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  • 08.07.2015 · IWW-Abrufnummer 144837

    Sozialgericht Karlsruhe: Urteil vom 06.02.2015 – S 1 U 1460/14

    Überquert der Versicherte auf dem Rückweg von seiner versicherten Tätigkeit die Straße/Straßenbahngleise in abweichender Richtung zu seiner Wohnung, um eine in der Nähe gelegene Wohnung eines Freundes aufzusuchen, dokumentiert sich in diesem nach außen sichtbaren Verhalten die eigenwirtschaftliche Handlungstendenz. Dies führt zur Unterbrechung des versicherten Weg und des Schutzes der aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Ein Verlassen des öffentlichen Verkehrsraums ist insoweit nicht erforderlich.


    Sozialgericht Karlsruhe

    Urt. v. 06.02.2015

    Az.: S 1 U 1460/14

    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
    Tatbestand

    Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Kläger am 04.04.2013 einen Arbeitsunfall erlitten hat.

    Der 1993 geborene Kläger nahm ab März 2013 an einer von der Agentur für Arbeit geförderten berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme bei der U. GmbH, Karlsruhe teil. Am 04.04.2013 meldete er sich gegen 13:00 Uhr beim Sekretariat des Bildungsträgers wegen Unwohlseins vom Unterricht ab und fuhr mit der Straßenbahn ab der Haltestelle "K." in Richtung seiner Wohnung im Stadtteil R.. An der Haltestelle "K-Platz" stieg der Kläger auf der Südwest-Seite der Haltestellen-Insel aus. Gegen 13:26 Uhr überquerte er den Haltestellenbereich in nordwestlicher Richtung. Dabei wurde er von einer stadteinwärts fahrenden Straßenbahn erfasst, auf das Gleisbett geschleudert und einige Meter mitgeschleift. Bei dem Unfallereignis zog sich der Kläger unter anderem ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit Scherblutung im Bereich der Capsula interna links, eine Orbitaboden- und Nasenbeinfraktur, eine Subarachnoidalblutung sowie Lungenkontusionen zu. Er befand sich ab dem Unfalltag zunächst in stationärer Behandlung in der Neurochirurgischen Klinik des Klinikums K. und ab dem 24.04. bis zum 25.09.2013 im Zentrum für Neurologie und Frührehabilitation des Klinikums K-L.. Ab dem 25.09.2013 bis Sommer 2014 befand er sich zur Rehabilitation in der Kinderklinik S..

    Am 22.10.2013 zeigte die Krankenkasse des Klägers der Beklagten das Ereignis als Arbeitsunfall an. Der Kläger selbst kann zum genauen Unfallhergang verletzungsbedingt keine konkreten Angaben machen.

    Die Beklagte zog die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Karlsruhe bei: Danach hatte der nahe der Unfallstelle wohnhafte D. M. (im Folgenden: M.), ein Freund des Klägers, gegenüber den unfallaufnehmenden Polizeibeamten angegeben, der Kläger habe ihm am Unfalltag mitgeteilt, er wolle etwa 40 Minuten später bei ihm sein. Diese Nachricht sei um 13:25 Uhr auf seinem Handy eingegangen.

    Durch Bescheid vom 15.01.2014 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfallereignisses als Arbeitsunfall ab: Der Kläger sei als Teilnehmer einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme zwar nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) versichert gewesen. Auch erfülle das Unfallereignis den Unfallbegriff der gesetzlichen Unfallversicherung. Versichert sei auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Gleichwohl habe es sich bei dem Ereignis nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt, weil die Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt - das Überqueren der Gleise im Bereich der Straßenbahnhaltestelle - nicht im inneren Zusammenhang mit dem zurückgelegten Weg und der versicherten Tätigkeit gestanden habe. Der Unfall habe sich in erheblicher Entfernung von der Wohnung ereignet. Weshalb der Kläger die Straßenbahn an dieser Stelle verlassen habe, sei nicht ersichtlich. Nach den Angaben des M. unmittelbar nach dem Unfallereignis habe der Kläger diesen nach der Schule in dessen am Unfallort gelegenen Wohnung besuchen wollen. Dies bestätige auch die vom Kläger zum Unfallzeitpunkt eingeschlagene Wegrichtung. Damit sei die Handlungstendenz des Klägers nicht auf das Erreichen der eigenen Wohnung, sondern auf die Erledigung privater, eigenwirtschaftlicher Dinge - hier: Den Besuch eines Freundes - gerichtet gewesen. Damit habe der Kläger zum Unfallzeitpunkt nicht mehr unter dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden.

    Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, die Wohnung des M. liege an der Straßenbahnhaltstelle "K.-Platz" und grenze unmittelbar an den öffentlichen Verkehrsraum an, den er auf seinem Schulweg habe benutzen müssen. Zu welchem Zweck und welchen Zeitraum er seinen Heimweg an der Haltestelle unterbrochen habe, sei nicht bekannt. Zu vermuten sei allerdings nur eine kurze und geringfügige Unterbrechung. Er habe sich in der Schule mit Magenbeschwerden entschuldigt und sei auf dem Heimweg gewesen. Da er ohnehin stets an dieser oder der nachfolgenden Haltestelle umsteigen müsse, um den Heimweg mit einer anderen Straßenbahnlinie fortzusetzen, sei davon auszugehen, er habe aufgrund seiner Magenbeschwerden den Umsteigehalt nutzen wollen, die Toilette in der Wohnung des Freundes aufzusuchen. Diese geringfügige Unterbrechung des Arbeitsweges führe nicht zu einer Unterbrechung des Versicherungsschutzes. Im Übrigen habe er zum Unfallzeitpunkt den öffentlichen Verkehrsraum noch nicht verlassen gehabt. Deshalb komme es auch auf den Zweck der Unterbrechung des Heimweges und deren ohnehin nicht bekannte Dauer nicht entscheidungserheblich an. Überdies habe M. zwischenzeitlich auf Nachfrage erklärt, der Kläger habe nicht zu ihm in die Wohnung kommen wollen, sondern ihm nur kurz mitgeteilt, sich mit ihm an der Haltestelle "K.-Platz" treffen zu wollen, um vor der Weiterfahrt etwas mit ihm zu besprechen. Dazu habe M. zur voraussichtlichen Ankunftszeit des Klägers an die Haltestelle kommen sollen. Offenbar sei er - der Kläger - jedoch früher eingetroffen. Eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit oder eine Unterbrechung des Versicherungsschutzes liege mithin nicht vor. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück: Die Handlungstendenz des Klägers zum Unfallzeitpunkt sei nicht mehr auf die Verrichtung einer versicherten Tätigkeit bzw. das Zurücklegen eines mit der versicherten Tätigkeit unmittelbar zusammenhängenden Weges zu seiner Wohnung, sondern auf die Verrichtung einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit gerichtet gewesen. Die eigenwirtschaftliche Handlungstendenz werde nicht erst mit dem Verlassen des öffentlichen Verkehrsraumes ersichtlich, sondern bereits durch das Verhalten des Verletzten geprägt, sobald er durch objektive Umstände dokumentiere, sich vorläufig nicht mehr auf dem versicherten Weg bewegen zu wollen. Vorliegend habe sich die eigenwirtschaftliche Handlungstendenz des Klägers bereits durch das Überqueren der Gleise manifestiert. Zur Fortsetzung seines Heimweges hätte er lediglich an derselben Haltestelle stehen bleiben müssen. Von einer nur geringfügigen Unterbrechung sei nicht auszugehen. Die mit der Widerspruchsbegründung nachgeschobene Behauptung des M. ändere an dieser Beurteilung nichts, denn der Kläger habe tatsächlich die Haltestelle verlassen und die Gleise in Richtung der Wohnung des M. überquert. Damit habe er sich von seiner versicherten Tätigkeit gelöst (Widerspruchsbescheid vom 27.03.2014).

