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  • 08.07.2015 · IWW-Abrufnummer 144839

    Landessozialgericht Niedersachsen: Urteil vom 04.08.2014 – L 3 U 50/12

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen

    Urt. v. 04.08.2014

    Az.: L 3 U 50/12

    Tenor:

    Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 25. Januar 2012 und der Bescheid vom 23. Mai 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2006 aufgehoben.

    Es wird festgestellt, dass es sich bei dem Unfall der Klägerin vom 7. März 2006 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.

    Die Kosten der Klägerin aus beiden Rechtszügen sind von der Beklagten zu erstatten.

    Die Revision wird nicht zugelassen.
    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Arbeitsunfalles.

    Die 1981 geborene Klägerin war bis Ende März 2006 als Vertriebsmitarbeiterin bei einer Wäschefabrik in F. beschäftigt und zu dieser Zeit mit Hauptwohnsitz in G. (Wegstrecke zur Arbeitsstätte: ca 26 Kilometer km) gemeldet. Am 7. März 2006 war sie auf dem Weg von der Wohnung ihres damaligen Freundes, des Zeugen H. I., in J. (Stadtteil K.; Landkreis L.), wo sie übernachtet hatte, zu ihrer Arbeitsstelle (Wegstrecke je nach Route: zwischen 86 und 101 km), als ihr Pkw bei winterglatter Straße von der Fahrbahn abkam und gegen einen Baum prallte. Dabei erlitt sie ua ein schweres Schädelhirntrauma.

    Die Textil- und Bekleidungsberufsgenossenschaft als Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: BG) legte der Klägerin Fragebögen zu den Hintergründen und zu dem Verlauf des Unfalles vor, die ua mit der Angabe beantwortet wurden, sie sei in den vier Wochen vor dem Unfall an ca acht bis zehn Tagen zu ihrem Freund gefahren und habe dort übernachtet. Außerdem befragte der Berufshelfer der BG, der Zeuge M. N., die Klägerin, die seinen Berichten nach mitteilte, sie habe keinen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Freund. Eigentlich habe sie an dem Abend vor dem Unfall noch in ihre Wohnung zurückfahren wollen; dies sei jedoch wegen des einsetzenden Schneefalles nicht möglich gewesen.

    Mit Bescheid vom 23. Mai 2006 lehnte die BG die Anerkennung des Unfalles als Arbeitsunfall ab. Die Wohnung ihres Freundes in J. sei im Verhältnis zu ihrer Arbeitsstätte und zu ihrer eigenen Wohnung als "dritter Ort" anzusehen. Der Weg von diesem Ort zur Arbeitsstätte stehe aber nur unter Versicherungsschutz, wenn der Weg rechtlich wesentlich von dem Vorhaben bestimmt gewesen sei, die versicherte Tätigkeit aufzunehmen. Ein maßgebliches Kriterium hierfür sei, dass der Weg in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblichen Weg nach dem Ort der Tätigkeit stehe. Dies sei bei einer Entfernung von 101 km im Verhältnis zur Strecke von der eigenen Wohnung in G. zum Betrieb (26 km) nicht mehr anzunehmen.

    Der hiergegen gerichtete Widerspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, die Wohnung ihres Lebensgefährten sei auch ihr Lebensmittelpunkt bzw sie habe vor dem Unfall dort nur deshalb übernachtet, weil aufgrund des starken Schneefalles die Gefahr bestanden habe, nicht gesund und arbeitsfähig nach Hause zu kommen, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. September 2006, der Klägerin bekannt gegeben am 12. September 2006).

    Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2006 Klage erhoben, die am selben Tag bei dem Sozialgericht (SG) Bremen eingegangen ist; dieses hat die Klage an das SG Lüneburg verwiesen. Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, sie sei im fraglichen Zeitraum im Begriff gewesen, ihr Leben und ihren Lebensmittelpunkt neu festzulegen. Sie hätte sich damals bereits von ihrem früheren Freund in G. getrennt und die bisherige gemeinsame Wohnung sei zum 30. April 2006 gekündigt worden. Nachdem sie im September 2005 eine neue Beziehung zu ihrem Freund in J. aufgebaut habe, sei sie dort regelmäßig gewesen. Insoweit treffe es auch nicht zu, wenn sie im Verwaltungsverfahren angegeben haben solle, am 6. März 2006 habe sie ursprünglich wieder nach G. fahren wollen. Tatsächlich sei sie seit Dezember 2005 jeden Tag nach der Arbeit von F. nach J. gefahren, um dort in der Wohnung ihres Freundes zu übernachten.

