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  • 01.07.2005 | Musterschreiben an private Kostenerstatter

    Behauptung, bestimmte Ziffern seien wegen des „Zielleistungsprinzips“ nicht berechenbar

    In letzter Zeit erreichen uns Anfragen, in denen Leser um Argumentationshilfe bei der Auseinandersetzung mit einer privaten Krankenversicherung bitten, die die Erstattung der Gebühren für bestimmte GOZ-Ziffern mit folgender Begründung ablehnt: Die Berechnung verstoße gegen das „Zielleistungsprinzip“. Die Versicherungen berufen sich dabei auf § 4 Abs. 2 GOZ, in dem es heißt: „Der Zahnarzt darf Gebühren nur für selbstständige zahnärztliche Leistungen berechnen. Für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, kann der Zahnarzt eine Gebühr nicht berechnen, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr berechnet.“ Um Ihnen die Erwiderung auf diesen haltlosen Einwand mit stichhaltigen Argumenten zu erleichtern, haben wir folgendes Musterschreiben verfasst, mit dem Sie Ihrem Patienten zu seinem Recht verhelfen können.  

     

     

    Sehr geehrte(r) Frau/Herr (Name des Sachbearbeiters),  

     

    Ihre Weigerung, die Gebühren für die GOZ-Nrn. … zu erstatten, weil deren Berechnung angeblich dem „Zielleistungsprinzip“ widerspricht, entspringt offensichtlich einer gänzlich falschen Auslegung des § 4 Abs. 2 GOZ, den Sie zur Begründung anführen. Darin ist lediglich vorgeschrieben, dass der Zahnarzt keine Gebühren für Leistungen berechnen darf, die „Bestandteil oder besondere Ausführung“ einer anderen Leistung sind. Keinesfalls ist jedoch der Hinweis enthalten, dass er selbstständige zahnärztliche Maßnahmen zu einer Art Komplex zusammenfassen muss, für den dann nur die abschließende Gebührenposition abrechenbar wäre. Von „Zielleistung“ oder „Leistungsziel“ ist in diesem Paragrafen nirgendwo die Rede.  

     

    Vergleicht man § 4 Abs. 2 GOZ mit der entsprechenden Bestimmung der GOÄ, so fällt auf, dass diese – in § 4 Abs. 2 (a) – folgende ergänzende Vorschrift enthält: „Dies gilt auch für die zur Erbringung der im Gebührenverzeichnis aufgeführten operativen Leistungen methodisch notwendigen operativen Einzelschritte.“ Einen solchen Passus hat der Verordnungsgeber in die GOZ bewusst nicht eingefügt, weil dieser das beabsichtigte System der Einzelleistungsvergütung untergraben würde. Unter Berufung auf eine derartige Bestimmung könnten Kostenerstatter die in den Gebührenziffern der GOZ beschriebenen Leistungen zu einigen wenigen Zielleistungspositionen zusammenfassen. So wäre es denkbar, einen Komplex „Wurzelbehandlung“ zu definieren, der sämtliche Maßnahmen wie die Trepanation eines Zahnes, die Vitalexstirpation, die Längenbestimmung, die Wurzelkanalaufbereitung, die medikamentöse Einlage und die abschließende Wurzelfüllung umfassen würde. Und genau das war eben nicht die Absicht des Verordnungsgebers!  

     

    Dass einzelne Maßnahmen und Arbeitsschritte unter separaten Gebührenpositionen beschrieben werden, ist deshalb überaus sinnvoll, weil sie vielfach in völlig unterschiedlichen Kombinationen zusammen erbracht und abgerechnet werden. Oft teilen sich Leistungskomplexe in obligatorische und fakultative Zusatzmaßnahmen auf, was im Hinblick auf die Qualität des Behandlungsziels auch durchaus sinnvoll ist. In derartigen Fällen ist eine bestimmte Leistung keinesfalls Bestandteil oder besondere Ausführungsform einer anderen.  