    Deswegen hat der Kläger am 28.04.2014 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Widerspruchsvorbringen. Zusammenfassend trägt er vor, es bleibe offen, ob das Überqueren der Gleise einem eigenwirtschaftlichen Zweck gedient oder die mit dem Straßenbahn-Wechsel einhergehende, notwendige Unterbrechung weiterhin ausschließlich mit dem Heimweg zusammengehangen habe. In jedem Fall habe aber allenfalls eine geringfügige Unterbrechung des versicherten Weges vorgelegen.

    Der Kläger beantragt,

    den Bescheid vom 15. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2014 aufzuheben und das Unfallereignis vom 04. April 2013 als Arbeitsunfall festzustellen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.

    Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.
    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes ) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat am 04.04.2013 keinen Arbeitsunfall erlitten.

    1. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod des Versicherten führen. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 8 SGB VII ist danach regelmäßig erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu einem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung; vgl. stellvertretend BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, - B 2 U 40/05 R - und B 2 U 26/05 R - sowie BSG SozR 4 - 2700 § 8 Nr. 50 mit weiteren Nachweisen).

    2. Der zum Unfallzeitpunkt am 04.04.2013 als Teilnehmer an einer von der Agentur für Arbeit geförderten beruflichen Bildungsmaßnahme dem Grunde nach versicherte (§ 2 Abs. 1 Nr. 14 b SGB VII) Kläger befand sich an diesem Tag auf dem Heimweg von der Bildungsstätte. Die durch den Straßenbahnunfall verursachte gesundheitliche Einwirkung auf seinen Körper stellte zwar einen Unfall dar. Sie begründete jedoch keinen Arbeitsunfall, weil sie nicht im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII "infolge" des Zurücklegens des versicherten (Heim-)weges auftrat und damit nach dem Schutzzweck der Norm nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen war. Denn der Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bzw. dem Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit, und damit der Versicherungsschutz, entfallen, wenn der Weg aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen wird. Dafür ist es unerheblich, ob der Versicherte den eingeschlagenen Weg verlässt, um an einer anderen Stelle einer privaten Verrichtung nachzugehen und erst danach auf den unter Versicherungsschutz stehenden Weg zurückzukehren (vgl. BSG vom 31.07.1985 - 2 RU 63/84 -, vom 18.03.1997 - 2 RU 17/96 - und vom 24.06.2003 - B 2 U 40/02 R - ), oder ob er lediglich seine Fortbewegung an Ort und Stelle unterbricht, um etwa in einem Geschäft am Straßenrand einzukaufen (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 3). Entscheidend ist vielmehr die Änderung der Handlungstendenz weg von der Zurücklegung des durch die versicherten Tätigkeit veranlassten Weges hin zu einer dem unversicherten privaten Bereich zuzurechnenden Verrichtung (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 25 und LSG Berlin-Brandenburg, UV-Recht Aktuell 2012, 441 ff). Der Kläger selbst hat, indem er an der Straßenbahnhaltestelle "K.-Platz" innerhalb der dortigen Fußgängerfurt die Straßenbahngleise in nordwestlicher Richtung, und damit in Abweichung von der Zielrichtung zu seiner Wohnung, überquerte, die maßgebende und unmittelbare Wirkursache für das Unfallereignis - den Zusammenprall mit der stadteinwärts fahrenden Straßenbahn - gesetzt. Denn er handelte dabei nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens allein aus dem privat- oder eigenwirtschaftlichen Beweggrund, die nordwestlich von der Haltestelle gelegene Wohnung des M. aufzusuchen und sich dort mit M., seinem Freund, zu treffen (dazu nachfolgend unter a)). Dies steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund der Angaben des M. am Unfallort gegenüber den den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten. Diese subjektive Handlungstendenz des Klägers schlug sich unmittelbar in dem objektiv beobachtbaren Verhalten - dem Überqueren der Straßenbahngleise in nordwestlicher Richtung, und damit in Abweichung von seiner ursprünglichen Zielrichtung zum Erreichen seiner Wohnung - nieder. Entgegen der Auffassung des Klägers handelte es sich dabei auch nicht um eine nur geringfügige, zu vernachlässigende Unterbrechung des grundsätzlich versicherten Weges (dazu nachfolgend unter b)).

