ist gelernte Krankenschwester und promovierte Psychologin – Bedenken gegen die Knochenentnahme aus dem Unterkiefer gehabt, da sie gewusst habe, dass in diesem Bereich viele Nerven und Gefäße zusammenliefen. Aus diesem Grunde habe sie den Beklagten auch nach Alternativen gefragt. Ihre Bedenken habe der Beklagte mit der Bemerkung, die Entnahme aus dem Unterkiefer sei die Sicherste und völlig problemlos, weggewischt. Dass sich die Klägerin bei einer Aufklärung über die unterschiedlichen Risiken zweier gleichwertiger Behandlungsmethoden, von denen aus medizinischer Sicht keine vorzugswürdig gewesen wäre, in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte, war schon nach Aktenlage nicht von der Hand zu weisen und ist von der Klägerin im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung überzeugend dargestellt worden. Abzuwägen gewesen wären für die Klägerin die Risiken beider Operationen, welche in etwa gleich hoch zu bewerten waren, die auf unterschiedliche Regionen des Körpers bezogen waren und die in dem einen Fall in der Gefahr einer Nervverletzung, Gefühlsstörung und Taubheit im Bereich des Unterkiefers und in dem anderen Fall in einer Gefahr für Baucheingeweide und für den Bereich des Beines bestanden hätte. Die Klägerin stand nicht vor der Frage, ob sie den Eingriff gar nicht vornehmen lassen würde, sondern vor der Frage, welche der beiden Möglichkeiten der Knochenentnahme sie wählen sollte. Die Klägerin hat dem Senat nachvollziehbar und durch ihre persönliches Auftreten überzeugend geschildert, dass sie besonderen Wert auf eine gute Optik gelegt hat und auch heute noch legt, und dass sie sich auch zum damaligen Zeitpunkt eher für die Knochenentnahme aus dem Beckenkamm entscheiden hätte. Jedenfalls für plausibel hält es der Senat aber, dass sich die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte, was der Annahme einer hypothetischen Einwilligung entgegen steht.

    d) Die Klägerin kann für die mit dem Eingriff vom 14.08.2007 verbundenen Schmerzen und Folgeschäden gemäß § 253 Abs. 2 BGB eine billige Entschädigung in Geld verlangen. Zu berücksichtigen sind der Eingriff als solcher mit den damit verbundenen Schmerzen, die allerdings den bei einer Knochenentnahme aus dem Beckenkamm voraussichtlich erlittenen Schmerzen gegenüber zu stellen sind.

    Als auf dem Eingriff zurückzuführender (Sekundär-)Schaden hält der Senat in Anwendung des § 287 ZPO zwar keine Taubheit, jedenfalls aber eine Gefühlsstörung und -minderung im Bereich der linken unteren Gesichtshälfte einschließlich Kinn und Lippe für überwiegend wahrscheinlich. Der Sachverständige Prof. Dr. K hat nach Untersuchung der Klägerin an objektiven Befunden ein im Seitenvergleich abgeschwächtes sog. Spitz-stumpf-Diskriminationsvermögen im Bereich des Nervus alveolaris inferior links und des Nervus lingualis links festgestellt. Die Klägerin habe ohne Probleme sprechen können und es habe sich kein Einbeißen in die Wange oder auf die Zunge oder Unterlippe links gezeigt. Ebenfalls nicht gezeigt habe sich ein Speichelfluss aus dem linken Mundwinkel beim Reden (vgl. Seite 12 des Gutachtens vom 23.05.2012, Bl. 172 d.A.). Der Sachverständige hat ferner im Rahmen seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht ausgeführt, er gehe davon aus, dass eine Gefühlsminderung in einem Streifen der Lippe links in einer Breite von 25 mm vorliege und diese auf den operativen Eingriff vom 14.08.2007 zurückzuführen sei. Auf diese Ausführungen des Sachverständigen sich stützend hat der Senat keine durchgreifenden Zweifel, dass die Klägerin unter einer Gefühlsminderung im Bereich der linken Gesichtshälfte leidet und diese auf den Eingriff durch den Beklagten zurückzuführen ist. Soweit der Beklagte eingewandt hat, die Klägerin habe ihm gegenüber entsprechende Beeinträchtigungen nicht erwähnt, was gegen die Richtigkeit ihres Vortrages spreche und sich hierzu auf die Eintragungen in der elektronischen Patientenkarteikarte bezogen hat, ist eben diese Karteikarte – wie bereits ausgeführt - wegen ihrer zweifelhaften Eintragungen zum Aufklärungsinhalt nicht geeignet, Bedenken gegen die Richtigkeit der Schilderungen der Klägerin und die Ausführungen des Sachverständigen zu begründen.

