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  • 16.04.2012 · IWW-Abrufnummer 121160

    Sozialgericht Dortmund: Urteil vom 23.03.2012 – S 34 R 898/10

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Tatbestand:
    Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beigeladene in ihrer Tätigkeit als Betreuungskraft bei der Klägerin auf Grund einer abhängigen Beschäftigung sozialversicherungspflichtig ist.
    Die Beigeladene ist von Beruf Altenpflegerin und Heimleiterin. Seit dem 01.03.2009 ist sie neben einer Halbtagsbeschäftigung im Kirchenkreis xxx bei der Klägerin als Betreuungskraft für Senioren tätig. Ausweislich des Vertrages über eine freie Mitarbeit zwischen der Klägerin und der Beigeladenen vom 03.03.2009 hat die Klägerin die Beigeladene mit der Ausführung von Tätigkeiten der Betreuungskraft nach dem Konzept des betreuten Wohnens Xxx beauftragt. Die Betreuung umfasst insbesondere die Teilbereiche Beratung, Information sowie Vermittlungs- und Organisationsaufgaben für die Bewohner der Anlage. Die Beigeladene erbringt demnach ihre Tätigkeit für die Bewohner in der Regel in den Wohnungen der Seniorenwohnanlage "Betreutes Wohnen Xxx". Die Klägerin stellt, soweit dies in Einzelfällen erforderlich wird, der Beigeladenen weiterhin die entsprechenden betrieblichen Einrichtungen der Seniorenwohnanlage (Gemeinschaftsraum) zur Verfügung. Auch stellt sie der Beigeladenen zur Ausübung ihrer Tätigkeit erforderliche Unterlagen, Informationen und Hilfsmittel zur Verfügung oder erstattet nach vorheriger Vereinbarung Kosten und Aufwendungen der Beigeladenen. Der Tätigkeitsumfang der Beigeladenen umfasst maximal acht Stunden pro Woche. Die Beigeladene kann in diesem Rahmen ihre Arbeitszeit grundsätzlich frei bestimmen. Sie soll jedoch nach den Bedürfnissen der Bewohner feste Zeiten der Anwesenheit vor Ort bekannt geben sowie Sprechzeiten anbieten. Bei längeren Urlauben hat die Beigeladene einen Vertreter einzusetzen, der dem Anforderungsprofil für Betreuungspersonen im betreuten Wohnen gemäß einer DIN-Vorschrift entspricht. Die Beigeladene erhält für ihre Tätigkeit ein Honorar von 18,00 EUR je Arbeitsstunde.
    Die Tätigkeit der Beigeladenen dient der Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen, die die Klägerin den Bewohnern ihrer Anlage im Rahmen des Miet- und Betreuungsvertrages Seniorenwohnanlage "Betreutes Wohnen Xxx" zusagt. Nach § 2 des Miet- und Betreuungsvertrages übernimmt die Klägerin die Verpflichtung, näher beschriebene Betreuungsleistungen zu erbringen und Wahlleistungen gemäß einem Leistungskatalog zu vermitteln. Die Klägerin verpflichtet sich, zu diesem Zweck eine Betreuungsperson einzustellen. Diese erbringe gemäß Arbeitsvertrag mit der Genossenschaft ausschließlich Leistungen für die Wohnanlage "Betreutes Wohnen Xxx". Die Betreuungstätigkeit werde von einer Fachkraft geleistet, die nach Absprache regelmäßig sechs Stunden in der Woche vor Ort anwesend sei und feste Büro- bzw. Sprechzeiten nach Bedarf anbiete. Die Beratung umfasse die Organisation des Umzuges bzw. Einzuges, allgemeine Behördenangelegenheiten und Krisensituationen. Die regelmäßige Informationstätigkeit umfasse u.a. Informationen über die Haustechnik und die Handhabung der Notrufgeräte, Informationen über Handhabung und Nutzung vorhandener (technischer) Einrichtungen und Informationen über Einkaufs- und sonstige wohnbegleitende Dienstleistungsmöglichkeiten einschließlich ambulanter Dienste, sowie Informationen zum Angebot zusätzlicher Dienstleistungen beim Hausnotrufdienst. Im Rahmen sozialer und kultureller Aktivitäten würden Kontakte und Hilfen untereinander sowie Kontakte zu relevanten Gruppen, Vereinen und Institutionen angeregt, um gemeinschaftsfördernde Maßnahmen zu unterstützen.
    Am 11.03.2009 stellten die Klägerin und die Beigeladene bei der Beklagten einen Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen. Mit Bescheid vom 22.07.2009 stellte die Beklagte fest, dass die Beigeladene ab 01.03.2009 für die Klägerin in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis tätig sei.
    Auf den Widerspruch der Klägerin stellte die Beklagte mit Teilabhilfebescheid vom 30.11.2009 fest, dass die Sozialversicherungspflicht der Beigeladenen gemäß § 7 a Abs. 6 SGB IV ab 25.07.2009 beginne. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 05.05.2010 als unbegründet zurück.