    a) Die konkrete Verrichtung des Klägers im Zeitpunkt des Unfalls - das Überqueren der Straßenbahngleise - stand nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts seit seiner Entscheidung vom 09.12.2003 (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 3; zuletzt BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 50) ist maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung noch der Fortbewegung auf das ursprüngliche Ziel hin (hier: Der Wohnung des Klägers) dient, die Handlungstendenz des Versicherten. Soweit das BSG in früheren Entscheidungen, unter anderem in dem vom Kläger herangezogenen "Kiosk-Urteil" vom 02.07.1996 (2 RU 16/95 - = SozR 3-2200 § 550 Nr. 14) entschieden hatte, dass der Versicherungsschutz trotz einer vorübergehenden Lösung vom betrieblichen Zweck des Weges solange erhalten bleibt, wie sich der Versicherte noch innerhalb des öffentlichen Verkehrsraums der für den Weg zu oder von der Arbeitsstätte benutzten Straße aufhält, hat das BSG hieran seit der Entscheidung vom 09.12.2003 (B 2 U 23/03 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 3, Rdnr. 26) nicht mehr festgehalten. Wird deshalb der Weg zu oder von der Arbeitsstätte durch eine private Besorgung mehr als nur geringfügig unterbrochen, besteht während der Unterbrechung kein Versicherungsschutz. Dieser setzt vielmehr erst wieder ein, wenn die eigenwirtschaftliche Tätigkeit beendet ist und die Handlungstendenz auch nach außen erkennbar wieder darauf gerichtet ist, den ursprünglichen, versicherten Weg wieder aufzunehmen (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nrn. 49, Rdnr. 18 und SozR 4-2700 § 8 Nr. 50, Rdnr. 12). Soweit diese Entscheidungen jeweils Personen betrafen, die auf dem Weg von oder zur Arbeitsstätte ein Kraftfahrzeug benutzten, sind die darin aufgestellten Rechtsgrundsätze auch auf Fußgänger anzuwenden.

    Der Kläger hat vorliegend die Straßenbahngleise überquert, um die Wohnung des M. aufzusuchen, wo er sich mit diesem treffen wollte. Denn nach dem Aktenvermerk des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 04.04.2013 hatte der Kläger M. zuvor über sein Handy mitgeteilt, er sei nach der Schule losgefahren und wolle etwa 40 Minuten später bei ihm - M. - sein. Dass diese Nachricht/Mitteilung auf dem Handy des M. erst um 13:25 Uhr, und damit zeitlich unmittelbar vor dem hier streitgegenständlichen Unfallereignis, einging, ist nicht rechtsrelevant. Der Kläger hat auch weder vorgetragen noch ist dies aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens sonst ersichtlich, dass das von ihm mit M. beabsichtigte Treffen einem irgendwie gearteten dienstlichen Zweck im Zusammenhang mit seiner Teilnahme an der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme diente. Eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit des Klägers in Bezug auf das Überqueren der Straßenbahngleise läge selbst dann vor, wenn er entsprechend seinem Vorbringen in der Widerspruchsbegründung aufgrund der am Unfalltag offenbar vorhanden gewesenen Magenschmerzen den an der Haltestelle "K.-Platz" eingelegten Umsteigehalt dazu nutzen wollte, die Toilette in der Wohnung des M. aufzusuchen. Denn bei der Verrichtung der Notdurft handelt es sich grundsätzlich nicht um eine versicherte, sondern um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 97; Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, § 8, Rdnr. 137; Ziegler in Becker/Franke/Molkentin, LPK - SGB VII, 4. Auflage 2014, § 8, Rdnr. 130 und Schmitt, SGB VII, 4. Auflage 2009, § 8, Rdnr. 93; anders für den Weg zur Toilette auf einem Betriebsgelände: vgl. hierzu G. Wagner in jurisPK-SGB VII, 2. Auflage 2014, § 8, Rdnr. 69 mit weiteren Nachweisen). Begonnen hat der Kläger mit der Unterbrechung des versicherten Weges mit dem Ziel des Aufsuchens der Wohnung des M. objektiv erkennbar in dem Moment, in dem er nach außen hin sichtbar seine subjektive Handlungstendenz in ein für Dritte beobachtbares "objektives" Handeln - dem Überqueren der Straßenbahngleise im Bereich der Fußgängerfurt in abweichender Richtung zu seiner Wohnung - umgesetzt hat. Damit hat der die private Handlung bzw. die eigenwirtschaftliche Tätigkeit in Gang gesetzt. Denkt man sich die durch das Überqueren der Gleise verobjektivierte subjektive Handlungstendenz des Klägers hinweg, findet sich schon auf der ersten Stufe der Kausalitätsprüfung kein naturwissenschaftlicher Grund mehr für den Zusammenprall mit der Straßenbahn. Einzige objektive Wirkursache für den Unfall war vielmehr das Überqueren der Gleise aus privatwirtschaftlicher Motivation.