    Als nicht überwiegend wahrscheinlich sieht es der Senat hingegen an, dass die Klägerin als Folge des Eingriffs eine Minderung ihres Geschmackssinnes erlitten hat. Ein in der Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde der Universität C3 durchgeführter Test hat zwar nach dem ärztlichen Bericht von Prof. Dr. Dr. C2 vom 17.12.2010 ergeben, dass die Klägerin weder rechts noch links salzig und sauer schmecken kann. Ferner konnte die Geschmacksqualität süß rechts nur mit Einschränkungen und links gar nicht wahrgenommen werden, während die Geschmacksqualität bitter auf beiden Seiten nachweisbar war. Der Sachverständige Prof. Dr. K hat hierzu ausgeführt, es sei zwar nicht auszuschließen, dass der Nervus alveolaris inferior und der Nervus lingualis zum Beispiel durch einen Hakenzug oder Manipulation am Knochen insgesamt eine diskrete Affektion erlitten habe (Seite 15 des Gutachtens vom 23.05.2012, Bl. 175 d.A.), eine Verletzung des Nervus lingualis schließe er jedoch aus. Geschmacksdefizite waren für den Sachverständigen danach nicht feststellbar (vgl. mündliche Anhörung des Sachverständigen vom 17.09.2012, Bl. 253 f d.A.). Weitere Feststellungen zu der Frage, wie ausgeprägt der Geschmackssinn der Klägerin vor dem Eingriff war und wie er sich in den immerhin über drei Jahren zwischen dem Eingriff am linken Unterkiefer und der ärztlichen Untersuchung in der Uniklinik C3 möglicherweise entwickelt hat, sind heute nicht mehr möglich. Der Senat hält es daher auch unter Berücksichtigung der nach § 287 ZPO reduzierten Anforderungen an die Überzeugungsbildung für nicht erwiesen, dass die geklagten Geschmacksdefizite auf den Eingriff vom 14.08.2007 zurückzuführen sind.

    Als weitere Schadensfolge steht ein, wenn auch möglicherweise nicht objektiv vorliegender, jedenfalls von der Klägerin zumindest subjektiv empfundener, erhöhter Speichelfluss fest. Ein entsprechend subjektives Empfinden hat der Sachverständige Prof. Dr. K im Hinblick auf die bei der Klägerin vorliegende Gefühlsminderung im Bereich des linken Unterkiefers für durchaus möglich gehalten. Es ist für den Senat auch ohne Weiteres einsichtig, dass in dem gefühlsgeminderten Bereich des linken Unterkiefers auch die Wahrnehmung der Speichelmenge gestört ist und der Eindruck entsteht, es laufe übermäßig Speichel.

    Schließlich steht als Folgeschaden die bei der Klägerin auch für den Senat erkennbar gewordene, leichte Asymmetrie des Gesichtes fest. Dass die Asymmetrie durch die im Zusammenhang mit dem von der Klägerin empfundenen, erhöhten Speichelfluss verabreichten Botolinumtoxininjektionen verursacht wurde, unterbricht den Zurechnungszusammenhang nicht. Die Klägerin hat sich auf Empfehlung der Uniklinik C3 diesen Behandlungen unterzogen (vgl. Ambulanzbrief der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums C3 vom 02.09.2010, Bl. 135 f d.A.). Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Empfehlung dieser Therapiemaßnahmen auf einem groben Behandlungsfehler beruht. Da die Asymmetrie auf die Behandlung mit Botolinumtoxin zurückzuführen ist und die Behandlung zur Verminderung des subjektiv empfundenen erhöhten Speichelflusses erfolgt, sind die Folgeschäden jedoch nur alternativ im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen.

    Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 12.11.2013 angeregt hat, ein neurologisches Gutachten „zur Feststellung des Grades der Nervverletzung“ einzuholen, hält der Senat dies nicht für geboten. Entscheidend für die Bemessung des Schmerzensgeldes ist, wie und in welcher Intensität sich die Verletzung des Nerves bei der Klägerin auswirkt. Hierzu hat die Klägerin vorgetragen und der Sachverständige Prof. Dr. K Stellung genommen.

    Soweit die Klägerin schmerzensgelderhöhend geltend gemacht hat, ihr sei in den frisch operierten Oberkiefer eine Spritze mit dem Medikament Novalgin verabreicht worden, hat sie ihre vom Beklagten bestrittene Behauptung nicht bewiesen. Der erstmals in der Berufungsinstanz erfolgte Beweisantritt „Parteivernehmung des Beklagten“ stellt nach § 531 Abs. 1 ZPO nicht zulassungsfähiges Vorbringen dar und war daher nicht mehr zu berücksichtigen.

    Unter Berücksichtung der durch den Eingriff erlittenen Schmerzen und den dadurch bedingten Folgeschäden (Gefühlsminderungen im Bereich der linken Unterlippe, subjektiv empfundener erhöhter Speichelfluss oder Asymmetrie des Gesichtes) hält der Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.000,- EUR auch unter Berücksichtigung in etwa vergleichbarer Fälle für angemessen und ausreichend.

    Der zuerkannte Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.

    2)

    Der Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für materielle Folgeschäden ist zulässig und begründet.

    Der Klageantrag, mit dem die Klägerin die Feststellung hinsichtlich „sämtlicher Folgeschäden“ verlangt, ist unter Würdigung ihres Vortrages in der Replik (vgl. Seite 2 des Schriftsatzes ihrer früheren Prozessbevollmächtigten, Bl. 88 d.A.) dahingehend auszulegen, dass die Feststellung einer Ersatzpflicht des Beklagten ausschließlich in Bezug auf materielle Schäden begehrt wird.

    Die Klägerin hat ein Interesse an der Feststellung der Ersatzpflicht für materielle Schäden. Die Entstehung eines Schadens in der Zukunft ist möglich, aber noch nicht vollständig gewiss und der Schaden kann noch nicht abschließend beziffert werden. Hinsichtlich der materiellen Schäden, die der Klägerin durch eine Botolinumtoxin-Therapie bereits entstanden sind, ist die Klägerin nicht gehalten, schon bezifferbare Ansprüche im Wege der Leistungsklage zu erheben. Sie kann insgesamt die Feststellung der Ersatzpflicht für bereits entstandene und noch entstehende Schäden verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 08.07.2003, Az. VI ZR 304/02).

    Die Klage ist auch begründet, denn der Beklagte haftet aus den unter Ziff. 1) dargelegten Gründen für den rechtswidrigen Eingriff vom 14.08.2007.

    3)

    Die Klägerin kann Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 402,82 EUR an ihre Rechtsschutzversicherung verlangen. Der Gebührenanspruch errechnet sich bei einer 1,3 Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 4.000,- EUR zuzüglich Telekommunikationspauschale und Mehrwertsteuer.

    Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

    Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die entscheidungserheblichen Fragen sind ausschließlich solche des Einzelfalls.

    Streitwert in erster Instanz: 35.000,- EUR

    Streitwert in zweiter Instanz: 20.000,- EUR

    RechtsgebietBGBVorschriften§ 823 Abs. 1 BGB