    Zur Begründung der am 28.05.2010 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, es habe sich inzwischen als Haupttätigkeit der Beigeladenen ergeben, dass diese den Bewohnern der Wohnanlage bestimmte Freizeitangebote unterbreite. Die Beigeladene gestalte dabei ihre Arbeitszeiten sowohl hinsichtlich des zeitlichen Umfangs als auch hinsichtlich der Lage frei von Weisungen der Klägerin. Die zeitliche Lage der angebotenen Betreuungs- und Freizeitgestaltungsleistungen erfolge unter Berücksichtigung der Interessen der Bewohner durch die Beigeladene. Arbeitsort der Beigeladenen sei nicht der Betriebssitz der Klägerin, sondern die räumlich davon entfernte Wohnanlage Xxx. Der Dienstvertrag der Beigeladenen nehme hinsichtlich des Aufgabengebietes in erster Linie Bezug auf das Konzept des betreuten Wohnens. Darüber hinaus unterliege die Beigeladene keinem Weisungs- und Direktionsrecht seitens der Klägerin. Die Beigeladene trage das wirtschaftliche Risiko, dass die Nachfrage seitens der Bewohner der Wohnanlage sinke, was zu Honorareinbußen führen würde. Sie setze auch eigene Arbeitsmittel ein. Vorbereitungsarbeiten führe die Beigeladene an ihrem häuslichen Arbeitsplatz durch. Sie bilde sich auf eigene Kosten fort. Darüber hinaus bestehe kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Ähnliches gelte für die Urlaubszeiten. Berücksichtigt werden müsse, dass die Beigeladene zu einem neuen Typus von selbstständigen Dienstleistern gehöre, die ihre Tätigkeit auf Grund eigener Fähigkeiten und eigenen Knowhows direkt beim Auftraggeber erbrächten und dazu kaum eigene Betriebsmittel einsetzen müssten. Die Beigeladene stehe dem Wesen ihrer Tätigkeit z. B. selbstständigen Physiotherapeuten, Podologen, Mietköchen, Tagesmüttern und Musiklehrern gleich. Die Beigeladene baue inzwischen ihre selbstständige Tätigkeit als Pflege- und Betreuungsmanagerin weiter aus. So trete sie als Referentin beim 11. Hattinger Gesundheitstag auf und habe einzelne Aufträge bei der Stadt Hattingen.
    Die Klägerin beantragt,
    die Bescheide der Beklagten vom 22.07.2009 und 30.11.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2010 aufzuheben und festzustellen, dass die Beigeladene in ihrer Tätigkeit als Betreuungskraft bei der Klägerin seit dem 25.07.2009 nicht auf Grund einer abhängigen Beschäftigung sozialversicherungspflichtig ist.
    Die Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Für die Beklagte ist ausschlaggebend, dass sämtliche Betreuungs- und Beratungsangebote zwischen der Klägerin und der Wohnanlage "Betreutes Wohnen in Xxx" vereinbart worden seien. Die Bewohner bestimmten, welche Angebote sie wahrnehmen und die Beigeladene habe dazu auf Grund ihrer Fachkenntnisse die entsprechenden Vorbereitungen zu treffen. Dass die Beigeladene die fachliche Befähigung besitze, die Tätigkeit ordnungsgemäß und eigenverantwortlich auszuführen, werde nicht bestritten. Daraus könne jedoch nicht abgeleitet werden, dass sie die Tätigkeit selbstständig ausübe. Die Klägerin habe sich gegenüber ihren Kunden vertraglich verpflichtet, eine bestimmte Dienstleistung zu erbringen. Dafür setze sie Fachpersonal ein. Auch abhängig Beschäftigte arbeiteten eigenverantwortlich und könnten ihre Arbeitszeit flexibel einteilen. Die Beigeladene sei Erfüllungsgehilfin einer durch die Klägerin vereinbarten Leistung. Sie selbst habe keinen Einfluss auf die Leistungsvereinbarung. Sie sei in die Organisation der Klägerin eingebunden. Die Klägerin beschäftige neben der Beigeladenen ausweislich ihrer Internetpräsenz eine Diplom-Sozialpädagogin und eine Seniorenbetreuerin. Es erschließe sich nicht, worin der Unterschied der Tätigkeit dieser Mitarbeiterinnen im Vergleich zur Beigeladenen liege.
    Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
    14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
    15Entscheidungsgründe:
    16Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig, aber unbegründet.
    Die angefochtenen Bescheide der Beklagten erweisen sich als rechtmäßig. Die Beigeladene ist in ihrer Tätigkeit als Betreuungskraft für die Klägerin seit dem 25.07.2009 auf Grund einer abhängigen Beschäftigung sozialversicherungspflichtig.
    Nach § 7 a Abs. 2 SGB IV entscheidet die Beklagte im Rahmen eines Anfrageverfahrens auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung vorliegt. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 11.03.2009, Az.: B 12 R 11/07 R, SozR 4-2400 § 7a Nr. 2) findet hierbei keine isolierte Feststellung des Vorliegens einer abhängigen Beschäftigung, sondern zugleich eine Entscheidung über die Versicherungspflicht in den Zweigen der Sozialversicherung statt.
