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  • · Fachbeitrag · Verfahrensrecht

    Auf Schätzungsbescheide richtig reagieren

    von Dipl.-Finw. (FH) Karl-Heinz Günther, Übach-Palenberg

    | Werden Steuererklärungen nicht eingereicht, werden die Besteuerungsgrundlagen regelmäßig zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt. Nun gilt es, auf den Schätzungsbescheid richtig zu reagieren. Der Beitrag zeigt u.a., wie das FA eine Schätzung durchführt und wie dagegen vorzugehen ist. |

    1. Problemstellung

    Das FA nimmt Steuerfestsetzungen regelmäßig auf der Grundlage der Besteuerungsgrundlagen vor, die der Steuerpflichtige in seiner Steuererklärung (§ 149 AO) angibt. Kommt er seiner Erklärungsverpflichtung jedoch nicht oder nur unzureichend nach, ist das FA unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen (§ 162 AO).

     

    Ein vom FA erlassener Schätzungsbescheid wird in der Regel durch den Steuerpflichtigen anfechtbar sein, weil geschätzte Besteuerungsgrundlagen schon aufgrund der vom FA vorgenommenen Sicherheitszuschläge nicht den tatsächlichen Besteuerungswerten entsprechen werden.

     

    PRAXISHINWEIS | Der Steuerpflichtige sollte daher in jedem Fall Einspruch einlegen, um den Steuerfall offenzuhalten und die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen durch Abgabe der Steuererklärung offenbaren. Steht der Schätzungsbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO), kann die Bescheidänderung auch noch nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist im Rahmen eines Änderungsantrags nach § 164 Abs. 2 AO erfolgen.

     

    Misslich ist die verfahrensrechtliche Situation jedoch immer dann, wenn das FA einen endgültigen Schätzungsbescheid erlassen hat und der Steuerpflichtige keinen Einspruch eingelegt hat. Ein möglicher Rettungsanker ist dann aber noch eine ggf. vorliegende Nichtigkeit des Bescheids (§ 125 AO).

    2. Allgemeine Grundsätze

    Besteuerungsgrundlagen sind nach § 162 AO zu schätzen, wenn sich der steuerrelevante Sachverhalt nicht ermitteln lässt. Dabei muss das FA, auch wenn der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nicht oder nicht hinreichend nachkommt, gleichwohl seine Ermittlungspflichten erfüllen. Die Verantwortlichkeit für die Sachaufklärung liegt daher grundsätzlich bei der Verwaltung.

     

    Ist das FA jedoch trotz Ausschöpfung seiner Ermittlungspflichten nicht in der Lage, den Sachverhalt zu ermitteln, verlagert sich das Beweisrisiko auf die Seite des Steuerpflichtigen. Kommt er seiner Mitwirkungspflicht nicht nach, hat er die Folgen aus den jeder Schätzung anhaftenden Unsicherheiten zu tragen (BFH 21.1.05, VIII B 163/03).

    3. Schätzungsbefugnis

    Besteuerungsgrundlagen sind immer dann von der Finanzbehörde im Schätzwege zu ermitteln, wenn der Steuerpflichtige im Besteuerungsverfahren seinen Mitwirkungs-, Aufzeichnungs- oder Nachweispflichten nicht oder nicht hinreichend nachkommt.

     

    § 162 Abs. 2 S. 1 AO bestimmt, dass insbesondere dann zu schätzen ist, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO verletzt. Der Steuerpflichtige, der zwar seine Steuererklärung abgibt, dort jedoch unvollständige, unverständliche oder unplausible Angaben macht, muss auf Nachfrage des FA bei der Aufklärung des besteuerungsrelevanten Sachverhalts mitwirken. Kommt er seiner Mitwirkungspflicht nicht nach, ist das FA zur Schätzung berechtigt.

    4. Durchführung der Schätzung

    Die Schätzung muss das Ziel haben, dem tatsächlichen Ergebnis möglichst nahe zu kommen. Dabei ist zunächst zwischen den Schätzungsarten Vollschätzung, Teilschätzung und Ergänzungsschätzung zu unterscheiden:

     

    • Die Vollschätzung umfasst alle Teile der Besteuerungsgrundlage einer bestimmten Steuer für einen konkreten Zeitraum, z.B. die Einkünfte bei der Einkommensteuer oder den Umsatz bei der Umsatzsteuer. Eine Vollschätzung ist nur zulässig, wenn die vorhandenen Unterlagen nicht geeignet sind, aus ihnen zumindest teilweise die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln.

     

    • Hinweis | Vollschätzungen erfolgen vor allem dann, wenn der Steuerpflichtige keine Steuererklärung abgibt und dem FA keine Erkenntnisse über die Höhe der erzielten Einkünfte oder den erzielten Umsatz vorliegen.

     

    • Bei einer Teilschätzung werden lediglich Teile der Bemessungsgrundlage geschätzt (z.B. Schätzung von Bareinnahmen bei festgestellten Kassenfehlbeträgen).