    Das SG Lüneburg hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2012 angehört und außerdem ihren Vater, ihren Freund H. I. und ihren früheren Freund O. P. als Zeugen vernommen. Die Klägerin hat dabei ua angegeben, die Angaben in den Fragebögen stammten von ihrem Vater und sie habe diese "blind" unterschrieben. Ihr Vater hat dies bei seiner Zeugenaussage bestätigt. Der Zeuge I. hat angegeben, die Klägerin habe sie jeden Abend in seiner kleinen Wohnung in J. besucht. Der Zeuge P. hat schließlich ausgesagt, die Klägerin und er seien im Guten auseinandergegangen; nach seiner Erinnerung habe sie nach der Trennung nicht mehr in der gemeinsamen Wohnung übernachtet.

    Mit Urteil vom selben Tag hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen versicherten Wegeunfall erlitten, weil sie ihre Fahrt zur Arbeitsstelle nicht von ihrem Wohnsitz, sondern von einem dritten Ort aus angetreten habe. Insbesondere hätte sie ihren tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalt vor dem Unfall nicht nach J. verlegt. Das ergebe sich va aus den schriftlichen Erstangaben im Verwaltungsverfahren, die durch die Beweisaufnahme vor der Kammer nicht widerlegt worden seien. Angesichts deren Detailliertheit und Schlüssigkeit sei auch anzunehmen, dass die damaligen Antworten der Klägerin zuzurechnen seien, während nicht auszuschließen sei, dass die späteren Angaben im Klageverfahren nachgeschoben seien. Selbst wenn man aber die Aussagen zur Häufigkeit ihrer Fahrten nach J. für zutreffend erachte, könne eine ausreichende Verfestigung ihres Aufenthalts in J. noch nicht angenommen werden. Denn die Klägerin habe ihre Postadresse weiterhin in G. gehabt, ebenso wie den weit überwiegenden Teil ihres Hausrates; schließlich sei auch ein Umzug noch in keiner Weise in Angriff genommen worden. Nach dem Unfall und der hierdurch bedingten Klinikbehandlung habe sie zudem zunächst im Haus ihrer Eltern in G. gewohnt. Der Weg vom dritten Ort J. stehe angesichts einer um mehr als das Dreifache verlängerten Wegstrecke und dem erforderlichen zusätzlichen Zeitaufwand von mindestens einer Dreiviertelstunde nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zum eigentlichen Arbeitsweg. Außerdem sei der Aufenthalt am dritten Ort rein eigenwirtschaftlich geprägt gewesen und habe keinerlei auch nur mittelbare Beziehungen zur versicherten betrieblichen Tätigkeit gehabt.

    Gegen das ihr am 21. März 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26. März 2012 Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Sie hält an ihren erstinstanzlichen Angaben fest und rügt, das SG habe ihren Tatsachenvortrag bzw die Zeugenaussagen nicht hinreichend gewürdigt. Auf die Angaben der im Verwaltungsverfahren eingeholten Fragebögen könne sie nicht verwiesen werden, weil sie im Zeitpunkt der Stellung nicht in der Lage gewesen sei, die Fragen sachgerecht zu beantworten, geschweige denn, schriftliche Antworten auf den Fragebögen zu vermerken. Die dort enthaltenen Antworten stammten von ihrem Vater, der offensichtlich von früheren Verhältnissen ausgegangen sei, die ihm aus vorherigen Erzählungen der Klägerin bekannt gewesen seien.

    Die Klägerin beantragt,

    1. das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 25. Januar 2012 und den Bescheid vom 23. Mai 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2006 aufzuheben,

    2. festzustellen, dass der Unfall vom 7. März 2006 ein Arbeitsunfall gewesen ist.

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Der Vortrag der Klägerseite sei nicht geeignet, das schlüssige Urteil der ersten Instanz zu entkräften oder zu widerlegen.

    Der Senat hat weitere Sachermittlungen durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den am 6. März 2006 in J. (Stadtteil K.) herrschenden Wetterverhältnissen durchgeführt, das von dem Mitarbeiter des Deutschen Wetterdienstes Q. unter dem 22. November 2012 vorgelegt worden ist. Außerdem hat er in der mündlichen Verhandlung vom 4. August 2014 erneut H. I. und den Berufshelfer der Beklagten M. N. als Zeugen vernommen.

    Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten verwiesen.
    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG hat die Klage vom 11. Oktober 2006 zu Unrecht abgewiesen.

    Die gegen den Bescheid vom 23. Mai 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2006 gerichtete Klage ist als Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1 iVm § 55 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, den Verkehrsunfall vom 7. März 2006 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

    1. Gemäß § 8 Abs 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) setzt ein Arbeitsunfall voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Diese Verrichtung muss sodann ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-2700 § 2 Nr 21; SozR 4-2700 § 8 Nr 44; Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 7/12 R - juris). Diese Voraussetzungen werden durch den Vorfall vom 7. März 2006 erfüllt.

    Als die Klägerin am Morgen des 7. März 2006 mit ihrem Pkw von der Straße abkam, stand sie unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Das Befahren des Wegs von J. nach F. war zwar nicht unmittelbarer Bestandteil ihrer nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versicherten Beschäftigung in der dortigen Wäschefabrik. Gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII ist aber auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit versichert. Um einen derartigen Weg handelte es sich vorliegend.

    Im Hinblick auf den "Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit" ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl zB BSG SozR 3-2700 § 8 Nr 13 mwN) zu unterscheiden, ob es sich bei dem dem Tätigkeitsort entgegengesetzten Ort um den eigenen "häuslichen Bereich" handelt oder um einen sonstigen, sogenannten "dritten Ort". Während der Weg von der oder zu der eigenen Wohnstätte in aller Regel ohne weiteres versichert ist, gilt dies für einen Weg zum oder vom dritten Ort nur, wenn zwischen diesem und der unmittelbar versicherten Tätigkeit ein innerer Zusammenhang in der Weise besteht, dass dieser Weg von dem Vorhaben des Versicherten, sich zur Arbeit zu begeben bzw hiervon zurückzukehren, wesentlich geprägt ist. Der innere Zusammenhang fehlt demgegenüber, wenn die rechtliche Prägung wesentlich darin besteht, einen eigenwirtschaftlichen Besuch am dritten Ort abzuschließen (BSG SozR 3-2700 § 8 Nr 6 mwN).

    Ob die Klägerin - entsprechend ihrem Klagevortrag - die Fahrt vom 7. März 2014 von J. aus angetreten hat, weil sie sich dort seit geraumer Zeit ständig bei ihrem Freund aufgehalten hat, oder ob die im Verwaltungsverfahren festgehaltenen Angaben zutreffen, sie habe dort nur wegen einsetzenden Schneefalls übernachtet, kann dabei nach den Grundsätzen der sog Wahlfeststellung (vgl hierzu: BSGE 13, 51, 52 ff [BSG 30.08.1960 - 8 RV 245/58]; SozR 3-2200 § 548 Nr 39) dahingestellt bleiben. Denn nach beiden Sachverhalten wäre der Weg von J. nach F. versichert gewesen, und zwar entweder als Arbeitsweg vom häuslichen Bereich oder vom dritten Ort aus.

    2. Legt man die - auch in der mündlichen Verhandlung vom 4. August 2014 wiederholten und durch den erneut gehörten Zeugen I. bestätigten - Angaben der Klägerin zugrunde, wonach sie im hier fraglichen Zeitraum jeden Tag nach Arbeitsschluss zu ihrem Freund nach J. gefahren ist und dort übernachtet hat, wäre ihr die Wohnung ihres Freundes als eigener häuslicher Bereich zuzurechnen gewesen. Denn diese wäre faktisch der Bezugsort ihres privaten Lebens gewesen, wie es für den eigenen häuslichen Bereich charakteristisch ist (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 10). Hieran ändert nichts, dass sie im fraglichen Zeitpunkt wegen der beengten Verhältnisse in der Wohnung des Zeugen I. mit ihrem Hausrat noch nicht vollständig umgezogen war und sich noch nicht umgemeldet hatte. Denn der "häusliche Bereich" setzt nicht voraus, dass es sich um den Wohnsitz iSv § 30 Abs 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) oder um die "ständige Familienwohnung" gemäß § 8 Abs 2 Nr 4 SGB VII handelt. Nach der Rechtsprechung des BSG (aaO.) ist vielmehr sogar denkbar, dass bei entsprechenden familiären Verhältnissen mehrere Orte vorliegen, die als häuslicher Bereich anzusehen sind (sog "erweiterter häuslicher Bereich", vgl BSG aaO.).

