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  • 28.11.2013 · IWW-Abrufnummer 133656

    Bundessozialgericht: Urteil vom 29.02.1980 – 2 RU 17/80

    Beim Aufsuchen eines an dem Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit liegenden Geschäftes endet eine privaten Interessen dienende Unterbrechung dieses Weges erst mit dem Erreichen des öffentlichen Verkehrsraumes und nicht schon mit dem Durchschreiten der Außentür des Gebäudes.


    Bundessozialgericht
    Urt. v. 29.04.1980

    Az.: 2 RU 17/80

    Tatbestand
    1

    I

    Der Kläger fuhr mit seinem Moped am 13. Januar 1977 zu seiner Arbeitsstätte. Unterwegs hielt er an, um in einer Bäckerei Brötchen zu kaufen. Er stellte sein Moped auf dem Abstellplatz direkt vor der Bäckerei ab. Von dort waren es 6 bis 8 m bis zu der in die Bäckerei führenden vierstufigen Außentreppe. Vom inneren Gehwegrand der Straße bis zum Beginn der zum privaten Grundstück gehörenden Außentreppe waren es etwa 3 m. Beim Verlassen der Bäckerei stürzte der Kläger auf die Außentreppe und brach sich den Oberschenkel.
    2

    Die Beklagte lehnte Entschädigungsansprüche ab, da die Außentreppe nicht zum öffentlichen Verkehrsraum gehöre.
    3

    Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 21. Februar 1978 der Klage stattgegeben, da das Einkaufen von Brötchen vor Arbeitsbeginn zum alsbaldigen Verzehr dem Besorgen von Nahrungsmitteln während der Arbeitsschicht gleichzustellen sei.
    4

    Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 26. April 1979 zurückgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt: Der Unfall habe sich nicht auf einem Abweg ereignet. Die Gehstrecke vom Moped-Abstellpunkt bis zur Eingangstür der Bäckerei (je ca 8 m) könne schon deswegen nicht als Abweg bezeichnet werden, weil das Ziel des Weges des Klägers (Fahren mit dem Moped zum Tätigkeitsort) bei dieser geringfügigen Unterbrechung (nur wenige Meter betragende Gehzeit, geringer Zeitaufwand - geschätzt ca 5 Minuten - für den Einkauf samt Gehzeit) gleichgeblieben sei. Das Gehen von dem in unmittelbarer Nähe der Außentreppe der Bäckerei liegenden Mopedabstellpunkt bis zur Bäckereitür und zurück habe zudem auch sonst begrifflich noch ganz im Rahmen der Zurücklegung des unmittelbaren direkten Weges im Sinne von § 550 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gelegen; denn die dabei benutzte Strecke habe sich noch im öffentlichen Verkehrsraum befunden. Für die Frage des öffentlichen Verkehrsraumes spielte es keine Rolle, daß hier die Unfallstelle selbst auf einer in privatem Eigentum stehenden Grundstücksfläche liege; denn ein solcher Zugang zu einem Ladengeschäft sei jedenfalls begrifflich für die Frage, ob ein Wegeunfall vorliege, als öffentlicher Verkehrsraum anzusehen. In ihm besteht aber nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Versicherungsschutz fort. Er ende erst dann, wenn ein solcher Verkehrsraum für private Besorgungen verlassen werde. Daher habe im vorliegenden Fall der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung für den Kläger erst beim Eintritt in die Bäckerei mit dem Durchschreiten der Bäckereieingangstür geendet und sei wiederaufgelebt beim Verlassen der Bäckerei nach dem Durchschreiten der Ausgangstür. Versicherungsschutz könne zudem auch schon vor Erreichen des öffentlichen Verkehrsraumes beginnen. Das BSG habe in seinem Urteil vom 21. Dezember 1977 (2 RU 40/76) ausgeführt, daß die Ansicht, erst mit dem Erreichen des öffentlichen Verkehrsweges wäre die Unterbrechung beendet gewesen, nicht ausreichend berücksichtige, daß für den Beginn und für die Beendigung des Versicherungsschutzes bei Betriebswegen jedenfalls nicht strengere Maßstäbe anzulegen seien als für Wege nach und von der Arbeitsstätte. Auch dort beginne der Versicherungsschutz nicht erst mit dem Erreichen des öffentlichen Verkehrsraumes.
    5