     

    • Eine Ergänzungsschätzung beschränkt sich auf einzelne Besteuerungsmerkmale. Hier werden z.B. die Nutzungsdauer eines abnutzbaren Wirtschaftsguts oder der private Anteil von im betrieblichen Bereich angefallenen Kosten (z.B. Pkw- oder Telefonkosten) geschätzt.

     

    PRAXISHINWEIS | Das FA greift bei Schätzungen insbesondere auf die Besteuerungsgrundlagen des Vorjahrs zurück. Häufig anzutreffen ist auch der Vergleich von betrieblichen Verhältnissen mit Daten anderer Betriebe in Form eines externen Betriebsvergleichs oder durch Anwendung der Richtsatzsammlungen. Daneben wird oftmals der innere Betriebsvergleich im Rahmen einer Nachkalkulation angewandt.

     

    Bei Betriebsprüfungen werden oftmals mathematische Verfahren eingesetzt. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass das Ergebnis eines Zeitreihenvergleichs nicht geeignet ist, die Beweiskraft einer formell ordnungsgemäßen Buchführung zu verwerfen (FG Köln 27.1.09, 6 K 3954/07). Auch Auffälligkeiten beim Chi-Quadrat-Test berechtigen nicht zur Schätzung eines höheren Umsatzes, wenn keine (weiteren) Mängel der Buchführung gegeben sind (FG Rheinland-Pfalz 24.8.11, 2 K 1277/10).

     

    Allerdings, so das FG Münster (10.11.03, 6 V 4562/03 E, U), kann der Verdacht unvollständiger, ggf. manipulierter Aufzeichnungen aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Kassenbuchführung durch einen Chi-Quadrat-Test erhärtet werden. Das Maß der Zuschätzungen kann dann durch einen Zeitreihenvergleich ermittelt werden.

     

    PRAXISHINWEIS | Zu der Frage, ob der Zeitreihenvergleich eine geeignete Verprobungs- und Schätzungsmethode ist, ist derzeit ein Verfahren vor dem BFH (X R 20/13) anhängig. Die weitere Entwicklung bleibt hier abzuwarten.

     

    5. Nichtigkeit von Schätzungsmaßnahmen

    Nach § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies zudem bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig ist. Ein schwerwiegender Fehler i.S. des § 125 Abs. 1 AO liegt vor, wenn die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt wurden, dass von niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (BFH 15.5.02, X R 33/99).

     

    Diese Voraussetzungen sind nur ausnahmsweise gegeben. Selbst grobe Schätzungsfehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen führen regelmäßig nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheids - und zwar selbst dann nicht, wenn sie auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen (BFH 15.5.02, a.a.O.).

     

    Beachten Sie | Das FA hat einen weiten Schätzungsrahmen. Der Sachverhalt darf aufgrund von Wahrscheinlichkeitserwägungen festgestellt werden und Behörde sowie Gericht können sich hinsichtlich nicht feststehender Tatsachen über gegebene Zweifel hinwegsetzen. Eine Schätzung, die den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt, wird daher grundsätzlich nur als rechtswidrig angesehen und muss angefochten werden, wenn sie nicht in Bestandskraft erwachsen soll.

     

    Anders verhält es sich jedoch dann, wenn das FA bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt. Weicht das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten ab und ist in keiner Weise erkennbar, dass überhaupt Schätzungserwägungen angestellt wurden, ist eine Nichtigkeit gegeben. Denn in einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass die Schät-zung nicht mehr mit der Rechtsordnung und den diese Ordnung tragenden Prinzipien in Einklang steht. Das FA ist nämlich grundsätzlich gehalten, diejenigen Erkenntnismittel auszuschöpfen, deren Beschaffung und Verwertung möglich und zumutbar gewesen wäre.

     

    Selbst wenn derartige Erkenntnismöglichkeiten sowie andere geeignete Anhaltspunkte fehlen, muss es Ziel der Schätzung sein, die Besteuerungsgrundlagen annähernd zutreffend zu ermitteln. Die Schätzung darf in keinem Fall dazu verwendet werden, die Steuererklärungspflichtverletzung zu sanktionieren und den Steuerpflichtigen zur Abgabe der Erklärungen anzuhalten. Strafschätzungen sind daher unzulässig und führen zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheids.

     

    In einer aktuellen Entscheidung hat das FG Köln (22.5.14, 11 K 3056/11) einem Schätzungsbescheid dessen Nichtigkeit attestiert, da die Schätzung des FA den zulässigen Schätzungsrahmen in einem dermaßen eklatanten Umfang verlassen hatte, dass sich schon aus diesem Grund der Verdacht einer unzulässigen Strafschätzung aufdrängte.

