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  • · Fachbeitrag · Kostenerstattung

    Darf der Sachbearbeiter über die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung entscheiden?

    von Christine Baumeister-Henning, Haltern am See

    | Im aktuellen Fall geht es um das Verhalten privater Kostenerstatter, die die medizinische Notwendigkeit einer Implantatversorgung anzweifeln. Zunächst wird der Fall vorgestellt, anschließend die Reaktion und die Antwort der betroffenen Praxis an den Patienten. |

    Der Fall

    Ein Patient weist den folgenden Befund auf:

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    Der Zahnarzt plant Kronen und Teilkronen. Die fehlenden Zähne 16, 36 und 46 sollen durch Implantate ersetzt werden. Der Patient erhält einen Heil- und Kostenplan und legt ihn seiner (Zusatz-)Versicherung vor. Diese behauptet jedoch: „Für eine Implantatsetzung regio 16, 36 und 46 sehen wir keine medizinische Notwendigkeit, da unseres Erachtens eine Kronen- und Brückenversorgung möglich ist.“ Diese Aussage trifft offensichtlich der Sachbearbeiter, denn in der gesamten Korrespondenz zeigt sich kein Hinweis darauf, dass ein beratender Zahnarzt hinzugezogen wurde.

     

    Grundsätzlich gilt: Da fehlende Zähne eine Krankheit darstellen, besteht eine medizinische Notwendigkeit, diese zu ersetzen. Die Versicherung ist daher zur Leistung verpflichtet, solange sich aus dem abgeschlossenen Tarif keine Einschränkung ergibt. Im vorliegenden Fall muss also die Versicherung den Beweis führen, dass sie zu Recht die Kostenübernahme verweigert.

     

    Die Rechtsprechung zur „medizinischen Notwendigkeit” ist eindeutig. Danach gilt eine Behandlung dann als „medizinisch notwendig”, (...) „wenn es nach den damaligen objektiven medizinischen Befunden vertretbar war, sie als notwendig anzusehen ...“ (Bundesgerichtshof, 29. November 1978, Az. IV ZR 175/77, Abruf-Nr. 133332). Das bedeutet, dass eine Behandlung, die der Zahnarzt durchführt, geeignet sein muss, die Erkrankung zu lindern oder zu heilen. Implantatversorgungen sind nach dem heutigen Stand der Wissenschaft keine Luxusversorgungen mehr, sondern als „state oft the art“ zu bezeichnen (Landgericht Stuttgart im Urteil vom 7. November 2005, Az. 22 O 210/02). Ebenfalls das LG Stuttgart führt am 15. Juli 2002 (Az. 27 O 304/01) zu dieser Thematik aus, die Versicherung müsse entweder die implantologischen Leistungen aus ihrem Leistungskatalog streichen oder nur besonderen Tarifen vorbehalten oder sie müsse es grundsätzlich akzeptieren, dass auch die Zahnmedizin sich fortentwickelt und neue Methoden sich durchsetzen.

     

    Durch den Bundesgerichtshof wurde im Urteil vom 22. September 1987 (Az. VI ZR 238/86, Abruf-Nr. 133331) höchstrichterlich präzisiert: „Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist die Wahl der Behandlungsmethode primär Sache des Arztes. Gibt es indessen mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden, die unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen haben, besteht mithin eine echte Wahlmöglichkeit für den Patienten, dann muss diesem durch entsprechende vollständige ärztliche Belehrung die Entscheidung darüber überlassen bleiben, auf welchem Weg die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will.“

    Das Antwortschreiben an die Versicherung

    Da sich die Praxis in der Regel nicht selbst mit der Versicherung in Verbindung setzt, haben wir das folgende Schreiben für den Patienten verfasst (Das Schreiben können Sie unter pa.iww.de im Download-Bereich aufrufen.):

     

    • Musterschreiben

    Sehr geehrte Damen und Herren,

     

    nach vollständiger Diagnostik hat mein Zahnarzt ... meine weitere Behandlung geplant. Für das weitere Vorgehen hat er einen Therapieplan erstellt, der Ihnen bereits vorliegt. Unter anderem sind in den Regionen 16, 36 und 46 Implantatsetzungen vorgesehen. Mit Schreiben vom ... teilen Sie mir mit, dass Sie sich an den Kosten für die Implantatsetzungen nicht beteiligen wollen. Sie behaupten, die geplanten Implantate seien nicht notwendig. Die Bestimmung der medizinischen Notwendigkeit ist eine zahnärztliche Leistung. Nach § 1 Abs. 3 des Zahnheilkundegesetzes ist die Ausübung der Zahnheilkunde die berufsmäßige, auf zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnisse gegründete Feststellung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten. Darüber hinaus betont § 1 Abs. 1 Zahnheilkundegesetz Folgendes: „Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes die Zahnheilkunde dauernd ausüben will, bedarf einer Approbation als Zahnarzt nach Maßgabe dieses Gesetzes.“

     

    Der Bundesgerichtshof hat am 12. März 2003 (Az. IV ZR 278/01) entschieden, eine Heilbehandlungsmaßnahme sei medizinisch notwendig, wenn es nach objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Das sei im Allgemeinen dann der Fall, wenn eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen oder zu lindern. Solange die Musterbedingungen der privaten Krankenversicherung den Passus „medizinisch notwendige Heilbehandlung“ enthalten, hat der Versicherer - in diesem Fall die HUK-Coburg - keine Beschränkung seiner Leistungspflicht auf eine preisgünstigere Behandlung erklärt. Die Notwendigkeit einer Heilbehandlung sei allein aus medizinischer Sicht zu beurteilen. Nur bei medizinisch nicht notwendigen Maßnahmen entfalle die Erstattungspflicht. So jedenfalls sieht es unsere höchste Gerichtsinstanz.

     

    Ein Blick in den von mir abgeschlossenen Tarif belegt: Nach § 4 I k (Zahnersatz, Kieferorthopädie) gelten als Zahnersatz prothetische und implantologische Leistungen. Mit keinem Wort wird im Tarif darauf hingewiesen, dass ich bei verschiedenen Alternativen gezwungen bin, mich für eine kostengünstige Lösung zu entscheiden bzw. dass sich die Erstattung in diesem Fall auf die jeweils kostengünstigste Versorgung beschränkt.

     

    Wenn Sie nun Ihre Leistungspflicht einschränken wollen, sind Sie darlegungs- und beweispflichtig, dass das Maß der medizinischen Notwendigkeit überschritten ist (Bundesgerichtshof vom 29. Mai 1991, Az. IV ZR 15.11.1991). Der Bundesgerichtshof hat am 29. November 1978 (Az. IV ZR 175/77) auch entschieden, dass die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einem neutralen Sachverständigen obliegt. Für Sie bedeutet dies nach meinem Dafürhalten: Wenn Sie an Ihrer Behauptung festhalten wollen, dann sollten Sie einen neutralen unabhängigen Sachverständigen beauftragen, der dies prüft. Allerdings kann ich die Stellungnahme eines von Ihnen beauftragten beratenden Zahnarztes nicht als unabhängige und objektive Begutachtung anerkennen. Ich empfehle daher die Beauftragung eines durch die zuständige Zahnärztekammer benannten Gutachters.

     

    Mit freundlichen Grüßen

    Quelle: Ausgabe 11 / 2013 | Seite 9 | ID 42344558