    3. Geht man dagegen davon aus, dass sich die Klägerin Anfang 2006 nur gelegentlich bei ihrem Freund aufgehalten hat, wäre J. als dritter Ort anzusehen. Der hiervon angetretene Weg war jedoch vom Vorhaben der Klägerin geprägt, sich zur Arbeit in F. zu begeben. Ihr Weg war gegenüber dem gewöhnlichen Arbeitsweg zwar von 26 km auf 101 km (Angaben der Klägerin im Unfallfragebogen der BG vom 13. März 2006) bzw auf 92 km (Angaben im Klageverfahren) und damit um fast das Vierfache erhöht. Zu Unrecht meint die Beklagte jedoch, allein deshalb habe der Weg vom 7. März 2006 nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden.

    Das BSG hat zwar stets betont, dass die Länge des Weges vom dritten Ort in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblicherweise zur Arbeitsstätte zurückgelegten Weg stehen muss, wobei die erforderliche Prägung des Weges durch betriebsdienliche Zwecke umso eher anzunehmen ist, je näher die am dritten Ort durchgeführte Verrichtung der eigentlichen versicherten betrieblichen Tätigkeit steht (BSG SozR 3-2700 § 8 Nr. 6). Für die Prüfung eines "angemessenen Verhältnisses" zwischen den Wegen kommt es aber nicht nur auf die Länge der Wegstrecke, sondern darüber hinausgehend auf alle Umstände des Einzelfalles an, wobei eine Beurteilung nach der Verkehrsanschauung vorzunehmen ist (BSG, aaO.; SozR 3-2700 § 8 Nr 13). Das BSG hat zwar entschieden, dass die Grenze zur Unangemessenheit bei dem zehnfachen der üblichen Entfernung nach der Verkehrsanschauung deutlich überschritten sei (BSG, aaO.); ansonsten hat es jedoch betont, dass eine mathematische "Angemessenheitsformel" angesichts der unübersehbaren Fallgestaltungen nicht angezeigt sei (BSG, Beschluss vom 6. Januar 2006 - B 2 U 372/05 B). In die Angemessenheitsbeurteilung sind zB auch der erforderliche Zeitaufwand zur Bewältigung der Wege und deren Beschaffenheit bzw Zustand einzubeziehen (BSG SozR 3-2700 § 8 Nr 13; Beschluss vom 6. Januar 2006 - B 2 U 372/05 B - juris; besonders eingehend zur Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls: Krasney in: Becker ua, SGB VII-Komm, Stand: Februar 2014, § 8 Rn 196 mwN). Im vorliegenden Fall ist insoweit von entscheidender Bedeutung, dass die Klägerin sich nach den Angaben im Verwaltungsverfahren für den verlängerten Weg vom 7. März 2006 wegen der winterlichen Straßenverhältnisse am Vorabend entschieden hat.

    Entsprechende Angaben werden durch die objektiven Umstände der damaligen Wetterlage gedeckt. Nach dem - vom Senat hierzu eingeholten - überzeugenden Gutachten des Deutschen Wetterdienstes R. vom 22. November 2012 wurde der Raum J. -K. am 6. März 2006 wiederholt von Schneeschauern überquert, zuletzt zwischen kurz nach 21:30 Uhr und etwa 22:15 Uhr und zwischen etwa 23:00 Uhr und Mitternacht. Der Boden war an diesem Tag von einer durchbrochenen Schneedecke bedeckt. Dazu kam, dass es wegen der Abwechslung zwischen positiven Temperaturmaxima und negativen -minima zu vereisten Stellen infolge überfrierender Nässe kam, die über den 6. März 2006 hinweg auch unter der Schneeauflage weiterbestanden.