    Zwar weist der Kläger zutreffend daraufhin, dass es dem Versicherten nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 3, Rdnr. 17 und a.a.O. Nr. 50, Rdnr. 14) freisteht, sich im öffentlichen Verkehrsraum beliebig zu bewegen, wenn die Fortbewegung nach seiner Handlungstendenz der Zurücklegung des Weges von oder zum Ort der Tätigkeit zu dienen bestimmt ist. Deshalb mag auch der Fußgänger entscheiden, ob er sich auf dem rechts oder links von der Fahrbahn befindlichen Gehweg in Richtung auf seine Arbeitsstätte oder von dort zurück zu seiner Wohnung bewegt. Die Kammer stimmt mit dem Kläger auch insoweit überein, als ein Versicherter bei einem notwendigen Umsteigehalt nicht gezwungen ist, bis zur Ankunft des beabsichtigten weiteren Verkehrsmittels auf der Stelle stehen zu bleiben. Sobald jedoch der Versicherte - wie hier - allein eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt, die mit der versicherten Fortbewegung nicht (mehr) übereinstimmen, wird der Versicherungsschutz unterbrochen, und zwar solange, bis er die Fortbewegung auf sein ursprüngliches Ziel hin wieder aufnimmt (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 49, Rdnr. 18 und a.a.O., Nr. 50, Rdnr. 12). Die eigenwirtschaftliche Handlungstendenz wird dabei nicht erst mit dem Verlassen des öffentlichen Verkehrsraums ersichtlich. Sie prägt das Verhalten des Versicherten vielmehr bereits ab dem Zeitpunkt, ab dem er, z. B. durch Überqueren der Straße oder - wie hier - der Straßenbahngleise in abweichender Richtung zu seinem Ziel nach außen dokumentiert, dass er sich auf dem versicherten Weg nicht weiter fortbewegen will. Der eigenwirtschaftlich geprägte Wunsch, die Wohnung des M. aufzusuchen, führte überhaupt dazu, dass der Kläger zeitlich unmittelbar nach dem Verlassen der zuvor benutzten Straßenbahn die Straßenbahngleise überquerte. Für eine vergleichbare Fallgestaltung (Überqueren einer Straße in entgegengesetzter Richtung, um mit einer Bekannten zu sprechen) hat das BSG wegen des dadurch eingetretenen Unterbrechens des inneren Zusammenhangs zur geschützten Tätigkeit den Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung versagt (vgl. BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 8, Rdnr. 12). In seinem Urteil vom 04.07.2013 - B 2 U 3/13 R - (= BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 50) hat das BSG entscheiden, dass ein Versicherter, der sein Kraftfahrzeug auf dem Weg zur Arbeit zum Stehen bringt, um nach links zum Einkauf von Erdbeeren abzubiegen, in diesem nach außen beobachtbaren Verhalten die privatwirtschaftliche Handlungsmotivation dokumentiert und den versicherten Weg unterbricht. Auch bereits die Einleitung des Abbiegens zur Tankstelle durch Verlangsamung des Fahrzeugs und Setzen des Blinkers manifestiert ausreichend die Annahme einer Änderung der Handlungstendenz, auch wenn der Versicherte sich beim Unfall noch auf der eigenen Fahrbahnhälfte befand (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 49, Rdnr. 16 sowie LSG Berlin-Brandenburg, UV-Recht Aktuell 2012, 441 und vom 04.09.2014 - L 2 U 42/12 - <[...]>).

