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  • · Fachbeitrag · Der praktische Fall

    Freibetrag und Tarifermäßigung bei einer zeitlich gestreckten Betriebsaufgabe

    von Prof. Dr. Alexander Kratzsch, Bünde

    | Bei einer Betriebsaufgabe sollen regelmäßig die Begünstigungen nach § 16 Abs. 4 EStG (Freibetrag) und nach § 34 Abs. 3 EStG (ermäßigter Steuersatz) genutzt werden. Problematisch ist dies, wenn der Zeitraum der Betriebsaufgabe länger als sechs Monate dauert. Nachfolgend wird gezeigt, ob die Begünstigungen hier gefährdet sind und welche Maßstäbe für die steuerliche Anerkennung gelten. |

    1. Sachverhalt

    Eine grundstücksverwaltende Personengesellschaft in der Rechtsform der GmbH & Co. KG beabsichtigt, den Betrieb aufzugeben. Das Sachanlagevermögen besteht aus zwei bebauten Grundstücken (wesentliche Betriebsgrundlagen) und Bankguthaben. Folgende Fragen sind zu klären:

     

    • 1. Der ermäßigte Steuersatz (§ 34 Abs. 3 EStG) soll in Anspruch genommen werden. Wird dieser Steuersatz auch bei einer Betriebsaufgabe mit zwei unterschiedlichen Erwerbern gewährt?
    • 2. In welchen zeitlichen Grenzen sollte der Verkauf der beiden Immobilien erledigt sein?

    2. Lösung

    2.1 Allgemeine Voraussetzungen für die steuerlichen Begünstigungen

    Der Unterschied zwischen einer Betriebsveräußerung nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG und einer Betriebsaufgabe nach § 16 Abs. 3 S. 1 EStG ist Folgender:

     

    • Bei der Betriebsveräußerung werden die wesentlichen Grundlagen des Betriebs an einen anderen zur Fortführung des Betriebs übertragen.

     

    • Hingegen werden die wesentlichen Wirtschaftsgüter bei der Betriebsaufgabe ‒ in relativ kurzer Zeit ‒ einzeln veräußert und/oder in das Privatvermögen überführt. Somit ist auch die Veräußerung an zwei verschiedene Erwerber begünstigt.

     

    MERKE | Nur die zusammengeballte Realisierung der stillen Reserven ist nach den §§ 16, 34 EStG begünstigt. Daran fehlt es, wenn sich die Einzelveräußerung oder Entnahme aller wesentlichen Grundlagen über einen längeren Zeitraum hinzieht.

     

    Erstreckt sich die Betriebsaufgabe z. B. über zwei Kalenderjahre und fällt der Aufgabegewinn daher in zwei Veranlagungszeiträumen an, ist der Freibetrag nur einmal zu gewähren. Er wird im Verhältnis der Gewinne auf beide Veranlagungszeiträume aufgeteilt; die Höhe bemisst sich nach dem Gesamtaufgabegewinn. Da der Freibetrag daher erst nach Abschluss der Betriebsaufgabe feststeht, erfolgt eine Korrektur des Erstjahres als rückwirkendes Ereignis über § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO (BMF 20.12.05, IV B 2 - S 2242 - 18/05).

     

    MERKE | Der Freibetrag wird um den Betrag gekürzt, um den der Aufgabegewinn 136.000 EUR übersteigt. Damit wirkt sich der Freibetrag ab einem Aufgabegewinn von 181.000 EUR steuerlich nicht mehr aus.

     

    Zudem ist zu beachten, dass der Freibetrag und der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG nur einmal im Leben gewährt werden.

     

    Beachten Sie | Der Freibetrag wird bei teilentgeltlicher Veräußerung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auch dann in voller Höhe gewährt, wenn das Entgelt den Verkehrswert des Betriebs nicht erreicht (BMF 20.12.05, a. a. O.).

     

    Interessant ist aber vor allem der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG. Neben dem Freibetrag kann ‒ auf Antrag ‒ abweichend von § 34 Abs. 1 EStG (Fünftel-Regelung) für den Teil der außerordentlichen Einkünfte ein ermäßigter Steuersatz bemessen werden. Voraussetzung dafür ist, dass

    • diese Einkünfte den Betrag von 5 Mio. EUR nicht übersteigen und
    • der Betriebsinhaber im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe das 55. Lebensjahr vollendet hat oder dauernd berufsunfähig ist.