    Angesichts dessen ist es als situationsangemessenes Verhalten anzusehen, wenn die Klägerin auf die Heimfahrt bereits am Abend des 6. März 2006 verzichtet und stattdessen den Arbeitsweg am nächsten Morgen von J. aus angetreten hat. Dass abendliche oder nächtliche Autofahrten bei latent bestehender Glätte und hinzutretenden Schneeschauern zumindest auf dem Lande unterlassen werden, um einen Unfall zu vermeiden, und stattdessen auf eine Besserung der Situation am nächsten Morgen gehofft wird, ist auch unter Beachtung der Verkehrsanschauung nicht nur als nachvollziehbare, sondern sogar als ratsame Verhaltensweise anzusehen. Auch das BSG (Urteil vom 30. April 1986 - 2 RU 54/85 - juris) hat - zur Frage des Versicherungsunfallschutzes bei Umwegen - bereits entschieden, dass auch ein erheblich längerer als der direkte Weg zur Arbeit als betriebsbedingt anzusehen ist, wenn er notwendig oder geeignet ist, um die Arbeitsstätte unter geringeren Gefahren zu erreichen. Deswegen muss auch ein längerer Weg als noch betriebsbedingt angesehen werden, der nur deshalb eingeschlagen wird, weil dem Versicherten der übliche kürzere Weg objektiv nachvollziehbar wegen einer gefährlichen Wetterlage versperrt ist. Für die vorliegende Abgrenzung zwischen betriebsbedingt und eigenwirtschaftlich motiviertem Weg vom dritten Ort zur Arbeitsstätte kann nichts anderes gelten. Jedenfalls die hier vorliegende Situation, bei der ländliche Straßenverhältnisse, Dunkelheit, überfrierende Nässe und aufkommender Schneefall zusammentrafen, ist der Konstellation vergleichbar, dass der Wohnort zB wegen einer vorübergehenden Verkehrssperrung nicht mehr erreicht werden kann und der Weg zur Arbeit deshalb erst später unter Umgehung des Wohnorts direkt vom dritten Ort angetreten werden muss. In Fällen dieser Art bleibt auch ein erheblich längerer Weg zur Arbeitsstätte betriebsbedingt, der vom Versicherten von einem anderen Ort aus angetreten wird als von der eigenen Wohnung. Die hier vorliegende Überschreitung der üblichen kürzeren Strecke um das Drei- bis Vierfache ist auch noch nicht als so krass anzusehen, dass allein diese Differenz zur Annahme eines unangemessenen Verhältnisses führen müsste. Denn das BSG hat in Einzelfällen auch Überschreitungen bis zum Sechsfachen als noch unschädlich für den Versicherungsschutz hingenommen (Urteil vom 19. Oktober 1982 - 2 RU 7/81 - juris).

    4. Unerheblich bleibt schließlich, dass die Klägerin am Unfalltag möglicherweise nicht den der Entfernung nach kürzesten Weg angetreten hat, den die BG mit 86 km ermittelt hat (vgl Blatt 47 VA). Denn einerseits stand es der Klägerin angesichts der vielen unterschiedlichen Routenmöglichkeiten von J. nach F. frei, den nach ihrer Erfahrung mit 101 km zwar längeren, von der Fahrtzeit her (1 Stunde 20 Minuten gegenüber 1 Stunde 48 Minuten (vgl einerseits Blatt 36 R und andererseits Blatt 47 VA)) aber zeitlich günstigeren Weg zu wählen. Zum anderen kann für den Unfallzeitpunkt ohnehin noch keine Abweichung von einem kürzeren Weg festgestellt werden, weil sich der Unfall bereits wenige Kilometer hinter J. -K. ereignet hatte und die von der Klägerin dabei befahrene Strecke K. -S. noch eindeutig in Fahrtrichtung G./F. wies.

    5. Auch die übrigen Voraussetzungen eines Arbeitsunfalles liegen vor. Mit dem glättebedingten Abkommen von der Straße ist ein Unfallereignis im Sinne des § 8 Abs 1 S 2 SGB VII eingetreten, das schon deshalb im inneren Zusammenhang mit dem grundsätzlich versicherten Weg bestanden hat, weil sich dabei eine typische Wegegefahr realisiert hat. Dadurch, dass die Klägerin mit ihrem Fahrzeug gegen einen Baum geprallt ist und hierdurch ua ein schweres Schädelhirntrauma erlitten hat, hat sie auch einen durch den versicherten Unfall verursachten Erstschaden erlitten.

    6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

    Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), liegen nicht vor.

    RechtsgebietSGB VIIVorschriften§ 8 Abs. 1 SGB VII; § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 4 SGB VII; § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII; § 30 Abs. 1 SGB I; § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII

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