     

    Im Streitfall hatte das FA den vom Steuerpflichtigen nachträglich erklärten Umsatz im Umsatzsteuer-Schätzungsbescheid um nahezu das 25-Fache erhöht, ohne dass sich hierfür aus den Steuerakten sowie aus den Feststellungen der Steuerfahndung nur ansatzweise Anhaltspunkte ergeben hatten. Das FG kam zu dem Ergebnis, dass das FA die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt hatte, dass von niemandem erwartet werden kann, den so erlassenen Umsatzsteuerbescheid als verbindlich anzuerkennen.

     

    Hier erfolgte die Schätzung des FA nicht mit dem Ziel, den tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen nahe zu kommen, sondern vielmehr, um über die Steuerbelastung Druck auf den Steuerpflichtigen auszuüben und ihn für die Nichtabgabe der Steuererklärungen der Vorjahre und der Nichtabgabe der Gewinnermittlung zu sanktionieren.

     

    6. Verfahrensrechtliche Folgen

    Erlässt das FA einen Schätzungsbescheid, sollten in jedem Fall die nachfolgend dargestellten verfahrensrechtlichen Konsequenzen bedacht und beachtet werden.

     

    Schätzungsbescheide werden in der Regel unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) erlassen. Wird daher die Einspruchsfrist versäumt, kann noch die Änderung des in vollem Umfang offenen Schätzungsbescheids beantragt werden (§ 164 Abs. 2 AO). Allerdings kommt nur bei einem rechtzeitig eingelegten Einspruch eine Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO) in Betracht, nicht jedoch bei einem Änderungsantrag.

     

    Legt der Steuerpflichtige gegen einen Schätzungsbescheid Einspruch ein, kann ihn das FA mit der Setzung einer Ausschlussfrist zur Abgabe seiner Steuererklärung auffordern (§ 364b AO). Lässt er diese Frist verstreichen, bleiben nach Fristablauf eingereichte Steuererklärungen unberücksichtigt und das FA wird den Einspruch als unbegründet zurückweisen.

     

    PRAXISHINWEIS | Gleichwohl lohnt in diesen Fällen die Erhebung einer Klage, da das FG nach Fristablauf vorgebrachte Erklärungen und Beweismittel unter den Voraussetzungen des § 79b Abs. 3 FGO zulassen kann.

     

    Entsprechendes gilt, wenn das FG dem Steuerpflichtigen eine Ausschlussfrist nach § 79b Abs. 1 FGO zur Vorlage seiner Steuererklärung setzt und er die Erklärung erst nach Fristablauf einreicht.

     

    Ein ohne Vorbehalt der Nachprüfung erlassener Schätzungsbescheid sollte in jedem Fall innerhalb der Rechtsbehelfsfrist mit einem Einspruch angefochten und damit offengehalten werden. Erfolgt dies nicht und ist der Schätzungsbescheid auch nicht nichtig, erwächst die festgesetzte Steuer in Bestandskraft und muss entrichtet werden. Ein außerhalb der Rechtsbehelfsfrist eingereichter Änderungsantrag wird in der Regel ohne Erfolg bleiben, da sich aus der eingereichten Steuererklärung zwar regelmäßig neue Tatsachen i.S. von § 173 AO ergeben werden, die Änderungsvorschrift jedoch gleichwohl nicht zur Anwendung kommt. Die Nichtabgabe der Steuererklärung stellt nämlich ein grob schuldhaftes Verhalten des Steuerpflichtigen dar, sodass eine Bescheidänderung zugunsten des Steuerpflichtigen regelmäßig ausgeschlossen sein wird (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO).

     

    Anders ist die verfahrensrechtliche Ausgangslage, wenn ein Schätzungsbescheid nicht nur rechtswidrig, sondern auch nichtig i.S. des § 125 Abs. 1 AO und damit unwirksam ist (§ 124 Abs. 3 AO). Um zu verhindern, dass das FA aus dem nichtigen Bescheid Konsequenzen zieht (insbesondere die dort festgesetzte Steuer vollstreckt), kann der Steuerpflichtige einen Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit stellen (§ 125 Abs. 5 AO).

     

    Im finanzgerichtlichen Verfahren hat das FG eine eigene Schätzungsbefugnis (§ 96 Abs. 1 FGO). Bei der Überprüfung des Schätzungsergebnisses ist das Gericht nicht eingeschränkt, da die Schätzung keine Ermessensentscheidung ist. Das FG darf sich dazu auch anderer als vom FA angewandter Schätzungsmethoden bedienen.

     

    Im Revisionsverfahren darf der BFH dagegen nur überprüfen, ob die Schätzung zulässig war, d.h. ob

    • die Schätzung gegen Denkgesetze verstößt,
    • allgemeine Erfahrungssätze und anerkannte Schätzungsmethoden beachtet worden sind,
    • das FG seiner Sachaufklärungspflicht nachgekommen ist oder
    • sonstige Verfahrensfehler vorliegen.
    Quelle: Ausgabe 01 / 2015 | Seite 14 | ID 42965481

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