     

    Der ermäßigte Steuersatz beträgt 56 % des durchschnittlichen Steuersatzes, der sich ergäbe, wenn die tarifliche Einkommensteuer nach dem gesamten zu versteuernden Einkommen zuzüglich der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte zu bemessen wäre (mindestens jedoch 14 %).

     

    Weitere wichtige Aspekte im Überblick (vgl. auch BMF 20.12.05, a. a. O.):

     

    • Auf Antrag kann auch die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG in beiden Veranlagungszeiträumen gewährt werden. Der Höchstbetrag von 5 Mio. EUR wird dabei nur einmal gewährt. Entsteht in einem Jahr ein Gewinn und in dem anderen Jahr ein Verlust, wirkt sich die Tarifermäßigung nur auf den saldierten Betrag aus.

     

    • Sind im Veräußerungsgewinn Gewinne enthalten, die nach dem Teileinkünfteverfahren besteuert werden, wird der Freibetrag entsprechend den Anteilen der Gewinne, die dem ermäßigten Steuersatz und dem Teileinkünfteverfahren unterliegen, aufgeteilt.

     

    • Die Vollendung der Altersgrenze von 55 Jahren muss bereits im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe oder -veräußerung vorliegen. Ein Geburtstag erst vor Ablauf des entsprechenden Veranlagungszeitraums reicht nicht aus. Vollendet der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr bei einer Betriebsaufgabe über mehrere Veranlagungszeiträume zwar vor Beendigung der Betriebsaufgabe, aber erst im zweiten Veranlagungsjahr, sind der (anteilige) Freibetrag und die Tarifermäßigung auch für den ersten Veranlagungszeitraum zu gewähren.

     

    2.2 Veräußerung durch eine Personengesellschaft

    Veräußert eine Mitunternehmerschaft (z. B. eine KG) ihren Betrieb/Teilbetrieb, gibt sie ihn auf oder wickelt ihn nicht begünstigt allmählich ab, erfolgt die Gewinnrealisierung auf Gesellschaftsebene (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 3 EStG für den Fall einer Betriebsaufgabe).

     

    Auch bei einer Personengesellschaft (insbesondere einer Personenhandelsgesellschaft) ist die gleichzeitige Veräußerung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen an einen Erwerber gegen Entgelt als Betriebsveräußerung i. S. von § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu werten. Dabei ist unerheblich, ob die Gesellschafter gleichzeitig die Auflösung der Personengesellschaft beschließen oder ob ‒ unabhängig von einem ausdrücklichen Auflösungsbeschluss der Gesellschafter ‒ die Veräußerung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen gesellschaftsrechtlich notwendig die Auflösung der Gesellschaft nach sich zieht (BFH 4.2.82, IV R 150/78).

     

    MERKE | Gesellschaftsrechtlich kann eine Personengesellschaft auch nach der Veräußerung sämtlicher wesentlichen Betriebsgrundlagen fortbestehen (evtl. mit veränderter ‒ nicht auf Liquidation gerichteter ‒ Zwecksetzung und in anderer Rechtsform, z. B. als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts statt als Kommanditgesellschaft).

     

    2.3 Zeitraum der Betriebsaufgabe

    Um die Dauer des Aufgabevorgangs ermitteln zu können, muss festgestellt werden, wann die Aufgabe beginnt und wann sie endet:

     

    • Die Betriebsaufgabe beginnt mit der ersten Handlung, die objektiv auf die Auflösung des Betriebs als selbstständiger wirtschaftlicher Organismus gerichtet ist, wie z. B. die Einstellung der werbenden Tätigkeit.
    • Die Aufgabe endet in dem Zeitpunkt, in dem das letzte Wirtschaftsgut, das zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehört, veräußert oder in das Privatvermögen überführt wird.