    Gegen Arbeitsentgelt Beschäftigte sind versicherungspflichtig in der Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, in der Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB XI, in der Rentenversicherung nach § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI und in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 Abs. 1 S. 1 SGB III.
    Dabei ist nach § 7 Abs. 1 SGB IV unter Beschäftigung die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, zu verstehen. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind die Tätigkeit nach Weisungen und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV). Die Beschäftigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber persönlich abhängig ist, in den Betrieb eingegliedert wird und einem – ggfls. nach den Erfordernissen des konkreten Tätigkeitsfeldes eingeschränkten – umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft, das eigene Unternehmerrisiko und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 13 m.w.Nw.).
    Nach diesen Maßstäben liegt bei der Beigeladenen in ihrer Tätigkeit als Betreuungskraft in der Seniorenwohnanlage Xxx eine Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV vor.
    Die Kammer wertet es als maßgebliches Indiz für eine abhängige Beschäftigung, dass die Beigeladene ihre Tätigkeit in der Seniorenwohnanlage nach Maßgabe des Miet- und Betreuungsvertrages zwischen der Klägerin und den Bewohnern erbringt. Dabei sind die von der Klägerin den Bewohnern geschuldeten Serviceleistungen in § 2 dieses Vertrages im Einzelnen geregelt, so dass von einer im Wesentlichen frei gestalteten Tätigkeit der Beigeladenen nicht die Rede sein kann. Die Beigeladene tritt den Bewohnern der Anlage wie eine Bedienstete der Klägerin gegenüber, z.B. wenn sie über die Organisation des Einzuges oder die Handhabung und Nutzung vorhandener Einrichtungen in der Seniorenwohnanlage berät. Sie erbringt ihre Betreuungstätigkeit und auch die Freizeitangebote nicht im Auftrag und auf Rechnung der Bewohner, sondern allein für die Klägerin. Wesentliche Arbeitsmittel werden von der Klägerin gestellt. Die Klägerin sichert sogar vertraglich den Bewohnern zu, für die Erbringung der Betreuungsleistungen eine Betreuungsperson "einzustellen", die gemäß "Arbeitsvertrag" ausschließlich Leistungen für die Wohnanlage "Betreutes Wohnen in Xxx" erbringe. Die Beigeladene ist damit eng in die Arbeitsorganisation der Klägerin in der Wohnanlage Xxx eingebunden.
    Fehlende Einzelweisungen und die Möglichkeit, die Arbeitszeit frei zu gestalten, soweit die Erfordernisse der Bewohner dies zulassen, führen zu keinem anderen Ergebnis. Vielmehr ist die innerhalb eines vorgegebenen Rahmens frei gestaltete Arbeitsleistung bei höher qualifizierten Tätigkeiten üblich, ohne Anhaltspunkt für eine Selbstständigkeit zu sein. So käme man bei der vorangegangenen Beschäftigung der Beigeladenen als Heimleiterin, in der sie über vergleichbare Freiheiten verfügt haben dürfte, nicht auf die Idee, den Arbeitnehmerstatus in Frage zu stellen. Von daher tritt in der Gesamtwürdigung für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung die Eingebundenheit der Beigeladenen in den Betrieb der Klägerin und ihre "dienende Teilhabe" am Arbeitsprozess der Klägerin in den Vordergrund.
    Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung der Kammer auch nicht plausibel darlegen können, worin die statusbegründenden Unterschiede in der Tätigkeit der beiden festangestellten Betreuungskräfte gegenüber derjenigen der Beigeladenen liegen. Allein der Abschluss des Vertrages über eine freie Mitarbeit mit der Beigeladenen rechtfertigt es nicht, sie dem Schutz des Sozialversicherungsrechts zu entziehen, weil es insoweit nicht auf die Vertragsgestaltung, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt. Im Falle der Beigeladenen ist zu berücksichtigen, dass sie weiterhin überwiegend abhängig beschäftigt ist und nach ihrem Gesamtbild mangels eigenem Betriebssitz, Eigenwerbung, Internetpräsenz, nennenswerten weiteren Auftraggebern etc. kaum als selbstständige Unternehmerin auftritt. Das bisherige Berufsleben der Beigeladenen ist dementsprechend von abhängigen Beschäftigungen geprägt.
    Schließlich trägt die Beigeladene in ihrer Tätigkeit für die Klägerin kein größeres unternehmerisches Risiko, weil erhebliche Investitionen nicht erforderlich werden und der Tätigkeitsumfang sowie ein festes Stundenhonorar vereinbart sind. Der vertragliche Ausschluss einer Entgeltfortzahlung im Krankheits- und Urlaubsfall deutet auf den Willen der Vertragspartner hin, kein Arbeitsverhältnis zu begründen. Auf die getroffene Vereinbarung kann es vorliegend jedoch nicht ankommen, weil sie infolge entsprechender Arbeitnehmerrechte den tatsächlichen Verhältnissen und dem Gesamtbild der Tätigkeit der Beigeladenen nicht entspricht.
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
    Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG.

    RechtsgebietSGB IVVorschriften§ 7 Abs. 1 SGB IV

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