    Die Beklagte hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt.
    6

    Sie trägt vor: Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß der öffentliche Verkehrsraum sich bis zur Eingangstür der Bäckerei erstrecke (s. BSG Urteil vom 7. Dezember 1968 - 2 RU 122/66). Der Kläger habe vielmehr mit dem Betreten des privaten Grundstückes den Weg nach dem Ort der Tätigkeit verlassen.
    7

    Die Beklagte beantragt,

    das Urteil des SG vom 21. Februar 1978 und das Urteil des LSG vom 26. April 1979 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
    8

    Der Kläger beantragt,

    die Revision zurückzuweisen.
    9

    Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
    Gründe
    10

    II

    Die zulässige Revision ist begründet.
    11

    Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG befand sich der Kläger am 13. Januar 1977 auf dem unmittelbaren Weg von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte, so daß das Zurücklegen dieses Weges im ursächlichen Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit und der Kläger deshalb nach § 550 Abs 1 RVO auf diesem Weg unter Versicherungsschutz stand.
    12

    Im Zeitpunkt des Unfalles hatte der Kläger jedoch in das Zurücklegen des Weges zur Arbeitsstätte eine Verrichtung eingeschoben, die nicht der Erreichung seines Zieles diente. Dadurch hatte der Kläger den Weg zur Arbeitsstätte unterbrochen (s. BSGE 41, 141, 144; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl, S. 486 s I; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 550 Anm 17, 19; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl, Kennzahl 121 S. 12).
    13