     

    Zu dieser Problematik hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem höchstinstanzlichen Urteil vom 21. September 1995 (Az: 2 C 33.94), in dem es um die Nebeneinanderberechnung der GOZ-Ziffern 236 (Vitalexstirpation) und 241 (Wurzelkanalaufbereitung) ging, explizit festgestellt: „Hätte der Verordnungsgeber die Berechnungsmöglichkeit in dem vorgetragenen eingeschränkten Sinne regeln wollen, so wäre es seine Sache gewesen, dies in der Verordnung erkennbar zum Ausdruck zu bringen“.  

     

    Und genau das ist bewusst nicht geschehen. Dafür enthält die GOZ in anderen Leistungsbereichen durchaus Vorschriften zur Komplexabrechnung. So findet sich zu den Gebührennummern 215 bis 217 (Inlays) sowie 220 bis 222 (Einzelkronen) folgende einschränkende Bestimmung: „Durch die Leistungen nach den Nummern 215 bis 217 und 220 bis 222 sind folgende zahnärztliche Leistungen abgegolten: Präparation des Zahnes oder Implantats, Relationsbestimmung, Abformungen, Einproben, provisorisches Eingliedern, festes Einfügen der Einlagefüllung oder Krone, Nachkontrolle und Korrekturen“.  

     

    Diese Vorschrift wäre ganz und gar entbehrlich, wenn – wie von Ihnen postuliert – bei der Abrechnung nach GOZ ohnehin ein prinzipielles „Zielleistungsprinzip“ zu beachten wäre. Vielmehr ist es ganz offensichtlich so, dass der Verordnungsgeber dort „Komplexgebühren“ eingeführt hat, wo dies aus zahnmedizinisch-wissenschaftlicher oder pragmatischer Sicht sinnvoll erscheint, während er auf anderen Gebieten bewusst der Einzelleistungsvergütung den Vorzug gegeben hat. Diese Auffassung hat der Bundesgerichtshof bereits im Jahre 1992 bestätigt, als er in seinem Urteil vom 13. Mai (Az: IV ZR 213/91) festgestellt hat, dass Leistungen mit eigener Gebührenziffer grundsätzlich vergütungsauslösend sein können. Das Bundesverwaltungsgericht hat derartige Nebeneinanderberechnungen am 27. Februar 1994 (Az: 2 C 27.92/93) ausdrücklich als beihilfefähig anerkannt.  

     

    Die Tatsache, dass nur Maßnahmen, die in der GOZ explizit unter einer Gebührennummer zusammengefasst werden – etwa die Konkremententfernung, Wurzelglättung und Gingivakürettage unter der Ziffer 407 – von einer gesonderten Berechnung ausgenommen sind, hat das Amtsgericht Iserlohn in seinem Urteil vom 1. März 1993 (Az: 40 C 758/92) folgendermaßen bestätigt: „Enthält das Gebührenverzeichnis keine ausdrückliche Regelung, ist regelmäßig davon auszugehen, dass jede im Gebührenverzeichnis enthaltene Gebühr neben jeder anderen berechnungsfähig ist.“  

     

    Abschließend möchte ich noch aus dem Urteil des Amtsgerichts Krefeld vom 30. November 1992 (Az: 7 C 449/92) zitieren, das dem von Ihnen als Begründung für die Verweigerung der Kostenerstattung ins Feld geführten „Zielleistungsprinzip“ eine eindeutige Absage erteilt: „Paragraph 4 Absatz 2 GOZ spricht nicht vom ‚Ziel‘ einer Behandlung, sondern vom Bestandteil der Behandlung. Dass das ‚Zielleistungsprinzip‘ keine tragfähige Begründung ist, ergibt sich einleuchtend aus folgender Überlegung: Je weiter und höher das Ziel der Behandlung festgesetzt würde, desto weniger Gebührentatbestände wären selbstständig abrechenbar. Abrechenbar wäre dann nur der letzte Behandlungsschritt. Dies kann aber nicht richtig sein.“  

     

    Sicherlich stimmen Sie mir zu, dass dieser Urteilsbegründung in ihrer Klarheit nichts hinzuzufügen ist, und gehe ich deshalb davon aus, dass Ihre Ablehnung der Kostenerstattung auf einer Fehl-interpretation der einschlägigen GOZ-Bestimmungen beruht.  

     

    Mit freundlichen Grüßen  

     

    Quelle: Ausgabe 07 / 2005 | Seite 7 | ID 88936