     

    Ob die Veräußerung und/oder Entnahme der wesentlichen Betriebsgrundlagen innerhalb eines kurzen und damit noch der Steuerbegünstigung unterfallenden Abwicklungszeitraums durchgeführt worden ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Da die Wirtschaftsgüter bei der Betriebsaufgabe im Gegensatz zur Betriebsveräußerung regelmäßig an mehrere Abnehmer veräußert werden, bedarf es für die Verkaufsabwicklung eines gewissen Zeitraums. Für dessen Bestimmung ist insbesondere die Marktgängigkeit der zum Verkauf stehenden Betriebsgrundlagen zu berücksichtigen. Es kann dem Steuerpflichtigen nicht zugemutet werden, schwer verkäufliche Wirtschaftsgüter unter Zeitdruck unter ihrem Wert zu verkaufen, nur um die Steuervergünstigung aus § 16 Abs. 3 EStG zu erhalten (BFH 17.12.08, IV R 11/06, unter III. 4.a, m. w. N.).

     

    Beachten Sie | Maßgebender Gesichtspunkt ist, ob man die Aufgabehandlungen wirtschaftlich noch als einen einheitlichen Vorgang werten kann (vgl. u. a. BFH 8.9.76, I R 99/75). Bei einem Zeitraum von mehr als 36 Monaten kann nicht mehr von einem wirtschaftlich einheitlichen Vorgang ausgegangen werden (BFH 26.4.01, IV R 14/00).

     

    MERKE | Zeiträume von bis zu sechs Monaten sind regelmäßig unschädlich.

     

    Zeiträume von mehr als sechs bis zwölf Monate sind zulässig, soweit hierfür wirtschaftliche Gründe existieren. Insbesondere ist die Erstreckung des Aufgabezeitraums über zwei Veranlagungszeiträume nicht per se schädlich (vgl. BFH 17.12.08, IV R 11/06; BMF 20.12.05, a. a. O.). § 34 EStG wäre dann in jedem der beiden Veranlagungszeiträume anzuwenden.

     

    Beispielsweise hat der BFH in einem besonders gelagerten Einzelfall einen Abwicklungszeitraum von 14 oder auch 18 Monaten bei dem Verkauf von landwirtschaftlichen Flächen ungeachtet des Umstandes als unschädlich angesehen, dass der Betriebsaufgabegewinn sich dadurch über zwei Veranlagungszeiträume erstreckte (BFH 21.10.93, IV R 42/93 sowie BFH 20.1.05, IV R 14/03, jeweils m. w. N.).

     

    Beachten Sie | Ausreichend für die Begünstigungen des § 16 Abs. 4 EStG und § 34 EStG ist, dass der Aufgabegewinn innerhalb eines wirtschaftlich zusammenhängenden Zeitraums anfällt. Sogar ein Betriebsaufgabezeitraum von 20 Monaten kann im Einzelfall noch angemessen sein (BFH 22.10.14, X R 28/11). In diesen Regionen wird die „Luft“ allerdings aus steuerlicher Sicht „dünn“. Je weiter der Zeitraum reicht, umso eher müssen wirtschaftliche Gründe hierfür benannt werden können.

     

    FAZIT | Die Veräußerung sämtlicher wesentlicher Betriebsgrundlagen durch eine Personengesellschaft ist begünstigt, wenn die Gesellschaft anschließend liquidiert/aufgelöst wird.

     

    Auch die in einem wirtschaftlich einheitlichen Vorgang erfolgte Veräußerung an zwei Erwerber ist grundsätzlich begünstigt. Je länger der Zeitraum hierfür wird, umso intensiver sollten Beweisvorsorgemaßnahmen sein.

     

    Trotz eines Abwicklungszeitraums von mehr als sechs Monaten sind die Voraussetzungen einer Betriebsaufgabe erfüllt, wenn der Hintergrund für die zeitlich verspätete Veräußerung des Betriebsgrundstücks substanziiert dargelegt und nachgewiesen werden kann. Voraussetzung hierfür ist, dass der Aufgabegewinn innerhalb eines wirtschaftlich zusammenhängenden Zeitraums anfällt. Ab ca. sechs Monaten sollten Beweisvorsorgemaßnahmen ergriffen werden, ab einem Zeitraum von zwölf Monaten sollte ein Verkauf ‒ soweit wirtschaftlich vertretbar ‒ sehr zeitnah vorgenommen werden und die Gründe hierfür sollten sehr genau festgehalten werden.

     
    Quelle: Ausgabe 01 / 2024 | Seite 11 | ID 49778076

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