    Diese Unterbrechung diente privaten Zwecken. Sie stand somit nicht im ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Dafür genügt es nicht, daß der Kläger die Brötchen, die er im Laden kaufte, für sich und seine Kollegen für das Frühstück während einer Arbeitspause zu verwenden beabsichtigte. Hinsichtlich dieser Beziehung zur versicherten Arbeitstätigkeit unterscheidet sich der Einkauf grundsätzlich nicht von den zahlreichen, dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Verrichtungen, die nötig sind, damit der Weg zur Arbeit angetreten und die Arbeit ausgeführt werden kann (vgl BSGE 7, 255, 257; BSG Urteil vom 31. Oktober 1968 - 2 RU 122/66 -; s. auch BSG SozR 2200 § 550 Nr 24; Brackmann aaO S 486 u). Während einer privaten Verrichtung dienenden Unterbrechung des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit besteht Versicherungsschutz nur, wenn die Unterbrechung lediglich als geringfügig anzusehen ist (s. ua BSGE 20, 219, 221; 41, 141, 144; Brackmann aaO S. 486 t und 486 x sowie Lauterbach aaO § 550 Anm 17 Buchst a und d und Podzun aaO Kennzahl 070 S. 9 und Kennzahl 121 S. 13 - jeweils mit weiteren Nachweisen). Das ist hier entgegen der Auffassung des LSG nicht der Fall. Der Kläger hatte sein Moped vor der Bäckerei abgestellt, war in das Geschäft gegangen, hatte dort Brötchen eingekauft und stolperte nach dem Verlassen der Bäckerei auf der Außentreppe. Diese Einschiebung in das Zurücklegen des Weges war mehr als eine nur unerhebliche Unterbrechung, so daß während ihrer Dauer der ursächliche Zusammenhang mit dem Zurücklegen des Weges nach der Arbeitsstätte als rechtlich unwesentlich in den Hintergrund getreten und deshalb der Versicherungsschutz nach § 550 Abs 1 RVO unterbrochen war (BSG SozR Nr 5 und 28 zu § 543 RVO aF; BSG Urteile vom 31. Oktober 1968 aaO und vom 29. Juni 1971 - 2 RU 117/69 -; Brackmann aaO S. 486 y). Das Aufsuchen des Geschäftes bildete, auch wenn nur eine so kurze Besorgung wie der Kauf von Brötchen vorlag, eine deutliche Zäsur innerhalb des Weges nach dem Ort der Tätigkeit, daß während dieser Zeitdauer kein rechtlich wesentlicher Zusammenhang mit der Zurücklegung des Weges bestand. Der Kläger war nicht imstande, wie der Senat jedoch für eine nur geringfügige Unterbrechung des Wegen nach oder von dem Ort der Tätigkeit durch den Kauf von zB Zigaretten vorausgesetzt hat (s. BSG SozR aaO Nr 28), seine private Besorgung im Bereich der Straße selbst, mithin so "im Vorbeigehen" zu erledigen. Er mußte vielmehr ein von der Straße abgesondertes Grundstück betreten. Der Senat hat es in seiner Rechtsprechung auch insoweit stets als wesentlich angesehen, ob der Verletzte den Bereich der öffentlichen Straße, auf dem er den Weg zur Arbeitsstätte zurücklegte, verlassen mußte (s. ua BSG SozR aaO; BSG Urteile vom 31. Oktober 1968 aaO und 31. Oktober 1972 - 2 RU 99/71 -; Brackmann aaO S. 486 v und w). Der 8. Senat des BSG ist dieser Rechtsprechung gefolgt. Auch in den von dem Kläger in der Revisionserwiderung zitierten Urteile vom 28. Oktober 1976 (8 RU 2/76) und vom 24. Februar 1977 (8 RU 42/76) - SozR 2200 § 550 Nr 27) hat der 8. Senat den öffentlichen Straßenbereich als die maßgebende Grenze angesehen. In dem diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten hat der Versicherte jeweils den Unfall beim Überqueren der Straße und demnach im öffentlichen Straßenbereich erlitten.
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    Der Kläger hatte die Unterbrechung seines Weges nach dem Ort der Tätigkeit im Zeitpunkt des Unfalles auch noch nicht beendet. Ebenso wie die Unterbrechung des Weges nach der ständigen Rechtsprechung des Senats begann, als der Kläger den öffentlichen Verkehrsraum seines Weges nach dem Ort der Tätigkeit verließ, hätte sie erst mit dem Erreichen dieses Verkehrsraumes geendet (s. ua BSG Urteile vom 30. Oktober 1964 - 2 RU 18/64 -, 31. März 1965 - 2 RU 167/63 -, 26. Mai 1966 - 2 RU 245/63 -, 31. Oktober 1968 aaO und 31. Oktober 1972 aaO; ebenso ua Brackmann aaO S. 486 w; Lauterbach aaO § 550 Anm 17 Buchst a; Podzun aaO Kennzahl 121 S. 12). Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG befand sich die Treppe, auf welcher der Kläger stürzte, auf dem privaten Grundstück der Bäckerei etwa 3 m neben der allgemeinen Gehwegfläche. Der Umstand, daß diese Treppe zu einem Ladengeschäft für einen unbestimmten Besucherkreis bestimmt war, rechtfertigt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keine andere Entscheidung. Daß die Benutzung durch einen unbestimmten Personenkreis kein geeignetes Kriterium für die Abgrenzung des öffentlichen Verkehrsraumes ist, ergibt sich schon daraus, daß auch die Treppe innerhalb eines Geschäftshauses für einen gleich unbestimmten Personenkreis wie die außerhalb des Hauses gelegene bestimmt ist. Der öffentliche Verkehrsraum kann auch nicht durch die Ladentür oder die Außentür des betreffenden Hauses begrenzt werden und damit auch nicht der Versicherungsschutz, wie das LSG annimmt, mit dem Durchschreiten dieser Tür enden bzw wieder beginnen. Zwar beginnt und endet der Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit mit dem Durchschreiten der Außentür des vom Versicherten bewohnten Gebäudes (vgl ua BSGE 2, 239, 243; 42, 293, 294; Brackmann aaO S. 485 k und Lauterbach aaO § 550 Anm 11 - jeweils mit weiteren Nachweisen). Der Senat hat aber bereits in seinem Urteil vom 16. April 1957 (SozR aaO Nr 5) dargelegt, daß diese Abgrenzung zwischen dem Weg nach bzw von dem Ort der Tätigkeit und dem häuslichen Bereich durch die Außentür für die Abgrenzung des Beginns bzw Endes einer Unterbrechung des Weges nach und von der Arbeitsstätte ungeeignet ist. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Trennung zwischen dem Weg von und nach der Arbeitsstätte und dem unversicherten häuslichen Bereich dienen dazu, vorwiegend nach räumlichen Maßstäben den Ausgangspunkt oder das Ziel des Weges von dem Weg selbst abzugrenzen. Die Grenzziehung bei einer während der Zurücklegung des Weges eintretenden Unterbrechung ist hiermit wohl verwandt, aber nicht identisch. Bei der Unterbrechung des Weges aus privaten Gründen tritt die Komponente des inneren Zusammenhanges weit stärker in den Vordergrund der Beurteilung als bei dem Ausgangspunkt oder Ziel des Weges. Deshalb sind hier nicht die gleichen Maßstäbe anzuwenden. Dabei ist auch zu beachten, daß der für den Beginn bzw das Ende des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit maßgebende häusliche Bereich in der Regel durch die Außentür eines Gebäudes verlassen bzw wieder erreicht wird. Demgegenüber gibt es nicht überschaubare Fallgestaltungen, in denen der Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit unterbrochen wird, ohne daß eine Außentür als maßgebende Grenze in Betracht kommen kann, zB beim Einbiegen in eine Nebenstraße oder auf einen neben der Straße liegenden Platz, Betreten einer vom Wege abliegenden Ladenpassage, Einkauf auf einem Markt oder in einem abseits des Weges gelegenen Kiosk. Die der Rechtssicherheit noch am nächsten stehende Grenzziehung ist demnach der Bereich der für den unmittelbaren Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit genutzten Straße, und zwar der öffentliche Verkehrsraum.
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    Daß bei der Unterbrechung des Weges aus privaten Gründen die Komponente des inneren Zusammenhangs weit stärker in den Vordergrund der Beurteilung als bei dem Ausgangspunkt oder Ziel des Weges tritt (BSG SozR aaO Nr 5), gilt auch gegenüber der Unterbrechung eines Betriebsweges. Deshalb steht auch das vom LSG angeführte Urteil des Senats vom 21. Dezember 1977 (2 RU 40/76) nicht im Widerspruch zu der oben aufgezeigten Rechtsprechung des Senats. In dem Urteil ist ua dargelegt, daß für den Beginn und die Beendigung des Versicherungsschutzes bei Betriebswegen nicht strengere Maßstäbe anzulegen sind als für den Weg nach und von dem Ort der Arbeitsstätte. Der Senat hat dies unmittelbar danach auf seine Rechtsprechung zum Beginn und zum Ende des Versicherungsschutzes beim Verlassen bzw Erreichen des häuslichen Bereiches bezogen. Damit ist aber, wie bereits dargelegt, die Unterbrechung des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit insoweit rechtlich nicht gleichzusetzen.
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    Da der Kläger somit im Unfallzeitpunkt den Weg nach der Arbeitsstätte noch durch die privaten Zwecken dienende Verrichtung mehr als nur geringfügig unterbrochen hatte, stand er nicht unter Versicherungsschutz. Die Vorinstanzen haben somit die Beklagte zu Unrecht zu Entschädigungsleistungen verurteilt. Auf die Revision der Beklagten ist daher die Klage abzuweisen.
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    Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

    RechtsgebietRVOVorschriften§ 550 RVO

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