    b) Entgegen der Auffassung des Klägers handelte es sich bei dem Überqueren der Straßenbahngleise auch nicht um eine nur geringfügige, unbeachtliche Unterbrechung des Heimwegs. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. SozR 4-2700 § 8 Nr. 32), der die Kammer folgt, ist eine Unterbrechung nur dann als geringfügig zu bezeichnen, wenn sie auf einer Verrichtung beruht, die bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit in seiner Gesamtheit anzusehen ist. Dass ist der Fall, wenn sie nicht zu einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung des ursprünglich aufgenommenen Ziels führt, weil sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung "im Vorbeigehen" oder "ganz nebenher" erledigt werden kann (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 3, Rdnr. 7 und a.a.O., Nr. 14, Rdnr 12 sowie a.a.O. Nr. 50, Rdnr. 15). Nach dieser Rechtsprechung bewirkt etwa ein Richtungswechsel mit einem Pkw auf einem grundsätzlich versicherten Heimweg, mit dem sich der Versicherte wieder in entgegengesetzter Richtung von seiner Wohnung weg bewegt, eine deutliche Zäsur, weil sich die Umkehr sowohl nach ihrer Zielrichtung als auch ihrer Zweckbestimmung von dem zunächst zurückgelegten Heimweg unterscheidet. Hier handelte der Kläger mit dem Ziel, über die Straßenbahngleise und die Gegenfahrbahn der H- und-N-Straße hinweg die Wohnung des M. zu erreichen, um sich dort mit diesem zu treffen. Die Gesamtheit dieses geplanten Handelns kann dabei nicht mehr als geringfügig angesehen werden, weil sie eben gerade nicht "nur nebenbei" erledigt werden kann. Vielmehr setzte der subjektive Wunsch des Klägers nach Aufsuchen der Wohnung des M. eine neue objektive Handlungstendenz in Gang, die sich deutlich von dem "nach Hause fahren" abgrenzen lässt. Die konkrete Verrichtung des Überquerens der Gleise steht ihrerseits in einem untrennbaren und unmittelbaren Zusammenhang mit dem Aufsuchen der Wohnung des M., der durch den Richtungswechsel des Klägers nach außen hin erkennbar in Gang gesetzt wurde.

    c) Soweit der Kläger mit der Klagebegründung vorgetragen hat, die Angaben des M. gegenüber der Polizei am Unfallort seien falsch und diesem untergeschoben worden, ergibt sich hierfür aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens bereits im Ansatz kein Anhalt. Die Kammer erachtet dieses Vorbringen vielmehr als ziel- und zweckgerichtet. Selbst wenn die Handy-Mitteilung des Klägers an M. sinngemäß zum Inhalt gehabt hätte, M. "solle mal kurz runterkommen wegen einer Verabredung. Treffpunkt sollte der Haltestellenbereich sein." ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Denn auch in diesem Fall wäre einzige Wirkursache für das Unfallereignis das Überqueren der Straßenbahngleise aus privatwirtschaftlicher Motivation, nämlich sich mit M. zu treffen.

    3. Zu Recht hat deshalb die Beklagte entschieden, dass der Kläger bereits mit dem Verlassen des Bahnsteigs sich nicht mehr in Richtung auf sein ursprüngliches Fahrziel, seine Wohnung, bewegt hat und trotz Verbleibens im öffentlichen Verkehrsraum jede Richtungsänderung aus eigenwirtschaftlichen Gründen zu einer Unterbrechung des versicherten Weges führt.

    Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.

    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.

    RechtsgebietSGB VIIVorschriften§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII; § 2 Abs. 1 Nr. 14b SGB VII

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